aus Arpo Nr. 2, 2002:

 P A L Ä S T I N A
Israel sucht die militärische Lösung

Vertreibung, Unterdrückung und Abhängigkeit sollen zementiert werden

Alle diplomatischen Bemühungen, den durch die Al-Aksa-Intifada unterbrochenen Verhandlungsprozess zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde zu retten bzw. wieder in Gang zu bringen, sind gescheitert. Die UNO musste sich mit der vertrauten Statistenrolle abfinden. Die Beschlüsse ihrer Vollversammlungen und die Resolutionen des Sicherheitsrates, sofern sie nicht sowieso durch ein Veto der USA zu Fall gebracht wurden, blieben Makulatur. Wie die israelischen Führungen in den vergangenen Jahrzehnten, kann es sich auch die Scharon-Regierung erlauben, Initiativen der Vereinten Nationen zu ignorieren, wenn sie den eigenen politischen Interessen zuwiderlaufen. Ähnlich ergeht es den diplomatischen Aktivitäten der Europäischen Union. Sie sind eher Ausdruck der Hilflosigkeit und der untergeordneten Rolle der EU im Nahen Osten – einen Beitrag zum Abbau der Spannungen leisten sie nicht. In weltpolitischen Grundsatzfragen im Schlepptau der USA, beließen es die Europäer bei verbalen Protestnoten, als die israelische Armee von der EU geförderte Infrastrukturprojekte, wie zum Beispiel den Flughafen von Gaza, systematisch zerstörten. Und der EU-Beauftragte für außenpolitische Angelegenheiten, Solana, musste sich von der Regierung Scharon vorführen lassen: ihm wurde der Besuch des von der israelischen Armee gefangen gehaltenen Arafat verwehrt, der immerhin von der Europäischen Union als Repräsentant der Palästinensischen Autonomiebehörde anerkannt wird. 

Die entscheidende Rolle im Nahen Osten fällt den Vereinigten Staaten zu. Aber auch deren Versuche, wenigstens durch Vermittlung eines Waffenstillstands die Spannungen in der Region zu verringern, um den innenpolitischen Druck auf die verbündeten arabischen Regimes zu mildern, schlugen fehl. »Scharon kann es sich leisten, dem Druck der US-Regierung zu trotzen, weil er genau weiß, dass es für die USA auf absehbare Zeit keine Alternative zu Israel und damit auch zur israelischen Regierung gibt. Einzig Israel kann die für die USA unersetzliche Rolle eines Regionalpolizisten spielen. Es besitzt nicht nur die dafür erforderliche militärische Stärke, es ist auch das einzige Land, das wirtschaftlich, politisch und kulturell vollständig westlich orientiert ist.« (Arpo Nr. 1, Mai 2002) So bleibt die öffentlich vorgetragene Kritik an einzelnen Maßnahmen Israels ein taktisches Spiel ohne praktische Konsequenzen, mit der die Bush-Regierung verhindern will, dass ihre Anti-Terror-Front mit arabischen Staaten vollends auseinander bricht. Zugleich ist es Ausdruck der voneinander abweichenden taktischen Vorstellungen innerhalb der US-Administration. Während Außenminister Powell die Verbündeten enger in den »internationalen Kampf gegen den Terrorismus« einbinden will, was eine stärkere Berücksichtigung ihrer Interessen erfordert, sehen die Falken im US-Verteidigungsministerium darin nur Hindernisse und eine Aufweichung der eigenen Entschlossenheit. 

Weder die Europäische Union noch die Vereinigten Staaten sind die neutralen Vermittler, als die sie sich diplomatisch so gern ausgeben. Ohne ihre Duldung und Unterstützung könnte die israelische Armee ihren Feldzug in der West-Bank und auf dem Gaza-Streifen zur Niederschlagung der Intifada nicht führen. Die Differenzen zwischen Israel und seinen westlichen Verbündeten sind taktischer Natur, sie betreffen einzelne Maßnahmen und Methoden der Scharon- Regierung, nicht aber deren politische Ziele im Grundsatz. So können die israelischen Panzer die letzten Überreste niederwalzen, die vom Oslo-Abkommen noch übriggeblieben sind. Nach der Ausschaltung der Palästinensischen Autonomiebehörde wurde und wird gezielt deren Sicherheits- und Verwaltungsapparat sowie die zivile Infrastruktur zerstört. Mit der Ermordung von Aktivisten aus allen politischen Lagern, durch Verbreitung von Angst und Terror soll der palästinensische Widerstand gebrochen werden. 

Das Oslo-Abkommen, der Befriedungsversuch des Imperialismus, ist gescheitert

Die Vereinbarungen von Oslo waren der Versuch, die Region zu befrieden und damit zugleich die Vorherrschaft der USA und Israels im Nahen Osten zu sichern. Sie sahen ein palästinensisches Autonomiegebiet vor, welches selbst nach voller Verwirklichung ein Flickenteppich geblieben wäre, durchsetzt von jüdischen Siedlungen und zerschnitten von Verbindungsstraßen, die ebenso wie die Außengrenzen von der israelischen Armee kontrolliert bleiben sollten. Wirtschaftlich und politisch wäre ein »autonomes« Palästina völlig abhängig von Israel. Für das »Zugeständnis« einer eng begrenzten Selbstverwaltung sollte die Palästinensische Autonomiebehörde die sozialen und politischen Widersprüche im Interesse Israels unter Kontrolle halten. Zu diesem Zweck wurden die palästinensische Polizei – ausgerüstet mit israelischen Waffen – und der Geheimdienstapparat der Autonomieverwaltung aufgebaut. Arafat und große Teile der PLO-Führung waren zu einer Zusammenarbeit mit Israel auf dieser Grundlage bereit. Arafat kehrte nach Palästina zurück nicht nur als »Befreier« (in den Augen vieler seiner Landsleute), sondern zugleich als »Kollaborateur«, der mit der Unterzeichnung des Abkommens von Oslo sein politisches Schicksal eng mit den Verträgen und den darauf basierenden »Friedens«-Verhandlungen verknüpft hatte.

Arafats Bereitschaft zur Zusammenarbeit findet allerdings Grenzen. Sie verlaufen dort, wo ihm abverlangte Zugeständnisse Zugeständnisse seine Stellung gegenüber der eigenen Bevölkerung in den besetzten Gebieten völlig untergraben würden. »Arafats Politik bewegt sich in der Vergangenheit wie auch heute in einem Spannungsfeld. Einerseits sucht er die Zustimmung zu einer Kompromisslösung, was in den palästinensischen Reihen nicht immer herstellbar ist und zu Diskussionen bis hin zu schweren Auseinandersetzungen führt. Andererseits sind ihm hierbei enge Grenzen gesetzt. Bei allem jedoch bleibt Arafat eine nationale Integrationsfigur (...). Und genau hierin liegt der große Irrtum Baraks, der mit der Arroganz des Kolonialherren glaubte, Arafat erfolgreich auf das Niveau eines Bantustans zwingen zu können. (Der Autor bezieht sich hier auf die Verhandlungen von Camp David, die Red.) Arafat ist schon an die Grenze seiner Kompromissfähigkeit gegangen und hat auf 80 Prozent des angestammten Territoriums verzichtet und eine Versöhnung mit Israel akzeptiert. Über die verbleibenden 20 Prozent jedoch kann er nicht auch noch verhandeln. (...) Baraks Arroganz ließ diesen glauben, er könne Arafat und die Autonomiebehörde in ein israelisches Ministerium umwandeln, in eine Art Ausführungsorgan eines Apartheidsystems.« (Michael Warschawski, Direktor des Alternative Information Center in Jerusalem/Bethlehem, aus Inprekorr, April 2002)

Das Scheitern von Oslo hat im Wesentlichen zwei Ursachen:
1. Der erhoffte wirtschaftliche Aufschwung in der Region
ist ausgeblieben. Die soziale Lage für große Teile der Bevölkerung hat sich verschärft – sowohl in den besetzten Gebieten und in den arabischen Staaten als auch in Israel.

2. Selbst die in den Osloer Verträgen verbindlich festgelegten Vereinbarungen wurden von keiner israelischen Regierung umgesetzt – gleich ob der Likud oder die Arbeitspartei sie stellte. Statt des terminlich vereinbarten Abzuges der Armee aus den festgelegten Zonen (A, B, C) wurden der Ausbau bestehender und die Gründung neuer Siedlungen vorangetrieben. 

Für die Bevölkerung der West-Bank und des Gaza-Streifens hatte dies verheerende Auswirkungen. Im Dezember 2000 (Arpo 4/5) schrieben wir: »Während vom eigenen Staat Palästina weit und breit nichts zu sehen ist außer ein paar Flecken inmitten israelisch kontrollierten Gebiets, ist das Durchschnittseinkommen in dieser Zeit (von 1993 bis 2000) um 40 Prozent auf nur noch 1500 Dollar jährlich gefallen. Die Anzahl der in Israel beschäftigten Palästinenser ist ebenfalls spürbar zurückgegangen. Ihre Ersetzung durch ausländische Arbeitskräfte oder Einwanderer nimmt mit jedem Jahr zu und gewinnt bei Konflikten wie dem jetzigen dramatisch an Geschwindigkeit. Offizielle israelische Stellen sprechen bereits davon, dass von den 120.000 palästinensischen Arbeitskräften, die vor der augenblicklichen Intifada in Israel tätig waren, in Zukunft nur noch 25.000 übrig bleiben werden. Angesichts der Tatsache, dass die Löhne der in Israel beschäftigten Palästinenser im letzten Jahr immer noch 40 Prozent der Gesamteinkommen und ein Viertel des Bruttosozialprodukts der Westbank und des Gaza-Streifens ausmachten, wird klar, was eine solche Entwicklung für die Palästinenser bedeuten wird. Außerdem leiden die palästinensischen Arbeitskräfte in Israel unter einer weitgehenden Rechtlosigkeit (...) Insgesamt ist die wirtschaftliche Lage auf der Westbank und in Gaza ausgesprochen kritisch. Die Abhängigkeit von Israel ist nicht gesunken, sondern im Gegenteil noch gestiegen. 94 Prozent der palästinensischen Exporte gehen nach Israel und 84 Prozent der Importe kommen von dort. Die Wasser- und Energieversorgung sind in den Händen israelischer Unternehmen. Die Entwicklung einer eigenständigen Wirtschaft ist dagegen in ersten Ansätzen steckengeblieben. Die geplanten Sonderwirtschaftszonen sind de facto gescheitert. ... Da die Palästinensische Autonomiebehörde die ihr von internationalen Organisationen, der EU oder den arabischen Staaten zur Verfügung gestellten Gelder überwiegend für die ausufernde Bürokratie und die völlig überproportional ausgebauten Polizeikräfte verwendet (60 Prozent des Haushalts der PA gehen dorthin, nur zwei Prozent in den Aufbau der Infrastruktur), wenn sie nicht in dunklen Kanälen versickern, ist auch von dieser Seite keine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation zu erwarten Sie bleibt insgesamt hoffnungslos.« 

Zu den trostlosen sozialen Verhältnissen gesellten sich die Erfahrungen mit der Besatzungspolitik: Die täglichen Demütigungen und Schikanen an den Checkpoints der israelischen Armee, die Enteignung palästinensischen Bodens zum Ausbau jüdischer Siedlungen, die Provokationen und Angriffe durch bewaffnete Siedler, die Vernichtung von Olivenplantagen oder der Abriss von Wohnhäusern als Kollektivstrafe. Alle diese Maßnahmen konnten der palästinensischen Bevölkerung nur eine Botschaft vermitteln – ihr seid hier nicht erwünscht und wenn ihr euch nicht widerspruchslos beugt oder freiwillig geht, werden wir dem nachhelfen. 

Es war nicht die Frage, ob, sondern nur wann sich die Verzweiflung und Wut der palästinensischen Bevölkerung entladen würde. Den Anlass lieferte der provokante Scharon-Besuch auf dem Tempelberg am 28. September 2000. Bei den sich anschließenden Unruhen erschoss die israelische Polizei sieben Palästinenser. Die Lunte – seit 1993 durch die verschiedenen israelischen Regierungen gelegt – war damit entzündet. Ariel Scharon, der Schlächter von Sabra und Schattila (Beirut 1982), wurde wenige Wochen später zum Ministerpräsidenten gewählt. (vgl.dazu Arpo Nr. 4/5, Dez. 2000)

Die widersprüchliche Haltung der Palästinensischen Autonomiebehörde

Politisch konnten auf palästinensischer Seite vom Oslo- Abkommen zunächst die islamischen Organisationen profitieren. Neben vereinzelten kritischen Stimmen aus der PLO waren sie die einzigen, die das Abkommen von Anfang an konsequent ablehnten. Mit ihrem Widerstand wurden sie zum politischen Sprachrohr der wachsenden Unzufriedenheit über die soziale Entwicklung und die Folgen der Vereinbarungen von Oslo. Ein weiterer Riss in der palästinensischen Bevölkerung tat sich auf zwischen den Kräften, die in den besetzten Gebieten die erste Intifada getragen hatten und der aus Tunis heimgekehrten PLO-Exil-Führung. Diese hatte alle wesentlichen Schlüsselfunktionen unter sich aufgeteilt. Vetternwirtschaft, Korruption und Bereicherung vertieften den Graben, der sich aufgrund der ökonomischen Entwicklung sowie der Hilf- und Tatenlosigkeit der PA gegenüber der israelischen Besatzungspolitik auftat.

Mit dem Scheitern von Oslo wurde ein Prozess in Gang gesetzt, der fast zwangsläufig zu den heutigen militärischen Auseinandersetzungen führen musste. Arafat und die PA waren gezwungen, sich hinter die Intifada zu stellen, wollten sie nicht vollends die politische Kontrolle im eigenen Lager verlieren. Gleichzeitig konnten sie das nicht offen tun, wollten sie nicht ihre Existenz als Behörde von Israels und der USA Gnaden aufs Spiel setzen.

Für die israelische Seite war die Palästinensische Autonomiebehörde damit als »Verhandlungspartner«, mit deren Hilfe man den Palästinensern seine eigenen Interessen diktieren konnte, immer weniger zu gebrauchen. In Israel hatten sich zudem die Kräfte durchgesetzt, denen schon die Vereinbarungen von Oslo zu weit gingen. Ihr erklärtes Ziel war es seit langem, Arafat und seinen Apparat politisch zu schwächen, auszuschalten und, wenn möglich, auch gänzlich zu vernichten. Dem dient die faktische Wiederbesetzung der Autonomiegebiete, die Liquidierung und Zerstörung des palästinensischen Verwaltungs- und Sicherheitsapparates. Die zum Teil schon lächerlich wirkenden Forderungen an Arafat, – selbst nachdem er als Gefangener der israelischen Armee der Kontrolle über seinen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat beraubt war – er solle die Anschläge stoppen und Attentäter ausliefern, waren die propagandistische Begleitmusik, mit der die eigene Bevölkerung und die Weltöffentlichkeit irregeführt werden sollte. Mit der Präsentation von Arafat als Hauptschuldigem der Eskalation konnte die israelische Regierung von den Ursachen der Zuspitzung ablenken und zugleich die schon lange im voraus geplante Okkupation der Westbank rechtfertigen. 

Rechtsentwicklung und Friedensbewegung in Israel 

Politisch unter die Räder der Entwicklung gerieten alle Kräfte, die das Abkommen von Oslo geschlossen und darauf ihre Hoffnungen gesetzt hatten – nicht nur die Führung der PLO, sondern auch die Arbeitspartei in Israel. Sie hat im Frühjahr 2001 nicht nur die Parlamentswahlen gegen Likud verloren, sondern ist selber nach rechts gerückt. Zu ihrem Parteivorsitzenden wurde Ben Eliesa gewählt, ein Militär vom Schlage Scharons. Er zählt als Verteidigungsminister zu den wesentlichen Stützen des Regierungschefs, während Außenminister Peres noch die Rolle des friedenspolitischen Feigenblatts spielen darf. Als politische Alternative zu Likud hat sich die Arbeitspartei verabschiedet, und sie hat auch keine Chance mehr, in nächster Zeit die Regierungsmehrheit zu erringen.

»... Die Likud-Regierung von Ariel Scharon stützt sich auf sowjetische Einwanderer, sephardische Juden und Ultraorthodoxe. Diese disparaten Gruppen haben nur eines gemeinsam: Sie sind Gegner jeder annehmbaren Lösung für die Palästinenser. Die Sows verachten die Sephardim (vor allem die aus Marokko, Äthiopien, dem Irak und dem Jemen); die orthodoxen Juden verachten alle anderen; und alle zusammen verachten die arabischen Israelis und die Palästinenser. Diese Koalition hat Ariel Scharon seine Wahl zum Ministerpräsidenten gesichert – und er ist bei weitem nicht das extremste Mitglied seiner Regierung. Wirklichen Druck auf Scharon gibt es nur von Seiten derer, die einen noch härteren Kurs vertreten als er selbst. Wenn sie ihn stürzen können, werden sie mit ziemlicher Sicherheit Benjamin Netanjahu an seine Stelle setzen. Furchtbare Aussicht. In der israelischen Arbeitspartei geht es derweil drunter und drüber. Zu allem Übel haben sich viele ihrer einst liberalen Anhänger dem politischen Lager der Haudegen angeschlossen – nach dem Motto 'Erst schießen – dann fragen'. Die demographische Entwicklung ist gegen die Arbeitspartei. Die ashkenasischen Juden (...) stellen einen rapide kleiner werdenden Anteil der Wähler. Manche kehren Israel aus Verzweifelung oder Abscheu den Rücken; und bei denen, die bleiben, geht die Geburtenrate weiter zurück. Scharons Vorgänger musste sich auf die arabische Minderheit stützen, um bei den Wahlen von 1999 den kaum wahrscheinlichen Sieg zu sichern. ... Heute ist kaum vorstellbar, wie die Arbeitspartei je wieder an die Macht kommen soll. ...« (John Kampfner, Le Monde diplomatique, April 2002) 

Verliererin in Israel war zunächst auch die Friedensbewegung. Sie hatte in ihrer überwältigenden Mehrheit auf die in Oslo vereinbarte Verhandlungslösung gesetzt und sich als wesentliche Stütze einer dem "Friedensprozess" verpflichteten Arbeitspartei begriffen. Nach Beginn der al-Aksa-Intifada und dem Scheitern von Camp David verstummte sie fast vollends. Der Rechten gelang es die politische Diskussion in Israel zu bestimmen und Arafat sowie die PA als Hauptschuldigen der Eskalation hinzustellen.

Der anhaltende Widerstand der palästinensischen Bevölkerung auf der Westbank und im Gaza-Streifen gegen die Besatzungspolitik hat zur Folge, dass die Differenzen in der israelischen Gesellschaft wieder offener zu Tage treten. Der ausbleibende Erfolg von Sharons Versprechungen, mit militärischen Mitteln und hartem Durchgreifen mehr Sicherheit zu garantieren und die Kriegsverbrechen der israelischen Armee ließ die Friedensbewegung wieder anwachsen. Nach anderthalb Jahren des Schweigens meldete sie sich auf der politischen Bühne zurück, u.a. mit eine der größten Friedensdemonstration der letzten Jahre, mit den Kriegsdienstverweigerungen von Schülerinnen und Schülern und unter Offizieren, die ihren Einsatz in den besetzten Gebieten verweigern und dafür auch Haftstrafen in Kauf nehmen. 

Die israelische Friedensbewegung steht heute vor gänzlich anderen Bedingungen als von neun Jahren. Sie kann eigentlich nicht einfach da weitermachen, wo sie vor zwei Jahren aufhörte. Die Hoffnung, die sich in der Parole »Land für Frieden« ausdrückte, lässt sich nicht mehr aufrechterhalten und der parlamentarische Arm des »Friedensprozesses « in Gestalt der Arbeitspartei existiert nicht mehr. Damit sind Teile der Friedensbewegung in einer Situation, in der sie gezwungen sind, die israelische Besatzungspolitik grundsätzlich in Frage zu stellen. 

»Demokratisierung« der Palästinensischen Behörden? 

Inzwischen zeichnet sich deutlicher ab, worauf die Scharon-Regierung mit der militärischen Okkupation der Westbank und des Gaza-Streifens abzielt. Die von Israel, den USA und der EU an Arafat gerichtete Forderung nach einer Reform der Autonomiebehörde ist nicht der Sorge um die Demokratie in Palästina geschuldet. Sie dient auch nicht der Bekämpfung der Korruption. Aus der PA, bzw. dem was davon übrig blieb, soll ein williges Instrument gemacht werden. Die Verwaltungs- und Infrastruktur soll nach westlichen Vorstellungen und Vorgaben neu geschaffen und kontrolliert werden und der CIA hat schon »angeboten« sich am Neuaufbau der zerstörten Polizeistrukturen in den Autonomiegebieten zu beteiligen. Vielleicht steht am Ende sogar die Konstruktion eines »palästinensischen Staates von Israels Gnaden«, d.h. eines Protektorats unter der Kontrolle der USA und Israels. Die Verhaftung Tausender Palästinenser, die Ermordung Dutzender politischer Aktivisten, die gezielte Zerstörung ziviler Einrichtungen und ganzer Wohnbezirke (Jenin ist nur das schlimmste Beispiel) sollen die palästinensische Bevölkerung zermürben und in die Resignation treiben. Terror und Angst sollen den Widerstand brechen. Israel mag die militärischen Mittel besitzen, um die Intifada zeitweise blutig niederhalten zu können. Vielleicht finden sich auf palästinensischer Seite auch Vertreter, die unter diesen Bedingungen bereit sind mit Israel irgendwelche, als »Meilensteine  auf dem Weg zum Frieden« gepriesenen Abkommen zu unterzeichnen. Als gleichberechtigte Partner werden sie nicht behandelt und auf Bajonetten lässt sich kein Frieden gründen. Auf imperialistischer Grundlage, das heißt, solange Israel als Regionalpolizist zur Sicherung des US-amerikanischen Einflusses in dieser wichtigen Erdölregion fungiert, wird es keine dauerhafte Lösung der Konflikte und Widersprüche geben können. 

Rückzug der israelischen Armee aus den 1967 besetzten Gebieten und Auflösung aller jüdischen Siedlungen bleiben die Hauptforderungen, auf die sich alle palästinensischen Organisationen einigen können. Sie werden auch von einem wachsenden Teil der israelischen Friedensbewegung mitgetragen. Das Ende der Besatzung ist eine entscheidende Voraussetzung für Verhandlungen, die nicht nur als diplomatisches Feigenblatt für Diktate der israelischen Regierung dienen.                                         08.08.2002