Tarifverhandlungen im Dienste der Krisenbewältigung
Die diesjährigen Tarifrunden im öffentlichen Dienst und in der Metallindustrie spiegeln ein Stück weit auch die innenpolitische Lage und die zugrundeliegende Kräfteverhältnisse wider. Die Bundesregierung – das gilt in erster Linie für die CDU/CSU – setzt in ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik auf die Einbindung der Gewerkschaften. Desgleichen auch die Unternehmerverbände der deutschen Schlüsselindustrie (Automobilhersteller, Maschinenbau, Elektroindustrie und Chemiebranche), die ebenfalls zur Zeit keine Konfrontation suchen. Die DGB-Gewerkschaften setzen ihren Kurs der Kooperation und Unterordnung unter veränderten Bedingungen fort. Unter diesen Vorzeichen gingen ver.di und die IG Metall in die Tarifverhandlungen.
Frank Bsirske betonte zwar vor den Verhandlungen seine Absicht, mit einem Tarifergebnis die Binnennachfrage stärken zu wollen und die bürgerlichen Medien vermeldeten eine Gewerkschaftsforderung von 5 Prozent. Doch der tatsächliche Verlauf der Tarifrunde zeigte, dass es sich bei den Äußerungen des ver.di-Vorsitzenden um verbale Kraftmeierei handelte (siehe Artikel Seite 2), und das materielle Ergebnis unterschied sich kaum von dem der IG Metall.
Die IG Metall selbst nahm das erste Mal in ihrer Geschichte ohne konkrete Forderung bereits zwei Monate vor dem Auslaufen der Friedenspflicht die Tarifverhandlungen auf. Unter dem Motto »Arbeitsplatzsicherung vor Einkommenszuwachs« stand die Vereinbarung über eine tariflich abgesicherte Kurzarbeit im Mittelpunkt, weil die staatliche Kurzabeiterregelung demnächst in vielen Betrieben auslaufen wird. Nach der Tarifvereinbarung können die Unternehmen die Arbeitszeit von 35 bis auf 28 Stunden reduzieren – im Wesentlichen zu Lasten der Beschäftigten, die in einem solchen Falle nur 29,5 Stunden bezahlt bekommen (lediglich 15,3 Prozent der verkürzten Arbeitszeit wird finanziell ausgeglichen). Die Einmalzahlung für 2010 und die für April nächsten Jahres beschlossene Lohnerhöhung von 2,7 Prozent werden die gestiegenen Lebenshaltungskosten nicht auffangen.
Der Vorstand der IG Metall entledigte sich mit seinem Vorgehen nicht nur der alten Rituale und Rhetorik, er setzte auch die gängige innergewerkschaftliche Verfahrensweise außer Kraft. Bisher war es üblich, dass in den Vertrauenskörpern über die zu stellenden Forderungen diskutiert und über deren Höhe abgestimmt wurde. Die Tarifkommissionen beschlossen dann, meist mit Hinweis auf die kampfschwachen Betriebe und Bereiche, eine Forderung, die im untersten Bereich der eingegangenen Vorschläge lag. In diesem Jahr blieben die Mitglieder und die zuständigen Beschlussgremien (Tarifkommissionen) de facto von der Willensbildung ausgeschlossen. Dieses Vorgehen kennzeichnet – mehr als das Tarifresultat selbst – die Lage und den inneren Zustand der Gewerkschaften. Mit dem Kurs der Kooperation und Konfliktvermeidung durch die Vorstände legen sich die Gewerkschaften selbst immer engere Fesseln an. Mit der Art und Weise, wie der IGM-Vorstand diese Kooperation in der Tarifrunde 2010 praktizierte, wird das bereits erlahmte innergewerkschaftliche Leben gänzlich überflüssig gemacht und erstickt.
Dieses Vorgehen blieb nicht auf die IG Metall beschränkt. In den Tarifverhandlungen mit der BVG verzichtete ver.di Berlin ebenfalls auf die Aufstellung einer konkreten Lohnforderung. Damit »keine falschen Erwartungen in der Mitgliedschaft geweckt werden«, wie der ver.di-Sprecher Splanemann erklärte.
Die bürgerlichen Medien waren voll des Lobes über die besonnene Haltung und alle Beteiligten (Bundesregierung, Unternehmerverbände und Gewerkschaftsvorstände) zeigten sich mit Verlauf und Abschluss der Tarifrunde 2010 zufrieden. Die Betroffenen selbst schwiegen zum größten Teil. Die Passivität auf den unteren gewerkschaftlichen Ebenen und vor allem in den Betrieben bildet eine Voraussetzung für das selbstherrliche Vorgehen der Vorstände. Das wird Ablehnung und Kritik hervorrufen, wenn die versprochenen und erhofften Resultate ausbleiben und die Beschäftigten sich gegen das Abwälzen der Krisenlasten zur Wehr setzen sollten.
Tarifrunde im öffentlichen Dienst
ver.di akzeptiert mageres Schlichtungsergebnis
Die Tarifrunde und die anfänglichen Warnstreiks im öffentlichen Dienst der Kommunen und des Bundes 2010 waren für die bürgerliche Presse erneut eine Todsünde gegen die geheiligte Logik der kapitalistischen Marktwirtschaft. Diese steckt tief in der Krise, und die öffentlichen Haushalte sind bis über die Ohren verschuldet. Es gibt scheinbar nichts zu verteilen, und gestresste Eltern erinnern sich überdies daran, dass doch schon im letzten Jahr der Sozial- und Erziehungsdienst gestreikt hat. War diese Tarifrunde in dieser Krisenlage nicht völlig unnötig und schädlich? Worum also ging es diesmal?
Die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst – ver.di, GEW, Polizeigewerkschaft, Tarifunion des Beamtenbundes (dbb-tarifunion) – hatten sich auf folgende Hauptforderungen verständigt:
– Erhöhung der Entgelte (ohne klare Bezifferung);
–
Wiederinkraftsetzen der Bewährungs- und Tätigkeits-aufstiege;
– Regelungen
zur Altersteilzeit;
– Übernahme der Auszubildenden;
– für letztere 100 €
mehr Ausbildungsentgelt monatlich;
– alles zusammen (!) soll einem Volumen
von 5 Prozent entsprechen.
Auf den ersten Blick hob sich dieser Katalog ab von der Herangehensweise anderer Organisationen, z.B. der IG Metall, die in diesem Jahr in die Tarifverhandlungen gegangen war, um »Arbeitsplätze zu sichern« (siehe Beitrag auf S. 1). Die Arbeitgeber Bund und Kommunen wollten von Zugeständnissen schon gar nichts wissen: Bundesinnenminister Schäuble drohte mit einem konsequenten Sparkurs, dessen Ziele z.B. darin bestehen, dass die Verwaltungskosten im Jahre 2014 allenfalls auf dem Niveau von 2009 liegen sollen, eine »strukturelle Lücke« von 60 Mrd. € im Bundeshaushalt geschlossen und überhaupt die noch in der Endphase der CDU-CSU/SPD-Koalition beschlossene »Schuldenbremse« im Grundgesetz eingehalten werden soll. Die politischen VertreterInnen der Kommunen ließen ihrerseits keine Gelegenheit aus, »bei allem Verständnis für die Beschäftigten« ihre desolate Finanzlage zu schildern. Sie sehen sich von zwei Seiten unter Druck gesetzt: sinkende Steuereinnahmen einerseits, immer höhere Lasten, die ihnen Bund und Länder ohne Gegenfinanzierung aufbürden, andererseits – beides Folgen der Wirtschaftskrise und der Berliner Steuerpolitik, die von der im Kapitalismus »normalen« Begünstigung der Unternehmen und Reichen mittlerweile zu offener Klientelpflege fortschreitet. Manchen Beschäftigten, Betriebs- und Gewerkschaftsfunktionären schien in dieser Lage eine Tarifrunde, gar ein Streik unvernünftig oder zumindest aussichtslos zu sein. Andere dagegen sagten: »Wann, wenn nicht jetzt?«
Kommunale Finanznot
Die Kommunen
verstanden es, ihre desaströse Finanzlage in der medialen Öffentlichkeit
auszuspielen. Dabei argumentierten sie durchaus in Richtung Bund und Länder, die
endlich etwas für die Entlastung der kommunalen Haushalte tun sollten. Dies ist
natürlich richtig, denn Geld, das die Gemeinde nicht hat, kann sie auch nicht
ausgeben. Also müssen Konsequenzen in der Steuerpolitik gezogen werden, welche
die in der Vergangenheit betriebene Ausplünderung kommunaler Haushalte wieder
rückgängig machen. Wäre dies ernst gemeint, müssten die KommunalvertreterInnen
allerdings offen gegen die unternehmerfreundliche Steuer- und Klientelpolitik in
Berlin Stellung nehmen. Da es sich jedoch auf allen Ebenen um PolitikerInnen der
gleichen bürgerlichen Parteien handelt, ist damit schlechthin nicht zu rechnen.
Die Hauptrichtung der Entlastung wird erneut bei den Beschäftigten gesucht, wie
die Taktik der Arbeitgeberseite in der Tarifrunde zeigt: Zunächst wurde
überhaupt kein Angebot gemacht, dann ein lächerlich geringes in Höhe von 1,5
Prozent auf zwei Jahre. Auf der anderen Seite ist aber Geld da, um Kapital- und
Vermögensbesitzer zu schonen, Banken zu »retten«, Soldaten und Waffen nach
Afghanistan zu schicken usw.
Den Kommunen sind durch die Steuerreformen der letzten Jahre massiv Einnahmen weggebrochen. Viele sind hochverschuldet und nicht mehr in der Lage, einen genehmigungsfähigen Haushalt aufzustellen. Die Krise hat noch einmal für einen kräftigen Einbruch gesorgt, z.B. bei der Gewerbesteuer, die 2009 bundesweit gegenüber dem Vorjahr um 21,5 Prozent gesunken sein soll. Zwar tragen die Kommunen nur etwa 10 Prozent zur Gesamtverschuldung des Staates bei, aber die Auswirkungen sind für die BürgerInnen direkt spürbar, weil alltägliche Dienstleistungen davon betroffen sind: Energie- und Wasserversorgung, Nahverkehr, Grünanlagen, Bibliotheken, Schulen, Krankenhäuser, Kindertagesstätten, Hartz-IV-Leistungen etc.
Der Druck dieser Belastungen, der auf die BürgerInnen und die Beschäftigten übergewälzt wird, führt zu Stellenstreichungen (die allenfalls befristet oder mit 1-€-Jobs wieder besetzt werden), Kürzung, Einstellung oder Fremdvergabe von Aufgaben, Privatisierung öffentlicher Betriebe in verschiedenen Formen bis hin zum völligen Verkauf. Soziale Probleme, die infolge der Wirtschaftskrisen ohnehin zunehmen, häufen sich in Stadtteilen mit überwiegend geringer Kaufkraft und schlechter Wohnlage, deren Betreuung mehr oder weniger aufgegeben oder privatisiert wird.
Während der gesamtstaatliche Gesetzgeber die Kommunen verdorren lässt, hat er sich selbst eigene »Sachzwänge« verordnet. Der erste ist schon etwas älter und wird derzeit am Beispiel Griechenland exekutiert: die politisch festgelegten Stabilitätskriterien im Bereich der Euro-Zone, die z.B. die Grenze für die Staatsverschuldung in Höhe von 60 Prozent und die jährliche Neuverschuldung in Höhe von 3 Prozent, beides gemessen am Bruttoinlandsprodukt, vorschreiben. Der zweite ist die »Schuldenbremse« im Grundgesetz, die noch von der CDU-CSU/SPD-Koalition stammt. Solche Bestimmungen sind zwar nicht in Granit gemeißelt, wenn Klassenkämpfe sie hinwegfegen, ökonomische Krisen sie gründlich aufmischen oder auch nur Interessengegensätze in der herrschenden Klasse ihre volle Anwendung hintertreiben (Beispiele dafür sind Verletzungen von Stabilitätskriterien der EU durch große Länder wie Deutschland und Frankreich); aber zunächst einmal stellen sie ein Druckmittel gegen die lohnabhängigen Massen dar.
Interessen der Lohnabhängigen
All dies
bringt die Menschen, die von schmalen und real schrumpfenden Lohn- oder
Sozialeinkommen leben müssen, verständlicherweise in Wut und Verzweiflung. Sie
sind doppelt geschädigt, bei den Einkommen und der Versorgung mit kommunalen
Dienstleistungen. Gleichzeitig wird ihnen erzählt, dass in der Krise der Gürtel
noch enger zu schnallen sei, weil wir alle angeblich ȟber unseren
Verhältnissen« leben. Wie das wirklich aussieht in einem reichen Land wie
diesem, ist unzählige Male beschrieben worden, deshalb folgt hier nur eine
Anmerkung: Zwar ist in der jüngsten Finanzkrise eine ungeheure Summe von 110
Mrd. € im Jahre 2008 vernichtet worden, doch immer noch beträgt das gesamte
Geldvermögen in der BRD weit über 4 Bio. €. Allein das reichste Zehntel der
Bevölkerung besitzt hiervon einen Anteil von fast zwei Dritteln. Die
bürgerlichen Parteien und Pressemedien sorgen dafür, dass diese krasse
Reichtumskonzentration der breiten Masse der Bevölkerung, auch vielen
Gewerkschaftsmitgliedern nicht bekannt bzw. bewusst ist. In der politischen
Auseinandersetzung, etwa um die Berechtigung von Forderungen nach höheren
Löhnen, gesetzlich garantiertem Mindestlohn oder ausreichenden Sozialleistungen
spielt sie daher nur eine geringe Rolle.
Entsprechende Forderungen müssen gerade in der Krise gestellt und durchgesetzt werden, weil sonst die Politiker-Innen und InteressenvertreterInnen des Kapitals ihre Angriffe verstärken und zu legitimieren versuchen. Ein besser und konsequenter als derzeitig organisierter Verteilungskampf seitens der Gewerkschaften verändert zwar nicht grundsätzlich das kapitalistische System, in welchem die Lohnabhängigen ihre Arbeitskraft zu Markte tragen und um Preis und Bedingungen ihres Verkaufs an die Unternehmer feilschen müssen. Aber nur gemeinsam im eigenen Interesse gegen die Krise und deren Profiteure kann ein größerer Anteil am erarbeiteten Wertprodukt erstritten und das gesellschaftliche Kräfteverhältnis verschoben werden. Dafür muss die Auseinandersetzung politisiert werden, letztlich gegen den Willen der Gewerkschaftsvorstände und vieler FunktionärInnen, die eine friedliche Aushandlung, genannt Schlichtung, vorziehen. Dazu gehört die Forderung nach einer umfassenden Steuer- und Finanzreform, die die Reichen kräftig besteuert und die Erwerbslosen und Geringverdienenden entlastet. So müssen die öffentlichen Haushalte in die Lage versetzt werden, ordentliche Löhne zu zahlen und ihre Verpflichtungen gegenüber den BürgerInnen nachzukommen.
Mit welchen Gesetzen und steuerlichen Maßnahmen diese Vorstellungen umsetzbar wären (Vermögens- und Erbschaftssteuern, Erhöhung des Spitzensteuersatzes, Sonderabgaben für die in der Krise »geretteten« Banken u.v.m.), ist hier nicht zu erörtern, Vorschläge dieser Art sind Legion. In Teilen der sozialen Bewegungen, z.B. Hartz-IV-Betroffenen, wird versucht, die Eigeninteressen von Lohnabhängigen, auch der Erwerbslosen, unabhängig von und im Gegensatz zum Kapital zu formulieren. Davon ist die gewerkschaftliche Taktik der »volkswirtschaftlichen Vernunft« weit entfernt, die Gesamtforderung von fünf Prozent in dieser Tarifrunde viel zu niedrig. Die Kräfte, die bereit wären, so weit zu gehen, sind heute noch nicht da. Unter diesen Umständen wäre der Maßstab für einen Erfolg gewesen, wenigstens eine gute, kämpferische Mobilisierung hinzukriegen und der Gegenseite ein Ergebnis abzutrotzen, das Bund und Kommunen politisch weh getan und sie zu einem ersten Umdenken gezwungen hätte.
Die Warnstreiks im Februar zeigten, wie schon im letzten Jahr in der Auseinandersetzung im Sozial- und Erziehungsdienst, eine Mobilisierungsbereitschaft an der Basis an. Praktisch aus dem Stand streikten mehr als 120.000 Mitglieder bundesweit, weit mehr als allgemein erwartet. Es gab also eine relativ große Bereitschaft, für die Forderungen zu kämpfen: in den Krankenhäusern, im öffentlichen Nahverkehr, bei den ErzieherInnen, der Müllabfuhr und bei den Straßenwärtern.
Der Warnstreik am 5. Februar, an dem sich in ganz Hessen nach Angaben von ver.di 7300 Menschen beteiligten, dauerte 24 Stunden. In Hanau versammelten sich an diesem Tag 600 Streikende vor dem Gewerkschaftshaus. Sie kamen vor allem von der Hanauer Straßenbahn, den Stadtwerken, der Müllabfuhr und dem Eigenbetrieb Grünflächen. Von morgens vier Uhr an verließ kein Bus der HSB das Depot. 17 von 24 kommunalen Kindertagesstätten waren geschlossen. Eine kurze Demonstration durch die Innenstadt von Hanau führte auch am Rathaus vorbei, wo die Demonstranten lautstark ein Verhandlungsangebot der Arbeitgeber anmahnten.
Auch ver.di übt Verzicht in der Krise
Die
Strategie der Gewerkschaftsführung sah anders aus. In einem Papier »10 Thesen
zur Tarifbewegung 2010« hatte die Tarifpolitische Grundsatzabteilung von ver.di
Behauptungen zum Stand der Wirtschaftskrise aufgestellt, die deutlich auf eine
schiedlich-friedliche Einigung mit den Arbeitgebern abzielen. Zusammengefasst
wird in den ersten vier Punkten ausgeführt, dass die Konjunktur sich erhole, ein
»Arbeitsmarktcrash« nicht zu erwarten sei (4 Mio. Erwerbslose laut
Sachverständigenrat in 2010) und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) – nach
verschiedenen Prognosen – immerhin geringfügig »wachsen« werde. Dies werde durch
eine aufgrund von Tariferhöhungen verbesserte Konsumnachfrage noch stabilisiert,
und daher gebe es für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes keinen Grund,
ein »Sonderopfer« zu bringen. In altbekannter Tradition versucht die
Gewerkschaft hier erneut, Tarifforderungen mit wirtschaftlichem Gesamtwohl zu
legitimieren, also die Lohnentwicklung in Abhängigkeit von der Konjunktur und
den Profiten der Unternehmer zu sehen. So kann man die Lohnabhängigen nicht auf
eine harte Auseinandersetzung einstellen, und das ist wohl auch nicht die
Absicht.
Weil die Daten unsicher sind und die Krise keineswegs überwunden ist, wird an die Verantwortung von Bund und Kommunen »in ihrer Doppelrolle als politische Gemeinwesen und Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes« appelliert (Punkt 7). Dies gelte für ihre Beschäftigten, deren Arbeitsplätze, die Versorgung der Bevölkerung und der Industrie mit öffentlichen Dienstleistungen etc. Insbesondere dürfe Beschäftigungssicherung nicht mehr mit Lohnverzicht erkauft werden (Punkt 8). Dass dies wiederum nur als Appell an den guten Willen der Arbeitgeber gerichtet ist, zeigt sich in These 10; dort heißt es sinngemäß zur Aufstellung und Durchsetzung von Forderungen zwar zunächst: »Wichtig ist ..., was die Beschäftigten wollen.« Denn was am Ende dabei rauskomme, hänge viel stärker von »Auseinandersetzungs- und Mobilisierungsbereitschaft« der Basis ab. Dies gelte aber auch negativ: Auch die Einschätzung der wirtschaftlichen Situation und die »Angst um den Arbeitsplatz« gehen in die Forderungsdiskussion ein. Mit diesem Eiertanz spielt eben auch ver.di (wie die IG Metall) auf die Disziplinierung der Lohnabhängigen durch die Angst vor Arbeitsplatzabbau an.
So bleibt noch ein weiterer moralischer Appell, der auch dann greifen soll, wenn die Krise eben nicht zu Ende ist. Auch dann, so das Thesenpapier der Tarifpolitischen Grundsatzabteilung, müssen die Beschäftigten an der »gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsentwicklung« teilhaben können. Die Europäische Zentralbank (EZB) etwa halte derzeit eine Preiserhöhung von 2 Prozent für tolerabel. Darauf gestützt, erachtet der ver.di-Bundesvorstand 3,5 Prozent bis 4,4 Prozent für eine »volkswirtschaftlich gut begründete Abschlussorientierung«. Mit der Berufung auf den ökonomischen Sachverstand bürgerlicher Institute will er vor der eigenen Basis rechtfertigen, dass er die Sozial- und Steuerpolitik der schwarz-gelben Koalition im Grundsatz akzeptieren will. Unerwähnt bleibt z.B., dass zur Zeit viel Geld für die Rettung des angeschlagenen kapitalistischen Systems (Banken, Autokonzerne) und die Privilegien seiner Eliten ("Wachstumsbeschleunigungsgesetz") ausgegeben wird, aber für Lohnerhöhungen, allgemeine kommunale Dienstleistungen und die Sozialsysteme das Geld immer knapper wird.
Diese Art, auf volkswirtschaftliche Vernunft und angeblichen Sachverstand zu setzen, signalisiert eben nicht Kampfbereitschaft, sondern das Bedürfnis, sich einvernehmlich zu einigen. Nach der dritten Verhandlungsrunde mit Bund und Kommunen am 10./11. Februar wurde von beiden Seiten das Scheitern der Verhandlungen erklärt und die Schlichtung angerufen. Mitten in diese Phase platzte der Tarifabschluss der Metallbranche, und damit schien eine Einigung nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Am 25. Februar wurde der Schlichtungsspruch im öffentlichen Dienst verkündet und am Wochenende darauf von der Großen Tarifkommission gebilligt. Er lag auf der Linie dessen, was die Gewerkschaftsführung schon vor der Tarifrunde als »machbar« ausgegeben hatte. So kam am Ende des Kuhhandels nur ein mageres Ergebnis (siehe Kasten S. 5 oben) für die Beschäftigten heraus, das ver.di als einen »Kompromiss« beschreibt, bei dem die »Arbeitgeber einige Federn lassen und zurückrudern« mussten, die Gewerkschaft aber trotz mancher »Kröten« einiges herausgeholt habe.
Der Tarifabschluss im Einzelnen
Am 19.
März erschien eine kurze Pressemeldung auf der Internetseite von ver.di: »Das
Tarifergebnis für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen
ist jetzt endgültig unter Dach und Fach. In einer Befragung unter den
Mitgliedern der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) im öffentlichen
Dienst von Bund und Kommunen hat sich eine Mehrheit von 75,4 Prozent für den
Tarifabschluss ausgesprochen. Am heutigen Freitag folgte die
Bundestarifkommission von ver.di auf ihrer Sitzung in Berlin dem Mitgliedervotum
und stimmte dem Verhandlungsergebnis vom 27. Februar 2010 mit großer Mehrheit
zu. Von den 79 anwesenden Mitgliedern des Gremiums stimmten für die Annahme 62,
sechs enthielten sich, elf stimmten dagegen.«
Auf eine recht starke Warnstreikmobilisierung folgte ein schwacher Abschluss mit hoher Zustimmung. In der Diskussion im Mitgliedernetz (Internetseite von ver.di) drückten viele Beiträge Unzufriedenheit aus, auch in Einzelgesprächen kann man dies feststellen. Woher kam trotzdem die Mehrheit für dieses Ergebnis? Einerseits hat, ähnlich wie im Metallabschluss, die Strategie des Gewerkschaftsvorstands gegriffen: Er hat sehr schnell die Einigung mit den »Arbeitgebern« hergestellt, durch kurze Intervalle der Verhandlungen Diskussionen in der Mitgliedschaft erschwert und das Ergebnis als »alternativlos« hingestellt. Die Resignation an der Basis gab dann wohl den Ausschlag: Es kommt ja doch nichts dabei raus, wenn gestreikt wird; in der Krise muss man das wohl akzeptieren. Gegen solche Vereinnahmungsstrategie von oben muss in Zukunft die Gegenwehr von unten gefunden werden.
Der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen ist – neben dem Abschluss in der Metallbranche – der wichtigste Tarifkonflikt in diesem Jahr. Die IGBCE hat zwar eine deutlich höhere Lohnrunde angekündigt. Insgesamt aber setzten die beiden Großgewerkschaften IG Metall und ver.di die denkbar schlechtesten Signale in der Krise. Stand: 21.3.2010