Wir müssen die Eisenbahner sehen, nicht nur ihre Organisationen
■ S T R E I K S D E R L O K F Ü H R E R U N D D E S F A H R P E R S O N A L S
Vom Arbeitskampf zur politischen Kraftprobe
Der Arbeitskampf des Fahrpersonals bei der Bahn für einen eigenständigen Tarifvertrag, für eine angemessene Lohnerhöhung und für eine Verbesserung der Schicht- und Arbeitsbedingungen ist zu einer politischen Auseinandersetzung geworden, wie sie die Bundesrepublik seit 1990 nicht erlebt hat. Die Gründe dafür sind vielfältig:
1. Die Bahn bildet seit jeher einen Lebensnerv der kapitalistischen Wirtschaft, ohne den die Industrieproduktion über kurz oder lang zum Erliegen kommen würde. Ein Streik bei der Bahn – ob im öffentlichen Eigentum oder privatisiert – muss daher den bürgerlichen Staat auf den Plan rufen, dessen Funktion es ist, die Rahmenbedingungen der Profitwirtschaft zu sichern und aufrechtzuerhalten. Bisher intervenierte die Bundesregierung noch nicht offen; der Konflikt müsse zwischen den Tarifpartnern geregelt werden. Doch hinter den Kulissen, über den Aufsichtsrat und durch öffentliche Erklärungen der Koalitionsparteien gegen die Forderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag, stützt die Regierung den Bahnvorstand gegen die GDL. Im Falle eines länger anhaltenden Streiks würde die Regierung ihre »Zurückhaltung« aufgeben müssen.
2. Die Privatisierung der Bundesbahn stellt nach der Abwicklung der volkseigenen Industrie der DDR das größte Privatisierungsprojekt der Bundesregierung dar. Transnet und die GDBA unterstützen das Privatisierungsprojekt. Sie haben sich mit ihrer tarifpolitischen Zurückhaltung und Unterordnung zu einer wichtigen Kraft beim geplanten Börsengang machen lassen. Das eigenständige Auftreten des Fahrpersonals ist Sand im Getriebe der politisch immer stärker ins Wanken kommenden Börsenpläne. Ob von den Akteuren und Funktionären der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) beabsichtigt oder nicht, ihr Streik steht auch im Gegensatz zu der seit Jahren von der Bundesregierung und den Länderregierungen betriebenen Privatisierungs- und Sozialabbaupolitik.
3. Mit dem eigenständigen Auftreten des in der GDL organisierten Fahrpersonals wurde nicht mehr nur in Worten, sondern praktisch eine gewerkschaftliche Grundsatzfrage auf die Tagesordnung gestellt: Wie sollten sich Gewerkschaften angesichts der Offensive von Arbeitgeberverbänden und Bundesregierung verhalten? Ist es nicht an der Zeit, statt mit Zugeständnissen und der Preisgabe tariflicher Leistungen mit einer konsequenten gewerkschaftlichen Gegenwehr zu reagieren?
Als die GDL sich mit der Forderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag aus der Gängelung des Bahnvorstandes und seiner Co-Manager von Transnet zu lösen versuchte, ahnte wohl kein Beteiligter, welche Gegenkräfte sie damit auf den Plan rufen würden. Hinter der unnachgiebigen Haltung des Bahnvorstandes standen nicht allein wirtschaftliche Überlegungen. Sonst wäre der Konflikt viel eher durch Zugeständnisse beendet worden. Hinter der DB AG stand eine Front aus Arbeitgeberverbänden, Bundesregierung und Gewerkschaftsspitzen, deren politische Interessen der Bahnvorstand zu berücksichtigen hatte.
Über den Aufsichtsrat versuchte diese Front von Kapital, Kabinett und Transnet-Vorstand den Kurs von Mehdorn gegenüber der GDL zu stützen. Motto: »Wer sich den von den Co-Managern ausgehandelten Tarifverträgen und Vereinbarungen nicht unterwerfen will, der muss ausgeschaltet werden. « Der Bahnvorstand versuchte der GDL das Recht auf eine eigenständige gewerkschaftliche Interessenvertretung streitig zu machen – mit allen Mitteln. Denn er wusste, es ging bei dieser Auseinandersetzung auch um die Existenzberechtigung der GDL. Sollte ihr jegliches Zugeständnis verwehrt werden können, dann hätte sie neben der »mächtigen« (mitgliederstarken, aber zahmen) Transnet keine Funktion. Die Rebellion des Fahrpersonals gegen die von Gewerkschaftsboss Hansen mit der DB AG ausgehandelten Tarifverschlechterungen der letzten Jahre wäre niedergeschlagen.
Während Transnet-Funktionäre versuchten, Stimmung in der Belegschaft gegen die GDL zu schüren, ordnete der Bahnvorstand einseitig und damit widerrechtlich Notdienste an. Bei Nichtbefolgung drohte er mit Verwarnungen und Entlassungen. Doch Stimmungsmache und Einschüchterungsversuche fruchteten nicht. Im Gegenteil, seit Beginn der Tarifauseinandersetzung haben Über- und Eintritte zur und in die GDL sprunghaft zugenommen. Bei der Berliner S-Bahn beispielsweise waren 400 der 800 Zugführer in der GDL organisiert, heute sind es 670 KollegInnen.
Angriff auf das Streikrecht
Nachdem die DB AG versucht hatte, bei verschiedenen Arbeitsgerichten per einstweiliger Verfügung das Streikrecht auszuhebeln, wurde aus dem Tarifkampf auch eine Auseinandersetzung um das Streikrecht. Auch wenn das Verbot von Arbeitskampfmaßnahmen im Fern- und Güterverkehr inzwischen vom übergeordneten Landesarbeitsgericht wieder aufgehoben wurde, die politische Auseinandersetzung darüber ist damit nicht beendet. Zeitungsschlagzeilen und ganzseitige Anzeigen der DB AG, basierend auf Verdrehungen, Halb- und Unwahrheiten, zeichneten ein Bild von Kriminellen und Terroristen, die die Bahnkunden und die ganze Nation in Geiselhaft nahmen. (Das alles geschieht in einer Rechtsordnung, in der das Recht auf Eigentum dem Kapital die alleinige Entscheidung über Investitionen und Betriebsschließungen sichert, ohne Rücksicht auf die Dauerfolgen für die Menschen ganzer Regionen.)
Damit wird die propagandistische Grundlage gelegt, um Berufsgruppen und Belegschaften das Streikrecht abzusprechen, wenn sie für die Gesamtwirtschaft eine wichtige Funktion ausfüllen. Nicht nur die GDL, alle Gewerkschaften sind von den Angriffen auf das Streikrecht betroffen.
Der Protest aus den Vorständen der DGB-Gewerkschaften gegen das Urteil der Chemnitzer Arbeitsrichter blieb verhalten und verbal. Das Vertrauen in die Rechtsprechung und den Rechtsstaat, der in letzter Zeit immer rasanter ausgehöhlt wird, ersetzt die Mobilisierung gegen derartige Urteile. Aber an der Basis, vor allem unter Mitgliedern der unteren Funktionärsschichten, sorgten die richterlichen Streikverbote für Besorgnis und Unruhe. Die Aufmerksamkeit für den Arbeitskampf des Fahrpersonals wuchs, die Solidarität nahm zu.
Die
Gewerkschaft Deutscher Lokführer
1867 wurde der Verein Deutscher Lokomotivführergegründet, der 1937 von den Nazis
verboten wurde. Er gilt als Vorläufer der GDL.
Heute kommt die Mehrheit der GDL-Mitglieder aus den neuen Bundesländern; 95 Prozent der Lokomotivführer der DDR schlossen sich der GDL an. Am 24. Januar 1990 wurde die GDL in der damaligen DDR wieder gegründet und am 29. Januar 1991 schlossen sich GDL West und Ost zu einer gesamtdeutschen Gewerkschaft zusammen.
Heute gehören ihr 75 Prozent aller Lokführer an, vermehrt auch Zugbegleiter und Gastromitarbeiter. Durch diese Entwicklung wurde der GDL der Charakter einer Beamtenorganisation genommen. Diese GDL-Mitgliedschaft will sich nicht mit dem Gleichklang Konzern/Gewerkschaft, der von Transnet (DGB-Gewerkschaft, einst GdED) verkörpert wird, abfinden. Das ist zugleich einer der Hauptgründe für die aktuell relativ vielen Übertritte aus der Transnet zur GDL. Unter diesem Druck von unten ist es der GDL unmöglich, sich der »Tarifgemeinschaft« Transnet/GDBA erneut zu unterwerfen.
Es ist nicht zu erwarten, dass es in Kürze zu einer einheitlichen starken Bahngewerkschaft kommt, was von den Beschäftigten sicherlich begrüßt würde. Die Kolleginnen und Kollegen, die erkannt haben, dass es zur Zurückdrängung der Konkurrenz unter den Lohabhängigen zuerst auf das gemeinsame Handeln ankommt, stehen vor einer grundlegenden Aufgabe: Sie müssen über die Organisationsgrenzen hinweg zusammenfinden, um in den Gewerkschaften politische Orientierung geben zu können. ■
Die »Verteidiger« des Flächentarifvertrages:
Propaganda kontra Tatsachen
»Wer die Axt anlegt an die Tarifeinheit in Unternehmen, der legt die Axt an den sozialen Frieden im Betrieb«, erklärte der DGB-Vorsitzende Michael Sommer auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall. Berthold Huber blies ins gleiche Horn. Auf dem ver.di-Kongress hatte sich bereits Frank Bsirske ähnlich geäußert: »Sie nutzen ihre exponierte Stellung, kündigen der Mehrheit die Solidarität auf, reißen tiefe Gräben in den Belegschaften. Wenn (...) ver.di beispielsweise für den Einzelhandel oder für den öffentlichen Dienst 31 Prozent Lohnerhöhung fordern würde, erklärte man uns wahrscheinlich entweder zu Volksfeinden oder schlicht für wahnsinnig. Nur, so mag sich sonst einer sagen, was für viele unrealistisch ist, muss es ja vielleicht nicht für wenige sein.«
Den gewerkschaftlichen »Verteidigern« des Flächentarifvertrages gegenüber der GDL schlossen sich die Bundeskanzlerin, die Koalitionsparteien und die Vertreter der Deutschen Industrie und der Arbeitgeberverbände an. Anton Börner, Präsident des Bundesverbandes des Deutschen Groß- und Außenhandels beispielsweise, warf der GDL vor, »die Lokführer zu missbrauchen, um die Deutsche Bahn zu erpressen «. Wenn sie sich durchsetze, drohten »Tarifverträge ihren befriedenden Charakter« zu verlieren. Die Folgen wären »ein Tarifchaos mit giftiger Stimmung« und »die Gefahr ständiger Arbeitskämpfe«. (jw, 29.10.07)
Arbeitgeberverbände und DGB-Gewerkschaften – mit immerhin noch über sechs Millionen Mitgliedern – vereint gegen die kleine Gewerkschaft der Lokführer, um den einheitlichen Tarifvertrag zu verteidigen? Dreister lässt sich die Wirklichkeit nicht auf den Kopf stellen. Es waren die Arbeitgeberverbände und Firmenleitungen, die mit Ausgliederungen einzelne Beschäftigtengruppen aus den Branchen- und Firmentarifverträge herausgebrochen haben, mit dem Ziel, Reinigungskräfte, Küchenpersonal usw. nur noch zu den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes und nicht nach dem Branchentarif bezahlen zu müssen. Bei VW, dem wohl am besten gewerkschaftlich organisierten Autohersteller, sorgen konzerneigene Leiharbeitsfirmen dafür, dass ein Teil der Beschäftigten 20 oder 30 Prozent unter dem VWTariflohn schuftet.
Die Gewerkschaften konnten das nicht verhindern, weil sie der Auseinandersetzung in diesen Fragen aus dem Wege gegangen sind. Tarifverträge, in denen Neueingestellte weit unter dem bisherigen Tariflöhnen arbeiten müssen, wurden mittlerweile zur Regel in vielen Bereichen (z.B. bei der Post, mit der Einführung von ERA in vielen Metallbetrieben oder durch die Tarifrechtsreform im öffentlichen Dienst): Besitzstandswahrung für Altbeschäftigte, um den sozialen Frieden nicht aufs Spiel zu setzen, und Neueinstellungen mit erheblich niedrigeren Tarifen. Unterschiedlichste Bezahlung für die gleiche Arbeit – durch zahlreiche, in den letzten Jahren abgeschlossene Tarifverträge ist das möglich geworden.
Die Arbeitgeber selbst versuchten und versuchen mit Klein- oder Kleinstorganisationen eine gewerkschaftliche Interessenvertretung und die Tarife auszuhebeln, wie Siemens mit der AUB und jetzt die PIN AG mit der von ihr initiierten und finanzierten »Gewerkschaft«. Wer so dreist lügt, versucht seine wahren Absichten zu verbergen. Bei ihrem gemeinsamen Kampf gegen die GDL geht es weder um die Verteidigung abgeschlossener Tarifverträge noch um eine einheitliche Interessenvertretung im Betrieb. »Was die viel geschmähte deutsche Tariflandschaft wert ist, was Jürgen Peters und Berthold Huber, Frank Bsirske und Hubertus Schmoldt für den Standort Deutschland leisten, erkennen viele erst jetzt, wenn andere am Zug sind. Jetzt dämmert es auch diesen Leuten, wie die Alternative zu IG Metall und ver.di aussieht: Arbeitskämpfe jederzeit, von kleinen Cliquen angezettelt, Chaos in den Betrieben und massive Schäden für die deutschen Unternehmen.« (Kommentar aus der Frankfurter Rundschau)
Es geht den »Verteidigern« des Flächentarifvertrages nur darum, die Ansprüche und Forderungen des Fahrpersonals bei der Bahn abzuwehren, weil die Kolleginnen und Kollegen sich nicht der Standort- und Verzichtslogik beugen wollen. Wie rasch der Versuch, die gewerkschaftlichen Möglichkeiten zu nutzen, in eine politische Kraftprobe umschlägt, belegen die letzten Wochen bei der Bahn. (War es schon eine politische Kraftprobe, oder deutete sie sich an, war sie noch im Embryonalstadium? Noch blieb es bei der Sympathie der Massen. Linke waren erst dabei, Unterschriftensammlungen in Gang zu bringen. Wollte die Regierung es also nicht zu einer Kraftprobe kommen lassen?)
Breite Sympathie für das Fahrpersonal
Auch nach den wochenlangen Auseinandersetzungen zeigen die Meinungsumfragen: Eine Mehrheit in der Bevölkerung hält die Anliegen der Lokomotivführer – des Fahrpersonals überhaupt – und ihre Kampfmaßnahmen für berechtigt. Die Sympathie für das Fahrpersonal ist nicht nur dem Wissen um deren Arbeitsbedingungen und Entlohnung geschuldet. Die eng begrenzte Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit der GDL hätte gegen die Propaganda des Bahnvorstandes und der Medien allein nichts ausrichten können. Die Sympathie für die GDL resultiert aus der Unzufriedenheit mit der eigenen Lebens- und Arbeitssituation nach dem Motto: »Endlich mal einer, der es denen da oben zeigt und nicht sofort klein beigibt.«
Unter der Überschrift »Ein Denkzettel für Mehdorn« schreibt die Berliner Zeitung am 17.11.2007: »Fragt man die Berliner nach den Gründen für ihre verständnisvolle Haltung, so sagen 87 Prozent, es sei gut, wenn sich die Angestellten wehren. ... Insgesamt 74 Prozent sind der Ansicht, dass Bahnchef Hartmut Mehdorn den Protest der Lokführer verdient habe. ... Und 72 Prozent der Hauptstädter stimmen der Aussage zu: Ich kann die Lokführer gut verstehen, vom so genannten Aufschwung habe ich persönlich nichts bemerkt.«
Eine Verlängerung der Arbeitszeit bei stagnierenden oder sinkenden Löhnen, eine Zunahme der Arbeitshetze bis an den Rand des Erträglichen und Möglichen, das gehört zur täglichen Erfahrung für einen immer größer werdenden Teil der arbeitenden Menschen. Hinzu kommen die Beschlüsse von Regierung und Parlament, die in der Bevölkerung auf Ablehnung stoßen und deren materielle Folgen momentan besonders spürbar werden – Stichwort ALG II oder Rente erst ab 67. Die Agenda 2010 ist nicht die Ursache für die Absenkung des allgemeinen Lohnniveaus. Sie hat aber diese Entwicklung flankiert und beschleunigt, sie gab den Unternehmen eine Waffe in die Hand: Die Erpressung mit der drohenden Arbeitslosigkeit und dem Sturz ins soziale Abseits und Elend. Die Hartz-Reformen sind zum Inbegriff dieser Ängste geworden.
Insbesondere für die SPD drückt sich die allgemeine Unzufriedenheit in drastisch sinkenden Umfrageergebnissen aus. Mit kosmetischen Korrekturen (Verlängerung von ALG I für Ältere) versucht sie dem entgegenzuwirken. Vor einem Jahr wurde die Koalition von den Vertretern der Wirtschaft gelobt. Entscheidend sei nicht das finanzielle Resultat der Rente mit 67, sondern dass die große Koalition die Kraft aufgebracht habe, ein Sozialgesetz gegen den Willen der überwiegenden Mehrheit durchzuboxen. Sie fürchten jetzt, dass die Koalition, insbesondere die SPD, diese Kraft nicht mehr aufbringt. Das Regierungsgeschäft beim Sozialabbau wird schwieriger, die öffentlichen Kontoversen zwischen Union und SPD nehmen zu.
Gewerkschaftsvorstände in der Zwickmühle
Das wäre eine Situation, in der es den Gewerkschaften leicht fallen müsste, die Mitgliedschaft für die immer wieder verlangten Korrekturen bei Hartz IV, gegen die Rente mit 67 oder für einen Mindestlohn zu mobilisieren. Aber ohne den Druck von unten werden die Vorstände und Apparate ihren bisherigen Kurs nicht korrigieren. Sie setzen weiter auf die Unterstützung der großen Koalition, in der sie mit Hilfe der SPD ihre Interessen einbringen wollen; sie setzen weiter auf eine sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Unternehmerlager.
Die Unzufriedenheit, die sich in den hohen Sympathiewerten für die GDL ausdrückt, ist zugleich auch eine Unzufriedenheit mit den Resultaten gewerkschaftlicher Interessen- und Tarifpolitik der letzten Jahre. Das belegen zahlreiche Beispiele der jüngsten Zeit, beispielsweise der Übertritt von 150 Mitarbeitern der Münchener U-Bahn von ver.di zur GDL oder die Anzeigenaktion von über 2000 PolizistInnen in Bremen (siehe Korrespondenz S. 24).
Trotz einer Zunahme der Arbeitskämpfe (BSH, Gate Gourmet, Telekom und momentan im Einzelhandel), die Unzufriedenheit hat noch nicht zu einem breiteren Aufbegehren und zu eigenständigem Handeln geführt. Sie findet aber ihren Niederschlag in den breiten Sympathiewerten für die GDL – in Stellungnahmen für das Fahrpersonal, in Veranstaltungen für und mit den Streikenden, in praktischer Unterstützung des Arbeitskampfes. Hansen, Huber, Bsirske, Schmoldt usw. wollen verhindern, dass sich dieses »Aufwachen « in den eigenen Reihen niederschlägt.
Die breite Sympathie ist der wichtigste Verbündete der GDL gegen die Front ihrer Gegner. Die fürchten auf der einen Seite das positive Beispiel, sollte der Arbeitskampf mit einem Erfolg oder Teilerfolg enden – und in einem Abschluss über der von Transnet vorgegebenen Marke sähen viele sicherlich einen Erfolg. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass ein längerer und verschärfter Arbeitskampf zu einem Katalysator der weit verbreiteten Unzufriedenheit wird und auch in anderen Bereichen und Branchen zu Unruhe und Konflikten führt.
Befürchtungen der GDL-Führung wegen möglicher politischer Konfrontation
Der Bahnvorstand hatte deshalb versucht mit einem neuen »Angebot« den Konflikt beizulegen und es nicht erneut zu einem flächendeckenden Streik kommen zu lassen. Das »Angebot« erwies sich als die sechste Variante der DB-Mogelpackung. Das hat der GDL-Vorstand auf seiner Pressekonferenz am 26. November auch so benannt. Doch entgegen früheren Ankündigungen beschloss er trotzdem die Aufnahme von Verhandlungen, gekoppelt mit der erneuten Aufforderung zu substantiellen Zugeständnissen und der Drohung mit neuen Streiks.
Im Beschluss des Hauptvorstandes und der Tarifkommission drücken sich Befürchtungen um eine Verschärfung der politischen Konfrontation aus, bei der es dann um »alles oder nichts« geht. Die Hoffnung, der Druck auf den Bahnvorstand könne diesen nach der signalisierten Gesprächsbereitschaft (am 26.11.) zu weiteren Zugeständnissen veranlassen, kann sich sehr schnell als Illusion erweisen.
»Es stellt sich die Frage: Wer oder was treibt Mehdorn? Die Antwort lautet: Mehdorn wird längst von der Bundesregierung gelenkt. Seine Fehlleistungen in jüngerer Zeit und seine Niederlage beim Projekt »integrierter Börsengang« waren zu manifest, als dass er allein den derzeitigen Konfrontationskurs bestimmen könnte. Die Bundesregierung und die Unternehmerverbände BDI und DIHK sehen sich derzeit ganz nah vor ihrem langfristig angepeilten Ziel: der Zerschlagung der Bahn in Form der Umsetzung des Holdingsmodells, dessen Kern die Trennung von (staatlichem) Fahrweg und (zu privatisierendem) Transportbereich ist. Nachdem das Projekt integrierter Börsengangs durch eine erfolgreiche Kampagne und durch die Entscheidung des SPD-Parteitags Ende Oktober in Hamburg gescheitert ist, wird derzeit klammheimlich dieses Trennungsmodell, das auch von der FDP und von der Führung der Grünen unterstützt wird, vorangetrieben. Aus Sicht der Bundeskanzlerin und des Bundesfinanzministeriums benötigt man zur Umsetzung dieses Modells nicht einmal eine Entscheidung des Bundestags. Es genüge hierfür eine entsprechende ›Umorganisation‹ innerhalb der Deutschen Bahn AG und entsprechende Beschlüsse des Bahnvorstands und des Aufsichtsrats.« (Winfried Wolf, Kommentar vom 27.11.2007)
Auch Transnet-Chef Norbert Hansen tritt in dieser Situation als Hardliner gegenüber der GDL auf. Seine Drohung mit Nachforderungen und möglichen Arbeitskämpfen seitens der Transnet soll den Bahnvorstand in seiner unnachgiebigen Haltung bestärken. Die heißt: Keinen eigenständigen Tarifvertrag für die GDL und keine Zugeständnisse, die substantiell über dem Transnet-Abschluss liegen. Das deckt sich mit den Interessen auch in den Vorständen der übrigen DGB-Gewerkschaften.
Ein Erfolg des Fahrpersonals liegt im Interesse aller Lohnabhängigen. Wir müssen uns mit unseren begrenzten Kräften dafür einsetzen, dass auch von den Mitgliedern der DGB-Gewerkschaften der Sympathie mit dem Arbeitskampf der GDL politisch Ausdruck verliehen wird. A., B. 27.11.07 ■