aus Arpo Nummer 3, 2008

TRANSNET

Die Legende von der Interessenvertretung der Eisenbahnbeschäftigten

Der Wechsel von Norbert Hansen vom Vorsitzenden der Transnet-Gewerkschaft zum Arbeitsdirektor bei der DB-AG macht schlaglichtartig den Zwittercharakter der deutschen Gewerkschaftsorganisationen deutlich: Einerseits die Interessen der Mitglieder vertreten zu wollen, andererseits die Ziele der herrschenden Klassen unter den Beschäftigten durchzusetzen. Grundsätzlich gilt dieses für alle bundesdeutschen Gewerkschaften – dafür gibt die Entwicklung bei der Transnet in den letzten Jahren einen guten Anschauungsunterricht 1).

Als aus der GdED die Transnet wurde, war ihr Schicksal besiegelt2). Rudi Schäfer, Vorgänger und Ziehvater von Norbert Hansen, stimmte der Bahnreform zu, weil er nicht wollte, dass die Gewerkschaft durch Privatisierungsgegnerschaft zerschlagen wird. Ob er selber an dieses Märchen glaubte, ist schwer einzuschätzen – den Glauben an die Klasse hat er wohl nicht besessen. Jedoch er erhielt für diese ritterliche Tat zwar nicht wie Mehdorn den Offiziersorden der französischen Ehrenlegion und den Orden »Kommandeur der Ehrenlegion«, aber doch wie dieser immerhin das Bundesverdienstkreuz. Man weiß nur nicht, ob er es erhielt, weil er den Börsengang mit auf den Weg gebracht hat oder weil er dadurch die Zerschlagung des Eisenbahnerverbandes vorbereitete. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Danksagung für beides. Dessen ungeachtet hielt sich hier und da hartnäckig die Legende von der Transnet als Interessenvertreterin aller Eisenbahner. Diese Legende war nötig, denn ohne sie keine Privatisierung der Bahn in Deutschland. Das mag unglaublich erscheinen und doch ist es so.

Weit entfernt davon, dem Anspruch einer Gewerkschaft gerecht zu werden, die die Gewerkschaftseinheit im Klassensinn fördert, ist die Transnet dennoch die größte Eisenbahnergewerkschaft in Deutschland. »Alle Räder stehen still, wenn mein starker Arm es will« – diese Horrorvision des Bahnvorstandes und der Regierung (ob Kohl, Schröder oder Merkel) wäre im wahrsten Sinne des Wortes machbar gewesen. Und so erbrachte die Transnet in der zurückliegenden Zeit auch echte Leistungen für die Kollegen. Anders an die Beurteilung der Dinge heranzugehen würde bedeuten, die Natur des Kapitalismus völlig zu ignorieren. Je mehr sie sich allerdings auf die Kungelei mit dem Konzern einließ, desto schwächer wurde die Transnet als Gewerkschaft. Alle Aktionen erschienen als abgesprochen mit Mehdorn, als am Biertisch ausgehandelt. Aber die Ruhigstellung der Eisenbahner – das war die Funktion, die das Kapital der Transnet zugedacht hatte und die ohne den Hauptvorstand und den Gesamt- bzw. Konzernbetriebsrat nicht zu verwirklichen war 3). Das System Hansen machte daraus die Losung: »Sozial sanieren statt aufs Parkett marschieren! « oder »Den Börsengang sozial bzw. sozialverträglich begleiten!«.

Diese Ruhigstellung der Kollegen ließ sich das Kapital scheinbar etwas kosten. Aber diese »Kosten« stellten sich letztlich als Gewinne für den Konzern und als Verluste für die Eisenbahner heraus. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Bahngutachten, die der Regierung und Mehdorn nach dem Munde redeten, die besonders förderliche Rolle der Tarifgemeinschaft hervorgehoben haben. Das Beschäftigungsbündnis, das vor allem den konzerninternen bzw. konzernweiten Arbeitsmarkt zum Inhalt hat, war ein »Pflaster« auf die gefährlichste Wunde, nämlich die Arbeitslosigkeit 4). Tatsächlich bringt es dem Konzern aber enorme Profite. Es steht ihm gewissermaßen eine »industrielle Reservearmee« zur Verfügung, die ganz anders behandelt wird, als die Armee der Eisenbahner in den anderen Bereichen der Bahn.

Ein Ereignis jedoch sollte wie ein Erdrutsch unter den Eisenbahnern und den Mitgliedern der Transnet wirken: Norbert Hansen – der Gewerkschaftsvorsitzende – trat von seinem Amt zurück und wechselte in den Bahnvorstand als Arbeitsdirektor (Verzehnfachung des Gehaltes). Das war der Lohn für seinen Betrug an den Interessen der Eisenbahner. Als Verräter, als Gewerkschafts-Judas, als einer, der sich verkauft hat, wird er bezeichnet. Die »junge Welt« hatte diese Entwicklung fünf Jahre vorher vorausgesagt. Auch für viele Kollegen kam diese Wendung nicht überraschend, denn Hansen gilt eben als Wendehals. So ganz stimmt das allerdings nicht. Hansen hat nämlich von Anfang an mit fast krimineller Energie den Börsengang unterstützt – und immer ging es um den Börsengang des ganzen Konzerns.

Ein großes Manöver ist durchgeführt worden. Mit vielen taktischen Winkelzügen innerhalb der Gemeinsamkeit von Merkel, Beck, Tiefensee, Mehdorn und Hansen wurde ein Schaustück organisiert, an dessen Ende ein Privatisierungsbeschluss des Bundestages stand, der nicht im geringsten die Vollprivatisierung verhindert, da die Struktur des jetzigen Konzerns so beschaffen ist, dass alles in den Händen von Mehdorn verbleibt und der Weg zum Staat sehr vermittelt ist über die DB-AG. Die ersten Konsequenzen sind bereits sichtbar: Streckenausdünnungen, Pläne vom Streckenverkauf, Bahnhofsverkäufe, Fahrpreiserhöhungen, Reduzierung von Halten, Streichung von Zuggattungen, Intensivierung der Ausbeutung usw. Den beabsichtigten Personalabbau – getarnt als Rationalisierung –, das größte »Geheimnis« des Börsenganges, hat Hansen trunken von übersteigertem Ehrgeiz, übersteigerter Eitelkeit und vorauseilendem Gehorsam vorschnell in die Öffentlichkeit hinausposaunt 5). Mehdorn pfiff ihn sofort zurück und dementierte! Ob Hansen nach seinem Ausflug in die Spielhalle überhaupt noch »nützlich« sein kann, bleibt fraglich.

Man sollte meinen, dass dies Anlass genug für eine grundlegende Wende in der Transnet ist, wobei es ja nicht einfach um eine Hansen- oder Transnetkrise geht, sondern um eine handfeste Gewerkschaftskrise. Besonders laut konnte man jedenfalls keine Stimme aus dem DGB gegen das SPD-Mitglied Hansen vernehmen. Dieses Schweigen ist ein Symptom. Wofür? Für die Kapitulation der vermeintlichen »Einheitsgewerkschaft« vor den ökonomischen Gesetzen des Kapitalismus und für die politische Parteinahme der Gewerkschaftsspitzen zu Lasten der Lohnabhängigen. In der Frage der Privatisierung hat der DGB seinen Beitrag zur Beschleunigung dieses Prozesses geleistet. Die »Mitbestimmung «, die so etwas erst möglich gemacht hat, steht bei ihm natürlich nicht auf dem Prüfstand. Es herrscht »Totenstille«.

Anders verhielt es sich im Kreise der Kollegen. Als nämlich der Hauptvorstand der Transnet den Schritt von Hansen zunächst überhaupt nicht verwerflich fand, erntete er fast noch mehr Zorn als dieser selbst 6). Schließlich war Hansen als Freund Mehdorns bei den meisten Kollegen verhasst. Und der Gewerkschaftstag im Jahr 2000 hatte sich klar gegen jede Form von Zerschlagung und Privatisierung der Bahn positioniert. Doch diese Beschlüsse wurden vom Hauptvorstand ignoriert. Über die Gewerkschaftsfrage wurde deshalb von den Kollegen wie über die Parteifrage diskutiert – und das war nicht falsch, denn schon die Durchdringung der Transnet durch die SPD, also die Durchdringung durch eine neoliberale Partei erwies sich als verhängnisvoll für die Interessenvertretung der Eisenbahner. Aus den verschiedensten Gliederungen wurden Forderungen nach einem außerordentlichen Gewerkschaftstag, nach Rücktritt des gesamten Hauptvorstandes, nach Ausschluss von Norbert Hansen, der als Gewerkschaftsmitglied nur eine Zumutung ist, nach rücksichtsloser Aufklärung der Sache und nach einer Strategie gegen die Privatisierung erhoben. Die Initiative »Bahn von unten« gewann an Einfluss! Die Transnet-Mitglieder müssen ihre Gewerkschaft unter ihre Kontrolle bekommen.

Doch weit gefehlt: Man will seine Ruhe haben, will zur Tagesordnung übergehen. Das sind die Auswirkungen fehlender innergewerkschaftlicher Demokratie7), die, wenn sie vorhanden wäre, das Ringen um den Ausweg aus der Krise in die Hände der Kollegen selbst legt. So verlautet aus den Vorständen: Die Politik sei schuld, die habe Hansen gerufen. Überhaupt sei die Politik schuld, denn schließlich hat der Staat entschieden. Was kann man da schon machen? Man könnte einfach einen anderen Kampf führen, nämlich einen politischen, der den ökonomischen Kampf ergänzt und unterstützt. Aber wenn die Ideologie verbreitet wird, dass Politik die Teilnahme an Wahlen und das Eintreten in die Verantwortung (die Geschäfte) einer kapitalistischen Regierung sei, dann braucht man sich über die »gespielte « Hilflosigkeit nicht zu wundern. Und um Ideologie im ursprünglichen Sinn des Wortes, nämlich als falsches Bewusstsein, handelt es sich. Denn fragt man Eisenbahner, was sie gemäß ihrer Erfahrung von der politischen Funktion der Wahlen halten, werden wohl die meisten von ihnen antworten: »Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie bereits verboten.« (Womit auch eine Antwort auf die Frage der Regierungsbeteiligung gegeben ist.)

Um politisch zu kämpfen, muss man politisch aufklären. Für den Hauptvorstand der Transnet heißt das, zu verkünden: »Politik ist nicht verlässlich«8). Oder: »Wie künftige Bundesregierungen zur Zukunft der Bahn entscheiden, kann heute keiner sagen. Deshalb war es so wichtig, langfristige Regelungen zum Schutz der Beschäftigten im Struktursicherungs-TV bis 2023 zu verankern.«9) Die Darstellung des proletarischen Klassenstandpunktes ist von den Gewerkschaftsoberen nicht zu erwarten. Die deutsche Arbeiterklasse ist noch immer des eigenständigen Handelns entwöhnt, obwohl sie sich von der stellvertretenden Wahrnehmung ihrer Interessen wenig oder gar nichts verspricht. In diesem Widerspruch liegt eine große Gefahr. Je länger die Arbeiter schlafen, desto erfolgreicher ist der Demokratieabbau – in der Gewerkschaft wie in der Gesellschaft.

Der neue Vorsitzende der Transnet, Lothar Krauß, ist keine Garantie für eine grundsätzlich andere Politik. Der Beirat der Transnet hat die derzeitige Politik der Gewerkschaft »grundsätzlich bestätigt« (Krauß). Die Einberufung eines außerordentlichen Gewerkschaftstages wurde abgelehnt und die Forderungen nach Rücktritt des Geschäftsführenden Vorstandes und Kurswechsel in der Politik der Transnet wurden »zurückgewiesen« (Krauß)10). Kein Wunder also, dass viele Kollegen so urteilen, wie ein Teilnehmer aus dem Transnet-Forum: »Ich bin zur Zeit in einem Seminar. Da hatten wir dieser Tage eine Diskussion, über unsere Zukunft und unsere Möglichkeiten (Beschäftigungssicherung). Es gab keinen, der die Position unserer TN (Transnet) in einem positiven Licht gesehen hat. Jeder, ich betone jeder, war der Meinung, dass im Moment von unserer Gewerkschaft die größte Gefahr ausgeht, weil sie im Moment alles, was sie beginnt, in den Sand setzt! Vor allem der Börsengang, den die TN … so gefördert hat, der bereitet den Mitarbeitern so viel Sorge! Ich konnte keinen feststellen, der daran glaubt, dass diese TN noch hinter uns steht. Jeder war der Meinung, dass es ›einer starken Gewerkschaft‹ bedarf, was TN derzeit nicht ist! Die Kollegen finden unsere derzeitige Führung nicht als geeignet an, die Gewerkschaft TN wieder in ein ruhiges erfolgreiches Tun manövrieren zu können! « Der Vorsitzende Krauß reagiert allerdings wesentlich gelassener: »sueddeutsche.de: Der neue GDL-Chef Claus Weselsky befürchtet einen Stellenabbau, wenn die Bahn an die Börse kommt. Sehen Sie auch schwarz? Und wie bereiten Sie die Transnet-Mitglieder auf eine eventuell drohende Arbeitslosigkeit vor? Krauß: Wir haben einen Tarifvertrag abgeschlossen, in dem betriebsbedingte Kündigungen im Zusammenhang mit der Teilprivatisierung ausgeschlossen werden. Über den konzernweiten Arbeitsmarkt ist gesichert, dass die Mitarbeiter bei der Bahn und in Arbeit bleiben. Im Gegensatz zu Herrn Weselsky habe ich nicht die Befürchtung, dass eine Teilprivatisierung per se das Unglück der Menschheit darstellt.« (»Herr Mehdorn ist ein netter, sympathischer Herr«, sueddeutsche.de vom 06.06.08)

Krauß hat schon Recht: »Wo der Mut keine Zunge hat, bleibt die Vernunft stumm«. Für die klassenbewußteren Eisenbahner heißt das, dass sie gewerkschaftsübergreifend die Zusammenarbeit suchen und in einer gemeinsamen Richtung Einfluss auf die Kollegen und die Vorstände nehmen. Das bedeutet, sie müssen ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände nehmen, wie es u. a. am zweiten Sonntag im Juni, dem »Tag des Eisenbahners« vor dem Hauptquartier der DB-AG Berlin/Potsdamer-Platz demonstriert wurde. abgeschlossen 12.6.08 ■