Atomarer GAU in Japan und Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz:
Kräfteverschiebungen im bürgerlichen Parteiengefüge
Mit der Katastrophe in Fukushima wurde Realität, was die Befürworter der Kernenergie noch immer verharmlosend als Restrisiko bezeichnen. Ein völlig überforderte Betreiber, Tepco, der mit primitivsten technischen Mitteln versucht die Auswirkungen der Atomkatastrophe einzudämmen. Beschäftigte, zum Teil als Leihkräfte angeheuert, die ohne ausreichende Ausrüstung und ohne Information über die Gefahren in den todbringenden Einsatz geschickt werden. Eine hilflose, von den Informationen und den Maßnahmen des Betreibers abhängige Regierung, die versuchen musste, das Ausmaß der Katastrophe herunterzuspielen. Zugleich war sie nicht in der Lage, effektive Hilfe für die von der Natur- und Atomkatastrophe Betroffenen in die Wege leisten. Das Schicksal einer ganzen Region, des Großraums Tokio mit 35 Millionen Einwohnern, wurde durch den GAU von einem Tag zum anderen abhängig von Windrichtungen und Niederschlägen. Der Glaube an die Beherrschbarkeit der Kernenergie wurde nach Harrisburg und Tschernobyl erneut durch die Tatsachen widerlegt.
Die Ereignisse in Japan haben noch andere Tatsachen in das Licht der Öffentlichkeit gerückt: Die Schlamperei mit der seit Jahrzehnten die Atomkonzerne ihre Meiler betreiben. Unfälle und Störfälle wurden von den Betreibern vertuscht und von der Regierung gedeckt, wobei Tepco, der größte japanische Stromkonzern, auch hier die Spitzenposition einnimmt. Japan hat als moderne Wirtschafts- und Exportnation fast ausschließlich auf eine Stromversorgung durch Kernenergie gesetzt. Die Bedeutung einer sicheren Energieversorgung für die kapitalistische Produktion spiegelt sich wider in der ökonomischen Macht und dem politischen Einfluss der Energiekonzerne. Nicht nur in Japan, auch in der Bundesrepublik lassen Regierungsentscheidungen diesen Einfluss deutlich werden, wie der Beschluss zur Laufzeitverlängerung für die Atommeiler.
Votum gegen die Kernenergie
Noch im Herbst hatte die Kanzlerin die Landtagswahl in Baden-Württemberg zur Abstimmung über das Projekt Stuttgart 21 deklariert. Wenn die Proteste gegen das Bahnhofsprojekt nicht mehr die Schlagzeilen beherrschen würden, dann hätte Mappus Chancen die Wahlen zu gewinnen und könne die schwarz-gelbe Koalition fortsetzen, so die taktischen Überlegungen. Tatsächlich wurden die Landtagswahlen zur Abstimmung über die Energiepolitik der Bundesregierung.
Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren ist die Wahlbeteiligung nicht gesunken, sondern um 10 Prozent gestiegen und das obwohl das Misstrauen gegenüber den parlamentarischen Parteien nicht ab, sondern weiter zugenommen hat. Das Gefühl durch ihre Stimmabgabe Einfluss auf Entscheidungen der Bundesregierung nehmen zu können, trieben zahlreiche Nichtwähler an die Urnen und bescherten den Grünen ihre Wahlerfolge. Dieser Effekt war nur beim Thema Energiepolitik möglich. Auf den Feldern der Außenpolitik (Stichwort Afghanistan-Einsatz) wie auch in der Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik unterscheiden sich die Vorstellungen der Unionsparteien höchstens in Nuancen von denen der SPD oder der Grünen. Nur auf dem Feld der Energiepolitik standen sich die Konzepte von rot-grün und schwarz-gelb auch alternativ gegenüber.
Der Gau in Fukushima hat der Stimmung gegen die Atompolitik der Bundesregierung Auftrieb verliehen, auslösend war er nicht. Das Wiederaufleben der Anti-AKW-Bewegung – die Demonstrationen im Herbst 2010 und der erstarkte Widerstand in Gorleben – waren erste Signale gegen den »Ausstieg aus dem Ausstieg«. Der war für viele Wähler offensichtlich nur die Fortsetzung der seit Amtsantritt der Koalition betriebenen Klientelpolitik. Die sollte den Energiekonzernen zusätzliche Gewinne sichern. Die ältesten, längst abgeschriebenen, Atomanlagen erwirtschaften pro Meiler einen Gewinn von einer Million Euro täglich. Und für diese Gewinne wurde eine von der rot-grünen Bundesregierung bereits mit der Atomwirtschaft vereinbarte Ausstiegsregelung wieder gekippt.
Die plötzliche Kehrtwende von CDU, CSU und FDP nach dem GAU in Japan wurde von der Bevölkerung überwiegend als Wahlkampftaktik gewertet. Die für zunächst drei Monate geplante Abschaltung der alten Meiler signalisierte jedoch zugleich die Schwächen der Koalitionsparteien, die ihren energiepolitischen Kurs nicht einfach fortsetzen konnten. Das mobilisierte zusätzlich. Viele WählerInnen wollten mit ihrer Stimmabgabe ein Zeichen setzen: für eine endgültige Kehrtwende in der Energiepolitik.
Die FDP kämpft ums Überleben …
Bereits unmittelbar nach der Bundestagswahl 2009 begann der unaufhörliche Sinkflug der FDP. Als konsequenter, sprich rabiater, Interessenvertreter des Bürger- und Kleinbürgertums hatte sie mit dem Versprechen »umfassender Steuersenkungen und Erleichterungen für den Mittelstand« 15 Prozent der Stimmen errungen. Der »große Wurf« endete mit den Steuererleichterungen für Hoteliers und bestätigte das Bild von den Liberalen als plumpe Lobbypartei für ihre Spender und Wähler. Seitdem dümpelt die FDP bei Umfragen und Wahlen an der 5-Prozent-Hürde. Die Niederlage bei den Landtagswahlen stürzte die Partei nun in eine Existenzkrise.
Dem Generalsekretär Lindner kann der Ausstieg aus der Kernenergie plötzlich nicht schnell genug gehen. Der Parteivorsitzende Westerwelle musste zurücktreten. Gesundheitsminister Rösler soll ihn beerben. Und dem zukünftigen Führungspersonal fällt plötzlich auf, dass sie ihre liberalen Vorstellungen und Ziele auf einen reinen Wirtschaftsliberalismus verengt hätten.
Die Kehrwenden, die nun vollzogen werden sollen, sind nicht der Einsicht, sondern der nackten Existenzangst geschuldet. Die Felder einer anderen Energie- und Umweltpolitik oder einer liberalen Innen- und Rechtspolitik aber sind schon von den Grünen besetzt. So bleibt vom angekündigten Neuanfang nur der Versuch, durch das Auswechseln von Personen der Partei ein neues Image zu verpassen. An der Politik der Steuerversprechungen muss die FDP festhalten, will sie nicht den eigenen Mitgliedern und den verbliebenen Wählern auch noch vor den Kopf stoßen. Selbst über eine Wende in der Energiepolitik besteht in der FDP keine Einigkeit. Die Befürworter der Atomindustrie melden sich momentan, angesichts der Katastrophe in Japan und der Wahlschlappen, nur nicht so laut zu Wort.
… die CDU/CSU um den Erhalt ihrer Regierungsfähigkeit
CDU und CSU fürchten vom Abwärtsstrudel der FDP mitgerissen zu werden. Mit nicht einmal 40 Prozent in ihrem Stammland Baden-Württemberg und einer FDP, die an der 5-Prozent-Hürde zu scheitern droht, sind die nächsten Bundestagswahlen für die jetzige Koalition nicht zu gewinnen. Die Unionsparteien mussten außerdem zur Kenntnis nehmen, dass die Grünen nicht nur aus dem Lager der Nichtwähler, sondern auch aus dem Milieu von CDU und FDP Stimmen gewinnen konnten.
Die Krise der FDP lässt zwar die Differenzen innerhalb der Union in den Hintergrund treten. Doch der Rückzug von Friedrich Merz und vor kurzem von Roland Koch waren Signale für die Unzufriedenheit auf dem konservativen und dem Wirtschaftsflügel der Union mit der Regierungsführung durch Merkel. Die Mittelstandsvereinigung der CDU kritisiert diese seit langem. Die Bundeskanzlerin schaue bei ihren Beschlüssen zu sehr auf die Gunst der Wähler und vernachlässige die Interessen der Wirtschaft und Industrie. Dies gelte auch bei der jetzt überhastet eingeleiteten Kehrtwende in der Energiepolitik.
Aber die Wahlergebnisse lassen der schwarz-gelben Koalition kaum eine andere Möglichkeit, als die bisher verfolgte Linie in der Energiepolitik aufzugeben, wollen sie ihre Wahlchancen für die anstehenden Landtagswahlen und die Bundestagswahl 2013 nicht verspielen. Die Sicherheit aller Meiler wird erneut überprüft und eine Ethikkommission wird über die Möglichkeiten eines schnelleren Ausstieges aus der Kernenergie beraten. Dieser Ausstieg soll, so Merkels Vorschlag, im breiten gesellschaftlichen Konsens mit den Bundesländern, der Opposition, den Gewerkschaften und den Vertreter von Industrie- und Energiekonzernen beschlossen werden. Der Versuch, die Verlängerung der AKW-Laufzeiten über die Köpfe des Bundesrates und der Opposition durchzupauken, ist gescheitert. Sollte aber ein Ausstieg aus der Kernenergie im breiten Konsens beschlossen werden, dann fiele auch für die schwarz-grüne Koalitionsoption auf Bundesebene eine entscheidende Hürde.
SPD verliert und feiert sich als Sieger – wegen der Verluste der Regierungsparteien
Die SPD konnte aus der Schwierigkeiten der angeschlagenen Regierungsparteien keinen Nutzen ziehen. In Baden-Württemberg landete die SPD auf Platz drei; die Grünen stellen in der zukünftigen Landesregierung den Ministerpräsidenten. Und in Rheinland-Pfalz verlor die Partei über 10 Prozent der Stimmen. Kurt Beck ist auf erstarkte Grüne als Koalitionspartner angewiesen. Da die Wahlen eine Abstimmung über die Energiepolitik war, votierten die Wähler für das Original, für die Grünen. Nicht zu Unrecht wird ihnen der Ausstieg aus der Atomenergie zugeschrieben, während die SPD unter Kanzler Schröder für die Einschnitte bei der sozialen Absicherung (Hartz IV) stehen.
Der SPD gelingt es nicht, die durch die Regierungspolitik von Schröder verprellten Wähler zurückzugewinnen. Auch in der Opposition kann sie ihren Kurs in der Sozialpolitik nicht aufgeben oder auf den Kopf stellen. Den Ruf als »Anwalt der kleinen Leute« hat sie wohl dauerhaft verloren. Eine Alternative zum Kurs der Regierung Merkel stellt die SPD nicht dar. Die Regierungsentscheidungen bei der »Bankenrettung« und bei der »Stabilisierung des Euro« hat sie ebenso mitgetragen wie zuletzt die vom Bundesverfassungsgericht verordnete Neuberechnung der Hartz-IVRegelsätze, die zu einem Feilschen um eine Erhöhung von fünf oder acht Euro wurde. Der Einfluss der SPD auf den Kurs der Gewerkschaften sichert deren Stillhalten bei den parlamentarischen Absprachen zwischen den Regierungsund Oppositionsparteien, von denen die Linkspartei ausgeschlossen bleibt.
Linkspartei verfehlt den Einzug in die Landesparlamente deutlich
Zu den eindeutigen Verlierern der Wahlen gehört auch die Linkspartei. Das Thema »soziale Gerechtigkeit« spielte im Angesicht der Atomkatastrophe keine große Rolle. So lange es keine Bewegung gibt, mit der sich Belegschaften oder Erwerbslose zur Wehr setzen, wird sich daran zunächst nichts ändern. In der Anti-AKW-Bewegung oder bei den Protesten gegen »Stuttgart 21« spielte die Linke keine oder nur eine völlig untergeordnete Rolle.
Zwar ist die Linkspartei die einzige parlamentarische Oppositionskraft, die beispielsweise Auslandeinsätze der Bundeswehr oder die Hartz-IV-Regelungen ablehnt, aber das alleine reicht nicht um sich die Unterstützung oder die Stimmen der Betroffenen zu sichern. Es fehlt, wie gesagt, eine Bewegung, die diese Themen auch zum Gegenstand des öffentlichen Interesses und der Berichterstattung werden lässt.
Dass es am Klassenkampf von unten mangelt, dafür kann man die Linkspartei nicht verantwortlich machen. Aber ihre parlamentarische Ausrichtung hindert sie daran, entsprechende Ansätze aufzugreifen und zu fördern. Wo sie, wie in Berlin, in der Regierungsverantwortung sitzt, muss sie als Gegner von Bürgerinitiativen auftreten, wie beim Volksbegehren gegen die Privatisierung der Wasserbetriebe.
Wenig überzeugend wirkt auch die Strategie zur Umsetzung der von ihr aufgestellten sozialpolitischen Forderungen. Die SPD müsse wieder sozialdemokratisch werden, um in einer entsprechenden Koalition den Politikwechsel einleiten zu können. Wer glaubt schon daran, dass die SPD zu ihren »sozialdemokratischen Wurzeln« zurückkehrt? Und welche Existenzberechtigung hätte daneben noch die Linkspartei? Ihr Entstehen in den westlichen Bundesländern verdankt sie ja gerade dem politischen Kurswechsel der SPD, in dem sie das dadurch entstandene politische Vakuum besetzte.
Gestärkte Grüne als moderne Öko-Variante der FDP
Der Höhenflug der Grünen setzt sich in den Meinungsumfragen auch nach Landtagswahlen fort. Sie konnten vor allem in Baden-Württemberg neben der Mobilisierung zahlreicher Nichtwähler auch Stimmen von unzufriedenen SPD-, CDU- und FDP-Wählern gewinnen. Ihre Mitgliedschaft und Wählerbasis repräsentiert im Wesentlichen, was als »gesellschaftliche Mitte« bezeichnet wird: die aufgeklärten, gebildeten und besser Verdienenden. Die stehen zwar nicht in Opposition zur Außen- und Sozialpolitik der Regierung, lehnen aber deren Energiepolitik und in ihren Augen unsinnige Großprojekte wie Stuttgart 21 ab. Vor allem stört sie die Art und Weise ab, wie über ihre Köpfe Entscheidungen gefällt und durchgesetzt werden.
Wie die SPD durch die Lösung der »sozialen Frage« innerhalb der bestehenden Ordnung die Klassenwidersprüche und den Klassenkampf aufheben will, versuchen die Grünen die ökologische Frage zu versöhnen mit dem kapitalistischen Wettbewerb. Der ökologische Umbau der Wirtschaft soll einhergehen mit einer stärkeren Beteiligung der Bürger – anhören, aufgreifen, vermitteln und erst dann entscheiden. Damit soll der weit verbreitet »Politikverdrossenheit « entgegengewirkt und die Akzeptanz parlamentarischer Parteien und Beschlüsse gefördert werden. Als Partei, die aus den Bürgerinitiativen und der Umweltbewegung entstanden ist, verfügen die Grünen in dieser Frage über mehr Glaubwürdigkeit als alle anderen Parteien.
Mit ihrem Programm der ökologischen Erneuerung vertreten die Grünen auch die wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen, die im Bereich der erneuerbaren Energien tätig sind. Die fühlten sich, wie auch zahlreiche kommunale Stromanbieter, durch die Laufzeitverlängerung im Wettbewerb mit den großen Stromkonzernen zurückgeworfen und in ihrer Existenz bedroht.
Eine ökologische Erneuerung im Rahmen des kapitalistischen Wettbewerbs erfordert von den Grünen, den wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen auch politisch Ausdruck zu verleihen. Soziale Verhältnisse, Löhne und Arbeitsbedingungen, spielen traditionell für sie, angesichts der sozialen Herkunft ihrer Mitglieder und Stammwähler, keine Rolle. So gehört die grüne Partei auch zu den eifrigen Befürwortern der Privatisierung von öffentlichen Leistungen und staatlichen Konzernen, wie beispielsweise der Bahn.
Atomausstieg im Konsens – die Stromkonzerne wappnen sich
Dass es kein Zurück zu der von der Regierung beschlossenen Laufzeitverlängerung geben wird, ist allen Beteiligten klar. Mit der dreimonatigen Abschaltung alter Meiler und der Einberufung einer Experten- und Ethikkommission versuchen die Regierungsparteien Zeit zu gewinnen, um die Verunsicherung und die Differenzen in den eigenen Reihen zu überwinden.
Die Regierungskoalition muss ihre politische Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen, will sie nicht schon vor der Bundestagswahl 2013 scheitern. Außerdem sollen die notwendigen Vereinbarungen mit den Stromanbietern durch den Segen »unabhängiger Experten« und durch die Zustimmung der Opposition legitimiert werden. Grüne und SPD werden sich der Suche nach einem gesellschaftlichen Konsens nicht verschließen. Die Regierung habe einen gesellschaftlichen Großkonflikt, der längst befriedet war, erneut geschürt, lautete einer ihrer Vorwürfe angesichts der Laufzeitverlängerung.
Über Dauer und Bedingungen des Ausstiegs aus der »Brückentechnologie« wird aber nicht nur auf der parlamentarischen Ebene entschieden. Ohne die Verbände der Wirtschaft und gegen die betroffenen Energiekonzerne wird es keine Beschlüsse geben. Die haben die Geschütze zur Wahrung ihrer Interessen längst aufgefahren. RWE klagt gegen den Stilllegungsbeschluss von Biblis, Befürworter und Betreiber der Kernenergie warnen vor Energieengpässen und drastisch steigenden Preisen. Was nütze ein Ausstieg, wenn man danach Atomstrom in Frankreich einkaufen müsse, so eines ihrer vorgeschobenen Argumente.
Der Energiemarkt ist schon seit langem ein europäischer Markt. Die Betreiber erwirtschaften ihre Gewinne durch die Erzeugung und den Verkauf von Strom, nicht durch den Zukauf bei Konkurrenten. Die deutschen Konzerne befürchten ins Hintertreffen zu geraten, wenn die französische oder schwedische Regierung weiterhin die Kernenergie fördern, während in Deutschland die Kosten wegen des schnelleren Ausstiegs und wegen schärferer Sicherheitsanforderungen für die Restlaufzeiten der Meiler steigen. Es wird ein zähes Ringen um die Bedingungen und den Zeitablauf geben. Die deutschen Energiekonzerne werden alles daran setzen, ihre Stellung auf dem Markt zu behaupten und auszubauen. Sie werden sich den Ausstieg wie auch die notwendigen Investitionen in Großprojekte der regenerativen Energieerzeugung teuer bezahlen lassen. Die Verbände der deutschen Wirtschaft unterstützen sie dabei. Denn die Exportindustrie braucht eine sichere, störungsfreie und billige Energieversorgung.
Der Anteil regenerativer Energiegewinnung ist nicht nur in Deutschland im letzten Jahrzehnt kontinuierlich gewachsen. Konzerne wie Siemens, mit seiner Windparktechnologie, oder Großinvestoren im Bereich der Biogas-Gewinnung haben sich zunehmend in diesem Wachstumsmarkt engagiert. Das neu verkündete wirtschaftspolitische Ziel der bürgerlichen Parteien lautet: Wir müssen führend sein bei der Gewinnung alternativer Energien; der neue deutsche Exportschlager soll die Technologie für erneuerbare Energie werden.
Die energiepolitische Wende ist nicht konfliktfrei
Hinter dem polemisch vorgetragenen Vorwurf gegenüber den Grünen, sie verhindere als Partei der Neinsager die energiepolitische Wende, steckt ein realer Kern. Die Interessen der Bevölkerung haben zurück zu stehen, wenn es um Großprojekte der Energiekonzerne (Windparkanlagen, Biogas-Gewinnung, Trassen für Stromleitungen) geht. Die Grünen sollen dies den Betroffenen vermitteln – als notwendigen Beitrag zum Ausstieg aus der Atomwirtschaft und zur Lösung der Menschheitsfrage. Das gilt ebenfalls für die Frage der Endlagerung des Atommülls. Schon zu Zeiten ihrer Regierungsbeteiligung unter Bundeskanzler Schröder hatten sich die Grünen gegen den Widerstand der Bürgerinitiativen im Wendland gestellt.
Auch die finanziellen Kosten, die mit einem Umbau der Energieversorgung verbunden sind, werden sicher nicht den Energiekonzernen und der Wirtschaft aufgebürdet. Bezahlen werden die privaten Verbraucher mit höheren Preisen und die Steuerzahler über Ausgleichszahlungen und Subventionen für die Energiekonzerne. Im breiten Konsens aller gesellschaftlichen Kräfte fällt den Grünen, der SPD und den Gewerkschaften vor allem eine Aufgabe zu: Sie sollen dabei helfen, dass die Kosten der energiepolitischen Wende auch durch Verzicht von der lohnabhängigen Bevölkerung getragen wird.
Politische Kräfte, die ihre Kritik an der Atomwirtschaft verbinden mit einer
Kritik an der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, sind in der Anti-AKW-Bewegung
momentan eine kleine Minderheit. Die Bewegung bleibt fixiert auf den
Atomausstieg; die Frage des Eigentums und der Verfügungsgewalt in der
Energiewirtschaft bleibt ausgeklammert – und damit auch die wirtschaftliche
Macht und der gesellschaftliche Einfluss privater Energiekonzerne.
4. April
2011 ■