aus Arpo Nummer 2, 2008

■ ZUR EINIGUNG IM ÖFFENTLICHEN DIENST

Warum die Bundesregierung auf eine Kraftprobe mit den Gewerkschaften verzichtet hat

»Brisante Rolle rückwärts«, so betitelte das »Handelsblatt« seinen Kommentar zur Einigung im öffentlichen Dienst. »Unterstützt von der Politik, durch eine wahlkämpferische Rhetorik gerechter Teilhabe, haben die Gewerkschaften dem Staat ein Tarifergebnis abgetrotzt.« Das Wirtschaftsblatt sieht den Kompromiss als gefährliche Wegmarke für die kommenden Tarifrunden der Chemie- und Metallindustrie. Der Kompromiss stelle den schon brüchig gewordenen Flächentarif für die Staatsbediensteten erneut in Frage, die von der Bundesregierung in die Pflicht genommenen Kommunen könnten ebenfalls aus dem bisherigen Tarifverbund aussteigen und lieber eine neue tarifpolitische Kooperation mit ihren jeweiligen Ländern suchen. Die kommunalen Arbeitgeber von Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen haben sich aus Protest bei der Abstimmung über den Abschluss der Stimme enthalten.

Die Kernelemente der 2005 gefeierten Tarifrechtsreform seien geopfert worden: Die einfachen Tätigkeiten in den damals neu eingeführten niedrigeren Gehaltsstufen würden durch die soziale Komponente zu hoch entlohnt, hoch qualifizierte Kräfte hingegen unterbezahlt, dadurch sei der öffentliche Dienst gegenüber der Privatwirtschaft nicht wettbewerbsfähig. Die Weichen in der Kommunalwirtschaft seien nun klarer denn je auf Privatisierung gestellt. (HB 1.4.08)

In der vorherigen Ausgabe der »Arbeiterpolitik« haben wir dargelegt, wie sehr sich die Kampfbedingungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst in dieser Tarifrunde im Vergleich zu früheren Zeiten verschlechtert haben. (Schwierige Tarifrunde steht bevor in: Arpo Nr. 1, Februar 2008). Wir verwiesen darauf, dass die Tarifeinheit von Bund, Ländern und Kommunen aufgelöst, ganze Bereiche wie Nahverkehr und Versorgung mit eigenen Spartentarifverträgen geregelt und einzelne Betriebe durch Privatisierung aus dem Tarifkampf ausgegliedert wurden. Besonders die »Reformen« im Öffentlichen Dienst, die von ver.di und den anderen Gewerkschaften mitgetragen wurden, hätten »verheerende Auswirkungen auf die Kampffähigkeit«. Die Konjunktur habe zwar das Steueraufkommen erhöht, für die Kommunen aber höchst ungleichmäßig, so dass die Kämmerer sich weiterhin zugeknöpft zeigten. Hier erwarteten wir den härtesten Widerstand gegen die Forderungen der Beschäftigten. Keinesfalls glaubten wir an eine Lösung des Tarifkonfliktes am Verhandlungstisch.

Herausgekommen ist ein Tarifergebnis, das wohl die Zustimmung der überwiegenden Mehrheit der Beschäftigten finden wird und das die Gewerkschaft ver.di den Mitgliedern zur Befragung vorlegen will, um auf diese Weise neue Mitglieder zu werben.

Das Tarifergebnis (Aufmacher der Bildzeitung: »8 Prozent … Bekommen wir bald alle so viel?«, 1.4.08) spiegelt also weniger die Kampfkraft und Mobilisierungsbereitschaft der Beschäftigten des öffentliches Dienstes wider, (wenn auch diese im Verlauf der Warnstreiks zugenommen hat – vergl. Korrespondenz in dieser Ausgabe), als vielmehr die momentane innenpolitische Schwäche der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien der großen Koalition.

Schäuble als Verhandlungsführer der Arbeitgeber erklärte: »Insgesamt sind die Arbeitgeber mit dem heutigen Abschluss an die Grenze des haushaltsmäßig und gesamtwirtschaftlich Machbaren gegangen. Aber es galt, im gesamtstaatlichen Interesse dem Land lange und harte Arbeitskämpfe zu ersparen.« Ver.di-Chef Bsirske verwies auf die Stimmung in der Öffentlichkeit: Die Gesellschaft sei »stark geprägt von der Wahrnehmung sozialer Ungleichheit.« (Welt 1.4.08)

Die Bundesregierung wollte verhindern, dass aus einer Stimmung der Wille zum Protest oder Widerstand erwächst. Diese Gefahr drohte, falls sie durch ihre Unnachgiebigkeit die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes in einen Arbeitskampf getrieben hätte. Haben aber die Arbeitgeber sich die Beschäftigten erst einmal durch harten Arbeitskampf zum Feind gemacht und diese Erfahrungen verfestigt, ist die Rückgewinnung der Arbeiterwähler weitaus schwieriger. Die Abwendung der Arbeiterwähler von den Regierungsparteien und die Erfolge der Linkspartei in den Landtagswahlen Hessen, Niedersachsen und Hamburg haben CDU und SPD in die Zange genommen.

Ver.di hat die Stimmung in der arbeitenden Bevölkerung mit der Parole »Jetzt sind wir dran!« zum Ausdruck gebracht. Ihre Führung hoffte, in der diesjährigen Tarifrunde der entscheidenden Kraftprobe aus dem Wege gehen zu können, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Dieser Weg ist ihnen von den öffentlichen Arbeitgebern geebnet worden – doch nicht ohne Zugeständnisse. Dazu zählt die Arbeitszeitverlängerung ebenso wie die 24-monatige Laufzeit des Tarifvertrages. Die nächste Tarifrunde fällt damit nicht ins Jahr der Bundestagswahl. Und wie sich die Inflationsrate weiter entwickeln wird, ist nicht vorhersehbar. Vor allem wegen des Zugeständnisses bei der Arbeitszeitverlängerung lehnten 25 Mitglieder der großen Tarifkommission das Ergebnis ab, 64 stimmten zu. So steht am Ende ein Abschluss, der für dieses Jahr nominell einen Ausgleich für die Inflationsrate vorsieht, aber die Verluste vergangener Tarifrunden nicht wettmachen kann. Und die miserablen Arbeitsbedingungen, die in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes zur Mobilisierung der Beschäftigten beitrugen, waren nicht Bestandteil der Tarifauseinandersetzung.

Das materielle Ergebnis der Tarifrunde 2008 hebt sich zwar von den Zugeständnissen ab, die in den letzten Jahren gemacht wurden. Aber ist damit eine Trendwende in der gewerkschaftlichen Tarifpolitik eingeleitet? Folgt man dem eingeschränkten Blick der ver.di-Führung und vieler Funktionäre, dann sicherlich. Unser Blick ist aber kein auf die reine Tarifpolitik beschränkter – er stellt diese in den Zusammenhang gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und Klassenkämpfe. Maßstab für uns ist nicht allein das materielle Ergebnis, sondern mindestens genauso wichtig ist der gewerkschaftliche und politische Erfahrungsprozess, den die Beschäftigten in gewerkschaftlichen Kämpfen machen. Stimmungen, wie sie in der Tarifrunde zum Ausdruck kamen, können allein keine Trendwende einleiten, wenn ihnen nicht die entsprechenden Taten folgen. Genau davor hat der Kompromiss die Gewerkschaftsführungen – und auch die Mitglieder bewahrt.

Bundesregierung und ver.di-Vorstand sind zwar der Kraftprobe aus dem Wege gegangen – das bedeutet allerdings noch lange nicht, dass auf der Grundlage des gefundenen Kompromisses Ruhe einkehren wird. Materielle Zugeständnisse, so das Kalkül der öffentlichen Arbeitgeber, können innerhalb der zweijährigen Laufzeit und Friedenspflicht des Tarifvertrages durch Rationalisierung, straffere Organisation der Arbeit und Arbeitsverdichtung, Personalentlassungen und Privatisierung zurück gewonnen werden. Und auch eine Vorreiterfunktion kommt dem Tarifergebnis nicht zu. In jeder einzelnen Branche testen die Unternehmerverbände, wie weit sie ihre Macht gegenüber den Beschäftigten und ihren Gewerkschaften ausspielen können. Der Einzelhandel zeigte sich vom Tarifergebnis unbeeindruckt. Auch in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes steht ein weiteres Kräftemessen bevor. Die Verhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder stehen Ende des Jahres an und in Berlin kämpfen die Beschäftigten der BVG als auch der anderen Tarifbereiche für eine Lohnerhöhung. Bemerkenswert ist, dass die Berliner Senatskoalition nicht den Druck verspürt, den Forderungen der Beschäftigten der BVG und BT entgegen zu kommen (siehe die Korrespondenz in dieser Zeitung). Sollte sich dieses Verhalten vielleicht dadurch erklären, dass die Linkspartei dem Senat angehört und die Aufgabe wahrnimmt, einen Teil der Gewerkschaften und der Linken in die Regierungstätigkeit einzubinden?

Stimmungen, wie sie sich zu den Wahlen und zur Tarifrunde zeigten, sind wandelbar und Schwankungen unterworfen. Sie sind allein noch kein Beweis für eine Abkehr der Gewerkschaften vom eingefahrenen Kurs ihrer Tarifpolitik oder für einen politischen Linksruck. Dazu bedarf es anderer Voraussetzungen. Die sind gegeben, wenn Teile der arbeitenden Bevölkerung selbst aktiv werden, indem sie die Wahrnehmung ihrer Interessen nicht mehr dem Gewerkschaftsapparat allein überlassen oder an die Parteien (SPD oder Linkspartei) delegieren.

Abgeschlossen 12.4.08 ■