aus Arpo Nummer 2, 2016

■ Nach den Landtagswahlen vom 13. März:
Schön eng beieinander
oder: Wie fast jeder mit fast jedem kann

Wenn wir fast zwei Monate nach den Landtagswahlen vom März mit diesem Informationsbrief herauskommen, macht eine Wahlanalyse in der gewohnten Art wenig Sinn. Wir gehen davon aus, dass unsere Leserinnen und Leser auch die Tagespresse verfolgen, die Wahlergebnisse sind bekannt, die Stellungnahmen der Parteien ebenso. Die Stimmenverluste von CDU, SPD und Grünen und von der Linkspartei in Sachsen-Anhalt; der Einzug der »Alternative für Deutschland« (AfD) in alle drei Landesparlamente mit deutlich zweistelligen Ergebnissen. Dies alles bei über zehn Prozent höherer Wahlbeteiligung.

Das, was es aus unserer Sicht noch drüber hinaus zu sagen gibt, wollen wir im Folgenden tun.

Koalitionen

Der Schock bei den sogenannten etablierten Parteien über die (erwarteten) Wahlerfolge der AfD rührt zum Teil daher, dass die Verluste in der Breite des Parteienspektrums schwierigere Koalitionsverhandlungen mit sich bringen und untypische Koalitionen erzwingen. So wird es nach gegenwärtigem Stand in Baden-Württemberg eine grün-schwarze Regierung unter Führung des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann geben (eine schwarz-grüne Koalition gibt es bereits in Hessen unter dem CDU-Ministerpräsidenten Volker Bouffier). In Rheinland-Pfalz steuert alles auf eine »Ampel«-Koalition unter der SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer zu. Und in Sachsen-Anhalt wird die CDU wohl zusammen mit der SPD und den Grünen regieren. Der Eindruck liegt nahe, dass die Politiker der etablierten Parteien SPD, CDU, Grüne, FDP den Wählenden signalisieren: Ihr könnt (Protest) wählen, soviel ihr wollt, wir schaffen es doch immer wieder in die Regierung.

Dass die Linkspartei in Sachsen-Anhalt hierbei nicht mitspielt, hängt damit zusammen, dass sie von den »Wunschpartnern« CDU, SPD und Grünen nicht gebraucht wird – 0bwohl sie mit 16,3 Prozent der Stimmen immerhin deutlich vor SPD (10,6) und Grünen (5,2) liegt. Unter den gegebenen Umständen muss es der Linkspartei allerdings politisch nicht unbedingt schaden, wenn sie von den künftigen regierenden Wahlverlierern so in die Ecke gestellt wird, weil es ihr in den kommenden Jahren Gelegenheit bietet, sich als linke Opposition zu profilieren. In der Wahrnehmung vieler Menschen erscheint die Linkspartei nämlich so, »wie die anderen Parteien, ...alle gleich und nicht wählbar«, wie es der Landessprecher der Linkspartei in NRW, Ralf Michalowsky, im Interview mit der »Jungen Welt« (30.03.2016) formulierte. »Die Leute meinen: Sie halten uns für systemimmanent, und so ganz unrecht haben sie nicht.«

Flüchtlinge

Das Thema Flüchlinge stand und steht für die Fülle der sozialen Probleme in Deutschland. Für viele Menschen ist es offenbar zum Paradebeispiel für eine Politik geworden, die Dauerthemen wie Armut, Leiharbeit, Hartz IV und Arbeitslosigkeit mehr oder weniger vernachlässigt und stattdessen in medienwirksame Aktionen zugunsten von »Fremden« und zu Lasten der »Hiesigen« investiert. Die »Ausländer-Raus«-Krawalle, die Brandanschläge auf Wohnheime und Asylunterkünfte, die Dresdner Pegida-Demonstrationen sind die extremen Ausformungen dieser Stimmungslage, an die nicht nur die AfD anzuknüpfen versuchte. Der stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, Axel Troost, meinte, die Ergebnisse des Wahlsonntags hätten »einen deutlichen Rechtsruck in der bundesdeutschen Gesellschaft dokumentiert.« Dies zeige sich in erster Linie im Wahltriumph der AfD 1) . Die Äußerung zeigt vor allem die Distanz des Politikers zur Wählerschaft. Es war kein Rechtsruck in der Gesellschaft – das Gefühl, vom sozialen Aufstieg abgeschnitten zu sein, existiert in weiten Teilen der Bevölkerung seit langem. Bei Wahlen drückte es sich entweder in Wahlenthaltungen in großem Stil oder in Stimmen für die »sonstigen« Parteien aus. Dass die AfD daraus Nutzen ziehen konnte, hängt eher damit zusammen, dass sie von den etablierten Parteien als Buhmann hingestellt wurde. Die AfD selbst ist eine Partei, die von ihrer Mitgliedschaft und ihren Spitzenkandidaten (vor allem in den westlichen Bundesländern) her große Ähnlichkeit zu den etablierten Parteien aufweist – mit der entscheidenden Ausnahme, dass sie die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung scharf kritisiert. Dabei gibt sie sich in ihren nationalistischen Tönen nicht schärfer als die CSU unter Horst Seehofer. Der rechte Populismus ist kein Alleinstellungsmerkmal der AfD.

Was geschah, ist nicht so sehr ein »Rechtsruck in der bundesdeutschen Gesellschaft«, als vielmehr ein sozialer Protest mit dem Wahlzettel, von Wählern, die sich als Staatsbürger und nicht als Angehörige einer sozialen Klasse sehen.

Das hat mit sicherem Instinkt auch Sahra Wagenknecht von der Linkspartei erkannt, – um sich von der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung unter Angela Merkel zu distanzieren. Aber was folgt daraus? Was wird es den Arbeitslosen, den Hartz-IV-Aufstockern, den Leiharbeitern nützen, wenn aus dem »Das schaffen wir!« ein »Damit hat’s ein Ende!« würde? Würden für sie dann goldene Zeiten anbrechen, würde ihnen Die Linke »soziale Gerechtigkeit« verschaffen? Gewiss nicht. Wie wollte sie das – selbst wenn es ihr, gegen jede Wahrscheinlichkeit, gelänge, Teil einer Bundesregierung zu werden? Arbeitslose, prekär Beschäftigte sind selbstverständlicher Bestandteil einer jeden kapitalistischen Gesellschaft; ihre wechselnde Zahl hängt ab vom Auf und Ab am Arbeitsmarkt.

Gewerkschaften

Gewerkschaftssekretäre berichten, dass sie von Betriebsratsvorsitzenden gebeten werden, auf Betriebsversammlungen die Flüchtlinge nicht zu thematisieren. Das würde nur böses Blut in der Belegschaft geben. Auch viele Gewerkschaftsmitglieder stehen sich in der Frage Aufnahme oder Abwehr von Flüchtlingen gegensätzlich gegenüber.

Die Vorstände der Einzelgewerkschaften setzen auf Konfliktvermeidung. Wenn sie das Thema in den Mitgliederzeitschriften ansprechen, dann vorwiegend unter humanitären Gesichtspunkten. 2) Aber es ist und bleibt doch ein politisches und sozialpolitisches Thema. Die Öffnung der Arbeitsmärkte, die freie Verfügbarkeit der Ware Arbeitskraft für die Ausbeutung in der kapitalistischen Produktion steht seit jeher auf dem Programm der Bourgeoisie. Politisch rückständige Schichten der Arbeiterklasse haben auch in der weit zurückliegenden Vergangenheit dafür Bild

geworben, den Arbeitsmarkt gegen auswärtige Konkurrenz abzuschotten. Das ist ihnen nie wirklich gelungen – wie ja auch Lohnabhängige aus diesen Ländern selbst als Arbeitsmigranten in andere Teile der Welt wanderten. Und es hat die Stellung der Arbeiterklasse in Ländern, wo die Einwanderung streng gesteuert wurde, wie in England, Kanada oder Australien, niemals wirklich verbessert. Auch dort blieb es die Konjunktur und insbesondere die Weltkonjunktur, die die Lebenshaltung der Werktätigen bestimmte.

Wir müssen es akzeptieren, dass es unter den Kolleginnen und Kollegen in einer so wichtigen Frage Meinungsverschiedenheiten gibt. Aber wir können es nicht akzeptieren, dass die Differenzen totgeschwiegen und nicht Gegenstand politischer Diskussionen in den Gewerkschaften werden. Wir sind der Meinung, dass diese Konflikte dazu genutzt werden sollten, in Diskussionen auch innerhalb der Gewerkschaften Klassenstandpunkte zu entwickeln und rechtspopulistischer Demagogie und Illusionsmacherei entgegenzuwirken.

1) https://www.die-linke.de/index.php?id=55&tx_ttnews[tt_news]=45349&tx_ttnews[backPid]=9&no_cache=1

2) Eine rare Ausnahme ist die Stellungnahme von Gewerkschaften im Main-Kinzig-Kreis, die wir in unser letzten Ausgabe Nr. 1/2016 dokumentierten.