aus Arpo Nummer 3, 2013

Die Schließung des griechischen Fernseh- und Radiosenders ERT
Eine neue Stufe der Eskalation

Am 11. Juni etwa gegen 18 Uhr verkündete der griechische Ministerpräsident Samaras völlig überraschend die sofortige Schließung des Radio- und Fernsehsenders ERT (Ellinikí Radiofonía Tileórasi). Um 24 Uhr des gleichen Tages sollten die Sendeanlagen abgeschaltet und die Beschäftigten entlassen werden. Gerüchte, ein solcher Schritt sei in Planung, wurden von Samaras noch am Tag vorher heftig dementiert. Da behauptete er noch, es ginge lediglich darum, den »aufgeblähten und überteuerten« Sender zurückzubauen, ihn mit 1.000 statt bisher mit 2.700 Beschäftigten zu betreiben.

Tatsächlich wurde der Sendebetrieb jedoch komplett abgeschaltet und die Gesellschaft ERT aufgelöst. Dies betraf drei nationale Fernsehprogramme, sieben nationale und neunzehn regionale Radioprogramme. Diese Nacht- und Nebelaktion bedeutet eine weitere Stufe der Eskalation bei der Durchsetzung der Spardiktate. Wie bei den Streikverboten für die Beschäftigten der Athener Metro, für Fährleute, Lehrerinnen und Lehrer haben auch in diesem Fall demokratische Rechte keine Bedeutung mehr. Die bürgerliche Demokratie wird immer weiter ausgehöhlt. So wurde die Schließung auch nicht durch ein Gesetz beschlossen, sondern durch einen Erlass der Minister, durch eine Art Notverordnung. Diese können nach der Verfassung aber nur erlassen werden »unter außergewöhnlichen Umständen einer dringlichen und unvorhersehbaren Notwendigkeit «. Im Falle der ERT dürften solche Umstände jedoch in keiner Weise gegeben sein. Samaras ging allerdings noch weiter und ließ die Verfügung nur von den Ministern seiner »Nea Dimokratia« (ND) unterschreiben. Die kleineren Koalitionspartner PASOK und DIMAR (»Demokratische Linke«) wurden gar nicht erst informiert. Dies war eine bewusste Provokation der Koalitionspartner. Diese forderten daraufhin die sofortige Wiedereröffnung des Senders und drohten mit dem Regierungsaustritt. Samaras verfolgte
seinen Kurs aber unbeirrt weiter und ließ sich auch nicht durch ein zweischneidiges Gerichtsurteil davon abbringen. Lediglich DIMAR zog tatsächlich Konsequenzen und verließ die Regierung. PASOK forderte zwar immer noch den Weiterbetrieb des Senders, bekannte sich aber auch »unverbrüchlich « zur neu gebildeten Regierung. Die neue Zweierkoalition aus ND und PASOK hat im Parlament allerdings nur noch eine hauchdünne Mehrheit und bei umstrittenen Abstimmungen könnte die Regierung im Parlament ihre Mehrheit verfehlen. DIMAR hat versprochen, die die neue Koalition bei Abstimmungen zu unterstützen.

ERT: Teuer und aufgebläht?

Samaras gebärdete sich in der Begründung für die Schließung als Anwalt des »kleinen Mannes«: »Das griechische Volk bezahlt die ERT mit der Abzocke über die Stromrechnungen: rund 300 Millionen Euro im Jahr. Sie hat drei- bis siebenmal höhere Kosten als andere TV-Stationen und vier- bis sechsmal mehr Personal für eine sehr geringe Zuschauerquote«. Mit solchen Aussagen versuchte er an die Vorbehalte anzuknüpfen, die viele Menschen in Griechenland gegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst haben. Der Schließung ging eine Kampagne voraus, die die ERT als zu teuer und als ineffizient darstellen sollte. So gab es Internetseiten, auf denen die hohen Gehälter führender ERT-Angestellten eingesehen werden konnten. Allerdings waren es die Regierenden selbst, die diese Leute einstellten, um ihre Positionen im Sender durchzusetzen. Die ERT war noch viel stärker als unsere Sendeanstalten ein Sprachrohr der Regierungen, und mit jedem Regierungswechsel wurden neue hochbezahlte Parteigänger der Wahlgewinner eingestellt. Lediglich in Nischenbereichen wie dem Kulturprogramm konnten auch linke Journalistinnen und Journalisten berichten. Die Regierung stellt es in ihrer Propaganda so dar, als lebten alle ERT-Angestellten in Saus und Braus. Eine Journalistin empört sich über eine Aussage des Regierungssprechers: »Der hat doch tatsächlich gesagt: ‚The party is over‘ – aber es war ja ihre Party! Seit diese Regierung an der Macht ist, haben sie teure Programme eingekauft, ihre eigenen Leute reingedrückt, dreißig bis vierzig Berater angeheuert, die 4.000 Euro pro Monat verdienten, während… wir mit 1.000 Euro entlohnt werden. Wie kann er uns vorzuwerfen wagen, dass wir hier eine Party hatten?« (Niels Kadritzke, NachDenkSeiten, 14.6.2013).

Der Personalbestand des Senders wurde in den letzen drei Jahren bereits von 4.700 auf 2.700 Stellen reduziert und die Gehälter um dreißig bis vierzig Prozent gedrückt (Süddt. Zeitung, 19.6.2013). Im Vergleich mit anderen staatlichen oder öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wirken diese Zahlen keineswegs überhöht. So hat der Hessische Rundfunk etwa 1.900 Angestellte bei nur einem Fernsehprogramm und insgesamt sechs Radioprogrammen. Der HR verfügt über ein Budget von 390 Mio. Euro, während die ERT jährlich Ausgaben in Höhe von 200 Mio. Euro hatte. Und diese wurden nicht aus dem Staatshaushalt finanziert, sondern aus Werbeeinnahmen und durch Gebühren von monatlich 4,30 Euro, die über die Stromrechnung abgezogen wurden. Überteuert wirkt die ERT allenfalls im Vergleich zu den griechischen Privatsendern, die ein völlig anspruchsloses Programm erstellen und über hohe Werbeeinnahmen verfügen.

Besetzung und breite Solidarisierung

Obwohl die ERT weder bei der Bevölkerung noch bei den Linken beliebt war, gab es eine breite Solidarisierung. Schon am Abend versammelten sich vor dem Gebäude der Anstalt viele Tausend Menschen, um gegen den Beschluss zu protestieren.

Durch die Dreistigkeit des Vorgehens wurde die Schließung als eine neue Qualität der Angriffe verstanden. Auch Menschen, die dem Sender mit großer Skepsis gegenüber stehen, solidarisierten sich. Sie lehnten einerseits die Politik der Ministerialerlasse als undemokratisch ab, und der staatliche Rundfunk wird gegenüber den privaten Sendern, die meist Reedern und anderen finanzstarken Personen gehören, immer noch als das kleinere Übel eingeschätzt. Die Ankündigung, dass ausgerechnet Samaras und seine ND einen neuen, besseren politisch unabhängigen Sender installieren wollen, wurde als völlig unglaubwürdig eingeschätzt.

Die ERT-Beschäftigten selbst waren überrascht vom Zuspruch, den sie erhielten. Zu dieser Unterstützung trug auch bei, dass der Ministererlass erst einmal ins Leere lief. Die Angestellten gingen nach der Entlassung nicht nach Hause, besetzten das Gebäude und produzierten weiterhin ein Fernseh- und Radioprogramm, das sich anfangs vor allem mit der Schließung und den Solidaritätsaktionen befasste. Diese Programme wurden als Zeichen der Solidarität von anderen Sendern übernommen. Die KKE, die Kommunistische Partei Griechenlands, verfügt über einen eigenen Fernsehsender, welcher das Fernsehprogramm übernahm. Viele Radiosender linker Parteien und Gruppen, aber auch viele unabhängige lokale Sender übernahmen als Zeichen des Protests Radiosendungen der ERT. Die Sendungen wurden sogar von der European Broadcast Union, dem Verband der öffentlichen Rundfunksender Europas, übernommen und über Satellit ausgestrahlt. Die Regierung drohte allen griechischen Sendern mit Lizenzentzug, falls sie weiterhin das ERT-Programm übertragen. Die meisten senden daher wieder ihr eigenes Programm. In zahllosen Internetportalen ist das Programm der ERT als Livestream aber immer noch zu empfangen.

Viele Künstler unterstützen die ERT, indem sie im oder vor dem Gebäude Konzerte geben, die direkt übertragen werden; am Samstag nach der verfügten Schließung spielten alle Orchester Athens im Sendesaal der ERT. Das Programm der besetzten ERT wird von vielen Menschen als attraktiver angesehen als das Programm vor der Schließung. Viele Journalistinnen und Journalisten genießen auch die neue Freiheit. Sie wollen nicht nur für die Wiedereröffnung der ERT kämpfen, sondern auch für eine größere Unabhängigkeit von der Regierung. Dies führt zu Konflikten vor allem mit leitenden Redakteuren, denen es darum geht, den alten Zustand wieder herzustellen. Die breite Unterstützung wird auch deutlich im Aufruf des Gewerkschaftsdachverbandes GSEE zu einem Generalstreik zwei Tage nach der Verfügung. Dieser wurde vor allem in staatlichen Betrieben stark befolgt, da hier die Angst vor einem ähnlichen Schicksal weit verbreitet ist. In verschiedenen Meinungsumfragen sprechen sich 64 bis 68 Prozent der Bevölkerung gegen das Vorgehen von Samaras aus. Mit einer so breiten Ablehnung hatte er wohl nicht gerechnet. Es ist ihm zwar gelungen, die PASOK auf Linie zu bringen, aber die Drohung, das Gebäude der ERT zu räumen, wurde bisher noch nicht umgesetzt. Der Kampf gegen die Schließung der ERT ist ein Ereignis, das viele oppositionelle Kräfte zusammengebracht hat, und die polizeiliche Räumung könnte heftige Proteste auslösen.

Welche Absichten hatte Samaras?

Die ERT-Schließung ist auch im Zusammenhang mit dem von der Troika angeordneten Abbau von 4.000 Stellen im Öffentlichen Dienst zu sehen. Seitens der Troika hatte es immer wieder Kritik an der zögerlichen Umsetzung der Sparbeschlüsse für den Öffentlichen Dienst gegeben. Mit dem Abbau von 2.700 Stellen beim ERT wäre also ein großer Teil des Ziels schon erreicht (ERT-Angestellte sagten allerdings, ihre Arbeitsplätze gehörten nicht zum Öffentlichen Dienst im engeren Sinne und zählten deshalb hier nicht mit).

Samaras konnte sich durch diesen Schritt auf jeden Fall gegenüber der EU und der Troika als entschiedener Sanierer darstellen und dort wurde sein Vorgehen auch honoriert: Die EU-Kommission teilte mit, sie habe die Schließung des ERT nicht verlangt, aber sie bestreite auch nicht »die Befugnis der griechischen Regierung, den öffentlichen Sektor zu regeln«. Und Bundeskanzlerin Merkel lobte die »Reformbereitschaft« von Samaras, ohne auf das Problem der überfallartigen Schließung des Senders einzugehen. Samaras´ Partei, die Nea Dimokratia, würde nach neueren Meinungsumfragen bei Neuwahlen stärkste Partei werden. Die PASOK hingegen müsste mit weiteren Einbußen rechnen. Samaras wollte diese Konstellation nutzen, um seine Koalitionspartner unter Druck zu setzen und eine schärfere Gangart bei der Privatisierung von Staatsbetrieben und beim Abbau von Arbeitsplätzen im Öffentlichen Dienst durchzusetzen. Aus Angst vor Neuwahlen konnte die PASOK dem nichts ernsthaft entgegensetzen. Sie hätte weitere Parlamentssitze verloren. Langfristig könnte ihr dieses Nachgeben aber noch größeren Schaden zufügen: Der öffentliche Dienst ist eine Hochburg der PASOK und die dort von Entlassung oder Privatisierung bedrohten Menschen müssen nun erkennen, dass sie sich auf diese Partei nicht verlassen können. Die Partei hat sich die Linie der ND zu eigen gemacht, die eine neue Gesellschaft mit maximal 1.000 Beschäftigten gründen will. Wie und wann diese Absicht umgesetzt werden soll, ist allerdings noch weitgehend unklar.

Ministererlasse wie der gegen die ERT müssen nach der Verfassung innerhalb von vierzig Tagen nachträglich vom Parlament gebilligt werden. Ohne PASOK hätte Samaras in dieser Frage keine Mehrheit. Interessant ist deshalb, wie sich die Abgeordneten der PASOK in dieser Frage verhalten werden.

Samaras konnte in diesem Fall aus einer Position der Stärke verhandeln. Zwar wären Neuwahlen keineswegs im Sinne der Troika gewesen, die sich vor allem Ruhe im Land wünscht, doch standen sie gegenüber der PASOK als Drohung im Raum. Es gab auch Gerüchte, Samaras hätte für diesen Fall bereits Verhandlungen mit der faschistischen Partei »Goldene Morgenröte« über eine mögliche Tolerierung geführt. Die Faschisten sind im Parlament die einzige Partei, die Samaras in seinem Vorgehen gegen die ERT unterstützt.     29.6.2013