aus Arpo Nummer 3, 2010

Krise der schwarz-gelben Koalition
Koalitionsstreit und nationaler Konsens

Die Finanz- und Wirtschaftskrise schlägt sich in der Bundesrepublik nun auch als politische Krise nieder. Bereits nach einem guten halben Jahr präsentiert sich die vom so genannten Mittelstand und von den Unternehmerverbänden favorisierte bürgerliche Koalition als heillos zerstritten und in wesentlichen Fragen gelähmt oder handlungsunfähig. Bei den Beschlüssen zum »Rettungsschirm für Griechenland « und zum Euro blieb die Regierung Getriebene der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise. Sie versucht, als Sachwalter deutscher Kapitalinteressen aufzutreten, muss aber in der EU weiteren Integrationsschritten (Euro-Stabilisierungsfonds) zustimmen. Welche Belastungen auf zukünftige Haushalte durch die gegebenen Bürgschaften zukommen werden, das kann niemand voraussagen – und auch nicht, ob die Rettungsschirme die gewünschte Wirkung zeigen und nicht erneut nachgelegt werden muss. So bleibt völlig offen, welche weiteren finanziellen Löcher sich noch in den Haushalten und den sozialen Sicherungssystemen auftun werden.

Bei Enthaltung der SPD und gegen die Stimmen der Linkspartei hat das Parlament der Koalition im Eilverfahren einen Blankoscheck ausgestellt und damit eines seiner wichtigsten Rechte an die Regierung abgetreten. Angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise und der weiterhin bestehenden Unsicherheiten auf den Finanzmärkten bedarf es aber einer handlungsfähigen Regierung, die sich möglichst auf eine breite parlamentarische Mehrheit bei den auch in Zukunft notwendigen Vollmachten und bei unpopulären Sparmaßnahmen stützen kann. Unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen SPD und Grüne bereit sind, der Regierungspolitik mit ihren Stimmen diese parlamentarische Mehrheit zu sichern, bestimmt die innenpolitische Debatte und die aufkommenden Spekulationen über die Ablösung der bürgerlichen durch eine große Koalition. In NRW drängt die CDU auf eine solche Lösung. Die SPD versucht mit ihrer Taktik im größten Bundesland – neueste Variante eine rot-grüne Minderheitsregierung – das bürgerliche Lager auf parlamentarischer Ebene weiter zu schwächen. So hofft sie die eigene Verhandlungsposition gegenüber der CDU im Land als auch im Bund ausbauen und stärken zu können.

 

Vertrauensverlust und Umfragetief der Regierungsparteien
Die schwarz-gelbe Koalition trat an mit dem Ziel, eine Wende in der Wirtschafts- und Sozialpolitik einzuleiten. Nach den Konjunkturspritzen der großen Koalition (Abwrackprämie, Ausweitung der Kurzarbeit etc.), soll jetzt die Konsolidierung des Haushalts und der Sozialsysteme durch die entsprechenden Einsparungen in Angriff genommen werden. Doch über alle damit zusammenhängenden Fragen ist ein heftiger Streit zwischen und in den Koalitionsparteien ausgebrochen. Er konnte auch durch die Sparbeschlüsse des Kabinetts (s. auch S. 3) nicht beigelegt werden, sondern hat sich noch verschärft. Den Hintergrund bildet das rapide gesunkene Ansehen der Regierungsparteien. Die FDP ist nach Meinungsumfragen auf 5 Prozent abgestürzt. Die Versprechungen von Steuererleichterungen, mit denen sie die »radikalen Kleinbürger« an die Wahlurne lockte, konnte sie nicht einlösen. Die Mischung von marktliberaler Ideologie und Begünstigung des eigenen Anhangs, wie sie bei den Steuergeschenken für Hoteliers zum Ausdruck kam, führte im Gegenteil zu einem beschleunigten Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Regierung.


Nur noch ein Fünftel der Deutschen ist mit dem schwarz-gelben Krisenmanagement zufrieden. Sogar nur 13 Prozent erwarteten ein ausgewogenes Ergebnis der Haushaltsklausur laut ZDF-Politbarometer. Die Bundesregierung aus CDU, CSU und FDP hat den Rückhalt in der Bevölkerung verloren, berichtet der Meinungsforscher Richard Hilmer, Chef von Infratest-Dimap: »Die Zufriedenheit mit der Bundesregierung ist auf einem Tiefstand, und das nach sehr, sehr kurzer Zeit.« 83 Prozent der Bürger rechnen nicht mit einem sozial ausgewogenen Sparkurs der Bundesregierung. Die Mehrheit will nicht einseitig die Zeche der Banken und anderer Euro-Staaten zahlen.

Die CDU fürchtet, in den Abwärtsstrudel der FDP gerissen zu werden, und um ihren Charakter als »Noch-Volkspartei «. Die Kritik aus Unionskreisen an den Sparbeschlüssen der eigenen Regierung hat daher zugenommen. Da verabschiefordert etwa der Vorsitzende des Wirtschaftsrats der CDU, Karl Lauk, eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommenssteuer. Für ihn sei sogar eine Ausweitung der Reichensteuer denkbar (FR 09.06.2020). Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Peter Altmaier, pflichtet ihm bei. Bundestagspräsident Norbert Lammert hält die Kürzungsliste für sozial unausgewogen, Peter Müller, saarländischer Ministerpräsident findet, dass die starken Schultern mehr tragen müssten.

 

Das Unternehmerlager setzt auf die Einbindung von SPD und Gewerkschaften
»Was in diesen Stimmen zum Ausdruck kommt, ist die berechtigte Sorge, dass das Sparpaket zwar … der Verminderung des Haushaltsdefizits dient, aber nicht der Sicherung des sozialen Friedens, der gleichfalls ein hohes Gut ist«, kommentiert die »Frankfurter Allgemeine« am 10. Juni. Die bestimmenden Kräfte in der herrschenden Klasse, vor allem die Vertreter der deutschen Exportindustrie, setzen weiterhin auf die Einbindung von SPD und Gewerkschaften. Damit sind sie seit Ausbruch der Finanzkrise gut gefahren. Vor allem die Industriegewerkschaften Metall und Chemie hatten die Stützungsmaßnahmen für die Banken und die Konjunkturbeschlüsse der großen Koalition mitgetragen. Sie sicherten der Bundeskanzlerin die weitere Unterstützung zu, wenn auch die neue Regierung auf gewerkschaftliche Belange und Interessen Rücksicht nehme. Dazu gehörten unter anderem der Verzicht auf eine Lockerung des Kündigungsschutzes und weitere staatliche Zuschüsse für die von der IGM ausgehandelte tarifliche Regelung zur Kurzarbeit. Die Gewerkschaften honorierten dies in den Tarifrunden 2010, die sie konfliktlos, ohne die üblichen Rituale, abwickelten. Auf betrieblicher Ebene haben sie mit zahlreichen »Bündnissen für Wettbewerbsfähigkeit und Standortsicherung « den Interessen der Exportwirtschaft Rechnung getragen. Anders als in manchen Nachbarländern hat die Krise bisher, auch Dank der ordnungspolitischen Rolle der Gewerkschaften, nicht zu größeren Demonstrationen, Arbeitskämpfen oder sozialen Protesten geführt.

Das Selbsterhaltungsbestreben der FDP darf die bundesdeutsche Variante der Sozialpartnerschaft und den sozialen Frieden nicht in Frage stellen. Mit ihren entscheidenden Anliegen, wie beispielsweise den Steuersenkungsplänen oder den Umbau der Krankenversicherung, konnte sie sich deshalb im Kabinett nicht durchsetzen. Noch vor einem halben Jahr wurde der liberale Wahlerfolg von zahlreichen bürgerlichen Kommentatoren begrüßt. In einer gestärkten FDP erblickten sie ein Gegengewicht zur fortschreitenden »Sozialdemokratisierung der Union« durch die von Merkel betriebene Regierungspolitik. Rasch emporgestiegen und hoch gelobt folgte der Absturz bereits kurz nach dem Regierungswechsel. Die FDP und ihr Vorsitzender Westerwelle wurden für das schlechte Klima in der Koalition und deren ramponiertes Image verantwortlich gemacht.

Nach dem rapiden Vertrauensverlust der Regierung in der Bevölkerung rücken auch die bestimmenden Kräfte in der Wirtschaft und ihre publizistischen Vertreter von der Koalition ab. »Noch schlechter fallen die Umfragewerte in den Führungsspitzen aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung aus. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag des Wirtschaftsmagazins »Capital«. Zeigten sich kurz nach dem Start der Koalition im vergangenen Herbst immerhin bereits 63 Prozent der Top-Entscheider enttäuscht von der Regierung, sind es nun sage und schreibe 92 Prozent.« (Spiegel-Online, 16.6.2010) Der Handelsblatt-Meinungschef Thomas Hanke wirft am 16. Juni ein Schlaglicht auf die momentane parlamentarische Konstellation: »Die Regierung ist am Ende, doch zum Abtreten fehlt ihr die Kraft – und die Herausforderung in Form einer Opposition, die regieren will. Neuwahlen fürchten die Parteien besonders. Vor allem die FDP braucht jetzt Zeit in der Regierung, um sich wieder zu fangen. Denn der alte neoliberale Cocktail ist ungenießbar geworden.«

 

Die staatstragende Oppositionsrolle der SPD
SPD und Grüne haben kein Interesse daran, dass sich die zunehmende soziale Polarisierung und die Unzufriedenheit mit der Regierung in einer parlamentarischen Blockbildung niederschlägt: schwarz-gelb gegen rot-rot-grün. Vor allem der SPD-Vorstand fürchtet, dass ein solches Modell Erwartungen unter den Beschäftigten und Erwerbslosen weckt, die im Gegensatz zur »Krisenlösung« durch die herrschende Klasse stehen. Die Entscheidungsträger in SPD und Gewerkschaften sollen nicht unter den Druck falscher Erwartungen geraten. Dies ist, neben ihrer antikommunistischen Borniertheit, einer der Gründe, weshalb SPD und Grüne eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei in NRW ablehnen; für den Bund schließen sie eine solche Lösung sowieso kategorisch aus.

Zugleich hat der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier die grundsätzliche Bereitschaft seiner Partei zur Zusammenarbeit mit der Bundesregierung betont: »Es ist Zeit sich von ideologischen Bekenntnissen zu verabschie den. Es ist Zeit, die Lage ernst zu nehmen. Sie war in den vergangenen 60 Jahren noch nie so ernst. Wenn sich diese Regierung nicht endlich zu einem Krisenmanagement entschließt, das diesen Namen verdient, geraten uns die Dinge aus der Hand. (…) Aber wir zeigen auch Verantwortung in der Opposition, wie sich das für eine Partei gehört, die lange regiert hat.« (FAZ 12. 05.2010) Der SPD-Vorsitzende Gabriel wurde am 15.06.10 im Handelsblatt noch deutlicher: »Auch ohne große Koalition könnte man in zentralen Fragen unseres Landes einen Pakt der Vernunft schließen.« Gefragt, wie die SPD den Haushalt sanieren wolle, nennt Gabriel den Abbau von Subventionen und die Anhebung des Spitzensteuersatzes.

Die SPD bleibt ihrer historischen Rolle als auch der Linie sozialdemokratischer Politik unter Bundeskanzler Schröder treu. Sie lautet: Wir wollen den unter kapitalistischen Verhältnissen notwendigen Umbau (sprich Rück- oder Abbau) der Sozialsysteme nicht allein dem konservativ-liberalen Lager überlassen, sondern ihn möglichst selbst gestalten, zumindest aber mitbestimmen. Dies sei nicht möglich, wenn die SPD sich in die Fundamentalopposition begebe. Sie müsse vielmehr die Regierungspolitik konstruktiv begleiten, um sich nicht die Möglichkeit der Mitgestaltung zu verbauen.

Die Linkspartei als Juniorpartner von Rot-Grün?
Das Agieren der Linkspartei nach der NRW-Wahl zeigt ihr mehrheitliches Verständnis als hauptsächlich parlamentarisch ausgerichtete Kraft. Nicht ihre eigenen Vorschläge und politische Mindestbedingungen für eine Koalitionsbeteiligung stellte sie in den Vordergrund, sondern ihr Bestreben als Juniorpartner in einer rot-grünen Koalition Platz nehmen zu dürfen. Sie seien jederzeit ansprechbar zur Ablösung von Schwarz-Gelb oder zur Verhinderung einer großen Koalition, so lautete das Angebot aus der Führungsspitze der NRW-Linken. Sollte es tatsächlich zu einer rot-grünen Minderheitsregierung kommen, dann darf und wird die Linkspartei ihre »demokratische Verlässlichkeit« in der Opposition unter Beweis stellen.

Der noch von Lafontaine mitgeschriebene und für eine sozialdemokratische Feder relativ »radikale« Programmentwurf soll dem Bedürfnis der Basis und des linken Parteiflügels Rechnung tragen. Die Realpolitik, auch in den westlichen Bundesländern, orientiert sich dagegen an den parlamentarischen Kräfteverhältnissen und Möglichkeiten. Insofern sind die Meinungsverschiedenheiten zu den ostdeutschen Mandatsträgern keine grundsätzlichen. Die wollen ein Programm, das nicht in Widerspruch steht zu ihrem Handeln in der Regierungsverantwortung. Ehemalige Funktionäre der SPD und der Gewerkschaften im Westen können besser mit dem Widerspruch zwischen Worten und Taten, zwischen Wahlversprechen und notwendigen Beschlüssen beim Mitverwalten, zwischen Programmen und parlamentarischer Schacherei umgehen.

 

Gewerkschaften als Ordnungsfaktor

Den Mitgestaltungsvorstellungen der SPD folgen auch die Gewerkschaftsspitzen, sowohl gegenüber dem Tarifgegner als auch gegenüber der Regierung. »Der gesellschaftliche Kampf hat seit gestern begonnen«, so lässt sich der DGBVorsitzende nach den Sparbeschlüssen in den Medien gern zitieren. Die Gewerkschaften kommen nicht umhin, der zunehmenden Kritik und Empörung Ausdruck zu verleihen. Doch was sind die verbalen Ankündigungen wert, werden ihnen auch Taten folgen? Der im Mai stattgefundene DGB-Kongress gibt auf diese Frage eine Antwort. »Ich werde deutlich machen (auf dem DGB-Kongress, d. Verf.), dass die gute Antikrisenpolitik fortgesetzt werden muss. Gleichzeitig müssen wir den Industriestandort Deutschland so stabilisieren, dass er seine besondere Bedeutung behält.
(…) Gewerkschaften sollten sich um die Arbeit und deren Gestaltung kümmern. Das Streikrecht ist ein ökonomisches Recht zur Regelung von Arbeit. Wir sind keine unpolitischen Organisationen, aber politische Streiks sind nicht die Sache des DGB.« (Michael Sommer, FAZ 12.05.2010)

Auf dem DGB-Kongress gab es einen zaghaften Versuch, die Erstarrung aufzubrechen und über die Kampfmittel der Gewerkschaften neu zu diskutieren, besonders das Mittel des politischen Streiks. Die Delegierten, die die zwei Anträge zum politischen Streik eingebracht haben, spüren wohl, dass in der Krise der bloß gewerkschaftliche Kampf gegen die gewachsene ökonomische Macht der Unternehmer zunehmend erfolgloser wird und durch den politischen Angriff auf die Unternehmer und die Regierung verstärkt und ergänzt werden muss. Doch diese zaghafte Unternehmung starb schon in der Antragskommission: »Aber Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir dazu wirklich eine Beschlusslage? – Es ist doch so, dass wir in der Vergangenheit von unserem Streikrecht wirkungsvoll Gebrauch gemacht haben, auch wenn es um Forderungen gegenüber der Politik ging… Und hinzu kommt – ihr wisst das –, wie sensibel die Vokabel ›Politischer Streik‹ ist. Es ist zu fragen, ob angesichts der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse eine solche Forderung rechtspolitisch klug wäre…« Nach dieser Abfuhr erhob sich keine Delegierten-Stimme mehr zur Verteidigung des politischen Streiks und der Antrag, in dem dieses Anliegen aufging (»DGB und Gewerkschaften wenden sich gegen alle Einschränkungen des gewerkschaftlichen Streikrechts…«) fand einvernehmlich die Billigung der Delegierten, ohne Gegenstimme, ohne Enthaltung.

Wie aber wollen die Gewerkschaften »den gesellschaftlichen Kampf« gegen Regierungs- und Parlamentbeschlüsse führen, wenn sie von vorneherein den Einsatz des wichtigsten gewerkschaftlichen Kampfmittels für politische Ziele ausschließen? Der verbalen Aufrüstung werden kein gesellschaftlicher Kampf, sondern höchstens symbolische Aktionen zum Dampfablassen folgen – es sei denn, die Beschäftigten treiben durch ihr eigenständiges Handeln, durch den Druck von unten die gewerkschaftlichen Führungsetagen vor sich her. Dem wollen die Vorstände natürlich vorbeugen.

Um noch einmal jeden Zweifel an der Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Unternehmern in der Krise zu ersticken, präsentierten Michael Sommer und Dieter Hundt eine gemeinsame Initiative, die Tarifeinheit gesetzlich zu regeln. Das Koalitions- und Streikrecht für Spartengewerkschaften bzw. sich neu gründende Gewerkschaften, die in der Regel nur die Unzufriedenheit der Mitglieder mit ihrer DGB-Gewerkschaft reflektieren, soll durch die gesetzliche Neuregelung des Tarifvertragsgesetzes eingeschränkt bzw. abgeschafft werden. Bei konkurrierenden Tarifverträgen in einem Betrieb soll nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern Anwendung finden. Für die Dauer dieses vorrangigen Tarifvertrages bestünde für alle anderen Gewerkschaften Friedenspflicht. Hiermit suchen die DGB-Gewerkschaften ihr Organisationsmonopol, das sie in der Regel noch besitzen, zu zementieren. Michel Sommer begleitete diese Initiative mit den Worten: »Wir leben in schwierigen Zeiten. Wir stecken mitten in einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise – alle Hoffnungen, die Krise sei vorüber, haben sich inzwischen zerschlagen. Zur Wirtschaftskrise kommen noch politische Probleme und Unwägbarkeiten, die jeder kennt und die in den vergangenen Tagen und Wochen ja ausführlich beschrieben und kommentiert wurden. Was die Bürgerinnen und Bürger jetzt brauchen, sind Signale, dass nicht alles aus den Fugen gerät. Sie suchen Stabilitätsanker, die ihnen Sicherheit bieten. Sie wünschen sich, dass zum Wohle des Landes zusammengearbeitet wird, auch von jenen, die unterschiedliche Interessen vertreten und deshalb oft miteinander kontrovers verhandeln.« (Pressekonferenz vom 04.06.10) Mit anderen Worten: Der DGB-Vorsitzende sichert den Unternehmern ausdrücklich zu, dass nicht alles aus den Fugen gerät, dass die Schwäche der Regierung nicht für einen politischen Vorstoß der Arbeiterschaft genutzt wird.

 

Stimmung und Ausblick

Die Wahlen in NRW sind ein Stimmungsbarometer, mehr nicht: Die Wahlbeteiligung lag unter 60 Prozent, Schwarz-Gelb wurde abgewählt, beide Volksparteien haben verloren, die Linkspartei ist erstmals im Parlament von NRW vertreten. Auf parlamentarischer Ebene haben sich die Kräfte zunächst nach links verschoben. Es gibt aber keine Garantie, dass dies so bleibt oder sich sogar noch verstärken wird.

Eine durchgreifende Haushaltssanierung wird eine administrative und autoritäre Durchsetzung der Sparmaßnahmen erfordern. Ganz gleich, ob die schwarz-gelbe Koalition sich noch halten kann oder durch eine neue Konstellation abgelöst wird, die Regierung kann und wird sich bei weiteren Beschlüssen zur Haushaltssanierung auf eine breite parlamentarische Zustimmung stützen können. Die parteienübergreifende Koalition mit Ausnahme der Linken besteht bei Grundsatzentscheidungen ja schon seit Jahrzehnten.

In welche Richtung sich die politischen Kräfteverhältnisse verschieben, darüber wird nicht in erster Linie auf parlamentarischer Ebene entschieden. Entscheidend ist das Kräfteverhältnis der Klassen zueinander. Die vorhandene Passivität unter den Lohnabhängigen stärkt die Position der Kapitalseite. Sollten die vom Sparpaket oder zukünftigen Kürzungsprogrammen Betroffenen die Passivität überwinden können und eine Phase verstärkter Arbeitskämpfe und sozialer Auseinandersetzungen einleiten, dann bestünde die Möglichkeit, dass die klassenbewussten, aber schwachen und zersplitterten Kräfte in den Gewerkschaften, in der Linkspartei und in den sozialistischen/kommunistischen Zirkeln Zulauf erhielten. Die Gewerkschaftsvorstände werden, wie bereits erläutert, alles daran setzen, um dies zu verhindern. Sie nehmen dabei in Kauf, dass die Passivität in und die Abwanderung aus den Gewerkschaften zunehmen wird. Zugleich wird die soziale Spaltung innerhalb der Arbeiterklasse, zwischen Stammbelegschaften, prekär Beschäftigten und Erwerbslosen zunehmen. Das Fundament, auf dem die gewerkschaftliche Tarifpolitik in der BRD stattfand, zersetzt sich weiter.