aus Arpo Nummer 4, 2014

Arbeitskampf der GDL wird zur Kraftprobe um das Streikrecht

Es ist kein Zufall, das zeitliche Zusammentreffen des GDL-Streiks und die Vorlage der Gesetzesinitiative zur »Tarifeinheit«. Mit seiner Blockadehaltung in der laufenden Tarifrunde versucht der Bahnvorstand der GDL das Recht streitig zu machen, für alle seine Mitglieder, insbesondere für das Zugbegleitpersonal, einen eigenständigen Tarifvertrag zu erstreiten. Dem gleichen Ziel dient der von Arbeitsministerin Nahles vorgestellte Entwurf zur gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit. Sollte der Entwurf Gesetz werden, müssten sich alle kleineren Gewerkschaften, so auch die GDL, den mit der Mehrheitsgewerkschaft abgeschlossenen Tarifverträgen unterordnen. Sie wären an deren Friedenspficht gebunden. Das Recht, für einen eigenen Tarifvertrag in den Arbeitskampf zu treten, wäre ihnen damit praktisch genommen. Die im Grundgesetz verankerte Koalitionsfreiheit, die das Streikrecht zur Durchsetzung von Tarifverträgen einschließt, wäre ausgebebelt.

Die Vorgeschichte und der Verlauf des aktuellen Arbeitskampfes geben Auskunft über die tatsächlichen Ziele der Arbeitgeberverbände und der Bundesregierung. Sie werfen zugleich ein Schlaglicht auf die Kräfteverhältnisse in der Auseinandersetzung um die weitere Einschränkung des eh schon eng begrenzten Streikrechts, das es nur zur Durchsetzung von Tarifverträgen gibt.

Auftakt: Der Arbeitskampf der GDL 2007

Als die ersten Gesetzesentwürfe zur Privatisierung der Bundesbahn auf dem Tisch lagen, betätigte sich die Gewerkschaft Transnet. die heutige EVG, als deren eifrigster Fürsprecher. Seither folgt sie den Wünschen und Vorgaben der Bundsregierung und des Vorstandes der DB AG, beispielsweise anlässlich des geplanten Börsenganges. Als der auf Widerstand in der SPD stieß. betätigte sich der damalige Gewerkschaftsvorsitzende Hansen als eifriger Lobbyist in den Reihen der zweifelnden ParteigenossInnen. Die unter Federführung von Transnet ausgehandelten Verträge der Tarifgemeinschaft sahen dementsprechend aus. Die Interessen der Beschäftigten, insbesondere des Zugpersonals, gerieten völlig unter die Räder der privatisierten Bahn und ihrer Renditevorgaben.

Die überwiegende Mehrheit der LokomotivführerInnen und ein erheblicher Anteil des übrigen Zugpersonals waren in der GDL organisiert. Die sah sich gezwungen, die Tarifgemeinschaft aufzukündigen und mit eigenen Forderungen in die Tarifrunde 2007 zu gehen, wollte sie nicht ihr Ansehen und ihre Existenzberechtigung bei den Mitgliedern aufs Spiel setzen. In der Arpo (Nr. 4, 30 November 2007) schrieben wir damals:

»Als die GDL sich mit der Forderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag aus der Gangelung des Bahnvorstandes und seiner Co-Manager von Transnet zu lösen versuchte, ahnte wohl kein Beteiligter, welche Gegenkräfte sie damit auf den Plan rufen würden. Hinter der unnachgiebigen Haltung des Bahnvorstandes standen nicht allein wirtschaftliche Oberlegungen. Sonst wäre der Konflikt viel eher durch Zugeständnisse beendet worden. Hinter der DB AG stand eine Front aus Arbeitgeberverbänden, Bundesregierung und Gewerkschaftsspitzen, deren Interessen der Bahnvorstand zu berücksichtigen hatte. [...] Der Bahnvorstand versuchte der GDL das Recht auf eine eigenständige gewerkschaftliche Interessenvertretung streitig zu machen. [...] Sollte ihr jegliches Zugeständnis verwehrt werden können, dann hätte sie neben der »mächtigen« (mitgliederstarken aber zahmen) Transnet keine Funktion. Die Rebellion des Fahrpersonals gegen die von Gewerkschaftsboss Hansen mit der DB AG ausgehandelten Tarifverschlechterungen der letzten Jahre wäre niedergeschlagen.«

GDL-Links

Wie bekannt, konnte sich damals der Vorstand der OB AG nicht durchsetzen. Die GDL errang mit dem Abschluss eines Tarifvertrages - allerdings nur für die LokführerInnen, das übrige Fahrpersonal blieb ausgeschlossen - einen Teilerfolg. Ermöglicht wurde dies durch die breite Sympathie für die Streikenden, die auch durch die Medienkampagne/-hetze nicht gebrochen werden konnte. In der Überlastung des Fahrpersonals, in dem wechselnden Schichtdiens t und ständig anfallenden Überstunden bei viel zu geringer Bezahlung sahen viele Lohnabhängige die Parallelen zum eigenen Arbeitsalltag. »Endlich mal eine Gewerkschaft, die es denen da oben zeigt«, war die weit verbreitete Ansicht.

Die gemeinsame Gesetzesinitiative von BDA und DGB 2010

Bereits schon während des laufenden Arbeitskampfes der GDL, am 11. September 2007, erschien in der FAZ ein Plädoyer von Dieter Hundt im Namen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA):

»Betriebliche Praxis braucht Tarifeinheit. Der Gesetzgeber muss handeln. Die Tarifauseinandersetzung bei der Bahn hat das Augenmerk auf den für die betriebliche Praxis wichtigen Grundsatz der Tarifeinheit gelenkt. [...] Mit der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) versucht nach Cockpit, der Organisation der Flugbegleiter (UFO), dem Marburger Bund und der Fluglotsenvereinigung (GdF) jetzt abermals eine Spartengewerkschaft diesen Grundsatz auszuhebeln. [...] Um diese Entwicklung zu verhindern, müssen Streiks von Spartengewerkschaften begrenzt werden. [...] Da eine schnelle hächstrichterliche Entscheidung nicht in Sicht ist, sollte der Gesetzgeber handeln und die Friedensfunktion des Flächentarifvertrages sichern.«

Im Sommer 2010 erging die höchstrichterliche Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes. Es kippte den Grundsatz der Tarifeinheit zu Gunsten des Pluralismus - für die BDA das Startsignal zum Handeln. Sie holte sich den DGB ins Boot für die gemeinsame Gesetzesinitiative zur »Tarifeinheit «, wohl in der Erwartung, dem gemeinsamen Appell der »Sozialpartner« würde sich der Gesetzgeber, das Parlament, nicht verschließen können. Ohne Rücksprache selbst in den eigenen Vorstandsgremien hatten beispielsweise Frank Bsirske und Bertold Huber an diesem Versuch das Streikrecht auszuhebeln mitgestrickt. Auf das entscheidende Ziel ihrer Initiative wiesen BDA und DGB in einer gemeinsamen Stellungnahme selbst hin. »Darüber hinaus dient die Tarifeinheit einer wichtigen Funktion der Koalitionsfreiheit und des Tarifvertragssystems, nämlich die Arbeitsbeziehungen zu befrieden.«

Bekannte Arbeitsrechtler, wie Wolfgang Däubler (Professor für deutsches und europäisches Arbeitsrecht) und Detlef Hensche (ehemaliger Vorsitzender der JG Medien) wiesen nach, dass ein solches Gesetz gegen die im Grundgesetz verankerte Koalitionsfreiheit verstoßen würde. Ob das Bundesverfassungsgericht entsprechend urteilen wird, sei dahingestellt. Jedenfalls folgten der Gesetzesinitiative zum Teil heftige innergewerkschaftliche Debatten um die Alleingänge der Vorsitzenden. Deren Vorgehen stieß vor allem auf der unteren und mittleren FunktionärsebeoB in ver.di auf heftigen Widerspruch. Nachdem ver.di beschlossen hatte, die Initiative nicht weiler zu unterstützen, machte auch der DGB einen Rückzieher - ein Erfolg für die innergewerkschaftlichen Kritiker der gesetzlichen »Tarifeinheit«, Aber auch in den Reiben der damaligen schwarz-gelben Koalition regte sich Unbehagen. Viele Gewerkschaftsfunktionäre des Deutschen Beamtenbundes, dem auch die GDL angehört, sind Mitglieder der CDU oder der FDP. Die Gesetzesinitiative zur Tarifeinheit war damit vom Tisch - allerdings nur vorläufig.

Große Koalition gegen kleine GDL

In ihren Koalitionsverhandlungen vereinbarten CDU und SPD, eine gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit in der jetzigen Legislaturperiode in die Wege zu leiten. Sie folgten damit eiDern Versprechen der Bundeskanzlerin gegenüber den Arbeitgeberverbänden. Der Vorstand der DB AG, die sich ja zu 100 % im Besitz des Bundes befindet, erhielt offensichtlich den Auftrag, dieses Vorhaben nicht durch ein Nachgeben gegenüber der GDL in der diesjährigen Tarifrunde zu konterkarieren. Jedenfalls blockierte die DB AG seit vier Monaten jegliche Verhandlung über die materiellen Forderungen der GDL nach 5 % mehr Lohn und einer Arbeitszeitverkürzung von 39 auf 37 Stunden. Zur Voraussetzung von Verhandlungen darüber macht der Bahnvorstand die Bereitschaft der GDL, sich einem gemeinsam mit der EVG auszuhandelnden Tarif für die Zugbegleiter und das Servicepersonal unterzuordnen. Im Klartext: Die GDL soll freiwillig auf das Tarif- und Streikrecht für ein Teil ihrer Mitglieder verzichten. Darauf kann wohl keine Gewerkschaft eingehen. ohne ihre Existenzberechtigung selbst in Frage zu stellen. Die GDL sah sich folgerichtig gezwungen, den Arbeitskampf gegen ein solches Diktat aufzunehmen. Er wurde somit indirekt zum Kampf um die Sicherung der im Grundgesetz verankerten Koalitionsfreiheil.

Mit der Weigerung sich dem Bahndiktat zu beugen und von seinem Streikrecht Gebrauch zu machen, rief die GDL die Kräfte auf den Plan, die ihr schon 2007 so rabiat entgegentraten:
- die Bundesregierung, die als alleiniger Eigentümer der OB AG den Kurs des Bahnvorstandes steuern kann;
- die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, auf deren Drängen die Regierungskoalition das Gesetz zur ,.Tarifeinheit« auf den Weg gebracht hat;
- führende Spitzenfunktionäre aus den DGB Gewerkschaften. Deren Kritik am Arbeitskampf der GDL belegen, dass der Rückzug des DGB aus der gemeinsamen Gesetzesinitiative mit der BDA 2010 rein taktischer Natur war, um die innergewerkschaftlichen Kritiker zu besänftigen. Inzwischen hat der DGB gegen die Stimmen von ver.di, NGG und GEW sich grundsätzlich hinter Nahles Gestzentwurf gestellt.

Seit Beginn der Streikaktionen wurden wir Zeugen eines mit allen Mitteln der Demagogie geführten Feldzuges, dessen Ziel es ist, die Einschränkung des Streikrechts propagandistisch vorzubereiten. 2007 hatten die Tarifforderungen der GDL angesichts miserabler Arbeitsbedingungen und niedriger Löhne für eine breite Sympathiewelle gegenüber den Streikenden gesorgt. In der Berichterstattung über die aktuelle Tarifauseinandersetzung werden sie deshalb medial fast völlig unterschlagen. Stattdessen wird die GDL, insbesondere ihr »bahnsinniger« (BILD-Zeitung) Vorsitzender Weselsky, zu einer Gefahr für den Wirtscbaftsstandort Deutschland aufgeblasen. Der GDL ginge es lediglich um die Durchsetzung ihres Machtanspruches gegenüber der Konkurrenz, der EVG. Die öffentliche Sympathie mit den Zielen von Arbeitskämpfen stört, wenn Arbeitgeberverbände und die Regierung das Streikrecht einschränken wollen.

Mit der juristischen Schlappe der DB AG vor dem Landesarbeitsgericht in Frankfurt, das der GDL die Recht- und Verhältnismäßigkeit des Arbeitskampfes bescheinigte, ist die Auseinandersetzung nicht beendet. Bahnchef Grube deutete die vorzeitige und freiwillige(?) Beendigung des Streiks in einen Erfolg der DB AG um und schloss ein baldiges Nachgeben gegenüber der GDL aus. Ob er dies Durchhalten kann, werden die weiteren Verhandlungen zeigen.

Der juristische Erfolg der GDL dürfte zudem die Entschlossenheit derjenigen stärken, die mit Hilfe von Gesetzesänderungen solche Arbeitsniederlegungen in Zukunft unterbinden wollen. Es existieren weitere Pläne für eine Einschränkung des Streikrechts. Sie sollen die geplante Gesetzesregelung zur Tarifeinheit ergänzen oder notfalls ersetzen, sollte diese erneut scheitern. Eine der Überlegungen: In wichtigen, öffentlichen Bereichen, wie im Nah- und Fernverkehr, soll eine Neuregelung der Schlichtung und Friedenspflicht die Führung von Arbeitskämpfen erschweren. Ein anderer Vorschlag lautet, dass im Falle des Arbeitskampfes mindestens 50% der Dienstleistungen aufrecht zu erhalten seien. Der Vorteil dieser Überlegungen, er trifft alle und nicht nur die kleinen Gewerkschaften. Selbst nach einer Einigung zwischen GDL und der DB AG in der laufenden Tarifrunde wäre die Auseinandersetzung um das Streikrecht also noch lange nicht beendet.

Die Rolle der GDL-Führung

Der Vorstand der GDL hat die Rolle als Buhmann der Nation nicht aus freien Stücken gewählt. Genauso wenig sieht er sich als Vorkämpfer einer klassenkämpferisch orientierten Gewerkschaftspolitik, der es um den Erhalt oder gar den Ausbau des Streikrechts geht. Die GDL trat, wie auch die EVG, nie als prinzipieller Gegner der Bahnprivatisierung in Erscheinung. Viele Spitzenfunktionäre in den Gewerkschaften des Deutschen Beamtenbundes sind CDU-Mitglied, so auch der GDL-Vorsitzende Weselsky. Ihm wäre wohl nichts lieber, als die Rolle des gleichberechtigten Sozialpartners spielen zu dürfen. Das wird der GDL aber bislang verwehrt.

Jedenfalls unterschied sich die Art und Weise, wie der Arbeitskampf von GDL-Führung angegangen wurde, nicht prinzipiell vom Vorgehen der DGB-Gewerkschaften. Der Vorstand wollte alle Zügel in der Hand behalten. So gab es im Vorfeld der Tarifauseinandersetzung keine Diskussionen in der Mitgliedschaft über die Inhalte der aufgestellten Forderungen. Über Zeitpunkt, Ablauf und Dauer der Arbeitsniederlegungen entschieden ausschließlich die zuständigen Gremien, die einfachen, streikenden Mitglieder blieben bei den Entscheidungen außen vor.

Es gab keine Flugblätter der GDL für die Reisenden oder für KollegInnen anderer Gewerkschaften; das streikende Zugpersonal war zunächst in der Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar. Die Schwäche der Arbeitskampfführung, in der die Außendarstellung in den Händen des Vorsitzenden verblieb, offenbarte sich mit der zunehmenden Hetze in den bürgerlichen Medien, die den Arbeitskampf zum Machtkampf eines besessenen Gewerkschaftsbosses umschrieben. Der Druck der Gegenseite und die Unruhe der streikenden Zugpersonale, die zunehmend auf öffentliche Aktivitäten drängten, veranlasste die GDL-Führung eine Kundgebung vor dem DB-Tower am Potsdamer Platz in Berlin zu organisieren. Sie fand am 7. November statt, just zu dem Zeitpunkt, als das Landesarbeitsgericht in Frankfurt über die Klage der DB AG verhandelte. Als die streikenden KollegInnen aus Berlin sich anschließend im Streiklokal über den Ausgang der Klage informieren wollten, gab es eine große Überraschung. Der mit Jubel aufgenommen Fernsehnachricht über den juristischen Erfolg der GDL folgte die Meldung. über den vorzeitigen Abbruch des Arbeitskampfes. Zwar konnten viele die Motivation nachvollziehen, für Sympathie unter den Reisenden in der Öffentlichkeit zu werben. Sie fühlten sich aber übergangen - der Vorstand hätte vorher ihre Meinung einholen können.

Den Arheitskampf der GDL unterstützen - das Streik recht verteidigen

Die GDL steht im Moment im Fokus der Bemühungen, das Streikrecht einzuschränken. Weder sie allein, noch die im Beamtenbund organisierten Gewerkschaften, besitzen die Kraft, dies zu verhindern. Sie werden, genauso wenig wie die Führungen der DGB-Gewerkschaften, bereit sein, gegen eine Einschränkung des Streikrechts die politische Auseinandersetzung praktisch aufzunehmen. Ihnen verbleibt höchstens der juristische Weg, der Gang zum Bundesverfassungsgericht.

Wir sollten deshalb nicht nur unsere Solidarität mit dem streikenden Zugpersonal manifestieren, sondern auch die Diskussion über die drohenden Gefahren für das Streikrecht in allen Gewerkschaften führen. Mit der aktuellen Ausgabe der »Arpo« verschicken wir die bisher erschienen Ausgaben der Streikzeitung, JA zum GDL-Arbeitskampf - NEIN zum Tarifeinheitsgesetz«. Es ist keine Streikzeitung der GDL. Sie wird herausgegeben von einem breiten Bündnis, dem auch zahlreiche KollegInnen aus den DGB-Gewerkschaften angehören. In der Streikzeitung gibt es sehr informative Artikel zu den angesprochenen Themen.
16. 11.2014

LabourNet:
http://www.labournet.de/category/politik/gw/gw-in-d/transnet/
Homepage der Streikzeitung:
http://pro-gdl-streik14.de/
die Streikzeitungen als PDF-Versionen:
http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2014/11/streikzeitung1.pdf
http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2014/11/streikzeitung2.pdf
http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2014/11/streikzeitung3.pdf