aus Arpo Nummer 2, 2009

Die Abwälzung der Krisenlasten:

Schwere Angriffe auf die Lohnabhängigen stehen noch bevor

Zerrissen und in sich widersprüchlich, so lässt sich wohl die Stimmung in der arbeitenden Bevölkerung am ehesten charakterisieren. Auf der einen Seite Wut und Empörung auf die Banker und die gierigen Manager. Als Verursacher der Krise werden sie von den Medien und Politikern dargestellt, die damit von den gesellschaftlichen Ursachen ablenken. Auf der anderen Seite Hilflosigkeit und Lähmung, weil die große Mehrheit der Lohnabhängigen zurzeit keine Alternative zur kapitalistischen Krisenlösung sieht. Und die einzige Kraft, aus der eine solche Alternative erwachsen kann, ist noch nicht spürbar: Es ist die praktische Aktion, das gemeinsame Eintreten für die eigenen Klasseninteressen.

In den Branchen, die von der Krise schon voll erfasst wurden, blicken die Belegschaften sorgenvoll in die Zukunft. Zur Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes gesellt sich zugleich die Hoffnung, der Unternehmensführung oder einem Investor möge es gelingen – notfalls mit staatlichen Garantien und Bürgschaften – die Pleite der Firma oder Schließung des Standortes zu verhindern. Sichtbarster Ausdruck dieser Gefühlslage war die Demonstration der Belegschaft in Herzogenaurach, angeführt von ihrer milliardenschweren Chefin Schaeffler und sekundiert von dem IG Metall Vorsitzenden Huber. Es ist schon absurd – ausgerechnet diejenigen, die von Politikern und Gewerkschaftsvorständen für die Krise verantwortlich gemacht werden, sollen jetzt gemeinsam mit ihnen die gefährdeten Arbeitsplätze und Standorte sichern. Geprägt durch jahrzehntelange Erfahrungen verbleibt die große Mehrheit der Lohnabhängigen noch passiv, setzt auf die ihnen vertrauten bisherigen Instrumente sozialpartnerschaftlicher Interessenvertretung. Die Aufklärung/Propaganda linker Gruppen allein wird die Hoffnungen und Illusionen nicht zerstören können. Dazu bedarf es vor allem der eigenen, auch bitteren Erfahrungen, die im weiteren Verlauf der Krise zwangsläufig auf die Beschäftigen und ihre Familien zukommen werden.

Im Gegensatz zur Masse der Lohnabhängigen kennen die Herrschenden ihr Klasseninteresse und handeln danach. Sie wollen auch in der Wirtschaftskrise ihre Stellung als »Exportweltmeister« auf dem internationalen Markt behaupten und ausbauen. »Deutschland wird gestärkt aus der Krise hervorgehen», so fasste Bundeskanzlerin Merkel das Interesse des deutschen Kapitals zusammen. Ohne eine gründliche Marktbereinigung, die massenhafte Vernichtung von Kapital, (Firmenzusammenbrüche und Werksschließungen) wird dieses Ziel nicht zu erreichen sein. In der Krise muss sich das Kapital nicht nur von den für die Profitproduktion überflüssigen Arbeitskräften trennen, sondern auch die Ausbeutung der verbleibenden Lohnarbeiter in jeder Beziehung erhöhen. Denn die Krise erfordert nach kapitalistischer Logik die noch gründlichere Ausbeutung alter Märkte und die Erschließung neuer Märkte – und sei es durch Krieg.

Dieses Ziel fordert staatlicherseits eine Fortsetzung und Verschärfung der mit der Agenda 2010 eingeleiteten Politik tiefer sozialer Einschnitte und einer Absenkung des allgemeinen Lohnniveaus. Der Fortbestand der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist unvereinbar mit der Aufrechterhaltung des bisherigen allgemeinen Lohnniveaus und Lebensstandards. Die Einsparungs- und Kostensenkungsprogramme, die auf breiter Front durchgedrückt werden, zeigen, in welche Richtung die Reise gehen wird.

Die Verantwortlichen in den Unternehmerverbänden und in den Konzernspitzen wissen, dass sie ihre Ziele nicht in einem Schritt durchsetzen können, ohne die Gefahr sozialer Unruhen heraufzubeschwören. Solange die Krise es noch zulässt, setzen die Unternehmensleitungen ihre Interessen scheibchenweise durch. Zunächst wurden die Leih- und Zeitarbeiter, die sich alleine kaum zur Wehr setzen können, auf die Straße gesetzt. Die notwendigen Produktionseinschränkungen versuchen die Chefetagen meist noch ohne Standortschließungen durch Kurzarbeit abzufedern. Die Stammbelegschaften sollen vorerst »geschont« werden. Dabei lassen sich die Firmen einen Großteil der Kosten für ihre »soziale Rücksichtnahme« durch den Staat bezahlen. Nach der Ausdehnung der Kurzarbeiterregelung auf 24 Monate übernimmt die Bundesagentur für Arbeit nach sechs Monaten auch den »Arbeitgeberanteil« der Sozialversicherungsbeiträge.

Das Vorgehen der Unternehmerverbände, noch nicht den großen Knüppel rauszuholen sondern den Abbau schrittweise voranzutreiben, decken sich mit den Eigeninteressen der parlamentarischen Parteien, die sich im September zur Wiederwahl stellen. Bis dahin soll es ruhig bleiben. Bei den Koalitionsparteien als auch bei FDP und Grünen ist die Interessenlage eindeutig, sie stehen im Grundsatz alle hinter der von Schröder eingeleiteten Politik des sozialen Abbaus. Eine Mehrheit in der Linkspartei will die Koalitions- und Regierungsfähigkeit ihrer Partei unter Beweis stellen und fürchtet soziale Konflikte, die sich nicht in parlamentarische Bahnen lenken lassen. Die Konjunkturpakte der Bundesregierung sind deshalb auch ohne grundlegende Kontroversen parlamentarisch abgesegnet worden, wie das Bankenrettungspaket, die Abwrackprämie und zuletzt die Ausdehnung der Kurzarbeit auf 24 Monate. Die Linkspartei kritisierte lediglich den zu geringen Umfang der Konjunkturstützungsmaßnahmen.

Allerdings mehren sich die bürgerlichen Stimmen, die die hohen Kosten der »sozialen Rücksichtnahme« in der Krise, die Weitergabe der Krisenlasten an die arbeitende Bevölkerung in nur homöopathischen Dosen nicht länger mitmachen wollen. Die FDP macht sich zum Sprecher dieser Stimmung. »Das ist die Lizenz zum Ausplündern der Sozialversicherung durch Großunternehmen», polterte der FDP-Abgeordnete Heinrich Kolb über die Verlängerung der Kurzarbeit. Und der Unionsberichterstatter im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales, Peter Rauen (CDU) legte aus Protest gegen diese Zumutung sein Amt nieder und stimmte gegen die Änderung, die auch sonst in den Reihen der Union auf Unmut stieß.

Mit der Beschwörung marktwirtschaftlicher Ordnungsvorstellungen und der Klage über die milliardenschweren Konjunkturprogramme findet die FDP Gehör im Mittelstand und in kleinbürgerlichen Kreisen. Die fürchten nicht zu Unrecht, in der Krise ebenfalls unter die Räder des verschärften Konkurrenzkampfes zu geraten. Die Gründe dafür suchen und sehen sie in zu hohen Löhnen, im Kündigungsschutz, in den »Mitbestimmungsrechten« von Betriebsräten – kurz gesagt, im »Einfluss« der Gewerkschaften und der »Sozialpolitiker« in den Volksparteien. Die FDP fordert dementsprechend weitere Steuersenkungen für ihren Anhang. Der Wunschpartner der CDU/CSU wird nach der Wahl darauf drängen, dass die sozial-darwinistischen Vorstellungen seiner Klientel sich im zukünftigen Regierungsprogramm niederschlagen. Nicht öffentlich erörtert werden soll vorerst, wem die Lasten der »Krisenbewältigung « nach der Bundestagswahl aufgebürdet werden.

Die Hoffnungen in vielen Belegschaften, die mit den Krisengipfeln im Bundeswirtschaftsministerium und im Kanzleramt, mit den Offerten neuer Investoren einhergehen, werden sich nicht erfüllen. Die kaum noch bezifferbaren Summen, die »systemrelevanten« Banken zur Deckung ihrer faulen Papiere und Kredite zur Verfügung gestellt wurden, die Milliardenbürgschaften für Industriekonzerne, die Kosten der Konjunkturpakete reißen tiefe Löcher in die öffentlichen Haushalte. Die Mittel zur Deckung seiner Defizite wird sich der Staat nicht von denen zurückholen, denen er sie zur Stabilisierung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in den Rachen werfen musste. Programme zur Abwälzung der Krisenlasten auf die große Masse der Bevölkerung nach der Bundestagswahl werden deshalb zwangsläufige Folge der eingeleiteten Krisenlösung von oben sein. Zugleich sind sich alle Beobachter und Kommentatoren einig, dass die Folgen der Krise erst in den kommenden Monaten und im nächsten Jahr auf den Arbeitsmarkt voll durchschlagen werden. Bis dahin werden die Belegschaften »weichgekocht«. Sie sind, wie bei Opel, Continental, Schaeffler oder Karstadt usw., einem ständigen Wechselbad der Gefühle, zwischen Hoffen und Bangen, ausgesetzt, wobei die Konkurrenz zwischen den Standorten und in den Belegschaften zunimmt. Das wird von den Unternehmensleitungen genutzt und weiter geschürt. Der Wille und die Möglichkeit zu Widerstand soll zersetzt und untergraben werden.

IGM-Chef Huber sorgt sich um Milliardärin Schaeffler

Schärfere Angriffe, nicht nur auf die sozialen Sicherungssysteme sondern auch auf Arbeitsplätze und Standorte, stehen noch bevor. Die reflexartigen Reaktionen auf die Warnung des DGB-Vorsitzenden Sommer vor sozialen Unruhen zeigen, wie konsequent und rabiat die Profiteure der kapitalistischen Wirtschaftsordnung sowie deren politische Vertreter ihre Interessen notfalls durchsetzen werden. Führende SPD-Politiker distanzierten sich von den Äußerungen ihrer Kandidatin für das Präsidentenamt, Gesine Schwan, und des DGB-Vorsitzenden Sommer. Unions- und FDP-Politiker unterstellten ihnen, solche Unruhen mit ihren Warnungen erst herbeizureden. In die gleiche Kerbe hieben die bürgerlichen Medien. Es soll nicht sein, was im Profitinteresse nicht sein darf. Wenn die Lohnabhängigen den Klassenkampf von oben beantworten, indem sie den Klassenkampf von unten aufnehmen, dann werden sie nicht nur auf den Widerstand von Unternehmensverbänden und Konzernleitungen stoßen, sondern auch auf den staatlichen Repressionsapparat. Mit einer Ausweitung der Lausch- und Spähangriffe, mit einer Verschärfung des Versammlungs- und Demonstrationsrechtes, wie in Bayern und Baden-Württemberg schon eingeführt, mit der Diskussion und dem bereits in Heiligendamm praktizierten Einsatz der Bundeswehr im Innern bereiten sich die Herrschenden und die bürgerlich-parlamentarischen Parteien auf zukünftige Auseinandersetzungen vor.

Ebenso wie die parlamentarischen Parteien fürchten auch die Gewerkschaftsvorstände und die von ihnen kontrollierte Bürokratie soziale Unruhen. Die Warnung des DGB-Vorsitzenden war dann auch nicht als Drohung gemeint, sondern entsprach den eigenen Befürchtungen. Soziale Unruhen, ein konsequent von unten geführter Klassenkampf würde die politische Ausrichtung der Gewerkschaften, die sozialpartnerschaftlichen Instrumente und die damit verbunden Posten und Funktionen in Frage stellen und überflüssig werden lassen.

Sozialpartnerschaft in Zeiten der Weltwirtschaftskrise:

Gesamtmetallpräsident Kannegießer gibt die Linie vor, der die Gewerkschaftsvorstände im Grundsatz folgen: »Auch diese Krise lösen wir nur gemeinsam oder gar nicht ... Wir müssen begreifen: In einer schrumpfenden Wirtschaft wird das Einkommen aller ein Stück sinken. Die Betriebsräte können helfen, indem sie die tariflichen Möglichkeiten zur Kostenentlastung nutzen ... Die Gewerkschaften sollten solche Maßnahmen unterstützen – Arbeitsplatzsicherung hat jetzt Vorrang vor Einkommenssicherung!» Das Kapital nutzt die gemeinsame »Krisenlösung» mit den Gewerkschaften, um die Belegschaften ruhig zu halten. Und die Gewerkschaftsspitzen sehen sich darin bestätigt. Sie werden in dieser Gesellschaftsordnung noch gebraucht werden und als Verhandlungspartner akzeptiert. Ihnen fällt die Aufgabe zu, den Belegschaften die Maßnahmen der Unternehmensleitungen als alternativlos zur Rettung des Unternehmens, der Standorte oder der verbliebenen Arbeitsplätze zu verkaufen.

Wir haben uns in der letzten Ausgabe der Arbeiterpolitik ausführlicher mit der Rolle der Gewerkschaften in Krisenzeiten auseinandergesetzt, mit dem Selbstverständnis der Vorstände und der Apparate als Organe der sozialpartnerschaftlichen Klassenzusammenarbeit. Auch damals gingen wir bereits auf die Vereinbarung zwischen dem IG Metall-Vorstand und der Schaeffler-Gruppe ein. Gründlicher als wir dies vor drei Monaten in Worten konnten, wurden die Erwartungen und Versprechungen, die IGM-Chef Huber den Gewerkschaftsmitgliedern und der Belegschaft machte, von den inzwischen geschaffenen Tatsachen widerlegt. Erinnern wir uns: »Ziel der IG Metall ist die Sicherung der Arbeitsplätze und Standorte bei Continental und Schaeffler. Diese Vereinbarung ist ein Grundstein für eine gute Zukunft der Unternehmensgruppe. ... Beide Seiten werden alles dafür tun, dass es nicht zu betriebsbedingten Kündigungen kommt. Sie werden gemeinsam an einer Strategie arbeiten, mit der die Standorte gesichert und weiterentwickelt werden können.« So verlautete es damals in der gemeinsamen Vereinbarung bzw. Pressekonferenz.

Bereits vier Wochen später kündigte Continental die Schließung verschiedener Standorte an, was zu teils heftigen Reaktionen vor allem in den französischen Werken führte (siehe Bericht auf Seite 11). Und Spiegel Online meldete am 8. Mai 2009 zu den Abbau-Plänen bei Schaeffler: »Weltweit stehen demnach 8000 Stellen der insgesamt 66.000 Arbeitsplätze zur Disposition. Deutsche Standorte, an denen rund 28.000 Männer und Frauen beschäftigt seien, wären damit von dem jetzt anstehenden Stellenabbau überproportional stark betroffen, hieß es [4.500 Arbeitsplätze sollen in Deutschland abgebaut werden]. Zuvor hatte es bereits im Ausland erste Stellenstreichungen von bis zu 5000 Jobs gegeben.«

Nachdem die Übernahmepläne der Schaeffler-Gruppe offensichtlich gescheitert sind, soll der Zusammenschluss jetzt unter der Federführung von Continental vorangetrieben werden. Auf jeden Fall haben die Banken, welche die Übernahme durch Kredite absichern sollten, inzwischen das Sagen. Der IG Metall-Vorstand hat sich nicht nur zum Spielball unternehmerischer Interessen machen lassen, er hat sich auch noch dem falschen Herren (im konkreten Fall der falschen Dame) angedient.

Standortsicherung durch Kurzarbeit und Lohnverzicht?

Vor allem in der Automobil- und deren Zulieferindustrie versuchen die IG Metall und die Konzernbetriebsräte mit Zugeständnissen bei den Löhnen und der Arbeitszeit sich Standortgarantien zu erkaufen. Doch die Garantien der Konzerne, die sich früher auf drei, fünf oder mehr Jahre erstreckten, reichen allenfalls bis in den Sommer 2010. Und sie stehen unter dem Vorbehalt, dass sich die wirtschaftlichen Bedingungen nicht weiter verschlechtern. Wie bei allen Verträgen gilt auch hier, sie haben nur so lange Bestand, wie die ihnen zugrunde liegenden Kräfteverhältnisse.

Dies wird am Fall Daimler exemplarisch deutlich: 2004 gelang es der Geschäftsleitung ein Sparprogramm in Höhe von 500 Mio Euro durchzudrücken. Die Zukunftssicherungsvereinbarung – damals auch »Erpresswerk» genannt – sah eine Arbeitsplatzgarantie bis ins Jahr 2011 vor. Doch die »Garantie«, mit der die Belegschaft auf die Sparmaßnahmen eingestimmt wurde, hat angesichts der Krise keinen Bestand mehr. Daimler nutzte die üblichen Ausstiegsklauseln, um bereits zwei Jahre früher seinen Beschäftigten eine neue Sparrunde zu verordnen. Auf 2 Milliarden Euro – vier Mal so viel wie damals – sollen die KollegInnen verzichten. Der Gesamtbetriebsrat stimmte auch diesmal zu. Doch die Gegenleistung fiel noch magerer aus als vor fünf Jahren.

Die IG Metall und der Vorsitzende des Konzernbetriebsrates vermelden als Erfolg, dass betriebsbedingte Kündigungen abgewendet worden seien, die nach 2004 eingestellten Kollegen eine Arbeitsplatzsicherung für ein Jahr und die Ausgelernten einen Zeitarbeitsvertrag erhalten. Die vom Konzernbetriebsrat ausgehandelte »Gerechtigkeit« dient als Schmiermittel bei der Belegschaft: Auch bei Führungskräften werden die Entgelte gesenkt. Wie lange wird diese Vereinbarung Bestand haben – ein Jahr oder nur bis zur Bundestagswahl im Herbst?

In Sachen Verzicht spielt der IGM-Pilot-Bezirk Baden-Württemberg den Vorreiter: Hier wurden per Tarifvertrag befristete Arbeitsverträge bis zu vier Jahre zugestanden (gesetzliche Regelung zwei Jahre). Außerdem soll Qualifizierung während der Kurzarbeitsphase nicht als Arbeitszeit gelten.

Noch hält die Abwrackprämie die Produktion von Kleinwagen hoch. Das Kurzarbeitergeld wird bis zu 24 Monaten gezahlt. Auch die Kollegen, die Kurzarbeit wie Urlaub empfinden, spüren das Minus in ihrem Geldbeutel und fragen sich besorgt: Wie geht’s danach weiter? Schon vor der Wirtschaftskrise wurden die Überkapazitäten in der weltweiten Automobilproduktion auf 25 bis 30 Prozent geschätzt. Der Absatz ist seither weiter gesunken. Das wird sich nach dem Strohfeuer durch die Abwrackprämie fortsetzen. Im nächsten Jahr wird die globale Produktionskapazität wohl doppelt so hoch sein wie der voraussichtliche Absatz. Der Abbau von Überkapazitäten steht erst am Anfang. Zahlreiche Automobilhersteller, etliche Standorte und Modelle werden diesem Abbau zum Opfer fallen.

Die Strategie der IG Metall und der Konzernbetriebsräte wird das nicht verhindern, höchstens aufschieben können – zu einem hohen Preis: Mit den Zugeständnissen wird das Lohnniveau weiter abgesenkt und die Konkurrenz unter den Belegschaften verschiedenster Hersteller und Standorte weiter angeheizt.

Durch Ausweitung der »Mitbestimmung« Arbeitsplätze sichern?

»In der Schaeffler-Gruppe wird die Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – vergleichbar einer Aktiengesellschaft – eingeführt. Dieser Grundsatz gilt unabhängig von der zukünftigen Rechtsform der Schaeffler KG.« Das feierte die IG Metall im Februar 2009 als einen Riesenerfolg, seien damit doch die Mitwirkungs- und Einflussmöglichkeiten der Belegschaft gewachsen. Doch die Erfahrungen mit der Mitbestimmung in bundesdeutschen Betrieben zeigen eine andere Realität.

Angelegenheiten der Aufsichtsräte wurden von den Gewerkschaften schon immer als »vertraulich« behandelt. Ihre Vertreter sind nach Gesetz an das Wohl des Unternehmens gebunden und sehen zwischen diesem und den gewerkschaftlichen Interessen der Belegschaft auch keinen Widerspruch. Der wachsende ökonomische Druck in der Krise verstärkt die Tendenz nur noch für die Interessen des »eigenen« Unternehmens und dessen Überlebensfähigkeit einzutreten. Im Kern unterscheidet sich die Politik der gewerkschaftlichen Aufsichtsräte nicht von denen der Konzernbetriebsratsspitzen. Auch die sind gesetzlich dem Wohl des Unternehmens verpflichtet und agieren, ihrem Selbstverständnis folgend, als Co-Manager. Dadurch wird die Gewerkschaft als überbetrieblicher Zusammenschluss von lohnabhängig Beschäftigten ad absurdum geführt.

Der IGM-Vorsitzende Bertold Huber fordert jetzt einen Branchenrat »automobile Zukunft«, in dem Gewerkschaften, Industrieverbände und Unternehmen zusammenarbeiten. Die Einbindung der betrieblichen Mitbestimmungsträger in die Konzernpolitik soll damit seine Ergänzung auf Branchenebene finden und das gemeinsame, überbetriebliche Handeln der Belegschaften ersetzen. Wozu brauchen Gewerkschaftsführer in einem Branchenrat noch aktive Gewerkschaftsmitglieder? Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser, der das Modell der deutschen Betriebsverfassung und der betrieblichen Mitbestimmung lobt, hat nur Spott übrig, wenn er sagt, die Gewerkschaft predige »eine Art Räterepublik«, in der vor allem die Mitwirkung der Funktionäre gestärkt werden solle.

Kapitalbeteiligung – der gewerkschaftlichen Weisheit letzter Schluss?

Beim krisengeschüttelten Autobauer Opel hat der Betriebsrat schon einen Plan vorgelegt, wonach die Beschäftigten auf Lohn verzichten und dafür Kapitalanteile erwerben sollen. Wo es keine wirtschaftlichen Spielräume mehr gebe, »bleibt als letzte Option die Kapitalbeteiligung«, meint IGM-Vize Wetzel. Im Daimler-Sparprogramm wird schon jetzt an der Realisierung einer Variante gearbeitet: Die Ergebnisbeteiligung für die Kollegen für das vergangene Jahr soll in ein Mitarbeiter-Kapitalbeteiligungsmodell eingebracht werden.

Lohnansprüche der Belegschaft in der Gegenwart sollen in mögliche Gewinnansprüche in der Zukunft umgewandelt werden – was dem Betrieb kurzfristig eventuell überlebenswichtige Liquiditätsspielräume verschaffen soll. Der IG BCE-Vorsizende Schmoldt sieht mehr: Im Idealfall lasse sich in den Unternehmen so »eine neue Vertrauensebene schaffen». Also die Belegschaft für den Kapitalismus vereinnahmen, indem die Beschäftigten Aktionäre werden. Doch Schmoldt kennt auch einen Grund für Vorbehalte in den Belegschaften: Das Risiko eines Totalverlusts.

Mit der Kapitalbeteiligung sollen sich die Beschäftigten als Aktionäre für höhere Dividenden durch höhere Produktivität einsetzen – mit weniger Personal soll mehr produziert werden. Und als Beschäftigte wehren sie sich gleichzeitig gegen höhere Ausbeutung durch Intensivierung der Arbeit und gegen ihre drohende Entlassung? Oder soll lieber der Kollege nebenan entlassen werden? Die Kollegen sollen also den grundlegenden Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit in sich vereinigen. Das Ziel derartiger Modelle läuft darauf hinaus: Die Belegschaften sollen nicht als Lohnabhängige, sondern als Miteigentümer denken und handeln. Sie sollen sich die Vorstellungen ihrer Betriebsratsfürsten und Spitzenfunktionäre zu Eigen machen. Und die basteln anscheinend schon an ihrer Rolle als zukünftige »Miteigentümer.» »Mitarbeiterkapitalbeteiligung – gibt es Aktien? Geplant ist ein Fondsmodell, in das die Beiträge der Beschäftigten als Einlage einfließen. Das bedeutet, es wird keine Aktien geben, über die individuell verfügt werden kann. Die Details, wie das Modell aussehen kann und wie die Beteiligungsrechte der Beschäftigten wahrgenommen werden können, befinden sich noch in der Ausarbeitung.« (aus: IGM im Betriebsrat informiert, Ausgabe 3/8.6.2009) Die IGM und deren Betriebsräte als Mitunternehmer – so kann man sich als Gewerkschaft selbst überflüssig machen.

Verteidigung der kapitalistischen Eigentumsordnung oder eigenständige Verteidigung der Arbeitsplätze

Wie anfangs schon erwähnt, erfordert eine Krisenlösung im Sinne der kapitalistischen Wirtschaftsordnung den Abbau von Produktionskapazitäten. Dadurch soll, nach einer Marktbereinigung, die Spirale von verschärfter Ausbeutung und Konkurrenz wieder in Gang gesetzt werden - bis zum nächsten Crash. Tatsächlich würde eine Auseinandersetzung um Betriebe und Standorte, die sich von den Interessen der Beschäftigten und der örtlichen Bevölkerung leiten ließe (und nicht von der »ökonomischen Vernunft», sprich der kapitalistischen Logik), an die Grenzen unserer Eigentumsordnung stoßen. Die Vorstände der Gewerkschaften fürchten den gewerkschaftlichen Kampf um den Erhalt von Standorten, denn der ist mit der Frage der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel verknüpft. Und, er birgt die Gefahr einer Radikalisierung/Politisierung in sich. Denn in den Abwehrkämpfen zum Erhalt ihrer Arbeitsplätze werden den Betroffenen zugleich die politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge vor Augen geführt, siehe die Erfahrungen bei AEG, CNH oder BSH.

Mit den gewerkschaftlichen Rezepten der Krisenlösung, wie von deren Vorständen propagiert, sollen die Belegschaften deshalb noch enger an die Interessen des Kapitals gebunden werden. Ihnen ist die Rolle des passiven Zuschauers zugedacht, während andere über ihr Schicksal entscheiden. Falls nötig, dürfen sie hin und wieder ihren Frust und ihre Empörung praktisch zum Ausdruck bringen - um Dampf abzulassen. Eine wirkliche Einflussnahme der Betroffenen auf die Entscheidungen sehen die gewerkschaftlichen Konzepte der Krisenlösung nicht vor.

»Wir können uns seriöserweise in der schwersten Wirtschaftskrise nicht hinstellen und sagen, dass jeder Arbeitsplatz erhalten werden muss«, so äußerte sich der für Schaeffler zuständige IGM-Funktionär Müller. Für die Kapitalseite ist diese Klassenzusammenarbeit die Möglichkeit, die Lasten der Krise möglichst geräuschlos und elegant auf die Lohnabhängigen abzuwälzen. Es ist dabei nicht allein das persönliche Agieren von Betriebsratsfürsten und Gewerkschaftsfunktionären, das den Konzernleitungen und Unternehmerverbänden in die Hände spielt. Die herrschende Klasse kann das gesamte Modell der bundesdeutschen Mitbestimmung mit seinen Institutionen als Instrument nutzen. Die Gewerkschaftsfunktionäre, ob aus dem Apparat oder den Betriebsräten, spielen darin das Sprachrohr, das die Kolleginnen und Kollegen auf die notwendigen Opfer einschwört.

Auch wenn die Unternehmer die Instrumente der bundesdeutschen Sozialpartnerschaft zur Abwälzung der Krisenlasten auf die Belegschaften nutzen können, so sind sie deshalb noch lange keine glühenden Verfechter des Mitbestimmungsmodells. Sie nutzen es taktisch, solange sie daraus Vorteile ziehen können. Wo sie es als überflüssig, störend oder hinderlich betrachten, haben sie keine Skrupel es zu umgehen, auszuhebeln oder notfalls auch abzuschaffen. Die Anpassung von Betriebsräten und gewerkschaftlichen Spitzenfunktionären ist auf Dauer keine Garantie dagegen, solange die herrschende Klasse sicher sein kann, dass die Gewerkschaften Angriffe auf ihre Rechte nicht mit Kampf, sondern mit Bittgängen und weiteren Zugeständnissen beantworten. Im Wesentlichen wird das Mitbestimmungsmodell, wie wir es aus vergangenen Jahrzehnten kennen, nur noch in den Großbetrieben der Chemie- und Metallindustrie praktiziert. In vielen Bereichen der Dienstleistung (z.B. Einzelhandel, Gaststätten, Sozialarbeit, kirchlichen Trägern), in zahlreichen Mittel- und Kleinbetrieben als auch in Regionen Ostdeutschlands gibt es längst gewerkschafts- und mitbestimmungsfreie Zonen.

Die sozialpartnerschaftliche Klassenzusammenarbeit ist aber nicht nur institutionell verankert; sie prägte über Jahrzehnte das Denken und Handeln unter den Lohnabhängigen. Durch die Wirtschaftskrise wird es in vielen Köpfen in Frage gestellt. Überwunden werden kann sie aber nur in der Praxis, durch den Klassenkampf selbst. Ohne ihn sind die Fesseln, die den Lohabhängigen an das Wohl und Wehe (den Profit) seines Ausbeuters binden, nicht zu sprengen. Die Fragen nach der kapitalistischen Wirtschafts- und Eigentumsordnung, nach der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel begleiten den Klassenkampf in Zeiten der Wirtschaftskrise. Wir können uns um diese Fragen nicht herummogeln, wenn es gilt eine Alternative zur praktizierten Sozialpartnerschaft aufzuzeigen und ihr auch zum Erfolg zu verhelfen.

Ähnliches gilt für die Frage der Arbeitszeit. Sie wird von den Unternehmern »gesellschaftlich« reduziert, indem Hunderttausende auf die Straße gesetzt oder in Kurzarbeit geschickt werden. Auch hier stehen die Gewerkschaften außerhalb des Gefechts, indem sie auf die Formulierung eigenständiger Positionen und Forderungen bisher verzichten (siehe den Beschluss der Delegiertenversammlung der IGM Frankfurt/Main, S. 6).

Auf den folgenden Seiten berichten wir über Angriffe und Gegenwehr in verschiedenen Branchen und Betrieben. Die Kenntnis der konkreten Ausgangsbedingungen und Bewegungen ist Voraussetzung, um in den Köpfen und mit den abhängig Beschäftigten zu diskutieren und politische Schlussfolgerungen zu ziehen. 1. Juli 09

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