aus Arpo Nummer 1, 2009

Wirtschaftskrise, Arbeitskämpfe und die Rolle der Gewerkschaften

Der drohende Zusammenbruch des Finanzmarktes und die Weltwirtschaftskrise – an deren Beginn wir stehen – haben die Ausgangsbedingungen für gewerkschaftliche Auseinandersetzungen um Lohn und Arbeit radikal verändert. Von der Aufbruchsstimmung, wie sie im Bahnerstreik 2007/08 oder mit den Lohnforderungen für den Öffentlichen Dienst im Frühjahr und für die Metallindustrie im Herbst 2008 zum Ausdruck kam, ist nichts geblieben. Noch nie in der Geschichte von Lohntarifverhandlungen in der Bundesrepublik klafften Ausgangsforderungen und Abschlüsse derart weit auseinander. Die von der Krise zuerst betroffenen Branchen bilden den Vorreiter bei der Abwälzung der Krisenlasten auf die Beschäftigten.

Im September 2008 haben die zuständigen Gremien von ver.di die bereits beschlossene Urabstimmung und den Streik bei den Banken ohne Gegenleistung abgesagt. Von Protesten der Beschäftigten dagegen ist öffentlich nichts bekannt geworden. Die Bankangestellten und ihre zuständige Gewerkschaft blieben passive Zuschauer der Krisenlösung von oben; die Lasten haben die Beschäftigten mit Lohnverzicht oder dem Verlust ihrer Arbeitsplätze zu tragen.

Nicht ganz so verheerend verlief die Metall-Tarifrunde. Aber von den geforderten 8 Prozent wurden auf ein Jahr umgerechnet gerade mal 2,8 Prozent durchgesetzt. Selbst dieses magere Ergebnis lässt erneut betriebliche Ausnahmemöglichkeiten zu, die von den Unternehmensleitungen mit ihren kooperationswilligen Betriebsräten eingeführt oder notfalls mittels Arbeitsplatz-Erpressung gegen die Betriebsräte durchgesetzt werden können. Es ermöglicht den Unternehmen, die zweite Stufe der Anhebung von 2,1 Prozent für 7 Monate auszusetzen. Für etliche Belegschaften wird im Ergebnis also nicht mehr herauskommen als die vor der Warnstreikwelle bereits angebotenen 2,1 Prozent. In einzelnen Betrieben wurde zwar Unmut und Kritik am Abschluss geäußert. Eine massive Protestwelle, die die IGM-Führung unter Druck setzen konnte, gab es aber nicht.

Ein drittes Beispiel sind die Lohntarifverhandlungen bei der Deutschen Bahn. Unter dem Druck einer breiten Unzufriedenheit der Transnet-Mitglieder über ihren Vorstand wurde gegen dessen Empfehlung noch im Herbst 2008 die Forderung nach einer zehnprozentigen Loherhöhung beschlossen. Das Ergebnis: 4,5 Prozent in zwei Schritten bei einer Laufzeit von 18 Monaten, d.h. auf ein Jahr gerechnet 3 Prozent. Auch bei der Bahntarifrunde schlug sich die veränderte Ausgangslage nieder. Von der kämpferischen Stimmung während des GDL-Streiks, die nicht nur das Fahrpersonal erfasst hatte, war Anfang 2009 nichts mehr zu spüren.

Tatsächlich kann keine Gewerkschaft, egal wie kampfstark sie auch sein mag, das Gesetz von Angebot und Nachfrage innerhalb der kapitalistischen Ordnung aufheben. Auch die Arbeitskraft ist eine Ware, deren Nachfrage in Krisenzeiten sinkt. Drohende Firmenzusammenbrüche und Massenentlassungen erhöhen so zwangsläufig den Druck auf die Lohn- und Arbeitsbedingungen, wodurch die Möglichkeiten und Erfolgsaussichten des gewerkschaftlichen Tarifkampfes schlechter werden. Allein mit der Verweigerung der Arbeitskraft, um den Lohn zu halten oder zu erhöhen, lässt sich in der Krise nicht mehr genügend Druck aufbauen. Das Mittel des rein gewerkschaftlichen Arbeitskampfes wird stumpf, wenn die Produktion durch Freischichten und Kurzarbeit gedrosselt werden muss; die Beschäftigten würden mit der gewerkschaftlichen Streikunterstützung nur ein Teil der Kosten selbst tragen, ohne das Unternehmen dadurch ökonomisch treffen zu können.

Dies gilt nicht nur in Konzernen und Betrieben, die ums Überleben kämpfen. Der Abbau von Löhnen und Arbeitsplätzen setzt sich als allgemeine Notwendigkeit der Krisenlösung durch, dem sich auch die »gesunden«, aus dem Konkurrenzkampf als Sieger hervortretenden Konzerne nicht entziehen können. Und welches Unternehmen weiß schon am Beginn der Krise, ob sie aus dieser gestärkt hervor- oder untergehen wird. Zugleich wächst die Konkurrenz unter denen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, wenn diese nicht mehr nachgefragt wird. Die Unzufriedenheit mit den Lohn- und Arbeitsbedingungen tritt zurück hinter die Ängste um den Arbeitsplatz. Viele Beschäftigte sind bereit bzw. sehen sich gezwungen mehr »Kröten zu schlucken«, in dem Glauben, dadurch ihren Arbeitsplatz erhalten und »ungeschoren« davonkommen zu können.

Die sich entwickelnde Weltwirtschaftskrise trifft die abhängig Beschäftigten völlig unvorbereitet. Zwar wächst der Unmut über die bestehende Verhältnisse und Ungerechtigkeiten und damit zugleich auch die Bereitschaft sich mit antikapitalistischen Kritiken und Positionen auseinander zu setzen. Die Frage, wie kann in der Zukunft eine erfolgreiche Interessensvertretung aussehen, ist damit aber noch nicht beantwortet. Die Erfahrungen der letzten fünf Jahrzehnte, gewonnen im Rahmen sozialpartnerschaftlicher Tarifauseinandersetzungen, helfen allein nicht mehr weiter. Die Wirtschaftskrise hat der gewohnten gewerkschaftlichen Interessenvertretung den Boden entzogen; sie hat zugleich die Frage nach der Haltung der Gewerkschaften zur bestehenden kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auf die Tagesordnung gesetzt.

Gewerkschaften: Ordnungsfaktor in Krisenzeiten

Interview des »Tagesspiegel« vom 13. Oktober 2008: »Frisst sich der Kapitalismus gerade selbst auf, Herr Sommer?« Der DGB-Vorsitzende antwortet: »Nein, wir erleben nicht das Ende der Marktwirtschaft. Das kann sich auch niemand wünschen, denn sie ist immer noch das beste Wirtschaftssystem, das es gibt. In diesem System werden selbstverständlich Gewinne gemacht. … Ich verteidige ein verantwortungsvolles Gewinnstreben. Was dagegen jetzt völlig zu Recht zusammenbricht, sind der Casino-Kapitalismus und seine Shareholder-Value-Ideologie.«

Mit dieser Meinung steht der DGB-Vorsitzende nicht allein. Er repräsentiert ein Selbstverständnis, das die Führungsetagen und Apparate der Gewerkschaften prägt und ihr Handeln bestimmt. So bestehen zwischen den offiziellen Erklärungen, Wünschen und Appellen der Gewerkschaften und den Versprechungen, Ankündigungen und Maßnahmen der großen Koalition keine wirklichen Gegensätze, allenfalls Differenzen im Detail. Publikumswirksam wird die »maßlose Gier der Bankmanager« an den Prangergestellt während sie zugleich Bürgschaften und direkten Finanzspritzen in Höhe von 500 Milliarden Euro gegen den Zusammenbruch der maroden Finanzinstitute zustimmen. Der Erhalt der Marktwirtschaft liegt den Vertretern der Regierungsparteien ebenso am Herzen wie den Gewerkschaftsvorständen.

»Ja, es war richtig, den Zusammenbruch der Banken und Finanzinstitute zu verhindern. Denn wir wollen nicht, dass Zehntausende unserer Kolleginnen und Kollegen bei Banken und Versicherungen arbeitslos werden. Wir sind auch nicht so gewissenlos wie Topmanager und Spekulanten, denen es egal ist, ob Millionen kleiner Sparer und Besitzer von Wertpapieren auf einmal ihr Geld verlieren.« (Redebausteine für Betriebs- und Personalversammlungen, Abteilung Politik und Planung beim Bundesvorstand der ver.di)

Die Krise beschleunigt die Konzentration. Noch mächtigere Finanzimperien mit der entsprechenden politischer Macht werden entstehen; während Zehntausende – trotz der verantwortungsvollen Haltung der Gewerkschaft – ihre Arbeitsplätze verlieren. Warum hat ver.di seine Zustimmung zum Bankenrettungsplan nicht zumindest mit der Forderung verknüpft, dass Banken, die öffentliche Zuschüsse oder Absicherungen erhalten, keine Arbeitsplätze abbauen dürfen? Der ver.di-Vorstand will sich durch konkrete Forderungen nicht in einen Konflikt mit der Bundesregierung begeben und ausschließen, dass er von seinen Mitgliedern beim Wort genommen werden könnte.

Bittsteller der Regierung

Gewerkschaftliche Forderungen, soweit überhaupt von den Vorständen erhoben, bewegen sich deshalb im Rahmen der Parlamentsdebatten; sie bleiben vor allem ohne Konsequenzen für die gewerkschaftliche Tagespraxis. Sie zielen, wie auch die Beschlüsse der Bundesregierung, auf die Stärkung der abstürzenden Nachfrage. Ein von den Gewerkschaften angemahntes Konjunkturprogramm wurde ebenso beschlossen, wie die vom IGM-Vorstand geforderte Abwrackprämie für Alt-Autos. Ebenfalls verabschiedet die Ausdehnung der Kurzarbeit von bisher 6 auf 12 Monate. So soll verhindert werden, dass die drohenden Entlassungswellen noch vor der Bundestagswahl im September den Unmut verstärken und zu sozialen und politischen Unruhen führen.

Die Vertreter der Regierung und der parlamentarischen Parteien als auch die Repräsentanten der Gewerkschaften, die als Bittsteller gegenüber der Regierung auftreten, sind zu Getriebenen der sich rasant beschleunigenden Abwärtsspirale geworden. Die eilig beschlossenen Stützungsmaßnahmen für die marode Finanzwirtschaft, deren Kosten niemand benennen und voraussehen kann, werden begleitet von den Rufen nach öffentlichen Milliardensubventionen und Bürgschaften, um auch die angeschlagenen Automobilhersteller und -zulieferer vor dem drohenden Konkurs zu bewahren. Im Zentrum stehen momentan die geforderten Finanzspritzen für Opel.

Dabei sind sich die Fachleute und Beobachter des Automobilmarktes einig. GM und Opel sind de facto längst pleite. Nur traut sich noch keine Regierung zu Beerdigung zu laden, weil sie sich vor den möglichen sozialen und politischen Beben fürchten. Sie versuchen Zeit zu gewinnen,

Feuer und Eier für Conti

Nach drastischen Nachfrageeinbrüchen plant der Autozulieferer das Aus für die Reifenproduktionen im Stammwerk Hannover und will ein Werk Clairoix in Frankreich schließen. Für die 1120 Conti-Mitarbeiter soll es hier bald keine Arbeit mehr geben. Das Ende des Werks nördlich von Paris würde in Frankreich den größten einzelnen Arbeitsplatzverlust seit Beginn der Wirtschaftskrise bedeuten. Conti hatte 2007 für Clairoix eine Rückkehr zur 40-Stunden-Woche ausgehandelt – bei einer gesetzlichen Arbeitswoche von 35 Stunden. Dafür hatten die Mitarbeiter eine Arbeitsplatzgarantie bis 2011 erhalten. Doch die französische Belegschaft ist kampfbereit, wirft mit Eiern und verbrennt Reifen des verhassten Noch-Arbeitgebers. In Gewerkschaftskreisen wird vermutet, dass der Konzern die Gelegenheit nutzt, um die Produktion in Länder mit billigeren Lohnkosten zu verlagern. (aus: Spiegel-Online)

um es den Konzernführungen zu ermöglichen, die notwendigen Einschnitte in der Automobilindustrie mit den Gewerkschaften zusammen scheibchenweise, ohne größere Unruhen, vorzunehmen.

Differenzen in den Gewerkschaften

So wie es Differenzen innerhalb und zwischen den parlamentarischen Parteien über Umfang und Ausgestaltung der Konjunkturpakete oder einen Staatseinstieg bei den Banken gibt, so auch innerhalb des DGB über die nächsten konkreten Schritte und Forderungen. Den Kern, die Ursache der gegenwärtigen Krise, berühren diese Meinungsverschiedenheiten allerdings nicht.

Die Differenzen in den Gewerkschaften verlaufen analog zu denen in der SPD und zwischen SPD und der Linken – zwischen den so genannten Modernisierern und den Traditionalisten, die an alten sozialdemokratischen Grundwerten festhalten wollen. Die Transnet- und die IGBCE-Führung hatten sich schon in der Vergangenheit als wichtige Stützen der Schröderschen Agenda-Politik betätigt. Sie unterstützen jetzt folgerichtig die Bestrebungen, die große Koalition fortzusetzen. Für die in ihrem Organisationsbereich angesiedelten Konzerne sind sie auf parlamentarischer Ebene als Lobbyisten aufgetreten. Jüngstes Beispiel, das »System Hansen«, ohne dessen Lobbyarbeit vor allem innerhalb der SPD, der Beschluss zum Börsengang der DB AG wohl nicht so reibungslos durchzusetzen gewesen wäre. Der Bahn-Privatisierung wurde der gewerkschaftliche Segen durch den Transnet-Vorstand erteilt.

Mit diesem Modell der »Interessenvertretung« in engster Kooperation mit dem Kapital verzichten die Gewerkschaftsführungen weitgehend auf die Formulierung eigener Interessen und Standpunkte gegenüber dem Unternehmerlager, solange nicht die Stimmung an der Basis zu verbalen Bekenntnissen zwingt. Das Modell hat sich in den letzten Jahren auch im IG Metall-Apparat durchgesetzt. Unter der Überschrift »Die IG Metall handelt« formuliert der Vorstand im Dezember 2008: »Die IG Metall wird in der Krise alle gewerkschaftlichen Aktionsinstrumente nutzen. Mit Kurzarbeit, Arbeitszeitkonten, Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung und »Pforzheimer Abkommen« steht den Betrieben und Unternehmen ein umfangreicher betrieblicher und tarifpolitischer Instrumentenkasten zur Verfügung, um 2009 Entlassungen zu vermeiden. Die IG Metall fordert die Unternehmen auf, diese Instrumente aktiv zu nutzen.« Mit anderen Worten, die IG Metall bietet sich an als Partner bei der betrieblichen Kostensenkung – also beim Abbau tariflicher Standards und Löhne. Das eigene »Handeln« beschränkt sich auf den Appell an die Unternehmer, die notwendigen Sparmaßnahmen unter Einbeziehung der Gewerkschaft und nicht gegen ihre organisatorischen Eigeninteressen durchzusetzen. Träger dieser Linie in der IGM sind vor allem die Betriebsratspitzen in den großen Konzernen, die zunehmend die gewerkschaftliche Praxis und Tarifpolitik bestimmen. Sie agieren als Co-Manager und Lobbyisten »ihres« Unternehmens.

Die Betriebsratsspitzen, unterstützt von der IG Metall, verstehen sich dabei als »Interessenwahrer« der Kernbelegschaften, die sie in Kooperation mit ihrer Konzernführung versuchen über die Krise zu retten. Mittlerweile wurden über 100.000 Leiharbeiter und Beschäftigte von Fremdfirmen in der Automobil- und Zulieferindustrie auf die Straße gesetzt. Für sie wurde keine Kurzarbeit vereinbart, die doch dazu dienen soll, Entlassungen und somit Arbeitslosigkeit zu verhindern. Die Passivität und das Desinteresse gegenüber den Leiharbeitern, die vor ihrem Rausschmiss schon Arbeiter zweiter Klasse waren, wird die Kluft sich Beschäftigten und Erwerbslosen zusätzlich vertiefen. Sie leistet gewerkschaftsfeindlichen Einstellungen und Tendenzen unter den Ausgestoßenen Vorschub.

Sozialdemokratische Rezepte der Krisenlösung

Im Gegensatz zu den führenden Kräften bei IGBCE, Transnet und IGM, die den politischen Wandel der SPD auf der gewerkschaftlichen Ebene nachvollzogen haben, stehen Teile von ver.di. Sie gruppieren sich um den beim Bundesvorstand angesiedelten Bereich Wirtschaftspolitik, sind Mitglied oder Anhänger der Linspartei oder auf dem linken Flügel der SPD angesiedelt. Wie die Linkspartei auf parlamentarischer Ebene, so betrachten sich diese Funktionäre in den Gewerkschaften als Hüter sozialdemokratischer Grundwerte. Sie wollen, im Gegensatz zu den »Modernisieren«, nicht auf die Formulierung und Durchsetzung eigenständiger gewerkschaftlicher Positionen und Forderungen verzichten – allerdings auf dem Boden der bewährten Sozialpartnerschaft.

»Mehr Markt und weniger Staat – dieses Leitbild marktradikalen Denkens hat ausgedient – jetzt brauchen wir mehr Staat und Märkte, die nach festen Regeln funktionieren. … Wir wollen eine Politik, die entschieden Ausgrenzung und Armut bekämpft und nicht die notwendigen Investitionen zu Lasten des Sozialhaushaltes und der Kommunen finanziert. Die massive Umverteilung von unten nach oben, die in den letzten 20 Jahren von Wirtschaft und Politik durchgesetzt wurde, muss gestoppt und rückgängig gemacht werden. Der wachsende Reichtum, den wir alle zusammen erarbeiten, muss den Beschäftigten und ihren Familien, den Rentnerinnen und Rentnern und den Erwerbslosen zugute kommen. Er darf nicht in die Taschen von Reichen und Unternehmen fließen, die damit die Spekulation auf den Finanzmärkten anheizen.« (Redebausteine ver.di)

Die in den Redebausteinen formulierten Erwartungen und Wünsche mögen sich mit dem vorherrschenden Bewusstsein unter den Lohnabhängigen decken. Die sehnen sich in ihrer Mehrheit nach den alten Zeiten sozialpartnerschaftlicher Konfliktlösung zurück. Mit der Realität und dem, was im weiteren Verlauf der Krise an Angriffen und Einschnitten bevorsteht, hat das nichts zu tun. Bereits in den letzten 20 Jahren wurde der sozialdemokratischen Parlamentstätigkeit und der sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftspolitik der Boden entzogen. Die herrschende Klasse sah sich nicht mehr in der Lage und – nach dem Ende des sozialistischen Lagers – auch nicht mehr gezwungen, die Sozialpartnerschaft mit Zugeständnissen an die Lohabhängigen und ihre Gewerkschaften zu belohnen. Die Suppe wird dünner, die das Kapital angesichts spärlicher fließender Profite seinen Lohnarbeitern serviert, während die Zahl derjenigen, die überhaupt nicht mehr an dem spärlich gedeckten Tisch Platz nehmen dürfen, rasant steigen wird. Die Krise wird die Unternehmer zwingen, ihre Interessen noch aggressiver zu vertreten und durchzusetzen.

»... jetzt brauchen wir mehr Staat und Märkte, die nach festen Regeln funktionieren. Machen wir uns keine Illusionen: Das wird nicht einfach sein, denn es gibt viele machtvolle Interessen und Interessenten des alten Systems: [Wo ist das neue System?] Sie setzen darauf, dass der Staat ihre Verluste sozialisiert, der Gemeinschaft aufbürdet und sie dann nach einer Phase schamvollen Abwartens wieder fröhlich losspekulieren und Gewinne machen können. Darum sollten wir der Politik auf die Finger schauen und genau verfolgen, was aus den vollmundigen Ankündigungen wird. ... Nur der Ausbau des Sozialstaates und eine sozial gerechte Politik, können die Krise so überwinden, dass die Demokratie und damit wir wieder eine gute Zukunft haben: dafür werden wir uns engagieren, dafür müssen wir die Menschen überzeugen, dafür werden wir mobilisieren und demonstrieren und dafür werden wir uns auch bei den kommenden Wahlen engagieren. Denn eine andere Politik kommt nicht von selbst, sondern dafür müssen wir kämpfen.« (Redebausteine ver.di)

Überwunden werden Krisen durch die massenhafte Vernichtung von Kapital, durch die Eroberung neuer und die bessere Ausbeutung vorhandener Märkte und nicht durch den Aufguss sozialdemokratische Sozialstaatsträumereien. Eine Rückkehr zum »Ausbau des Sozialstaates« und »eine sozial gerechte Politik« kann der Kapitalismus schon aus Selbsterhaltungstrieb in Krisenzeiten nicht zulassen. Selbst die Verteidigung bestehender Löhne und Arbeitsbedingungen gegen die Angriffe des Kapitals erfordert den Klassenkampf, der mit sozialpartnerschaftlicher Rücksichtnahme bricht und vor den Grenzen des rein gewerkschaftlichen Kampfes nicht Halt macht. Weder die Führung der Linkspartei noch ihre Repräsentanten in den Gewerkschaften wollen das und können es auch nicht, solange die entscheidende Voraussetzung fehlt: Druck von den Beschäftigen in den Betrieben und Verwaltungen.

Die Zuspitzung der Widersprüche in der Krise lässt nur die Alternative zu, entweder Anpassung und Unterordnung oder Kampf ohne Rücksicht auf bestehende »Sachzwänge«, die stets Ausdruck der bestehenden Wirtschaftsordnung sind. Dem Erhalt der »sozialen« Marktwirtschaft fühlen sich aber auch die »sozialdemokratischen Traditionalisten« verpflichtet. In den gewerkschaftlichen Tagesfragen sind sie deshalb gezwungen, den »Modernisierern« zu folgen. Eine praktische Alternative zum Kurs der Anpassung und Unterordnung durch die Vorstände von IGM, IGBCE und Transnet stellen die Vorstellungen aus dem Bereich Wirtschaftspolitik von ver.di nicht dar.

Vom Co-Management zur Betriebsgemeinschaft

Berthold Huber: »Ziel der IG Metall ist die Sicherung der Arbeitsplätze der Standorte bei Continental und Schaeffler. Diese Vereinbarung ist ein Grundstein für eine gute Zukunft der Unternehmensgruppe. Wir fordern alle Beteiligten auf, in gleicher Weise und auf Basis der vereinbarten Grundsätze mit Vehemenz ebenfalls an dieser Zukunft zu arbeiten.« Die Gesellschafter werden die Mitbestimmung für Schaeffler auf den Weg bringen, unabhängig davon, welche Rechtsform der Unternehmensverbund zukünftig haben wird. Auch werden die Gesellschafter sich von Teilen ihrer Beteiligung an der Schaeffler Gruppe trennen, um damit einen Beitrag zum Schuldenabbau zu leisten. Die IG Metall wird sich dafür einsetzen, dass die Familie Schaeffler auch zukünftig als wesentlicher Ankergesellschafter der Gruppe erhalten bleibt. Beide Seiten betonen in dem Papier die industriepolitische Sinnhaftigkeit des Zusammenschluss von Continental und Schaeffler.« (aus der gemeinsamen Presserklärung von Schaeffler und IGM)

Nachdem die Familie Schaeffler sich bei der Übernahme von Continental verhoben hat und angesichts der Krise unterzugehen droht, holte sie die IG Metall ins Boot. Sie soll den Forderungen nach staatlicher Hilfe das notwendige politische Gewicht gegenüber der Regierung verleihen nachdem die milliardenschwere Familie sich in der Öffentlichkeit gründlich diskreditiert hatte. Der IGM-Vorstand nahm die ihm zugetragene Aufgabe an und schlüpfte in die Rolle des »Mitunternehmers«. Der Familie »Schaeffler als wesentlicher Ankergesellschafter« verbleibt ihr Vermögen (für die notwendige Sanierung fließen ja Steuergelder); die IG Metall erhält ein paar neue Aufsichtsratsposten; die Belegschaft wird mit unverbindlichen Erklärungen abgespeist. »Beide Seiten werden alles dafür tun, dass es nicht zu betriebsbedingten Kündigungen kommt. Sie werden gemeinsam an einer Strategie arbeiten, mit der die Standorte gesichert und weiterentwickelt werden können«, heißt es in der gemeinsamen Vereinbarung.

In der neu aufgelegten Gemeinschaft von Unternehmen und Gewerkschaften nimmt Michael Schlecht, Vorstandsmitglied der Linkspartei und Bereichsleiter Wirtschaftspolitik bei ver.di folgende Position für sich in Anspruch: »Wir haben uns auch früh dafür eingesetzt, dass Unternehmen in dieser Krise nicht einfach nur verstaatlicht werden, sondern dass auch die Beteiligungsrechte der Beschäftigten gewährleistet sein müssen. Auf diesen Spuren wandelt ja zur Zeit die IG Metall in Tateinheit mit der Schaeffler-Gruppe. Das ist ein Stück weit bei uns vorgedacht.« (Interview mit der Jungen Welt, 26.2.2008)

So enden manche Repräsentanten der Linkspartei im politischen Tagesgeschäft auf dem Niveau der Regierungs-SPD. Die Linke unterstützte den Bankenrettungsplan im Grundsatz ebenso wie die verschiedenen Konjunkturmaßnahmen der Regierung, an denen sie lediglich den Umfang und die soziale Unausgewogenheit zu beanstanden hatte. Jetzt machen sie sich zusammen mit dem IGM-Vorstand und den Co-Managern in den Konzernbetriebsräten zu Bittstellern der Regierung.

Statt Standortsicherung und Konkurrenz: Solidarität im Kampf für gemeinsame Klasseninteressen

Ohne gewerkschaftliche, d.h. überbetriebliche, wenigstens auf die Branche bezogene Interessenvertretung, bleiben die Belegschaften Anhängsel im Konkurrenzkampf der Konzerne untereinander. Sie werden zur Manövriermasse, die selbst innerhalb eines Unternehmens gegeneinander ausgespielt werden. Die IG Metall hat diesem Spiel mit dem »Pforzheimer Abkommen«, mit Beschäftigungssicherungsverträgen, mit den zahlreichen Ausnahmeregelungen unterhalb des Flächentarifvertrages Vorschub geleistet.

In der Vergangenheit sind die Belegschaften diesen Weg zumeist mitgegangen. Widerstand entwickelte sich in der Regel erst, nachdem die Hoffnungen mit Zugeständnissen (Lohnverzicht, Arbeitsintensivierung, »sozialverträglicher Arbeitsplatzabbau«) »ihren« Standort retten zu können, durch die Schließungsbeschlüsse der Unternehmensleitungen zerstört worden waren.

Eine derartige gewerkschaftliche Anpassung und Unterordnung, wie von Betriebsratsspitzen und Gewerkschaftsapparaten favorisiert, wird sich in der Krise noch verheerender auswirken. Zugleich reifen aber auch die Bedingungen heran, die solche Hoffnungen gründlich und schmerzlich widerlegen werden.

Was die Arbeiterklasse und die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung nicht wollen, das bringen Politiker und Gewerkschaftsfunktionäre in zahlreichen Erklärungen und Reden zum Ausdruck, wenn sie »die Sozialisierung der Verluste und die Privatisierung der Gewinne« anprangern. Aber die Ablehnung einer solchen »Krisenlösung« von oben bringt noch keinen Schritt voran, wenn sich die Arbeiterklasse nicht Klarheit verschafft, was sie an dessen Stelle setzen will. Ansonsten bleibt sie Gefangene kapitalistischer Sachzwänge, wie es am geschilderten Beispiel von Schaeffler deutlich wird, wo der IG Metall kaum mehr einfällt, als nach staatlicher Finanzierung verschuldeter Konzerne – sprich nach Sozialisierung der Verluste – zu rufen. Was sie in Worten kritisieren wird zur täglichen gewerkschaftlichen Praxis um die Arbeitsplätze zu »retten«.

Sozialisierung der Gewinne statt Plünderung der öffentlichen Haushalte

Wir können keine Alternative benennen, wenn wir nicht die Eigentumsverhältnisse, die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, zum Thema machen. Eine Lösung, bei der die Krisenlasten nicht auf die arbeitenden Menschen abgewälzt werden, kann nur in der »Sozialisierung der Gewinne«, d.h. in der Vergesellschaftung der Produktionsmittel, liegen. Damit wäre die Voraussetzung gegeben, umzustellen von der Profitwirtschaft auf eine Wirtschaft zur Deckung des gesellschaftlichen Bedarfs.

Diese Zielsetzung wird nicht allein durch Aufklärung und Propaganda Anhänger in breiteren Kreisen der Lohnabhängigen finden. Sie muss sich auch als Konsequenz der eigenen Erfahrungen in den bevorstehenden Klassenkämpfen ergeben. Voraussetzung, um die ersten Schritte in diese Richtung gehen zu können, ist

1. dass Belegschaften den Kampf aufnehmen gegen die Abwälzung der Krisenlasten und die Vernichtung ihrer Arbeitsplätze;

2. dass sie sich in diesen Auseinandersetzungen hinwegsetzen über die Gängelung durch die Gewerkschaftsapparate, die sie auf das »Gemeinwohl« verpflichten als auch an das Unternehmensinteresse binden wollen.

Dabei können wir auf eine Reihe von Erfahrungen der letzten Jahre zurückblicken, auch wenn nicht alle Auseinandersetzungen so erfolgreich wie in Bellinzoa* verlaufen sind und mit enttäuschen Niederlagen (AEG in Nürnberg, CNH in Berlin) oder mit einem heftig kritisierten faulen Kompromiss (BSH in Berlin) endeten. Gerade aus Niederlagen, aus den Unzulänglichkeiten der Arbeitskämpfe können wir Lehren für die Zukunft ziehen.

Eine entscheidende Lehre ist, dass ohne die praktische Solidarität anderer Belegschaften und Bevölkerungsteile solche Kämpfe nicht zu einem erfolgreichen Ende geführt werden können. Das aber setzt voraus, dass wir die gemeinsamen Klasseninteressen in diesen Auseinandersetzungen politisch zum Ausdruck bringen. Die BSH-Belegschaft hatte damit begonnen, indem sie beispielsweise Hartz IV oder die Forderung nach einem unbeschränkten Streikrecht mit zum Bestandteil ihres Arbeitskampfes machte. Mit dem Marsch der Solidarität hat sie versucht, eine soziale Bewegung in diese Richtung anzustoßen. Die ist heute notwendiger denn je.

14.03.2009 