aus Arpo Nummer 1/2, 2013

Streik bei Neupack Verpackungen
Ein Einzelunternehmen fordert
die deutschen Gewerkschaften heraus

Nach 180 Tagen Arbeitskampf ist für die etwa 110 Streikenden (von ca. 200 Beschäftigten) der Firma Neupack ein Erfolg des Kampfes um einen Haustarifvertrag nicht in Sicht. Die Hamburger Kaufmannsfamilie Krüger, Eigentümer des mittelständischen Unternehmens »Neupack Verpackungen« mit Produktionsstätten in Hamburg-Stellingen und Rotenburg (Wümme), trotzt allen Bemühungen der 675.000 Mitglieder zählenden Gewerkschaft »IG Berg- bau, Chemie, Energie«, endlich auch in diesem Betrieb als Tarifpartner anerkannt zu werden. Auch die 187.000 organisierten Gewerkschaftsmitglieder des DGB Hamburg, in deren Namen Uwe Grund seine Solidarität versichert, verunsichern die Krüger-Familie nicht.

Unternehmenssprecher Lars Krüger lehnt einen Tarifvertrag mit der IG BCE kategorisch ab, dieser würde sei- nem Unternehmen die notwendige Flexibilität rauben (im harten Wettbewerb als Zulieferer des Lebensmitteleinzelhandels, darf man wohl ergänzen), zu Zugeständnissen bei Lohn und Arbeitszeit sei das Unternehmen allerdings bereit. Doch hier will die Mehrheit der nach einer Urabstimmung unbefristet Streikenden (bis 24.01.2013) dem Unternehmer nicht mehr folgen. Sie haben vielfach böse Erfahrungen mit der Geschäftsleitung von Neupack und nicht gehaltenen Versprechungen des Unternehmers gemacht, deshalb for- dern sie jetzt einen Tarifvertrag.

Die Einrichtung eines selbstständigen Betriebsrats wurde lange Zeit seitens der Eigentümer hintertrieben: Als sich 2003 ein Betriebsrat zu etablieren versuchte, wollte Neupack das zunächst mit allen Mitteln verhindern. Als das nicht gelang, schickte man dem Unternehmer hörige Leute in die Wahlen, die auch anfangs die Mehrheit bekamen. Erst als diese sich unfähig bzw. unwillig erwiesen die Interessen der Mehrheit der KollegInnen zu vertreten, erlangte ein gewerkschaftlich-kämpferischer Flügel die Mehrheit. Nun wurde dieser von der Geschäftsleitung bekämpft, jede Zusammenarbeit mit ihm mehr oder weniger verweigert. Jede Kleinigkeit musste sich die Betriebsratsmehrheit (vier von sieben Mitgliedern) vor Gericht erstreiten. Als Ende 2011 Verhandlungen über eine veränderte Lohnstruktur, gleiche Löhne bei gleicher Leistung, bessere Bezahlung mit Betriebsrat und Gewerkschaft nicht mehr zu vermeiden waren, setzte das Unternehmen auf Verzögerung, Hinhaltetaktik durch Versprechungen, die nicht eingehalten wurden usw. Dabei galt immer die Linie: maximal eine Betriebsvereinbarung, keinesfalls ein Haustarifvertrag mit der IG BCE. Als sich der Arbeitskampf deutlich abzeichnete, bereitete Neupack sich strategisch vor. Ein neuer Geschäftsführer wurde kurz vor Streikbeginn eingestellt, der schon vorher als Berater für das Unternehmen tätig gewesen war. Unternehmensberater Arne Hoeck hatte sich auf seinem vorherigen Posten dadurch ausgezeichnet, dass er den Betrieb »betriebsratfrei« gehalten hatte. (Panorama 3, Nr. 17 vom 29.01.2013) Des- sen Einstellung hatte also eine deutlich klassenkämpferische Funktion. Neupack hatte sich also auf einen langen Arbeitskampf vorbereitet und war entschlossen, diesen mit allen Konsequenzen zu führen und zu gewinnen. Die Geschäftsleitung war vorbereitet, ihren Klassenstandpunkt durchzusetzen.

Der amtierende Betriebsratsvorsitzende ist inzwischen von mehrfachen fristlosen Kündigungen bedroht. Lohn- und Arbeitsbedingungen richten sich bei Neupack danach, ob der Geschäftsleitung die Nase des einzelnen Beschäftigten genehm ist. Beschäftigte, die Neupack schon länger als zehn Jahre dienen, haben noch keine Lohnerhöhung gesehen, während Neueingestellte am gleichen Arbeitsplatz sofort an ihnen vorbeiziehen. Einzelne Kolleginnen oder Kollegen verdienen 8,20 oder 8,50 Euro in der Stunde, so dass ihr Lohn von der Agentur für Arbeit aufgestockt werden muss. Bei Krankheit im vorangegangenen Jahr wird das bescheidene Weihnachtsgeld sofort drastisch reduziert, bei ca. 300 Euro Weihnachtsgeld um ca. 30 Euro pro Tag der Arbeitsunfähigkeit.

Im Unterschied zu anderen Betrieben, in denen die Be- legschaft jahrelange sozialpartnerschaftliche Verhältnisse gewohnt war, in denen Betriebsrat und Gewerkschaft mehr oder weniger schiedlich-friedlich mit dem Unternehmer umgehen konnten, gab es diese Sozialpartnerschaft bei Neupack nie. Alles, ein Betriebsrat, der die Kollegen vertritt, die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft, die hergestellte Einheit unter den KollegInnen unterschiedlichster Nationalitäten war Ergebnis jahrelanger Arbeit und Auseinandersetzung mit dem Unternehmer. Das erklärt die von Anfang an kämpferische und selbstständige Haltung der Streikenden.

Während die ca. 45 Angestellten des Unternehmens deutlich über dem Branchentarif der IG BCE verdienen (mit zwei Ausnahmen haben sie sich dem Streik nicht angeschlossen) haben die Gewerblichen bei ursprünglich etwa 40 Streikbrechern sich das bescheidene Ziel gesetzt, einen Haustarifvertrag von 83 Prozent des Branchentarifs der chemischen Industrie zu erreichen. Bezeichnend: die Gesamtsumme des Weihnachtsgeldes für die ca. 45 Ange- stellten liegt höher als der absolute Betrag für die ca. 150 gewerblich Beschäftigten. Allgemein hat die Geschäftsführung von Neupack jahrelang darauf gesetzt, die Beschäftigtengruppen unterschiedlicher Herkunft als »Sozialschrott« (»ihr verdient so wenig, weil ihr so wenig leistet«) gegeneinander auszuspielen, zuletzt die »Türken« gegen die »Russen«. Wer gesehen hat, wie die kleinen Kinder der jungen Mütter zur Freude ihrer »russischen« Eltern zu türkischer Musik in Rotenburg tanzten, der hofft, dass diese Verhältnisse unumkehrbar überwunden sein mögen. Ja, die vom Unternehmer Krüger verkannten Streikenden engagierten sich im Streik mehr als gewöhnlich. Viele haben plötzlich für sie völlig neue Schritte getan: Zum ersten Mal nehmen sie an Demonstrationen teil, die sie zuvor auch noch geplant und organisiert haben. Wie selbstverständlich treten sie vor Fernsehkameras und Journalisten auf und entblößen ihre soziale Lage ohne Beschönigung. Jede Einladung wird angenommen, vor Studenten erläutern sie selbstbewusst ihren täglichen Arbeitsalltag, den Stress und die hitzigen Arbeitsbedingungen der von der Maschine vorgegebenen Produktion ohne Pause. Sie rechnen ihre bescheidenen monatlichen Ausgaben vor, um zu beweisen, dass sie von dem gezahlten Lohn selbst kaum existieren können. In den ersten Tagen des Streiks treten die Streikenden den Arbeitswilligen so selbstbewusst und unverkrampft gegenüber, dass einige Arbeitswillige sich überzeugen lassen und zu den Streikenden wechseln. Tage später erstickt ein neuer, aus einer anderen Region ausgeliehener Gewerkschaftssekretär und Streikleiter diesen heiteren sportlichen Überzeugungswettkampf (»Streikbrecher dürfen nicht angehalten werden«), am nächsten Tag bestätigt eine einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts Hamburg diese Maxime, die IG BCE wehrt sich juristisch, vorläufig aber vergeblich.

Der Apparat der Gewerkschaft IG BCE verbindet mit dem Streik organisationspolitische Interessen: Da die größeren Betriebe unter Beschäftigten- und folglich Mitgliederrückgang leiden, muss er sich um neue Mitglieder bemühen. Diese sind aber überwiegend nur in Klein- und Mittelbetrieben zu finden, in denen die Gewerkschaft bisher schlecht vertreten ist und in denen häufig ein tarifloser Zustand herrscht. In dieser Situation schien für die Gewerkschaft die Firma Neupack die Gelegenheit zu bieten, Neuland zu erschließen und in einen Bereich vorzudringen, in dem Niedriglöhne und prekäre Beschäftigung an der Ta- gesordnung sind.

Allerdings war für die Gewerkschaft nicht nur dieser Unternehmensbereich Neuland, sondern auch der Arbeitskampf schlechthin. 1971 war der letzte Arbeitskampf in der Chemiebranche, den die Vorgängerin der IG BCE, die IG Chemie geführt hatte. Seither herrschte Kooperation und vertrauliche Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeberverband. Die IG BCE ist eine ausgesprochen »vernünftige« Gewerkschaft. Auf gemeinsamen Veranstaltungen von Gewerkschaft und Arbeitgeberverband hört man sich deshalb auch Vorträge an mit Themen wie: »Welchen Beitrag kann eine Sozialpartnerschaft für den unternehmerischen Mehr- wert leisten? Und wie können Sozialpartnerschaften für Unternehmen mehrwertschaffend gestaltet werden?« (http://www.cssa-wiesbaden.de/newsbeitrag.html?&tx_ttnews[tt_news]= 111&cHash=53b6555ee3)

Noch in der Tarifrunde 2012 konnte sich die IG BCE mit einem moderaten Abschluss von knapp drei Prozent (Metallbranche fast vier Prozent) gegen die übrigen Gewerkschaftszentralen profilieren. Für die Gehaltserhöhung und die Entlastung Älterer (Demografie-Fonds) bezahlte die IG BCE einen Preis: Künftig können Unternehmen einfacher als bisher Arbeitszeiten von einzelnen Mitarbeitern oder Beschäftigtengruppen von 37,5 Wochenstunden auf 35 Stunden senken oder auf 40 Stunden erhöhen. Arbeitgeberpräsident Hundt: Dies sei ein »tarifpolitisch bedeutendes Signal, das für andere Branchen Vorbildcharakter haben sollte.« (FR 24.05.2012)

Es war offensichtlich ein innerhalb der Gewerkschaft umstrittener Schritt, nun auf einmal zum Arbeitskämpfer werden zu müssen, und einige Funktionäre fühlten sich vermutlich ziemlich unwohl, hatte doch kaum jemand einen Arbeitskampf aktiv miterlebt. Dies war daran zu erkennen, dass der für Neupack zuständige Sekretär drei Wochen vor Streikbeginn beim »Jour fixe der Gewerkschaftslinken« in Hamburg auftauchte, für den Streik warb und um Unterstützung durch den gerade gegründeten Soli-Kreis Neupack bat. Dabei ist das seit rund 8 Jahren existierende »Jour fixe« im Hamburger Gewerkschaftshaus wegen seiner gewerkschaftskritischen Haltung für Hauptamtliche eher ein Tabu.

Als der Streik schließlich begann, war die Zwiespältig- keit seitens der Gewerkschaft von Anfang an deutlich sicht- bar. Auf der einen Seite wurde kämpferisch für den Streik geworben, auf der anderen Seite wurde gleichzeitig betont, dass man dem Unternehmer nichts Böses wolle, dass er ja seinen Gewinn machen und mit seinem Mercedes nach Hause fahren könne. Man wolle eben nur »zivilisiert« mit- einander »auf Augenhöhe« reden.

Aufgrund persönlicher Kontakte mit dem Betriebsrat konnte sich der Solikreis aus dem »Jour fixe« heraus schon recht früh konstituieren. Von Anfang an war also der Kontakt zu den Streikenden da, was zum Beispiel ein Jahr zuvor beim Streik bei »Pflegen&Wohnen« nicht der Fall gewesen war, weshalb ein Solikreis während dieser Auseinandersetzung nicht zustande kam. Auch verhielt sich diese Gewerkschaft anders als damals ver.di: Hatte ver.di jeden Kontakt zu Unterstützern von außen vermieden und ihnen sogar Redeverbot auf Versammlungen erteilt, war die IG BCE von Anfang auf den Treffen vertreten. Diese fanden, als der Streik noch nicht lief, im Gewerkschaftshaus in den Räumen der IG BCE statt, später dann im Streikzelt vor dem Betrieb. Auch dort nahmen meistens ein oder mehrere Gewerkschaftsvertreter teil.

Zu den Treffen des Solikreises kamen zwischen 12 und manchmal 50 Leute aus den unterschiedlichsten Motiven und Zusammenhängen: engagierte GewerkschafterInnen, »Jour fixe«-TeilnehmerInnen, Mitglieder aus den verschiedensten politischen Linksgruppierungen. Alle akzeptierten die Vereinbarung, als Einzelpersonen, nicht als Vertreter irgendwelcher Gruppen aufzutreten. Das ist ein guter Schritt vorwärts, wenn Menschen aus unterschiedlichen politischen Zusammenhängen sich zusammen finden um eine gemeinsame Sache konkret zu unterstützen. Die regelmäßigen Treffen des Soli-Kreises im Streikzelt waren dann auch Gelegenheiten für die Streikenden an den Diskussionen teilzunehmen. Es kamen zwar immer nur ein paar von den Streikenden dazu, aber so fanden doch immerhin Veranstaltungen statt, zu denen nicht die Gewerkschaft aufgerufen hatte und bei denen sie deshalb auch nicht Regie führte. Diese Treffen trugen einen Hauch von Demokratie in die Streikorganisation, die von der IG BCE ansonsten von oben, vom Hauptvorstand in Hannover, bestimmt wurde.

Bei Neupack vermutete der Hauptvorstand wohl leichtes Spiel und gab schnell vollmundige Erklärungen ab: Die IG BCE stütze diesen Arbeitskampf, sie wolle ein Exempel statuieren, »koste es was es wolle«! Solche Ausbeutungsverhältnisse wie bei Neupack seien Relikte des vorigen Jahrhunderts! Vor den Hamburger Arbeitsgerichten hatte der Unternehmer Krüger vorläufig unerwarteten Erfolg: Eine einstweilige Verfügung untersagte der IG BCE unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 250.000 Euro die Betriebstore zu blockieren, durch Menschenketten oder PKWs. (Erst nach Aufgabe des unbefristeten Streiks wurde diese Entscheidung Anfang Februar korrigiert. Die Streikenden dürfen nun Arbeitswillige über den Streik informieren, Verzögerungen bis zu 15 Minuten müssen die Streik- brecher hinnehmen.) Und der Einsatz von 19 polnischen Leiharbeitern als Streikbrecher, ursprünglich angeworben für das Weihnachtsgeschäft, wurde vom Arbeitsgericht als rechtmäßig angesehen, nachdem das Unternehmen Neupack die Streikbrecher als zeitlich befristete Beschäftigte von einer Leiharbeitsfirma übernommen hatte. Die Rechte des Betriebsrats bei Einstellungen seien nämlich während eines Streiks ausgesetzt. Vermehrter Einsatz von Polizei vor den Streiktoren verschaffte diesen Entscheidungen des Gerichts Geltung.

Seit Androhung des Ordnungsgeldes für die IG BCE und der Androhung eines möglichen Platzverweises für die Streikenden durch die Polizei hatte der Soli-Kreis in deutlicher Abgrenzung zu den Streikenden mehrmals frühmorgendlich vor fünf Uhr die Aufgabe übernommen, die Streikbrecher aufzuhalten und in Diskussionen zu verwickeln. Insbesondere dem Bus der polnischen Streikbrecher, deren Zahl als Folge des Arbeitsgerichtsurteils kräftig gewachsen war (an beiden Standorten arbeiteten inzwischen 50 von Neupack aus Polen rekrutierte Streikbrecher, plus acht in Deutschland rekrutierte Arbeitskräfte) galt alle Aufmerksamkeit. Seinen Insassen sollten die Flugblätter der IG BCE in polnischer Übersetzung zugestellt werden.

Nach vier Wochen Streik klangen die Aussagen der IG BCE schon anders. Um mit der Unternehmerfamilie Krüger bei Neupack überhaupt ins Gespräch zu kommen, habe man die Geheimhaltung von Inhalt und Termin der Gespräche vereinbart. »Wir bitten um Euer Vertrauen«. Doch auch der Bau dieser Brücke führte ins Nichts. Die Familie Krüger will keinen Tarifvertrag und keine Einbindung der Gewerkschaft, die Streikenden hingegen wissen aus Erfahrung, was Zusagen dieses Unternehmers gegenüber dem Betriebsrat wert sind und blieben bei ihrer Forderung: »Tarifvertrag jetzt«.

Der längste Arbeitskampf der jüngsten Zeit in Hamburg und wohl auch Niedersachsen fand sein Echo in den bür- gerlichen Medien. Niedersachsen befand sich bis zum 20. Januar im Landtagswahlkampf, so dass hier sich die Partei- envertreter rasch vor dem Betrieb in Rotenburg einstellten, Neupack war Rand-Thema auf einer SPD-Landeskonferenz mit Frank-Walter Steinmeier und Hubertus Schmoldt, ehemaliger Vorsitzender der IG BCE. Natürlich standen auch Fototermine mit dem SPD-Kanzler-Kandidaten Steinbrück, IG BCE-Mitglied, und später mit Hamburgs Erstem Bürgermeister Scholz am Rande des SPD-Landesparteitages auf der Tagesordnung.

Die Hamburger SPD-Prominenz ließ sich zwar gerne mit den Streikenden fotografieren und erklärte solidarisch sein zu wollen. Doch als es konkret wurde, reichte der Arm des Innensenators und obersten Dienstherren der Polizei häufig nicht soweit, dass die Einsätze der Polizei Verständnis für die Streikenden und ihre Unterstützer bewiesen. In Hamburg berichteten neben den Anzeigenblättern, die Springer-Zeitungen »Abendblatt« und »Welt«, daneben Rundfunk und Fernsehen anfangs wohlwollend über den Streik und die Streikenden. Vor den Streiktoren und im Streikzelt gab sich politische und andere Prominenz ein Stelldichein. Besondere Ermutigung schöpften die Streikenden aber aus den vielen, zum Teil sich täglich wiederholenden Solidaritätsbesuchen der einfachen Hamburger Bevölkerung. Hier meldeten sich soziale Initiativen, einzelne Kolleginnen und Kollegen aus Nachbarbetrieben, aufgerüttelte Anwohner aus unterschiedlichsten Berufen, gewerkschaftlich organisierte Vertrauensleute und Betriebsräte aus vielen Betrieben und Branchen. Besonders der türkische Belegschaftsanteil schien über ein solidarisches Netz in andere Betzriebe, ja bis in die Türkei zu verfügen. Um den Zusammenhalt der Streikenden zwischen den beiden Standorten Rotenburg und Hamburg zu stärken, organisierten die IG BCE und die Streikenden sowohl in Hamburg als auch in Rotenburg einen Laternenumzug (Demonstration). In Hamburg nahmen daran neben Lokal- politikern der Partei »Die Linke« auch deren Vorsitzender Bernd Riexinger teil. Zurückgekehrt zum Streikzelt brutzelten die Streikenden Würstchen, brieten Hähnchen und andere Leckereien, dazu gab es Punsch mit und ohne Alkohol, während Musikgruppen die Versammelten für sich einnahmen. Der Kunst zu streiken entwöhnt, tat die IG BCE das, was sie konnte: gutes Streikgeld bezahlen, den Streik materiell anständig unterstützen und die zahllosen Rechtsverfahren durchführen, mit denen der Unternehmer die Streikenden überzog.

Für den 15. Dezember riefen IG BCE und die Streikenden in Rotenburg und Hamburg noch einmal zu einer »großen« Kundgebung vor dem Hamburger Hauptbahnhof auf, vor der angekündigten weihnachtlichen Kampfpause. Rund 600 Teilnehmer wurden gezählt, zuvor angekündigt waren 2000. Aus Angst sich wegen zu geringer Mobilisierung zu blamieren, hatte die IG BCE auf eine Demonstration durch die Innenstadt verzichtet. Mitglieder der IG BCE kamen zum Teil von weither angereist. Es sprachen die Sekretäre des Bezirks, des Landesbezirks und des Hauptvorstandes. Die Familie Krüger möge sich in den Weihnachtstagen eines Besseren besinnen und zu den Tugenden des »Hamburger Kaufmanns« zurückkehren. Der Hamburger DGB-Vorsitzende mahnte, den Arbeitskampf nicht ohne Tarifvertrag zu beenden. Mit kulturellen Beiträgen wurden Rolf Becker und Gunter Gabriel auf die Bühne gebeten. Die Musikgruppe Gutzeit sorgte für den musikalischen Rahmen.

Zwei Tage später beschlossen die Streikenden aus Hamburg und Rotenburg in einer gemeinsamen Streikversammlung, den Streik zwischen Weihnachten und Neujahr zurück zu fahren und im neuen Jahr den Kampf wieder aufzunehmen. Nach acht Wochen Streik zeigte sich eine gewisse Erschöpfung vieler Streikender, doch das Streik- zelt und die erforderliche Notbesatzung sollten unbedingt bleiben. In den Tagen vor Weihnachten nahm die Beleg- schaft noch eine neue Initiative auf: Vor Lebensmittelketten, die Molkereiprodukte in Neupack-Verpackungen anbieten, wurden die Kunden gebeten, sich an die Molkereien zu wenden, damit diese den Druck für faire Arbeitsbedingungen bei Neupack an die Familie Krüger weitergeben. In den Streiktagen nach Weihnachten diskutierten die Kollegen im Streikzelt grundsätzlicher. »Unser Recht auf Streik steht doch nur auf dem Papier …« so beschrieb eine Kollegin ihre Erfahrungen des Arbeitskampfes. Zur Begründung verwies sie darauf, dass die Gewerkschaft unter Androhung eines Ordnungsgeldes verurteilt wurde, den Zugang für Streikbrecher freizumachen, dass die Polizei Streikende bei angeblicher Überreaktion mit Platzverweis bedrohe, der Unternehmer aber jeden Tag nach Belieben neue Streikbrecher einstellen dürfe. Geboren wurde hier eine Initiative zur Verteidigung des Grundrechts auf Streik. Da die Streikenden durch die juristischen Züge des Unternehmers kaum Zeit zum Nachdenken fanden, übernahm der Ortsverein Hamburg des ver.di Fachbereichs 08 (Medien, Kunst, Industrie) die Auftaktveranstaltung am 12. Februar mit einer öffentlichen Veranstaltung zum »Streik- recht«. Inzwischen hat die IG BCE Hamburg diese Initiative als Antrag zum Gewerkschaftstag übernommen, andere Gewerkschaftsgliederungen wollen dies ebenfalls versuchen und die Linkspartei in Hamburg brachte einen Antrag in die Bürgerschaft, der (unterstützt von SPD und Grünen) den Senat auffordert, im Bundesrat eine entsprechende Initiative zur Gesetzesänderung einzubringen. (siehe nachfolgenden Artikel).

Auf dem Weg zum Flexi-Streik

Am 18. Januar brachte die Presse die Nachricht, dass vor der Unterkunft eines polnischen Streikbrechers nahe Rotenburg eine »verbale Auseinandersetzung« zwischen russlanddeutschen Streikenden und polnischen Streikbrechern den Beteiligten am 16. Januar abends entglitten sei und mit einer schweren Körperverletzung geendet habe. Ein polnischer Streikbrecher liege mit Schädelbruch im Krankenhaus.

Das Unternehmen Neupack nutzte die neuen Vorfälle sofort, angeblich wurde am selben Tag noch ein Wachmann in Rotenburg von Streikenden bedroht. »Neupack ist über die Ereignisse entsetzt. Damit hat der von Beginn an extrem gewaltbegleitete Streik eine weitere menschenverachtende Eskalation erfahren. Die IG BCE und deren Streikleitung haben offenbar die Kontrolle über den Streik verloren. Wir hoffen, dass die verantwortliche IG BCE nun endlich ihrer Verantwortung, die sie zu tragen hat, nachkommen wird. (…) Ob zu der schlimmen Eskalation auch die Ankündi- gung des Vorsitzenden der IG BCE beigetragen hat, dass an Neupack »ein Exempel statuiert werden soll, koste es was es wolle«, kann man wohl nicht ausschließen.« (Pressemitteilung Neupack 18. Januar 2013)

Während die Führung der IG BCE der Öffentlichkeit erklärte, noch gebe es keine Erkenntnisse, die Polizei müs- se erst ihre Arbeit tun, schrillten im Apparat, auch der anderen DGB-Gewerkschaften alle Alarmglocken. Denn das Unternehmen hatte einen »Coup« geplant. Neupack wollte der IG BCE mit Hilfe einer aus Großbritannien stammenden und international agierenden Anwaltskanzlei den Streik generell gerichtlich verbieten lassen. Angeblich sei die Gewerkschaft nicht in der Lage, den Konflikt zu beherrschen. Der Antrag sollte am Freitag, 25. Januar mündlich vor dem Arbeitsgericht Verden verhandelt werden. Bekäme das Unternehmen recht, wäre laut IG BCE-Anwältin Mechthild Garweg, die Tarifautonomie des Grundgesetzes massiv bedroht.

Man kann sich leicht vorstellen, wie die IG BCE mit Sitz in Hannover, daneben der DGB und die Einzelgewerk- schaften, aber auch ihre »politischen Freunde« in der SPD angesichts dieser Zuspitzung in Aufregung gerieten, zumal am Sonntag, den 20. Januar in Niedersachsen Landtagswahlen stattfanden, für die ein Regierungswechsel und ein SPD-Regierungschef vorhergesagt wurden. Zusätzlich wurde bekannt: Das polnische Konsulat sei um Hilfe gebeten worden, um die polnischen Landsleute und Streikbrecher bei Neupack zu schützen.

Schon am 18. Januar waren zwei neue Gewerkschaftssekretäre im Streikzelt in Hamburg-Stellingen eingetroffen. Am 19. Januar zum traditionellen Neujahrsempfang des IG BCE-Bezirks Hamburg-Harburg erklärte der Gewerkschaftsvorsitzende Vassilidis vor 700 Teilnehmern seine Bereitschaft zu einem Spitzentreffen mit den Neupack- Eigentümern. Auch eine Vermittlung durch eine angesehene Hamburger Persönlichkeit bot Vassiliadis an. »Wir sind bekannt dafür, dass wir auf sozialpartnerschaftliche Lösungen setzen und mit den Arbeitgebern auch Konflikte vernünftig regeln und meist auch ohne Arbeitskampf auskommen.« Der Bezirksleiter Jan Eulen ergänzte: »Die Familie Krüger setzt Streikbrecher ein – im Wissen um die damit verbundene Provokation. Um dem zu begegnen, ermöglicht die IG BCE auch den Dialog zwischen den Streiken- den und den Streikbrechern.« (Streikinfo Nr. 25) Hier deutete die IG BCE-Führung bereits die Aussetzung des Streiks an, die Streikenden werden zum »Dialog« mit den Streik- brechern in den Betrieb beordert, die Taktik des »Flexi- Streiks« wurde geboren!

Für Dienstag und Mittwoch (22./23. Januar) wurden die Streikenden aus Hamburg und Rotenburg zusammen gerufen, um über eine neue »Streiktaktik« zu diskutieren. Doch bevor die Streikenden sich eine endgültige Meinung bilden sollten, hatte die IG BCE vorgezogen am Vormittag 12.00 Uhr zur Pressekonferenz in Hamburg gerufen und dort die Aussetzung des Streiks für den folgenden Tag verkündet. Erst danach um 14.00 Uhr forderte sie ihre streikenden Mitglieder auf, am nächsten Tag, Donnerstag, 24. Januar, in Hamburg-Stellingen als auch in Rotenburg die Arbeit wieder aufzunehmen.

Zur Frühschicht am 24.1. um 5.00 Uhr wurde dem hauptamtlichen Hamburger Gewerkschaftsapparat nebst Anhang erst- und einmalig ein Kraftakt von »Solidarität« abgefordert. Neben den üblichen Unterstützern begleiteten zahlreiche Vertreter der DGB-Einzelgewerkschaften die Streikenden mit brennenden Fackeln zum Marsch in den Betrieb, wo der Unternehmer sie – aufgeteilt in »Fünfer- packs« – in Empfang nahm und der Arbeit zuführte. Mit dieser Geste der Unterwerfung signalisierte die IG BCE jede erdenkliche Verhandlungsbereitschaft und hoffte auf ein günstiges Urteil. Das Arbeitsgericht Verden wies das Ansinnen von Neupack, den Streik verbieten zu lassen, zurück, aber ein schriftliches Urteil liegt noch nicht vor. Wieder im Betrieb entdeckten die Streikenden allmählich, dass ihr Arbeitskampf entgegen den Darstellungen des Unternehmers und dem äußeren Anschein doch tiefe wirtschaftliche Schäden angerichtet hatte. Die Lager waren weitgehend leer, die Streikbrecher hatten viel Ausschuss produziert, die Maschinen waren verdreckt, kleinere Kunden wurden gar nicht mehr oder mit zugekaufter Ware beliefert und einzelne Großkunden hatten nur Teillieferungen erhalten oder sind wegen Mängeln in der Qualität ganz abgesprungen. Kurz: Der Unternehmer stand mit dem Rücken zur Wand. Selbstbewusst stellten sie fest, dass sie doch nicht so einfach zu ersetzen sind. Allerdings, auch die Streikbrecher lernten schnell, fügten sie an, besonders jetzt, da sie ihnen, den langjährig Eingearbeiteten ihre Tricks abschauten.

Ihre zeitweise zurückgedrängten Bedenken gegen die neue »Flexi-Streik-Taktik« kehrten wieder. Erst wurde seitens der IG BCE erklärt, die Aussetzung des Streiks sei für neue Gespräche mit dem Unternehmen unabdingbar. Doch die Gespräche blieben weitgehend substanzlos, der Unter- nehmer reagierte hingegen mit neuen Schikanen und Provokationen, mehr als 20 Gerichtsverfahren wurden eingeleitet. Dem IG-BCE-Sekretär und Betriebsbetreuer Rajko Pientka wurde sofort der Zugang zum Betrieb und zur Betriebsversammlung untersagt, krank gemeldete Beschäftigte zum Vertrauensarzt geschickt, die Übernahme von Kosten für die Betriebsversammlung wurden veweigert, die Reihe der Kündigungen und Abmahnungen riss nicht ab, gegen 15 KollegInnen wurden insgesamt 19 Kündigungen ausgesprochen, in Rotenburg wurden an einem Tag acht Abmahnungen gegen Streikteilnehmer verhängt. Die Antwort der IG BCE-Führung in Hannover: »Wir sind weiterhin im Flexi-Steik und gehen gegen die Provokationen des Arbeitgebers juristisch vor. Lasst uns durchhalten« (Streikinfo 43)

Die von der IG BCE vorgebrachten Argumente für den Flexi-Streik konnte die ehemalige Streikmannschaft, die immer mehr eine »Mannschaft« im besten Sinne wurde, Zug um Zug praktisch widerlegen. »Wir behalten das Heft des Handelns in der Hand und sind durch den Flexi-Steik unberechenbar«, versprach die IG BCE. Kleinlaut musste der stellvertretende Bezirksleiter Oliver Venzke später zugeben, man habe im Kreis von Juristen beraten und die Forderung von Neupack akzeptiert, zwölf Stunden im Voraus Arbeitsniederlegung oder Arbeitsaufnahme dem Unternehmer an- zukündigen. Die Betroffenen berichteten von ihren Erfahrungen, die Schichtleiter seien besser über den Streikplan unterrichtet als sie selbst. Am 20. und 21. Februar verließen zwei in der Produktion wichtige Maschinenführer ihre Posten und schlossen sich den Streikenden an. Monatelang hatten die Streikenden sich insgeheim um diese Kollegen bemüht, entsprechend wurde ihre Entscheidung von den KollegInnen gefeiert. Der Maschinenführer Iraklis Tsitou- ridis gestand: »Ich bin froh, dass ich von nun an auch drau- ßen bleiben werde.« Doch am Freitagmorgen entschied die oberste Streikleitung in Hannover per Telefon, alle müssten die Arbeit wieder aufnehmen. Die beiden Maschinenfüh- rer wurden selbstredend sofort zur Geschäftsleitung zitiert und seitdem in den Reihen der Streikenden nicht mehr ge- sehen (Streikinfo 39 und 40). Unterdessen erledigte sich das Argument des Streikführers und Leiters des Landesbezirks Nord, Ralf Becker, »dass die IG BCE das Unternehmen nicht in seiner Substanz treffen wolle« (also nicht in die Insolvenz treiben wolle) (Streikinfo 35) fast von selbst. Es wurde einfach im Verlauf des Arbeitskampfes nicht mehr geäußert und folglich vergessen. Im Schutz des Soli-Kreises Hamburg wagten es die Betroffenen im Streikzelt, das »Flexi-Streik-Konzept« der IG BCE vor anwesenden Funktionären heftig zu kritisieren. Zum Schluss sprachen fast alle von »Flexi-Verarschung«, eine Formulierung, die der Betriebsratsvorsitzende auf- nahm. Allerdings, Versuche der Belegschaft, eigene Vor- stellungen zum Streikkonzept in die Streikleitung einzu- bringen, kamen nicht über das Stadium der Diskussion hinaus, die Streikkomitees nahmen diese Aufgabe nicht auf, sie überließen sie dem überlasteten Betriebsrat. Es gab zwar an beiden Standorten jeweils ein gewähltes Streik- komitee aus fünf Leuten, doch diese Komitees erfüllten nur Hilfsaufgaben im Streik. Dieses Verhalten ist wahrscheinlich auch gar nicht verwunderlich bei einer Belegschaft ohne jede gewerkschaftliche oder gar politische organisatorische Erfahrung. Und als einmal so etwas aufflackerte, wie dass man selbstständig den Betrieb verlassen werde, wenn der Unternehmer erneut provoziere, wurde noch in der Nacht Hannover informiert. Ein IG BCE-Funktionär drohte daraufhin, dass die Gewerkschaft alle Unterstützung ein- stellen werde, sollte das passsieren. Vermutlich war das eine leere Drohung, denn die Gewerkschaft hätte es sich politisch kaum leisten können, ihre Unterstützung zurückzuziehen.

Gern stellt die IG BCE es so dar, als habe die Taktik des Flexi-Streiks den Unternehmer an den Verhandlungstisch gezwungen. Dabei reisen in Wirklichkeit die Unterhändler der IG BCE nur auf dem Beifahrersitz des Betriebsrats als Berater zu den Gesprächen mit dem Unternehmer, direkte Gespräche mit der Gewerkschaft lehnt das Unternehmen nach wie vor ab. Umso mehr neigten die Unterhändler der IG BCE dazu, jede vermeintliche Bewegung des Unterneh- mers als Erfolgsmeldung aufzublasen. »Schritt für Schritt geht es weiter. Neupack hat zugesagt, beim nächsten Gesprächstermin Anfang März ein finanzielles Gesamtangebot zu präsentieren.« (Streikinfo 38) »Becker nach den morgendlichen Verhandlungen: Wir haben einen Schritt nach vorn gemacht. Ich habe zum ersten Mal das Gefühl, das auch Neupack ein System will, das transparent und gerecht ist.« (Streikinfo 43) »Keine weiteren Kündigungen!« (Streikinfo 46) Danach wurden prompt zwei weitere Kün- digungen ausgesprochen! »Noch nicht zustimmungsfähig ist der Arbeitgeber-Vorschlag zum Verzicht auf Maßregelungen der Streikenden«. Becker, der auch Chef des Landesbezirks Nord der IG BCE ist: »Wir dringen darauf, dass sie weitergehender sein muss als die im Bürgerlichen Gesetzbuch vorgesehenen Regelungen.« (Streikinfo 47) »Ziel ist ein Vertrag bis Ostern. Um das zu erreichen wird am nächsten Mittwoch open end verhandelt.« (Streikinfo 48) »Wir stehen jetzt zum ersten Mal vor einem Abschluss!« (Streikinfo 49). Je länger der Flexi-Streik währte, desto unglaubwür- diger wurden diese Erfolgsmeldungen für die Betroffenen. Wurde ihre »Abordnung« zurück in die Produktion anfangs häufiger von Streiktagen unterbrochen, so wurden sie in letzter Zeit nur noch zum eintägigen Streik gerufen, wenn eine Streikversammlung anstand (bei 52 Arbeitstagen 15 Streiktage). Jeder Tag Produktion mit doppelter, alter und neuer, (ehemals Streikbrecher-)Mannschaft füllt die Vorratskammern von Neupack besonders schnell. Die Drohung mit einem erneuten Streik (IG BCE: »Wir können auch anders!«) schüchterte den Unternehmer in dieser Situation wenig ein.

Der Zwischenstand Mitte April 2013:

Neupack will partout keinen Tarifvertrag. Es bietet eine Betriebsvereinbarung in Verbindung mit einer Regelungs- absprache als Zusatz zum Arbeitsvertrag an. Letztere entfaltet überhaupt keine kollektivrechtliche Wirkung. Das Ziel eines Haustarifvertrags hat die IG BCE aufgegeben. Differenzen bestehen bei den Eingruppierungsvorschlägen. Hauptstreitpunkt weiterhin: Neupack unterschreibt keinen Verzicht auf Maßregelung der Streikenden. Das Unternehmen hofft offenbar, die »Rädelsführer des Streiks« mit Hilfe der bürgerlichen Gerichte zur Strecke bringen zu können. Am 4. April sollte das Arbeitsgericht die fehlende Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden ersetzen. Der Betriebsratsvorsitzende soll am ersten Streiktag bei einer Rangelei am Fabriktor angeblich den Produktionsleiter verletzt haben. Nach drei Stunden Beweisaufnahme wur- de die Verhandlung vertagt, dem BR-Vorsitzenden konnte also nicht aufgrund eines Urteils gekündigt werden. »Neupack wertet dies als Hinweis darauf, dass juristisch die Vorfälle sehr ernst genommen werden.« (Pressemitteilung 05.04.13) Ursprünglich hatten Neupack und die IG BCE-Führung das Ende dieses Prozesses vor dem Arbeitsge- richt als Frist gesetzt, um sich auf den Verzicht auf Maß- regelungen zu einigen. Neupack ließ diese Erklärungsfrist verstreichen, die IG BCE erklärte daraufhin die Verhandlungen für »gescheitert«. (Streikinfo 50)

Wenige Tage später forderten die Flexi-Streikenden in einer Streikversammlung, dass ihre Mitsprache in der Streik- leitung und ihr Einfluss auf das Streikkonzept grundsätzlich verbessert werden. Zu diesem Zweck hatten sich die Streikenden in der Osterpause untereinander verständigt. Der Streikleiter der IG BCE aus Hannover zeigte sich aufgeschlossen und bat um eine schriftliche Handreichung für den Hauptvorstand. Eine Woche später ist diese Initiative noch immer ohne Antwort seitens dieses Hauptvorstandes. Hingegen titelte das Streikinfo der IG BCE in der Zwischenzeit (12. April): »Durchbruch erzielt: Neupack verzichtet auf Maßregelungen« (Streikinfo 52) »Dramatische Stun- den am Donnerstag in Hannover und Hamburg. Nachdem der Geschäftsführende Hauptvorstand der IG BCE sich in Hannover intensiv mit dem Thema Neupack befasst hatte, trafen am Nachmittag und am Abend doch noch neue Zu- geständnisse aus der Hamburger Neupack-Zentrale bei der IG BCE ein.« Danach verzichtete Neupack auf »jegliche Maßregelungen«, ausgenommen »Sachverhalte, die im weiteren Sinne Offizialdelikte darstellen«. Doch die Befürchtungen der Kollegen bestehen bei diesen verwaschenen Formu- lierung weiter, Schriftliches kennen sie nicht. Nach drei Streiktagen in der vergangenen Woche arbeitet die Streik- mannschaft wieder. Drei Kollegen in Rotenburg sollen zermürbt die Streikfront verlassen haben.

Seit Anfang März fühlt sich das Unternehmen Neupack offensichtlich sicherer. Die teuren Sicherheitsmannschaften mit Hunden wurden wieder nach Hause geschickt. Die polnischen »Streikbrecher« werden nicht mehr in Bussen zur Arbeit chauffiert, sie müssen allein den Weg zur Arbeit finden. Auch die Kosten für Unterkunft werden jetzt von ihrem Lohn abgezogen. Dafür erhielten alle neu einge- stellten »Streikbrecher« das Angebot, ihren Vertrag bis 2014 zu verlängern, 40 Arbeitskräfte nahmen das Angebot an. Die Flexi-Streikenden unterstellen dem Unternehmer die Absicht, sich eine neue Betriebsmannschaft für Neupack aufzubauen und die, die den Kampf für einen Haustarifvertrag nicht aufgeben, entlassen zu wollen. Der Plan scheint aktueller denn je. Stand: 15.04.13