aus Arpo Nummer 1, 2018

ZUR REGIERUNGSBILDUNG IM BUND
Weiter so? - Weiter so!
»Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert.«
Tancredi zum Fürsten Salina, seinem Onkel, in: Giuseppe di Lampedusa, Der Leopard

Soziale Gerechtigkeit, sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen und Kettenarbeitsverträge, Zwei-Klassen-Medizin, gute bzw. auskömmliche Renten, gute Pflege und Gesundheitsversorgung gute Bildung und Ausbildung, ausreichende Tagesbetreuung für Kinder ... Das waren wichtige Themen im Wahlkampf zur Bundestagswahl im vergangenen Jahr. Ebenso Flüchtlinge, Asyl, Euro, Europäische Union.

Diese Themen betreffen vor allem die Ausgaben-Seite des Bundeshaushalts. Die Einnahmen·Seite spielte demgegenüber so gut wie keine Rolle - die gute Konjunkturlage und der (prognostizierte) Einnahmeüberschuss von etwa 46 Mrd. Euro für die Jahre 2018 bis 2021 in der Finanzplanung des Bundes verschonen gleichermaßen den Lohnabhängigen wie den Unternehmer vor Forderungen nach Steuererhöhungen.

Man sollte meinen, dass es unter diesen fast idealen Bedingungen schnell und problemlos zur Regierungsbildung hätte kommen können. Doch die Wirklichkeit sah anders aus. Der Versuch zur Bildung einer Koalition aus CDU, CSU und POP scheiterte, weil die FDP sich zurückzog aus Angst, in dieser Konstellation profillos zu bleiben und bei den nächsten Wahlen dafür abgestraft zu werden.

CDU und CSU setzten darauf hin die SPD unter Druck zu Sondierungsverbandlungen, wo doch deren damaliger Parteivorsitzender Martin Schulz wiederholt beteuert hatte, die SPD werde sich in die Opposition begeben und auf keinen Fall für eine Koalition mit der Union zur Verfügung stehen; er selbst werde in keinem Kabinett Merkel Minister sein. Bekanntlich kam es zur Sondierung und ein außerordentlicher SPD-Parteit ag am 21. Januar 2018 gab schließlich mit 56 Prozent Ja-Stimmen seine Zustimmung zu Koalitionsverhandlungen. Am Ende dieser Verhandlungen gab Marlin Schulz bekannt, Außenminister unter Angela Merkel werden zu wollen und den Parteivorsitz an Andrea Nahles, die neue Praktionsvorsitzende der SPD·Bundestagsfraktion, abgetreten zu haben. Da nun auch der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel sich öffentlich gegen Schulz äußerte, gab Schulz den Verzicht auf den Ministerposten bekannt mit der Begründung: Er ziehe zurück, um den Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag nicht mit dieser Personalentscheidung zu belasten. Schneller und brutaler ist noch kein Hoffnungsträger der SPD durch eigenes Verschulden abgestürzt (Martin Schulz war ein knappes Jahr vorher mit einhundert Prozent Zustimmung zum Parteivorsitzenden gewählt worden).


Aus der Koalitionsvereinbarung
Zu Europa gibt es allgemeine Absichtserklärungen. So sollen Rahmen geschaffen werden für Mindestlohnregelungen sowie für nationale Grundsicherungssysteme in den EU-Staaten. Steuerdumping soll unterbunden werden. Die Umwandlung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu einem parlamentarisch kontrollierten Europäischen Währungsfonds wird angestrebt, allerdings ohne die Rechte der nationalen Parlamente zu beschneiden. Die ursprüngliche Bereitschaft zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt wurde auf Druck vor allem des Wirtschaftsflügels der Union mit der Einschränkung versehen: »Wir wollen einen Haushalt, der klar auf die Aufgaben der Zukunft mit europäischem Mehrwert ausgerichtet ist.« Im Bereich Bildung will der Bund elf Milliarden Euro für den Ausbau von Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen bereitstellen. Damit der Bund die Kommunen direkt unterstützen darf, soll Artikel 104c des Grundgesetzes geändert werden. Bei der beruflichen Bildung und Weiterbildung sind ein sogenannter Berufsbildungspakt sowie


»Wir müssen die Kämpfe dieser Zeit annehmen.«
« ... Ja, die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenkassen ist ein richtiger Schritt. Und? Was eigentlich noch? Wenn wir das Sondierungspapier lesen, sehen wir, dass in faktisch allen anderen Bereichen gravierende Leerstellen dominieren.

Sehen wir mal davon ab, dass die hochgejubelte Rückkehr zur Parität keine vollständige ist, da der Komplex der Zuzahlungen beispielsweise vollständig unberücksichtigt bleibt: Was genau lässt sich noch als Erfolg für die SPD verbuchen und als ,Chance für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer'?

Eines der wichtigsten Instrumente zum Stopp der Umverteilungsorgie von unten nach oben ist die Steuerpolitik. ALLE unsere diesbezüglichen gewerkschaftlichen Forderungen, von der Erhöhung des Spitzensteuersatzes bis zur Vermögenssteuer, sind derart unberücksichtigt, dass uns rätselhaft bleibt, woher der Optimismus rührt, dass zu diesem Themenkomplex in Koalitionsverhandlungen noch mal Bewegung zu erwarten wäre. Und das betrifft viele weitere Punkte: Sachgrundlose Befristungen bleiben legal. Die Eindämmung der Werkverträge, Verbote von OT-Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden, Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen - kein Wort dazu im Sondierungspapier. Die Beendigung der Repression durch Hartz IV, geeignete Maßnahmen zum effektiven Abbau der Langzeiterwerbslosigkeit, die leichtere Vereinbarkeit von Familie und Beruf - nichts dazu. Eine signifikante Erhöhung des Mindestlohnes einschließlich des Abschaffens der bisherigen Ausnahmen, die Ausweitung der Mitbestimmung bei wirtschaftlichen Angelegenheiten, die deutliche Weiterentwicklung des Entgelttransparenzgesetzes - alles das und noch einiges mehr, was für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine spürbare Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen bedeuten würde - Fehlanzeige im Sondierungspapier. Und wir vermuten: ebenso Fehlanzeige in einem Koalitionsvertrag ...

Wir alle sind mit klaren Forderungen zur Zukunft der Rentenversicherung angetreten. Weder die Mindestrente mit signifikantem Abstand zur Grundsicherung, noch die Forderung nach breiterer Basis der Einzahlenden finden sich in dem Sondierungspapier. Das zukünftige Rentenniveau soll unterhalb unserer Forderung und nur bis zum Jahr 2025 abgesichert sein. Bezahlbarer Wohnraum für alle, die Bürgerversicherung, die Stärkung der Pflegeberufe über die Stärkung der Ausbildung und die Einführung eines Pflegemindestlohns - dazu findet sich nichts oder nur in schwachen Dosierungen im Sondierungspapier von CDU, CSUund SPD ...

Unsere Aufgabe ist zu sein, wer wir sind. Wir haben uns, egal gegenüber welcher Regierung, für unsere Interessen einzusetzen, mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Wir müssen die Kämpfe dieser Zeit annehmen und Solidarität, unsere einzige politische Option, organisieren ...«

Aus dem Offenen Brief der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Bayern vom 17.01. 2018 an den DGB-Bundesvorsitzenden Reiner Hoffmann


eine Mindestausbildungsvergütung vorgesehen, ferner Aus- und Weiterbildungsprogramme in den Pflegeberufen. Deutschland soll »Weltspitze im Bereich der digitalen Infrastruktur« werden - also flächendeckendes Gigabit-Netz mit Glasfasertechnik bis 2025.

Bei den Steuern soll der Solidaritätszuschlag im Jahr 2021 für 90 Prozent aller Steuerzahler abgebaut werden. Die Abgeltungssteuer auf Zinserträge in Höhe von 25 Prozent wird abgeschafft; stattdessen greift wieder der persönliche Steuersatz. Für Dividenden und Veräußerungsgewinne bleibt aber die Abgeltungssteuer erhalten - dies begünstigt Vermögende, da Kleinsparer in Deutschland ihr Geld in der Regel nicht in Aktien anlegen ..

Das Niveau der gesetzlichen Rente soll zunächst bis 2025 auf mindestens 48 Prozent festgeschrieben, der Beitragssatz bis 2025 auf 20 Prozent des Bruttolohns begrenzt werden. Dies begünstigt Unternehmer ebenso wie Lohnempfänger. Eine Kommission soll bis 2020 ein längerfristig tragfähiges Rentenkonzept erarbeiten. Auf Wunsch der CSU soll ein Ausbau der Mütterrente erfolgen - Müttern mit vor 1992 geborenen Kindern soll ein weiterer Rentenpunkt gutgeschrieben werden, falls sie insgesamt mindestens drei Kinder erzogen haben . Geringverdiener mit mindestens 35 Jahren Beitragspflicht sollen eine Grundrente mit Zuschlägen zur Sozialhilfe erhalten.

Im Arbeitsrecht soll die sogenannte sachgrundlose Befristung von Arbeitsverhältnissen eingeschränkt werden. Sachgründe für eine Befristung sind z. B. die Vertretung eines erkrankten oder beurlaubten Beschäftigten, die Jährlichkeit der öffentlichen Haushalte. Befristungen mit gesetzlich anerkanntem Sachgrund dürfen bis zu fünf Jahren vorgenommen werden - das betrifft insbesondere die sogenannten Kettenarbeitsverträge. Die sachgrundlose Befristung wird also nicht abgeschafft, sondern nur eingeschränkt; die Fähigkeit der Unternehmer, gesetzlich zulässige Sachgründe zu finden, wird damit herausgefordert. Wo dies nicht möglich ist, bleibt den Unternehmern die Möglichkeit zur Einstellung von Leiharbeitern, was allerdings teurer sein kann.

Beim Thema Gesundheit ist eines klar: Eine Bürgerversicherung, also eine einheitliche gesetzliche Krankenversicherung für alle, wird nicht kommen. Im übrigen bleibt es bei allgemeinen Formulierungen. So sollen «angemessene Löhne und gute Arbeitsbedingungen in der Altenpflege« erreicht werden, ohne dass klar ist, wer das bezahlen wird. Ebenso unklar ist, ob die geforderten 8.000 neuen Stellen für die Behandlungspflege in Altenheimen tatsächlich besetzt werden können. Für die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung gilt wieder die Parität, d. h. die Unternehmer müssen wieder die Hälfte der Versicherungsbeiträge zahlen. Die Zuzahlung für die Medikamente müssen allerdings die Versicherten weiterhin allein tragen.

Beim Thema Migration, genauer: Einwanderung. gibt es die von der CSU gewünschte Obergrenze in der Vereinbarung. wenn auch nicht das Wort. Die jährliche Zuwanderung werde insgesamt, die Spanne von 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen«. Der Familiennachzug für Flüchtlinge mit nur subsidiärem Schutz soll auf maximal 1.000 Personen pro Monat gedeckelt werden. Die Asylver fa hren sollen zukünftig in sogenannten Ankerzentren durchgeführt werden, in denen Asylbewerber bis zu anderthalb Jahren bis zum Abschluss ihres Verfahrens bleiben müssen.

Die Koalitionäre versprechen 1,5 Millionen neue Wohnungen für die Legislaturperiode. Aktuell entstehen jährlich etwa 300.000 neue Wohnungen. Ein sogenanntes Baukindergeld (1.200 Euro pro Kind und Jahr über zehn Jahre) soll Eltern unterstützen, die eine Immobilie kaufen wollen. Die weitestgehend wirkungslose Mietpreisbremse soll bis Ende 2018 "auf Geeignetheit und Wirksamkeit" überprüft werden. Vermieter dürfen Modernisierungskosten zukünftig nicht mehr mit elf, sondern nur noch mit acht Prozent auf die Miete umlegen dürfen. ln bestimmten Fällen sollen Mieter Auskunft über die Höhe der Vormiete erhalten - was ihnen in den Ballungsräumen nicht viel helfen wird. Der der SPD nabe stehende Deutsche Mieterbund begrüßt »das Bekenntnis der möglichen Koalitionspartner zum sozialen Wohnungsbau« und »spürbare mietrechtliche Verbesserungen ... Dabei werden unsere Forderungen aber nur teilweise aufgegriffen und erfüllt. Wir hätten uns mehr erhofft«, erklärt dessen Präsident Franz-Georg Rips in einer Pressemeldung.

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