■ Nach fünf Jahren wirtschaftlicher Depression
Griechenland unter dem Diktat von
Finanzmärkten und Sparauflagen
Den Schwerpunkt dieser Ausgabe bilden die Auseinandersetzungen um und in Griechenland. Nach einer grundsätzlichen Einschätzung folgt ein Artikel über die Gewerkschaften in Griechenland und die politischen Angriffe auf ihre Existenz (Seite 6). Für den 6. Mai sind Parlamentswahlen angesetzt. In einem kurzen Abriss der parlamentarischen Parteien links der PASOK gehen wir auf dieses Thema ein (Seite 9). Mit einem Bericht über die Solidaritätsveranstaltung »Griechenland: Demokratie unter Beschuss« im Berliner IG Metall-Haus leiten wir die Berichterstattung über die Diskussionen innerhalb der DGB-Gewerkschaften ein. Wir bitten unsere Leser, diese Diskussionen in ihrem betrieblichen und gewerkschaftlichen Umfeld fortzuführen und die kämpfenden Belegschaften in Griechenland auch finanziell zu unterstützen. Einen Spendenaufruf findet ihr auf Seite 6.
Die Auseinandersetzungen um die Rolle Griechenlands in der Eurokrise sind Klassenkampf auf europäischer und nationaler Ebene. Die herrschenden Klassen mit ihren Regierungen sind seit zweieinhalb Jahren in der Offensive. Bei allen internen Widersprüchen, die sie haben, gelingtes ihnen doch, sich im Rahmen der Europäischen Union, der G-20-Treffen und der Einbeziehung des Internationalen Währungsfonds (IWF) untereinander abzusprechen. Der Widerstand der Lohnabhängigen formiert sich schwächer, er findet weitgehend in der nationalen Beschränkung, sehr unterschiedlich bis kaum wahrnehmbar statt. Nur vereinzelt suchen linke Parteien, Gewerkschafts- und Betriebsgruppen, soziale Bewegungen und linke BasisaktivistInnen den Kontakt über Ländergrenzen hinweg. Während nach dem Willen der deutschen Bundesregierung das produktivste Kapital sich europa- und weltweit durchsetzen soll, stehen die griechischen Lohnabhängigen als derzeit schwächstes Ketten glied im Zentrum des Angriffs auf die Arbeits- und Lebensbedingungen. Dabei wird vor allem versucht, auf die »nationale Karte« zu setzen, also arbeitende und Steuer zahlende Menschen hierzulande und in Grie chenland gegeneinander auszuspielen.
Schon die Einführung des Euro hat die früher genutzten Möglichkeiten der schwächeren Ökonomien Europas, Konkurrenzdruck von außen durch selbständige Währungspolitik (Abwertung) aufzufangen, beseitigt. Die Bundesregierung Schröder (SPD/Grüne) setzte mit ihrer Agenda-21-Politik da noch eins drauf. Mit den Hartz-Gesetzen setzte sie ihr vorher erklärtes Vorhaben um, in Deutschland einen breiten Niedriglohnsektor (Leiharbeit, Befristung, Hartz IV, Ein-Euro-Jobs) einzuführen. Die beiden größten DGB-Gewerkschaften (IG Metall, ver.di) halfen dabei tatkräftig mit (Mitarbeit in der Hartz-Kommission, Abschluß von Leiharbeitstarifverträgen, Bremsung der Anti-Hartz-Proteste, bescheidene Tarifabschlüsse etc.). Die dahinterstehende Logik von SPD, Grünen, Unternehmerverbänden und Gewerkschafts vorständen ging auf: Die Lohnstückkosten der deutschen Exportindustrien stiegen zwar in den 2000-er Jahren weiter an (insgesamt ca. 7% mit Schwankungen), blieben aber deutlich hinter denen der Konkurrenten in der Eurozone zurück, die kontinuierlich bis zu 30% nach oben gingen (Gewerkschaften der Nachbar länder sind deswegen schon bei deutschen Gewerkschaften vorstellig geworden). Berlin wurde bestärkt, dieses Modell zur Nachahmung zu empfehlen bzw. zu verpflichten, wie die Verhandlungen um Sparpakete in der Krise gezeigt haben. Wenn auch nicht alle Handelspartner Deutschlands in gleicher Weise betroffen wurden, so doch mit am stärksten Griechenland. Das wiederum stört am wenigsten die griechischen Kapitalisten selbst, in deren Interesse diese Politik ebenfalls liegt. Sie richtet sich gegen die Lohnabhängigen im ganzen EU-Raum.
Der Kreditmechanismus
Entgegen Behauptungen der Boulevard-Presse oder Unterstellungen von Teilen der seriösen bürgerlichen Presse und Wirtschaftsinstitute ist festzustellen, dass noch kein einziger Cent aus Steuergeldern nach Griechenland geflossen ist. Bisher geht es um Kredite und deren Verbürgung. Der Mechanismus verläuft grundsätzlich so: Seit zweieinhalb Jahren gilt der griechische Staatshaushalt auf den Finanzmärkten als nicht mehr kreditwürdig. Die EU muss einspringen. So gibt z. B. Deutschland einen Kredit an Athen, zahlt jedoch nicht direkt, sondern nimmt eine Anleihe auf dem Kapitalmarkt auf. Als »guter Schuldner« bekommt Berlin den Betrag zu günstigen Zinsen und gibt ihn an Griechenland weiter. Athen muss ihn natürlich zurückzahlen. Das ist das Prinzip des »Rettungsschirms« EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität). In dem für Mitte 2012 vereinbarten zweiten »Rettungsschirm« ESM (Europäischer Stabilisierungsmechanismus) soll dann richtiges Geld liegen.
Die Kredite müssen also zurückfließen, einschließlich Zinsen, welche durchaus höher liegen als der Satz, den z. B. Berlin auf dem Finanzmarkt bezahlt. Der deutsche Bundeshaushalt z. B. macht also – zumindest rechnerisch – noch Gewinn damit. Das Problem für die EU-Staaten liegt nicht in der gegenwärtigen Verschuldung, sondern in der ungewissen Zukunft, nämlich der immer noch drohenden Insolvenz Griechenlands als Staat. Wenn Athen seine Zahlungsunfähigkeit erklärt, ist das Geld eben weg. Dies ist der wesentliche Grund, in ein angebliches »Fass ohne Boden« weitere Euro-Milliarden zu werfen. Darüber hinaus wird eine griechische Staats pleite die viel diskutierte »Ansteckung« erst hervorrufen: Portugal, Spanien, Italien, Frankreich sind weitere mögliche Kandidaten. Mit dem dann unweigerlichen Zusam menbruch der Eurozone brennt die ganze Weltwirtschaft, ein schließlich USA und China. Dies erklärt den Druck der G-20-Staaten auf die EU, insbesondere Deutschland, die finanzielle Absicherung zu erhöhen.
Der im Februar vereinbarte Schuldenschnitt lässt die »privaten Gläubiger«, also die Banken, weich fallen. Alte griechische Papiere, deren Forderungen uneinbringlich sind, werden durch neue getauscht, formal wurden der griechischen Regierung 107 Mrd. Euro erlassen. Dies war die Voraussetzung für die 130 Mrd. Euro, die als jüngstes »Rettungspaket« von Brüssel gewährt wurden. Dieses Geld wird jedoch nicht einfach »den Griechen« zur Verfügung gestellt, sondern fließt auf ein Sperrkonto, aus dem die griechische Regierung die Zinsen bezahlen soll. Die so genannte »Griechenland-Hilfe« ist ein Bankenrettungsprogramm, das nunmehr insgesamt vom europäischen Steuerzahler garantiert wird. Den griechischen Lohnabhängigen wird als »Gegenleistung« der Lohn- und Sozial abbau diktiert. Bisherige Zahlungen aus Deutschland halten sich in engen Grenzen. Laut Recherchen des WDR-Magazins »Monitor « (Sendung vom1.3.2012) überwies die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bis dato 15,2 Mrd. Euro nach Athen (Kredite, wie der Name der Anstalt sagt). Wie weit deutsche Staatsbanken (Hypo Real Estate, Landesbanken) vom jetzt vereinbarten Schuldenschnitt betroffen sind, wird sich erst in ein paar Jahren in der Endabrechnung des Bankenrettungsfonds Soffin zeigen. Andererseits wurde in der »Monitor«-Sendung auf die Gewinne hingewiesen, die deutsche Unternehmen im Export durch den derzeit krisenhaft schwachen Euro einfahren und die auf 50 Mrd. Euro zu beziffern seien.
Griechische Wirtschaft
Kritik an den inneren Verhältnissen Griechenlands (ineffiziente Staatsverwaltung, insbesondere hinsichtlich der Steuereintreibung und -verwendung) hat teilweise einen realen Kern, andererseits kommt darin Klasseninteresse der Kapitalisten zum Ausdruck. Hier setzt der äußere Druck der EU (Troika = EU-Kommission, EZB, IWF) an. Sie will die bekannten neoliberalen Prinzipien im Bereich ihrer Mitgliedstaaten durchsetzen, um die Eurozone insgesamt am Weltmarkt gegen Konkurrenten wie USA, Japan und die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) zu positionieren und interne Schwachstellen (Griechenland u.a. so genannte Schuldnerstaaten) unter Kontrolle zu nehmen.
Als Griechenland 1981 der Europäischen Gemeinschaft beitrat, hofften viele Griechen, dass nun Investoren aus Deutschland in Scharen Fabriken und Fertigungshallen eröffnen würden, um von den damals noch vergleichsweise niedrigen Lohnkosten zu profitieren. Zu dieser Zeit war Andreas Papandreou an die Regierung gekommen, Mitglied einer Politikerdynastie (u. a. Vater von Giorgos P., des Ministerpräsidenten 2009 bis 2011) und damaliger Chef der PASOK (Panhellenische Sozialistische Bewegung = griechische sozialdemokratische Partei, von A. Papandreou im Exil zur Zeit der Militärdiktatur gegründet). Seine Sozialgesetzgebung verbesserte die Lage der arbeitenden Bevölkerung, lockte damit aber nicht Unternehmer nach Hellas.
Mit Steuerflucht wie dem Verschieben großer Vermögen auf ausländische Konten, Verlegung von Firmen sitzen ins Ausland, Ausflaggen der griechischen Schiffe (eine der größten Handelsflotten der Welt) entzog die herrschende Klasse dem Staat Steuern. Gescheitert ist Griechenland auch am System der Klientelpolitik und der Korruption bürgerlicher Politiker. PASOK und die konservative Partei »Neue Demokratie« (ND) haben jeweils ihre Klientel versorgt, um wiedergewählt zu werden. Nach dem Beitritt zur EU wurde diese Politik mit Hilfe von EU-Geldern und ausländischen Krediten zu damals niedrigen Zinsen fortgesetzt. Mit den billigen Krediten konnte Griechenland die Importe bezahlen. Die kleinen Produzenten waren nicht konkurrenzfähig, gaben die Produktion auf und wurden zu Importeuren. Um die Kredite zurückzuzahlen, müsste die griechische Wirtschaft ihrerseits Exportüberschüsse erzielen. Dazu ist sie aber nicht imstande, weil sie in den meisten Branchen nicht kon kurrenzfähig ist. Ein weiterer Einschnitt kam Anfang der neunziger Jahre: Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks bevorzugten Unternehmer osteuropäische Länder mit noch niedrigeren Löhnen. Die Leistungsbilanzdefizite der Mittelmeerländer sind chronisch, weil ihre Wirtschaft die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und an derer nordwesteuropäischer Staaten nicht einholen wird 1).
Seit dem Beginn des mit dem IWF, der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank vereinbarten ersten Sparprogramms sind viele griechische Kleinbetriebe pleite gegangen. Löhne und Gehälter werden gekürzt, Arbeitskräfte entlas sen, der Konsum bricht ein, die Gewinnerwartungen der Unternehmen sinken, die Kreditvergabe der Banken stockt. Die Erwerbslosenquote stieg auf über 20%. Im letzten Jahr schrumpfte die Wirtschaft um 6,8%, in diesem Jahr wird ein Minus von 4% erwartet. Massenhaft protestierten die Griechen besonders am 10./11. Februar 2012 gegen die Zustimmung ihres Parlaments zum Sparkurs, der die gebeutelte Wirtschaft zusätzlich schwächt und bereits zu spürbaren Einbußen beim Lebensstandard geführt hat. Seit fünf Jahren steckt das Land in der Rezession. Zahlreiche Geschäfte mussten schließen, weil die Verbraucher den Gürtel enger schnallen.
Gemeinsame Kapitalinteressen
Ein gemeinsames Interesse der Kapitalisten aller EUStaaten besteht darin, ihre Lohn- und Sozialkosten zu senken, und da kommt ihnen die Lage der griechischen Lohnabhängigen gerade recht. An ihnen wird das Sparregime direkt praktiziert. Es wird getestet, wie weit man hierbei gehen kann, und es wird die Perspektive eröffnet, mit anderen Kandidaten ebenso zu verfahren. Hier sind sich die Regierungen grundsätzlich einig, und über Details kann man reden. Freilich geschehen diese »Verhandlungen« nicht auf gleicher Augenhöhe. Ohne die Entwicklungen der vergangenen Jahre hier nachzuvollziehen, ist festzustellen, dass die Souveränität des Staates Griechenland schwer gelitten hat. Gegen Anti-EU-Demonstrationen geht die Polizei vor, ein Volksentscheid wurde auf Druck Deutschlands und Frankreichs abgesagt. Die Regierung Papandreou wurde innerhalb weniger Tage ausge wechselt gegen das so genannte »technische« Kabinett Papadimos. Kontrolleure und Beamte der EU-Troika sitzen in ein zelnen Ministerien. Mit den Vorschriften der so genannten »Griechenland-Hilfe«, die dem Bundestag im Februar 2012 zur Entscheidung vorlag und die das griechische Parlament seinerseits im März angenommen hat, wird tief in griechisches nationales Recht eingegriffen. Die Parteiführer von PASOK und ND mussten sich darüber hinaus verpflichten, auch nach einer Neuwahl des Parlaments im Frühjahr 2012 bei den Beschlüssen zu bleiben.
»Rettungsschirme« und »Sparpakete« orientieren auf die Befriedigung der Forderungen der Banken (griechische, französische, deutsche, schweizerische etc.), nicht auf Reorganisation der Ökonomie im Interesse der Bevölkerung. Die Drohung des Staatsbankrotts lähmt vielmehr die Wirtschaft. Inzwischen verbreitet sich im griechischen Mittelstand und in Teilen der Arbeiterklasse eine Stimmung der Resignation, die auf so etwas wie ein »Ende mit Schrecken« und einen Neuaufbau hofft. Auf dieser Basis versuchen die Herrschenden die Konflikte auszusitzen. Die Bourgeoisien der hoch entwickelten Länder fürchten jedoch auch, dass sie mit ihren bisherigen Mitteln der finanziellen Unterstützung, der Kredite und der Bürgschaften Griechenland nicht stabilisieren können.
Soziale Folgen
Damit die Zinsen an ausländische Kreditgeber gezahlt werden können, fordert die
Troika von der griechischen Regierung Maßnahmen zur Verschärfung der Ausbeutung
der griechischen Arbeiterklasse. Mit der Begründung, Konkurrenzfähigkeit zu
erzielen, werden Lohnsenkungen, Arbeitszeitverlängerungen, Rentenkür zungen,
Entlassungen usw. erzwungen. 2) Weil sich beide griechische Tarifparteien, GSEE
(größter Dachverband von an PASOK und ND orientierten Gewerkschaften) und
Unternehmerverbände, gegen diesen offenen Bruch der Tarifautonomie ausgesprochen
haben, bestand die Troika auf Durchsetzung ihres Diktats durch Regierung und
Parlament. Bis auf die Ebene der stellvertretenden Bürgermeister und ihrer
Mitarbeiter haben die Troika-Kontrolleure Stellenkürzungen penibel
ausgearbeitet.
Ins gesamt sollen ihre »Sparvorschläge« im Sozialbereich 2,5
bis 3 Mrd. Euro jährlich bringen, während der Rüstungsbereich mit gerade mal 300
Mio. Euro Kürzungen bis 2015 davon kommt.
Die griechischen Lohnabhängigen fühlen sich betrogen von den Eliten des Landes, die am stärksten von dem weit verbreiteten System der Korruption und der vom Interesse des Gesamtkapitals aus verfehlten Strukturpolitik profitiert haben. Die einfachen Leute mussten für Arztbesuche, für Behördengänge, dafür, dass ihre Angelegenheiten überhaupt erledigt wurden, zahlen. Wenn auch z. B. Beamte, Ärzte, Notare, Anwälte Nutznießer waren, die Ursache liegt nicht nur bei ihnen. Der griechische Wirtschaftsminister Michalis Chrysochoidis erklärt das so: »Während wir mit der einen Hand das Geld der EU nahmen, haben wir es nicht mit der anderen Hand in neue und wettbewerbsfähige Technologien investiert. Alles ging in den Konsum. Das Ergebnis war, dass jene, die etwas produzierten, ihre Betriebe schlossen und Importfirmen gründeten, weil sich damit mehr verdienen ließ« (FAZ Februar 2012).
Betrogen fühlen sich die Griechen auch von denen, die sie regiert haben, wie dem kurzzeitigen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou (2009 – 2011), der sein Versprechen, den großen Steuersündern an den Kragen zu gehen und das System der Vetternwirtschaft zu beenden, nicht eingehalten hat.
Die Armenküchen haben großen Zulauf. Arbeitslose können ihre Raten nicht mehr bezahlen. Rentner, die auf die Straße gehen, und andere Demonstranten fragen u. a.: »Warum wird das Geld bei den Armen geholt und nicht bei den Reichen?« »Warum wird im Gesundheits-Etat mehr gestrichen als bei den Militärausgaben?« »Privatisierungen nutzen nur den Kapitalanlegern! Die Wirtschaft wird durch das Sparprogramm abgewürgt!«
Politische Bedeutung in der EU
Was hier exerziert wird, ist die exemplarische Niederhaltung einer Arbeiterklasse, damit sich das produktivste Kapital Europas im weltweiten Konkurrenzkampf durchsetzen kann. Diese Politik dient auch dem Druck auf die Lohnabhängigen in ganz Europa: europaweite Umverteilung von unten nach oben. Alle Regierungen der EU sehen sich damit in der Pflicht, rigorosen Sozialabbau zu betreiben. Die Lohnabhängigen in den Nachbarländern stehen deshalb mit ihren Gewerkschaften unter Druck. Wirtschaftlich spielt Griechenland in der EU eine geringe Rolle, als Paradebeispiel der Disziplinierung einer Arbeiterklasse, die als kämpferisch gilt, scheint es besonders geeignet zu sein (der gewerkschaftliche Organisationsgrad beträgt zwar durchschnittlich nur 22%, aber mit großen Unterschieden: im Öffentlichen Dienst mehr, in anderen Branchen weniger). Schließlich protestieren nicht nur die griechischen Lohnab hängigen gegen die Sparpolitik ihrer Regierung: In Belgien, Rumänien, Italien, Spanien (23% Arbeitslosigkeit, aktuelle Proteste der Gewerkschaften), Portugal … wird protestiert.
Am Durchgriff Deutschlands und Frankreichs im Konsens mit den Regierungen der großen Mehrheit der EU-Staaten zeigt sich, wohin die angestrebte weitere Vereinheitlichung in der EU geht: kein Fortschritt in der Demokratisierung. Der einschneidende Souveränitätsverzicht, der als Preis für die nächsten Schritte in Richtung einer Fiskalunion auf die einzelnen EU-Länder zukommen wird, hat im Fall Griechenland bereits stattgefunden. Das Diktat der politischen Spitzen der europäischen Bourgeoisie zeigt die Grenzen des griechischen Parlamentarismus in der aktuellen Krise auf.
Rückkehr zur Drachme?
In der in Deutschland inzwischen wieder zunehmenden Diskussion um einen Austritt (resp. »Rauswurf«) Griechenlands aus der Eurozone gilt als Maßstab für uns die Frage, ob dies im Interesse der Lohnabhängigen ist. In den bürgerlichen Medien, Unternehmerverbänden und Parteien bis hin zu Äußerungen von Regierungsmitglie dern (Bundesinnenminister Friedrich) geht es im Grunde um die Minderung des oben beschriebenen Haftungsrisikos des deutschen Bundes haushaltes, damit des Steuerzahlers, für griechische Staatsschulden bei den Finanzmärkten im Falle der Staatspleite. Die Voraussetzung zu deren Vermeidung wäre freilich, dass die griechische Wirtschaft auf die Beine kommt. Da für sind Sparprogramme keine gute Voraussetzung.
Es kann nicht Aufgabe der Linken sein, zu diskutieren, in welcher Währung Lohn- und Sozialabbau stattfinden soll. Eine Rückkehr zur Drachme kann den griechischen Lohnabhängigen keine Verbesserung bieten. Dieser Versuch käme unter heutigen Bedingungen einem kapitalistischen Sonderweg Griechenlands gleich, der scheitern muss. Das Problem der Staatsverschuldung bliebe erhalten, weil es im Interesse der Kapitalverwertung liegt. Eine Rückzahlung der Schulden, ob in Euro oder in Drachme, liegt in weiter Ferne und bringt der Masse der Bevölkerung keine Verbesserung ihrer Lage. Für eine Exportoffensive gibt es in der griechischen Wirtschaft von heute wenige Grundlagen. Deviseneinnahmen würden aufgefressen durch die Notwendigkeit, im Lande nicht produzierte Waren einführen zu müssen. Für beides, Schuldendienst und Import, stellt sich das Problem, stark abgewertete Drachmen in harte Euros umwandeln zu müssen.
Auch Griechenland ist eine Klassengesellschaft. Auch hier gilt, dass das einheimische Kapital ebenso an der Ausbeutung lohnabhängiger Arbeit zu möglichst kostengünstigen Bedingungen interessiert ist wie das auswärti ge. Der Staat spielt seine Rolle in der Absicherung dieser sozialen und ökonomischen Bedingungen. Dabei ist er so stark in internationale Beziehungen – insbesondere die EU – eingebunden, dass ein nationalstaatlicher Sonderweg nicht mehr möglich ist. Eine Perspektive für die griechischen Lohnabhängigen erfordert zum einen, dass sich im Lande selbst in der Abwehr der Belastungen die Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen ändern, zum anderen aber auch, dass sich in allen Staaten der Eurozone in den Kämpfen gegen Kapital, Regierungen und EU-Troika Möglichkeiten europaweiter Klassensolidarität eröffnen.
Widerstand gegen die Troika-Politik
Gibt es hierfür noch Spielräume in einem Land, dessen Regierung sich alternativlos dem Diktat der Troika zu unterwerfen scheint und sich an Verfassungsänderungen und internationale Verträge gebunden fühlt? Grundsätzlich immer; die genaueren Verhältnisse können nur im Lande selbst geklärt werden. Die protestierende Bevölkerung, die streikenden Belegschaften, die demonstrierenden Gewerkschaften haben zunächst die eigene Regierung zum Gegner. Alle Maßnahmen, die die EU beschließt, müssen in nationales grie chisches Recht umgesetzt werden, um Gültigkeit zu haben. Für Forderungen nach anderer Verteilung der Lasten ist Spielraum gegeben, z.B. in der Steuerpolitik: Verbesserung der Verwaltung, Heranziehung der großen Vermögen; oder in Staatsausgaben: Wofür braucht Griechenland eine völlig überdimensionierte Armee, wenn nicht für den Profit der deutsch-französischen Rüstungsindustrie? Forderungen dieser Art, mit Nachdruck gestellt, schrecken die EU natürlich auf; die Vorgänge um den Sturz der Regierung Papandreou wegen eines geplanten, dann auf Druck von Berlin und Paris abgesagten Referendums sowie anschließende Installierung des »Notstandskabinetts« unter Papadimos sind ein deutliches Beispiel. Aber welche Alternativen haben die Lohnabhängigen in Griechenland, als es tat sächlich zu versuchen?
Auf Deutschland übertragen, hieße das etwa: Sollen wir wegen der
»Schuldenbremse« im Grundgesetz auf soziale Forderungen verzichten? Nein – wir
müssen sie mit der Forderung nach einer Steuerpolitik verbinden, die die
Unternehmen und die großen Vermögen heranzieht. Oder: Sollen wir auf Versuche
verzichten, Lohnkämpfe im öffentlichen Dienst wieder zu vereinheitlichen, nur
weil z.B. führende Kräfte in ver.di im vorauseilenden Gehorsam selbst daran
mitgearbeitet haben, frühere Strukturen vielfältig zu zerlegen und damit die
Kampfkraft nachhaltig zu schwächen? Es führt kein Weg daran vorbei, immer wieder
unter den jeweiligen Bedingungen nach Spielräumen und Alternativen für den Kampf
um die Verbesserung bzw. für die Abwehr der Verschlechterung zu suchen. Worum es
dabei europaweit geht, ist vor allem, dass die Lohnabhängigen sich nicht
gegeneinander setzen lassen, sondern im eigenen Interesse Kapital und Regierung
als Gegner begreifen. Die Aufgabe von Kommunisten besteht darin, in haltliche
Orientierung zu bieten, den Klassencharakter der Krise zu erklären und ihren
Beitrag zur Organisierung in den Kämpfen zu leisten.
DA, 21.4.2012
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1) Die Kapitalkonzentration liegt in den Mittelmeerländern weit hinter der der kapitalistischen Zentren zurück. Die Produktivität Griechenlands betrug in den letzten Jahren 2/3 der in Deutschland, griechische Löhne lagen bei etwas mehr als der Hälfte der deutschen Löhne, der gesetzliche Mindestlohn in Hellas bei 3,80 Euro (knapp über der Höhe des Regelsatzes von Hartz IV in Deutschland). Während die deutsche Wirtschaft im Jahr 2011 um gut 3% wuchs, sank die Wirtschaft Griechenlands um fast den gleichen Betrag. Während die Arbeitslosenquote in Griechenland in den letzten drei Jahren um ca. 8% stieg, sank die Arbeitslosenquote in Deutschland um 0,8%.
2) Nach den massiven Protesten der griechischen Bevölkerung gegen die Annahme der Sparbeschlüsse im Parlament heuchelte Finanzminister Schäuble Mitgefühl mit den Armen Griechenlands und forderte im gleichen Atemzug die Senkung des Mindestlohnes in Griechenland: In Griechenland lag bisher der Mindestlohn über dem Durchschnitt in Europa. Die griechische Wirtschaft kann nur wieder in Gang kommen, wenn Griechenland konkurrenzfähig wird. Dazu müssen die Löhne gesenkt werden. Das heißt also: Damit die Unternehmen in Griechenland Gewinne machen, müssen die Arbeiter hungern. Einen Binnenmarkt gibt es dann nicht in Griechenland, ebenso wenig wie in Spanien, Portugal usw. Es bliebe die Exportorientierung der Produktion für den Weltmarkt!? Gezielt in noch schwächere Länder?
Die streikenden KollegInnen in Griechenland brauchen unsere Unterstützung!
Unter den Auflagen der Troika haben Regierung und Parlament in Griechenland
beschlossen:
1. Den Gewerkschaften ist es gesetzlich untersagt
Lohnerhöhungen zu vereinbaren, so lange die Arbeitslosenrate nicht auf unter 10
Prozent gesunken ist.
2. Der zwischen den Dachverbänden von Gewerkschaften
und Arbeitgebern vereinbarte Mindestlohn wird von 760 auf 590 Euro pro Monat
herabgesetzt.
3. Zukünftig haben betriebliche und individuelle Verträge
Vorrang vor den Flächentarifverträgen.
»Wenn wir die Tarif- und Arbeitsrechte betrachten, könnte man die Regierungsmaßnahmen mit folgender Parole zusammenfassen: Keine freien Tarifverhandlungen mehr. Einkünfte und Lohnerhöhungen werden von nun an gesetzlich geregelt.« (Apostolos Kapsalis, Arbeitsrechtler und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsinstitut des griechischen Gewerkschaftsbundes GSEE, am 13. März 2012 in Berlin)
Gegen Lohnkürzungen, Massenentlassungen und die Beseitigung gewerkschaftlicher Rechte wehren sich die Beschäftigten in Griechenland. Seit Anfang November 2011 streiken die Beschäftigten der ‚Griechischen Stahlwerke’ (Elliniki Halivourgia) in Aspropyrgos, einem Industriegebiet in Athen – gegen die von der Geschäftsführung einseitig verkündete Kurzarbeit und Lohnkürzungen von 40 Prozent sowie gegen 34 Entlassungen.
Auch die Journalisten, Drucker und Verwaltungsangestellten der linksliberalen
Tageszeitung ‚Eleftherotypia‘ befinden sich seit dem 22. Dezember 2011 im
Ausstand.
Sie wollen die geplanten Gehaltskürzungen und die Entlassung der
halben Belegschaft im Zuge der geplanten Umstrukturierung des insolventen
Verlages nicht hinnehmen.
Gemeinsam haben sie begonnen, wieder eine Zeitung
herauszugeben – eine Streikzeitung der Belegschaft.
»Es gab viele, die uns
fragten, warum habt ihr ein Streikblatt verkauft, warum gebt ihr es nicht
kostenlos heraus? Weil wir 800 Leute sind; wir sind seit acht Monaten unbezahlt.
In diesem Zeitraum haben wir von unseren Gewerkschaften 500 Euro an
Unterstützung erhalten.« (Konstantina Daskalopulous, Redakteurin der Zeitung
‚Eleftherotypia’, am 13. März 2012 in Berlin)
Die griechischen Gewerkschaften können ihren Mitgliedern keine oder nur eine äußerst geringe Streikunterstützung gewähren. Die Kolleginnen und Kollegen in den bestreikten Unternehmen und ihre Familien brauchen unsere finanzielle Hilfe. Die gesammelten Spenden werden in vollem Unfang je zur Hälfte den beiden streikenden Belegschaften überreicht.
ver.di, Fachbereich 8, Ortsvorstand Hamburg Arbeitskreis Intenationalismus in
der IG Metall Berlin
Spendenkonto: Dionysios Granas - Konto-Nr. 227594 1002 ·
Berliner Volksbank - BLZ 100 900 00 · Stichwort: Streiksoli Griechenland