aus Arpo Nummer 4, 2010

Gesetzesinitiative zur Einschränkung des Streikrechts (»Tarifeinheit«)
Gewerkschaften und Unternehmer sind sich einig

«Der Vorstoß findet breite Unterstützung, im Regierungslager wie in der SPD. Bei einem so breiten, klassenübergreifenden Konsens mag selbst Die Linke nicht abseits stehen; in fester DGB-Verbundenheit spenden ihr Vorsitzender und ihr Bundesgeschäftsführer, Klaus Ernst und Werner Dreibus, Beifall und versprechen Unterstützung. […] Wer wollte gegen die Einheitsfront von Kabinett, Kapital und Arbeiterschaft noch mäkeln?«

Mit dieser Frage leitet Detlef Hensche, ehemaliger Vorsitzender der IG Medien, seine Kritik an dem Gesetzesvorhaben ein («Blätter für deutsche und internationale Politik«). In der gemeinsamen Stellungnahme zu ihrer Gesetzesinitiative erklären der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und der Bundesverband der Arbeitgeberverbände (BDA): »Darüber hinaus dient die Tarifeinheit einer wichtigen Funktion der Koalitionsfreiheit und des Tarifvertragssystems, nämlich die Arbeitsbeziehungen zu befrieden.«

Für dieses Ziel lässt sich innerhalb der Gewerkschaften schwerlich die Werbetrommel rühren. Die Losung »Ein Betrieb, ein Tarif« eignet sich besser. Sie soll die fortschrittliche Wirkung der vorgeschlagenen Gesetzesänderung belegen. Berufsegoistischen Sonderinteressen und der Unterbietungskonkurrenz durch christliche und gelbe Gewerkschaften würde mit der Umsetzung der Gesetzesinitiative ein Riegel vorgeschoben. Die Behauptungen fallen auf fruchtbaren Boden: »Unser Fazit: Eine gesetzlich verankerte Tarifeinheit auf der Basis des Mehrheitsprinzips stärkt die Solidarität im Betrieb, aber es bleibt die Herausforderung für eine Gewerkschaft wie ver.di, weiter um Mitglieder zu werben, durch ihre Arbeit zu überzeugen und sich unter Bedingungen gewerkschaftlicher Konkurrenz zu behaupten und stärker zu werden. « (ver.di, Ressort 1, Argumentationspapier des Bundesvorstandes).

Der Gesetzgeber soll die ureigenste Aufgabe der Gewerkschaften übernehmen, die Solidarität im Betrieb zu stärken, und dies auch noch mit Unterstützung der Arbeitgeberverbände. Weder mit der gesellschaftlichen Realität (den Arbeitsbedingungen in Betrieben und Verwaltungen) noch mit den Absichten der Akteure hat dieses Fazit das Mindeste gemein.

Ein Betrieb, ein Tarif: ein längst aufgegebenes Prinzip

Eine seit mehr als zwei Jahrzehnten rollenden Welle von Betriebsschließungen, Umorganisationen und Ausgliederungen etc. haben sowohl Groß- als auch Mittelbetriebe und Verwaltungen bis zur Unkenntlichkeit umgekrempelt. Dabei bedienten sich die Unternehmer nicht nur der Dienste von Dumping-Organisationen, wie der christlichen Gewerkschaften. Vor allem durch die Ausgliederung von Produktionsbereichen, den Einsatz von oft konzerneigenen Leih- und Zeitarbeitsfirmen als Billiglohnanbieter und durch die Auftragsvergabe an Fremdfirmen wurde eine einheitliche tarifliche Bezahlung beseitigt. Hinzu kommen noch die in zahlreichen Branchen abgeschlossenen Absenkungstarifverträge, die eine niedrigere Entlohnung bei Neueinstellungen vorsehen. In ihrer überwiegenden Mehrheit haben die Belegschaften diese Umstrukturierungen und die damit einhergehenden Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen über sich ergehen lassen. Der Grundsatz »ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarif« gehört längst der Vergangenheit an.

Im Interesse der Standortsicherung haben auch die Gewerkschaften nicht versucht, sich diesen Unternehmensstrategien zu widersetzen. Ihre Vertreter, vor allem in den Führungsetagen der Konzernbetriebsräte, haben mit entsprechenden Regelungen auf betrieblicher und tariflicher Ebene diese Entwicklung begleitet. Zahlreiche Tarifverträge mit niedrigeren Einstiegslöhnen bei Neueinstellungen, mit weit unter dem Flächentarif liegenden Löhnen bei den Billiglohnanbietern der Zeit- und Leiharbeit, tragen nicht die Unterschrift christlicher oder gelber Organisationen, sondern der zuständigen DGB-Gewerkschaften. Ein Betrieb, eine Gewerkschaft und die unterschiedlichsten tariflichen Entlohnungen selbst für die gleichen Tätigkeiten, das kennzeichnet die von den Konzernleitungen geschaffene und von den DGB-Gewerkschaften tarifierte Realität in den Betrieben.

Mit den Hartz-Gesetzen und der Beseitigung gesetzlicher Schranken zur Ausweitung der Leiharbeit wurde die Schaffung eines breiten Niedriglohnsektors von den jeweiligen Bundesregierungen gefördert. Die damit verbundene und gewollte Absenkung des allgemeinen Lohnniveaus schlug sich auch in den Flächentarifverträgen nieder. Nicht zuletzt die lohnpolitische Zurückhaltung der DGB-Gewerkschaften trug mit dazu bei, dass diese Absenkung zu keinen größeren Arbeitskämpfen und sozialen Konflikten führte. Wie die Tarifrunde 2010 in der Metallindustrie belegt, sind mit Ausbruch der Krise im Herbst 2008 die Gewerkschaftsvorstände noch enger mit den Vertretern der Unternehmerverbände als auch mit der Bundesregierung zusammengerückt. (Siehe auch Anhang: »DGB Gewerkschaften – ein Bollwerk gegen die Willkür des Kapitals?« und Arbeiterpolitik Nr. 2, April 2010.)

Detlef Hensche weist auf einen wichtigen Punkt hin: […] »Seit langem suchen sich Arbeitgeber der Bindung an bestehende Tarifverträge zu entziehen oder sie nutzen die willfährig angebotenen Dienste christlicher Gewerkschaften und ähnlicher Verbände und schließen Dumping-Tarifverträge ab. Die Politik begleitet diese Art von Wettbewerb mit Wohlwollen. [… ] Jüngstes Beispiel ist die Leiharbeit. Zu dieser durch Tarifflucht und Unterbietungskonkurrenz ausgelösten Krise des Tarifsystems schweigt sich das Papier von BDA und DGB aus. Kein Wort zum systematischen Ausstieg aus der Tarifbindung […] Worauf sich die Hoffnung des DGB und der Linkspartei gründet, dass die gesetzliche Tarifeinheit der Spirale nach unten ein Ende setzen würde, bleibt unerfindlich. […] Nein, nicht der eigentlichen Krise des Tarifsystems, dem Unterlaufen tarifvertraglicher Normen, gilt die Sorge der Einheitsallianz, sondern dem umgekehrten Phänomen, der wechselseitigen Überbietung.«

 »Wer keine eigene Kraft mehr hat, muss sie sich von anderen leihen«

In einem Interview mit dem »Tagesspiegel« vom 7. Juli 2010 spricht Wolfgang Däubler (ehem. Professor für deutsches und europäisches Arbeitrecht an der Uni Bremen) aus, worum es den Initiatoren der Gesetzesänderung geht: »[…] Nach der Einigung zwischen BDA und DGB soll die Minderheitsgewerkschaft im Betrieb keine Chance mehr haben, zu Tarifverträgen zu kommen und dafür notfalls zu streiken. […] Die Gewerkschaften der Lokführer, der Piloten, der Ärzte haben für ihre Mitglieder eine Menge rausgeholt. Nun befürchten Arbeitgeber und DGB, dass diese Beispiele Schule machen könnten. Das stört beide Seiten und deshalb verlangen sie, dass der Gesetzgeber nur noch den »Mehrheitstarif « zulässt. […]«

Zwangsschlichtung in der Weimarer Republik

Alwin Brandes, Deutscher Metallarbeiter Verband (DMV): »Auch wir geben dem tariflichen Schlichtungswesen den Vorzug, aber mit innerlich schärfsten Gegnern des Tarifvertrages und in Gebieten, wo ein überaus schlechtes Organisationsverhältnis besteht wie in der Schwerindustrie, können Tarifverträge ohne staatlichen Zwang nicht zustande kommen. Da die Schwerindustrie Schlüsselindustrie ist, ist es für uns nicht wertlos, wenn wir mit Hilfe des Staates Verbesserungen für die Arbeitnehmer erzielen.« (Michael Kittner: Arbeitskampf 2005, S. 469)

Über die Wirkung der Zwangsschlichtung schrieb der ADGB im März 1924 schon hellsichtig: »Gegen einen solchen Schiedsspruch gibt es kein Streikrecht mehr. Die Arbeitnehmer können zwar nicht gezwungen werden, unter solchen Bedingungen zu arbeiten. Aber die Gewerkschaftsleitung kann deren Abwehr nicht unterstützen,
da sie sich der Gesetzesverletzung schuldig machen und haftbar für jeden Schaden erklärt würde. Der Widerstand gegen solche Zwangstarife können nur im Wege wilder Streiks geführt werden, die der gewerkschaftlichen Regelung der Arbeitsbedingungen durchaus nachteilig sind. . . . Wenn es Übung wird, daß die Behörde aus Schiedssprüchen rechtsverbindliche Tarifverträge macht, so werden damit die Gewerkschaften ausgeschaltet und nach vieler Meinung entbehrlich gemacht. Sie tragen für die geltenden Arbeitsbedingungen keine Verantwortung, und der Arbeitnehmer glaubt, es ginge auch ohne Gewerkschaften, Beiträge und Disziplin; es genüge, Forderungen zu erheben und zwar möglichst viel zu fordern, so dass der Schlichter weit genug entgegenkommt, und alles übrige besorgt die Schlichtungsbehörde. Eine solche Entwicklung des künftigen Schlichtungswesens wäre der Ruin der Gewerkschaften.« (Kittner, ebenda, S. 461) ■

Gewerkschaften als Ordnungsfaktor 2010

»Um noch einmal jeden Zweifel an der Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Unternehmern in der Krise zu ersticken, präsentierten Michael Sommer und Dieter Hundt eine gemeinsame Initiative, die Tarifeinheit gesetzlich zu regeln. Das Koalitions- und Streikrecht für Spartengewerkschaften bzw. sich neu gründende Gewerkschaften, die in der Regel nur die Unzufriedenheit der Mitglieder mit ihrer DGB-Gewerkschaft reflektieren, soll durch die gesetzliche Neuregelung des Tarifvertragsgesetzes eingeschränkt bzw. abgeschafft werden. Bei konkurrierenden Tarifverträgen in einem Betrieb soll nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern Anwendung finden. Für die Dauer dieses vorrangigen Tarifvertrages bestünde für alle anderen Gewerkschaften Friedenspflicht. Hiermit suchen die DGB-Gewerkschaften ihr Organisationsmonopol, das sie in der Regel noch besitzen, zu zementieren. Die Worte von Michel Sommer lassen keinen Zweifel: »Wir leben in schwierigen Zeiten. Wir stecken mitten in einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise – alle Hoffnungen, die Krise sei vorüber, haben sich inzwischen zerschlagen. Zur Wirtschaftskrise kommen noch politische Probleme und Unwägbarkeiten, die jeder kennt und die in den vergangenen Tagen und Wochen ja ausführlich beschrieben und kommentiert wurden. Was die Bürgerinnen und Bürger jetzt brauchen, sind Signale, dass nicht alles aus den Fugen gerät. Sie suchen Stabilitätsanker, die ihnen Sicherheit bieten. Sie wünschen sich, dass zum Wohle des Landes zusammengearbeitet wird, auch von jenen, die unterschiedliche Interessen vertreten und deshalb oft miteinander kontrovers verhandeln.« (Pressekonferenz vom 04.06.10) Mit anderen Worten: Der DGBVorsitzende sichert den Unternehmern ausdrücklich zu, dass nicht alles aus den Fugen gerät, dass die Schwäche der Regierung nicht für einen politischen Vorstoß der Arbeiterschaft genutzt wird.« (Arbeiterpolitik Nr. 3, 2010) ■

 

Die Unternehmer sehen sich in ihrem Gewinnstreben gestört, die Gewerkschaftsvorstände in ihrem Tarifgeschäft. Sie waren schon immer bestrebt, Arbeitskämpfe zu vermeiden. Wenn es sich nicht umgehen ließ, wollten sie deren ökonomische Folgen möglichst gering halten – im Interesse der Standortsicherung.

Vor allem durch den Streik der GDL bei der Deutschen Bahn AG zur Jahreswende 2006/2007 wurde deutlich, wie schnell unter entsprechenden Voraussetzungen die kooperative Tarifpolitik der DGB-Gewerkschaften, im vorliegenden Fall der »Transnet«, in Frage gestellt werden kann. Trotz der von den Medien geführten Diffamierungskampagne gegen die »berufsegoistischen« Interessen der GDL, die von den Vorständen der DGB-Gewerkschaften mitgetragen wurde, ließ sich die breite Sympathie unter den abhängig Beschäftigten mit dem Streik der Lokführer nicht brechen: »Endlich mal eine Gewerkschaft, die es ernst meint und handelt.« Die über Jahre hinweg praktizierte Lohnzurückhaltung, gestiegene Unternehmensgewinne und die selbst bewilligten »Boni« für Banker und Manager speisten diese breite Stimmung auch in der Mitgliedschaft der DGBGewerkschaften. Indem die GDL aus der bisherigen Front der Tarifzurückhaltung ausbrach und einen Arbeitskampf führte, machte sie diese Stimmung öffentlich. Solche Beispiele können die Erwartungen der Mitglieder in allen Gewerkschaften beeinflussen und den Druck von unten erhöhen. Dem soll vorgebeugt werden.

»[…] Es geht um die Etablierung eines bilateralen Monopols. Es mag für die Akteure bequemer sein, aber wie sind die Resultate? Die Mehrheitsgewerkschaften werden Konzessionen machen, weil sie ja keine Konsequenzen befürchten müssen. Das knüpft an den Korporatismus der 50er Jahre an. […] Statt durch bessere Politik mehr Mitglieder zu gewinnen, wird auf juristischem Wege jede Alternative blockiert. Das hat viele Parallelen zur Flucht in die staatliche Zwangsschlichtung während der Weimarer Zeit. Wer keine eigene Kraft mehr hat, muss sie sich von anderen leihen.« (Däubler, ebenda)

Mit seinen historischen Parallelen (siehe Kasten rechts) weist Wolfgang Däubler auf den Widerspruch als auch das Dilemma hin, in dem sich die sozialdemokratisch geführten Gewerkschaften befinden. Die eigene Kraft wurde entscheidend geschwächt durch:

➜ die seit Jahren anhaltende Massenarbeitslosigkeit,

➜ die verschärfte internationale Konkurrenz, in der sich das deutsche Kapital durch die Schaffung eines breiten Niedriglohnsektors und der Absenkung des allgemeinen Lohnniveaus zu behaupten versucht,

➜ die staatlichen Eingriffe in die sozialen Sicherungs systeme und den Ausbau der repressiven Instrumente auf sozialem und politischem Gebiet,

➜ und nicht zuletzt durch die seit Herbst 2008 anhaltende Finanz- und Wirtschaftskrise.

Die Interessen der eigenen Mitgliedschaft gegenüber dem Unternehmerlager als auch der Regierung zum Ausgangspunkt der eigenen Überlegungen und Aktivitäten zu machen, widerspräche den Grundüberzeugungen sozialde mokratischer Gewerkschaftsvorstände. Auf dieser Grundlage die Belegschaften zu mobilisieren und, wo es möglich ist, in die Auseinandersetzung zu führen, liefe auf die Abkehr von ihrer seit Bestehen der BRD betriebenen Politik der sozialen Partnerschaft und Kooperation hinaus. Innerhalb der kapitalistischen Ordnung, so das sozialdemokratische Selbstverständnis, solle durch das Ringen um einen Ausgleich der Klasseninteressen, die Lebensbedingungen der abhängig Beschäftigten verbessert und gesichert werden. Den Gewerkschaften falle die Aufgabe zu, die Lohn- und Arbeitsbedingungen im Rahmen der Tarifordnung zu regeln – unter Berücksichtigung des »Allgemeinwohls«, dem auch die gewerkschaftliche Tarifpolitik verpflichtet sei. Die Rahmenbedingungen ließen sich nur auf »demokratischem Wege«, über entsprechende parlamentarische Mehrheiten beeinflussen und regeln. Die Erfolge gewerkschaftlicher Politik von den 60er bis in die 80er Jahre gaben den sozialdemokratischen Auffassung in den Augen der breiten Mitgliedschaft Recht.

Wo die gesellschaftliche Entwicklung, wie bereits ausgeführt, die Grundlagen einer in diesem Rahmen »erfolgreichen « Gewerkschaftsarbeit untergräbt, bleibt den Gewerkschaftsvorständen nur, sich die Kraft von anderen zu leihen. Die Gegenseite, Unternehmerlager und Regierung, soll sie in ihrer gesellschaftlichen Rolle als Verhandlungspartner weiterhin anerkennen. Dafür sind sie bereit, den erwarteten Preis zu zahlen. Er besteht nicht nur in der lohnpolitischen Zurückhaltung, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten geübt wurde, sondern auch im Verzicht, durch gewerkschaftliche Mobilisierung und Aktivitäten den Verhandlungspartner unter Druck zu setzen.

Bisher haben die Gewerkschaften ihre ordnungspolitische Rolle wahrgenommen, indem sie sich den wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen beugten. Mit der gemeinsamen Gesetzesinitiative geht der DGB nun einen Schritt weiter. Er bietet sich selbst als ordnungspolitische Kraft an, die zur Einschränkung des Streikrechts auch die im Grundgesetz garantierte Koalitionsfreiheit aushebeln bzw. einschränken will (zur juristischen Bewertung siehe Kasten »Gesetz wider die Verfassung« aus dem bereits zitierten Artikel von Detlef Hensche). Wie lange das angestrebte Resultat, sich als Partner zur Wahrung des sozialen Friedens unentbehrlich zu machen, Bestand haben wird, muss die Zukunft zeigen. Eine Garantie dafür gibt es ebenso wenig, wie eine natürliche Grenze auf dem Weg der weiteren Anpassung.

Gewerkschaftliche Politik als »Geheimdiplomatie«

Die Art und Weise, wie die Gesetzesinitiative ohne Auftrag durch gewerkschaftliche Beschlüsse vorbereitet und vorangetrieben wurde, erinnert an die Vorgehensweise des IGM-Vorstandes in der Tarifrunde 2010, in der die zuständigen Tarifkommissionen ausgeschaltet wurden. »›Derart schwerwiegende Eingriffe im Tarifvertragsgesetz mit unabsehbaren Folgen für unsere Tarifpolitik ohne eine hinreichende Einbeziehung der Fachbereiche und der Landesbezirke vorzunehmen, lehnen wir ab und raten dringend, die Initiative nicht weiter zu verfolgen‹, heißt es in einem junge Welt vorliegenden Schreiben des Landesbezirks Bayern an den ver.di-Bundesvorstand. Nach jW-Informationen hatten führende Funktionäre von ver.di und IG Metall geschlagene zwei Jahre lang mit Unternehmervertretern über das Thema beraten – ohne dass es eine breitere Diskussion in den Gewerkschaften selbst gegeben hätte.« («junge Welt« vom 16.8.2010)

Es war kein »führender Funktionär« aus der IGM, wie die »junge Welt« meldete, sondern aus der IGBCE und Frank Bsirske, die seit zwei Jahren mit Unternehmervertretern darüber berieten. Den ver.di-Bundesvorstand hatte deren Vorsitzender nicht unterrichtet und einbezogen. Dieses Vorgehen von Frank Bsirske und das von Berthold Huber in der Metalltarifrunde 2010 belegen, wie sich gewerkschaftliche Spitzenfunktionäre immer stärker abkoppeln – nicht nur von den Mitgliedern, sondern auch von den durch sie kontrollierten Apparaten. Eine reibungslose Zusammenarbeit mit der Gegenseite in Form der Geheimdiplomatie verträgt sich nicht mit der Information der eigenen Gremien und der Rückversicherung bei ihnen. So werden auch noch die gutwilligsten und aktivsten Funktionäre entmündigt und entmutigt, die doch den Mitgliedern die Politik ihrer Gewerkschaft erklären und nahe bringen sollen. Die damit verbundene Zersetzung gewerkschaftlicher Strukturen an der Basis fördert die ohnehin vorhandene Vereinzelung und Passivität unter den Beschäftigten.

Die innergewerkschaftliche Debatte

Dass aus den Hauptvorständen der Gewerkschaften kein Widerspruch kommt, verwundert nicht. Soll doch mit der Gesetzesänderung deren Tarifgeschäft abgesichert werden. Vorreiter in der beginnenden kritischen Debatte spielte die Fachgruppe Verlage im Fachbereich 8 von ver.di, denn die Deutsche Journalisten Union (dju) könnte das erste Opfer der »eigenen« Gesetzesänderung werden. »Für den Fachbereich Medien, Kunst und Industrie könnte die Initiative schwerwiegende Folgen haben, insbesondere bei den Journalisten in Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen, wo die Konkurrenzorganisation DJV [Deutscher Journalisten-Verband] in vielen Betrieben die Mehrheit der Mitglieder dieser Berufsgruppe stellt.« Nicht nur die eigene Betroffenheit, sondern auch grundsätzliche Erwägungen flossen in die Kritik ein. Sie decken sich in vielen Punkten mit den von Detlef Hensche formulierten Einwänden und finden sich in unterschiedlichster Wortwahl wieder in den zunehmenden Stellungnahmen gewerkschaftlicher Gremien und Bezirke (siehe Kasten Frankfurter Rundschau). Inzwischen lehnen auch andere Fachbereiche, wie beispielsweise der FB 10 (Postdienste) aus dem Landesbezirk Bayern, das Vorgehen des DGB-Vorstandes ab. Auch der ver.di-Landesbezirk Bayern rät angesichts der Einwände und Kritik von dem Vorhaben ab.

Angesichts der in den Gewerkschaften zunehmenden Kritik rücken auch die Führungspersonen der Linkspartei von ihrer eilig erteilten Zustimmung ab. »Während führende Parteifunktionäre die DGB/BDAInitiative ursprünglich begrüßt hatten, ruderten Klaus Ernst, Werner Dreibus, Ulrike Zerhau und Michael Schlecht in einer gemeinsamen Stellungnahme jetzt zurück. Die Situation müsse zu einem ‚breiten Diskurs’ über die Probleme gewerkschaftlicher Durchsetzungsmacht genutzt werden, so die Linke-Politiker. ‚Einen Punkt können wir uns für Die Linke jedoch nicht vorstellen: Die Hand zu reichen für die Einschränkung des Streikrechts – für wen und welche Organisation auch immer.’« (junge Welt vom 16.8.2010)

Es gibt keine Garantie, dass die Einschränkung der Koalitionsfreiheit in Zukunft nur die »lästigen Konkurrenten« der DGB-Gewerkschaften treffen wird. Wie werden sich deren Vorstände verhalten, wenn nicht nur für die jetzt vorhandenen Konkurrenzgewerkschaften, sondern auch für die DGB-Gewerkschaften selbst Einschränkungen verlangt werden? Der Bundesvorstand von ver.di sieht durchaus die mit der Gesetzesinitiative verbundenen Gefahren, wenn er schreibt: »Zwischen DGB und BDA ist im Übrigen völlig klar: Nur das soll zur Verankerung der Tarifeinheit Gesetzeskraft erhalten, was gemeinsam und einvernehmlich von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden gewollt wird und was die Chance hat, parteiübergreifend von Regierung und Opposition aufgenommen zu werden. Die beabsichtig-te gesetzliche Änderung wird gerade deshalb auf ein absolutes Minimum begrenzt, um diesen übergreifenden Konsens zu erreichen. Alles, was über diese übergreifende und zwischen DGB-Gewerkschaften und BDA einvernehmliche Änderung hinausgeht, entzieht der Vereinbarung die Geschäftsgrundlage und trifft auf den erbitterten Widerstand der Gewerkschaften. « (ver.di, Ressort 1, Argumentationspapier des Bundesvorstandes).

Wie kann dieser »erbitterte Widerstand « aussehen, falls der übergreifende Konsens von den Arbeitgeberverbänden oder der parlamentarischen Mehrheit aufgekündigt wird, weil er nicht mehr ihren Interessen dient? Er wird sich auf gewerkschaftliche Appelle und Bitten an den Gesetzgeber beschränken, denn der ver.di-Bundesvorstand steht fest auf dem Boden der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und hält sich an ihre »demokratisch-parlamentarischen Spielregeln«. Gewerkschaftsvorstände, die ihre tarifpolitische Funktion darin sehen, »die Arbeitsbeziehungen zu befrieden«, können die verbliebene »Koalitionsfreiheit« nicht verteidigen – erst recht nicht, wenn sie sich an deren Einschränkung zuvor selbst beteiligt haben.

Wo es unsere eigenen schwachen Kräfte erlauben, sollten wir die Diskussion in Gremien und Versammlungen tragen, um die innergewerkschaftliche Front gegen eine Einschränkung des Streikrechts zu verbreitern und zu stärken. Beschlüsse und Stellungnahmen allein aber werden die geplante Gesetzesänderung nicht aufhalten können. Die einzige Kraft, die dazu in der Lage wäre, sind die abhängig Beschäftigten selbst.

Die mit der kapitalistischen Entwicklung verbundene Aufsplitterung, Konkurrenz und Atomisierung unter den Lohnabhängigen spielt momentan politisch den sozialdemokratischen und übrigen linksbürgerlichen Gewerkschaftsspitzen in die Hände. Aber sie hat auch einen anderen Aspekt: Das Band zwischen dem hauptamtlichen Apparat und der gewerkschaftlichen Basis ist schwach, schwächer als je zuvor. Es beruht auf dem abgebuchten Mitgliedsbeitrag und auf Stimmungen, die sich je nach Lage der Dinge urplötzlich ändern können. Die Mitgliedschaft wird für die Gewerkschaftsspitzen schwerer berechenbar.

Die überwältigende Mehrheit der Beschäftigten interessiert und verfolgt die innergewerkschaftliche Debatte nicht. Die Verschlechterungen der Arbeits- und Lebensbedingungen (der eigene Geldbeutel) und das gesellschaftliche Klima bestimmen ihre Stimmung und die mögliche Bereitschaft, sich zur Wehr zu setzen. Das Streikrecht kann nur verteidigt und mit Leben erfüllt werden, wenn es sich Belegschaften nehmen – wenn nötig, auch gegen bestehende gesetzliche Bestimmungen oder den Rat der eigenen gewerkschaftlichen Führung. Beispiele dafür finden wir auch in der Geschichte der BRD. 23.9.2010 ■