E S G E H T N I C H T N U R U M Ö L
Zum Aufmarsch im Nahen Osten
Während wir an der Erstellung dieser Ausgabe arbeiten, ist der militärische Aufmarsch am Golf weitgehend abgeschlossen, sind die politischen Ziele von der Administration in Washington klar benannt. Es geht um den Sturz von Saddam Hussein und die Installation einer Staatsführung im Irak unter direkter amerikanischer Kontrolle. Das wird ohne militärische Intervention nicht möglich sein. Nur der Marschbefehl steht noch aus.
Der Vorabend des Krieges wird bestimmt vom diplomatischen Gerangel um die mögliche Zeitspanne für weitere Inspektionen und um die Rolle der UNO (u.a., ob eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat notwendig ist). Die Bundesregierung spricht sich zwar gegen eine sofortige militärische Intervention aus, unterstützt aber gleichzeitig die praktischen Kriegsvorbereitungen. Das diplomatische Gerangel ist Ausdruck wachsender Konkurrenz zwischen den USA und der EU. Zum politischen Sprachrohr europäischer Interessen haben sich zur Zeit Deutschland und Frankreich gemacht. Sie können ihre Interessen zwar artikulieren, aber die Machtverhältnisse innerhalb des imperialistischen Lagers sind eindeutig; die USA bestimmen weitgehend allein über die nächsten Schritte. Das gemeinsame Klasseninteresse an der Aufrechterhaltung der imperialistischen Herrschaft über die so genannte Dritte Welt sowie das Kräfteverhältnis zwischen den USA und den anderen imperialistischen Zentren lassen eine Spaltung des westlichen Lagers nicht zu. Die Regierungen in Europa werden, ist die Entscheidung erst gefällt, keinen Bruch riskieren und die USA direkt und indirekt unterstützen. Wollen sie in absehbarer Zukunft aus ihrer weltpolitischen »Bedeutungslosigkeit « herauskommen, müssen sie ihre Rüstungshaushalte erheblich aufstocken und eine eigene, global interventionsfähige Armee aufbauen. Die Friedensbewegung wäre schlecht beraten, würde sie auf die Einsicht oder die Reden von europäischen Regierungsvertetern und -parteien setzen. Und auch eine militärisch und damit weltpolitisch stärkere EU würde die Welt nicht friedlicher machen, im Gegenteil.
Wir versuchen im folgenden eine Einschätzung zu geben über die Absichten und Ziele, die sich hinter dem militärischen Aufmarsch am Golf verbergen. Wir wollen damit einen Beitrag für die Diskussion über Ausrichtung und Ziele einer Anti-Kriegs-Bewegung leisten und hoffen auf kritische Reaktionen. In einem weiteren Artikel setzen wir uns schwerpunktmäßig mit den unterschiedlichen imperialistischen Interessen in den USA und in Europa auseinander.
Die US-amerikanische »Hegemonie« soll gesichert und ausgebaut werden
Die US-amerikanische »Hegemonie« drückt sich weltweit in ihrer Dominanz in kulturellen, ökonomischen, politischen und militärischen Bereichen aus.
Zunächst die Köpfe und Herzen mit Hollywood, Disneyland und Coca-Cola erobern, dann den Eroberten die Vorteile der freien Marktwirtschaft nahe bringen – inklusive der Durchsetzung eines politischen Systems, das Privateigentum an den Produktionsmitteln garantiert und freien Zugang zu den heimischen Märkten und Rohstoffen ermöglicht und zugleich oder später den Reichtum des Landes den US-Konzernen und anderen grenzüberschreitend tätigen Multis übereignet. Weltweit unterhalten die USA eigene Universitäten, Medienanstalten, Institute und sogenannte »NGO’s« (Nicht-Regierungs-Organisationen), die keine andere Funktion haben, als gegebenenfalls Gesellschaften, die noch nicht auf dem oben beschriebenen Kurs sind, im Interesse der USA zu beeinflussen und zu destabilisieren. Über allem schwebt der Weltpolizist USA, der das Gewaltmonopol besitzt und eventuellen Widerstand mit Hilfe von Dollars und militärischer Stärke diszipliniert.
Diese Strategie der »freiwilligen« Unterwerfung unter imperialistische Vorherrschaft kann aber nur erfolgreich sein, solange große Bevölkerungsteile sich davon materielle Vorteile versprechen. In Osteuropa, den Ländern des ehemaligen Warschauer Pakts, hat das zunächst funktioniert. Aber den sozialen Folgen der Öffnung für den Weltmarkt folgt inzwischen auch Ernüchterung und Desillusionierung unter der arbeitenden Bevölkerung dieser Länder.
Im arabischen Raum funktioniert diese Strategie schon lange nicht mehr so. Der ungelöste Israel-Palästina-Konflikt, die wachsende Armut der Massen, die Hinwendung zu einem politischen Islam, der deutliche antiwestliche Züge trägt, lässt die amerikanische Hegemonie brüchig werden. Die Abhängigkeit der arabischen Oberschicht von den USA verhinderte bisher eine Loslösung. Die Versuche der USA, den Irak und den Iran als widerspenstige Staaten einzudämmen, ist bislang gescheitert.
Mit der Zunahme antiamerikanischer Stimmungen und der Zuspitzung innenpolitischer Widersprüche in vielen Ländern des Nahen Ostens wird das »widerspenstige« Verhalten des Iraks – das zwar durchaus zur wirtschaftlichen Kooperation mit den USA bereit ist, aber entsprechend seiner eigenen nationalen Interessen – zunehmend bedrohlicher für die amerikanische Vormachtstellung in der Region. Washington hatte nach dem Sturz des Schahs (seines vormals treuesten Verbündeten in der Region) den Irak als militärische Speerspitze gegenüber der islamischen »Revolution « im Iran benutzt und dessen Armee in dem achtjährigen Krieg mit auf- und ausgerüstet.
Aus der Sicht der US-Regierung hat der Irak gleich mehrere »Verbrechen« begangen: 1972 hat die durch einen Putsch an die Macht gekommene Baath-Partei die Ölraffinerien nationalisiert. Mit den Einnahmen aus dem Ölgeschäft wurde das Land industrialisiert, das Bildungsniveau angehoben und versucht, einen eigenen bürgerlich nationalen, aber vom Westen unabhängigen Weg zu gehen. Dies war solange möglich, wie die Sowjetunion als Schutzmacht des Iraks auftrat und militärische und wirtschaftliche Unterstützung leistete. Gerade die Nationalisierung des Ölgeschäfts im Irak (wie auch im Iran und in Libyen) als Quelle seines Reichtums wirft auch in anderen Ländern des Nahen Ostens die Frage nach der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums auf. Hinzu kommt, dass die irakische Führung mit Worten und auch mit Taten den palästinensischen Widerstand unterstützt und somit für die arabischen Massen zunehmend zum Symbol für Nichtunterwerfung und Widerstand gegen die USA und den westlichen Herrschaftsanspruch insgesamt wird.
Krieg zur Aufrechterhaltung der »Hegemonie« erscheint den USA somit als einzige Handlungsperspektive und ist zugleich Ausdruck ihrer politischen Schwäche, den »Laden zusammenzuhalten«. Der ehemalige nationale Sicherheitsberater unter Präsident Carter, Z. Brzezinski, drückte dies in der FAZ vom 11.11.2001 folgendermaßen aus: »Nur ein Amerika, das den strategischen Willen aufbringt, einen umfassenden sowohl politischen als auch militärischen Feldzug zu unternehmen, kann sich durchsetzen. Das alles zeigt, dass amerikanische Vorherrschaft zur Zeit die einzige praktische Alternative zur globalen Anarchie ist«.Wenn ein geostrategischer Denker wie Brzezinski von der Gefahr einer »globalen Anarchie« spricht, dann drückt er stellvertretend für das gesamte imperialistische Lager die Angst vor zukünftigen sozialen Unruhen in verschiedenen Teilen der Welt aus. Unruhen, welche die Herrschaft auch der US-Vasallen gefährden könnten, und die Ausdruck starker antiamerikanischer und in der Folge antiimperialistischer Stimmungen und Gefühle sind. Der Krieg gegen Afghanistan und die offene Unterstützung der USA für Israel haben diese Entwicklung beschleunigt. In Afghanistan kontrolliert die westliche Marionette Karzai gerade einmal Kabul, während in Pakistan die durch den Afghanistan-Krieg verstärkten innenpolitischen Unruhen von den Militärmachthabern nicht unter Kontrolle gebracht werden. Aber auch in anderen amerikanischen Einflussgebieten gewinnen antiimperialistische Bewegungen an Terrain und werden gemeinsam mit den jeweiligen Regierungstruppen in Schach gehalten: In den Dschungelgebieten Mindanaos haben gemeinsame Manöver der philippinischen Regierungstruppen mit amerikanischen Eliteeinheiten stattgefunden, also dort, wo die Rebellen der Abu-Sayyaf kämpfen. In Nepal wird der Kampf gegen die sogenannten »Maoisten« mit amerikanischer Militärhilfe geführt In Indonesien drängt die US-Regierung darauf, stärker gegen die wachsenden islamisch-antiamerikanischen Bewegungen vorzugehen. Selbst im »Hinterhof der USA«, in Lateinamerika, haben die sozialen Spannungen und Auseinandersetzungen in verschiedenen Ländern (u.a. Venezuela, Argentinien) zugenommen; in Kolumbien kann das Regime trotz massiver US-Hilfe den Bürgerkrieg nicht zu seinen Gunsten wenden. Der Krieg gegen den Irak hat also auch die Funktion, allen diesen Bewegungen und vor allem den Völkern, die beginnen sich gegen die amerikanische Hegemonie zu wehren, auf schlagende Weise klar zu machen, wer der »Herr im Hause« ist. Dass der äußerst teure Einsatz militärischer Mittel im Irak und z.B. nicht in Kuba geschieht, ist neben der strategischen Lage auch durch die wirtschaftliche Bedeutung des Öls zu erklären. Öl ist nicht nur ein Energieträger, sondern auch ein Grundstoff für zahlreiche andere Produkte, z. B. für den Bereich der chemischen und der pharmazeutischen Industrie. Ölgeschäfte sind »Big Business«, weil sie nicht allein die Förderung betreffen, sondern eine umfassende Infrastruktur notwendig machen. Wer die Ölförderung kontrolliert, kontrolliert faktisch die gesamte Wirtschaft. Die Frage, durch welche Länder die Transportwege und Pipelines für das Öl verlaufen, ist immer eng verknüpft mit geostrategischen und damit auch mit militärischen Überlegungen. So soll das Transportmonopol Russlands für Öl aus der kaspischen Region um jeden Preis gebrochen werden durch den Bau von Pipelines, die das Öl ungehindert an Russland vorbeiführen. In den nächsten 20 bis 40 Jahren wird wegen der zunehmenden Verknappung der Energiereserven der Erde die Frage von entscheidender Bedeutung sein, wer die Kontrolle über diese Energiereserven hat. Die europäische Union, Russland und China mit seiner enormen Wachstumsdynamik wachsen als mögliche Konkurrenten amerikanischer Hegemonie heran. Unter diesem Gesichtspunkt sind der Krieg gegen Afghanistan und nun der gegen den Irak weitere Schritte, um Russland und China geostrategisch einzukreisen und sie gegebenenfalls von der Versorgung wichtiger Energiequellen abzuschneiden, jedenfalls sie erpressbar zu machen. Mit dem Krieg gegen den Irak ist die militärische Offensive der USA also noch nicht beendet: Der Iran, die kaukasischen Länder, Kasachstan, Turkmenistan sind im Rahmen dieser Strategie nächste Etappen. Das bedeutet nun nicht, dass die Amerikaner ihre Herrschaft überall zwangsläufig militärisch durchsetzen müssen. Es kann auch nicht im Interesse der US-Regierung sein, überall in der Welt Besatzungsregime aufzubauen. Die Entwicklung der letzten Jahre hat aber gezeigt, dass überall dort, wo die Amerikaner militärisch ihre Interessen durchgesetzt haben (Bosnien, Kosovo, Afghanistan), instabile Regime zurückgeblieben sind, die eine weitere militärische Präsenz amerikanischer Truppen oder ihrer europäischen Verbündeten nötig machten.
Die hier skizzierte Entwicklungsrichtung ist zeitlich und auch in ihren einzelnen Schritten und Schwankungen nicht vorhersehbar, aber sie ist ein Ausdruck der dem Imperialismus innewohnenden notwendigen Expansion. Dies gilt es zu beachten, wenn die konkreten Formen der weltpolitischen Machtverhältnisse in den verschiedenen Regionen und Ländern (z.B. in Europa) untersucht werden sollen. 20.2.03