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G R O S S E K O A L I T I O N S E T Z T R E N T E E R S T A B 6 7 D U R C H :Nach halbherziger Mobilisierung –
die Gewerkschaften fügen sich
»Für die Investoren ist entscheidend, dass es der Regierung gelungen ist, ein Projekt gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen.« (Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft)
Tatsächlich lehnten 70 Prozent der Bevölkerung das Gesetzesvorhaben ab. Experten und Kritikern, aber auch großen Teilen der Öffentlichkeit war bewusst, dass es der Bundesregierung nicht wirklich auf eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit ankam. Schon heute geht angesichts der Arbeitsbelastung der überwiegende Teil der Lohnabhängigen vor dem 65ten Lebensjahr in den Ruhestand. Von den über 55-jährigen Männern und Frauen sind erheblich weniger als ein Drittel noch sozialversicherungspflichtig beschäftigt, von den über 60-jährigen geht nur noch jeder sechste einer solchen Beschäftigung nach (inklusive der sich im passiven Teil von Altersteilzeitverträgen befindlichen Menschen). Das beschlossene Gesetz zielt also entscheidend auf eine Kürzung der ohnehin in den letzten Jahren rapide gesunkenen Renten. (s. Kasten auf Seite 3).
Deshalb stieß die Verabschiedung der Gesetzesvorlage auf die einhellige Zustimmung des Unternehmerlagers. Ihr Interesse ist es nicht, durch die Belastungen im Arbeitsleben ausgelaugte Menschen noch zwei Jahre länger beschäftigen zu dürfen. Das Kapital braucht junge und produktive, »olympiareife « Belegschaften. Die Lohnkosten – und zu denen zählen auch die Beiträge für die Sozialversicherungen - sollen nicht weiter steigen, sondern gedrückt werden. Darauf liefen alle »Reformen« der Rentenversicherung in den letzten Jahren hinaus.
Die für uns entscheidende Frage lautet: Warum blieb der Protest so schwach angesichts der eindeutigen Ablehnung in der Bevölkerung? Tatsache ist, dass es zu keinen spontanen Abwehraktionen in den Betrieben kam, wie sie uns noch von den spontanen Streiks gegen die Abschaffung der Lohnfortzahlung in Erinnerung sind. Die Gewerkschaftsführungen waren also nicht durch eine Bewegung »von unten« zum Handeln gezwungen. Für sie stellte sich die Frage, ob sie willens und auch fähig sind, den in der Rentenfrage eindeutigen Interessen und Meinungen der Lohnabhängigen Ausdruck verleihen zu können und auch zu wollen . Die Antwort darauf finden wir nicht in Erklärungen und Reden, sondern in ihrem praktischen Verhalten.
Im DGB gibt es keine einheitliche Position. Die Führungen von Transnet und IG BCE setzen auf den sozialpartnerschaftlichen Ausgleich mit dem Kapital und die Zusammenarbeit mit der Regierungskoalition. Über Gespräche mit der SPD hoffen sie, dass die Interessen ihrer Mitglieder Berücksichtigung finden. Eine aktive Beteiligung an den Protestmaßnahmen kam für sie deshalb von vornherein nicht in Frage. Ver.di und die IG Metall zeigen sich wieder einmal gespalten. Der IGM-Flügel um Huber setzt auf einen Kurs analog der IG BCE, die Kräfte um Peters wollen mit einer möglichst begrenzten Mobilisierung den Mitglieder-Interessen auch gegenüber Regierung und SPD Ausdruck verleihen. Druck soll die SPD veranlassen, die sozialen Interessen der Lohnabhängigen stärker zu berücksichtigen und sich nach links zu bewegen. Diesem Ziel soll auch die teilweise Öffnung gegenüber der sich bildenden Linkspartei dienen.
Unter der Überschrift »Die Gewerkschaften sollten gerade jetzt ihr politisches Mandat erneuern« schrieb Hans-Jürgen Urban, Leiter des Funktionsbereiches Gesellschaftspolitik/Grundsatzfragen beim IG Metall-Vorstand: »( …) Nicht der Abschied vom politischen Mandat gehört auf die gewerkschaftliche Agenda, sondern dessen Erneuerung. Eine Strategie, die sozialstaatliche Rechte verteidigt und dies mit dem Kampf um den Rückgewinn realen Einflusses auf politische Entscheidungen verbindet, würde auch gesellschaftliche Gruppen erreichen, die den Gewerkschaften bisher eher skeptisch gegenüber stehen.« Eine solche »Bürgerbewegung für Sozialstaat und Demokratie« könnte auch bei den Gewerkschaften »neue Lebensgeister wecken«. (»Freitag«, 9. 2.2007)
Auftakt der Proteste bildete im Dezember 2006 die Aktion der Metall-Beschäftigten in Salzgitter/Niedersachsen (s. Korrespondenz S. 6). »Als Ende Januar die beiden großen Gewerkschaften IG Metall und ver.di zu betrieblichen Protestaktionen gegen die Rente mit 67 aufgerufen hatten, fiel ver.dis Beteiligung im bundesweiten Maßstab und im Verhältnis zur IG Metall äußerst bescheiden aus. Trotz klarer Positionierung des ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske verstanden dessen Aufruf nur wenige Funktionäre als verbindlichen Auftrag, die Proteste auch zu organisieren.« (»junge welt«, 30.03.07)
So waren es hauptsächlich Belegschaften aus der Metallindustrie, die den Protest gegen die Rentenkürzungspläne Anfang des Jahres aktiv trugen. »Bereits im Oktober 2006 gab es erfolgreiche Protestkundgebungen. Und in den vergangenen drei Wochen beteiligten sich allein bei der IG Metall mehr als 300.000 Menschen an betrieblichen Aktionen während der Arbeitszeit – darunter auch Beschäftigtengruppen, die in Tarifkonflikten um Einkommen und Arbeitszeiten durchaus Distanz zu den Gewerkschaften halten.« (H.-Jürgen Urban, im »Freitag«, 9.2.07)
Der Begriff »politischer Streik« wurde in den Aufrufen der Gewerkschaftsführungen vermieden – aus Angst vor Verbotsanträgen und Schadensersatzforderungen durch die Unternehmer. Dennoch waren die Aktionen im Ansatz politische Streiks, was auch die Unternehmerverbände in einer Erklärung natürlich sofort als »rechtswidrig« verurteilten. Der Präsident von Gesamtmetall Kannegießer warnte, »Auseinandersetzungen mit der Politik in die Betriebe zu tragen«. Das sei »Rechtsbruch« und »ein Spiel mit dem Feuer.« (FAZ 30.01.07, Berliner Zeitung 27.01.07) Eine Fortführung und Ausweitung der betrieblichen Aktionen drohte deshalb zu einem Grundsatzkonflikt zu eskalieren, an dem allerdings beide Seiten kein Interesse hatten.
Noch während der gewerkschaftlichen Kampagne hatte sich Berthold Huber zu Wort gemeldet. Öffentlich erklärte er, dass die Gewerkschaften nicht grundsätzlich gegen die Rente mit 67 seien, sondern nur gegen die konkreten Ausführungsbestimmungen in der Gesetzesvorlage der Regierungskoalition. Huber forderte in Böblingen am 6.3.07 »intelligentere Antworten« von der Politik, flexible Übergangsmodelle von der Arbeit in die Rente. »Die Politik muss hierfür verlässliche Rahmenbedingungen schaffen, die dann durch unsere Tarif und Betriebspolitik flankiert werden.« Das deckte sich mit den Vorstellungen in den Vorständen von Transnet und IG BCE. Als der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Klaus Brandner, schließlich damit lockte, dass der gleitende Übergang in die Rente gerettet werden könne, allerdings müsse er sich künftig aus vielen Quellen speisen, nämlich dem Arbeitsentgelt, der Teilrente, höheren Hinzuverdiensten, an gesparten Rentenbeiträgen und Aufstockungsbeiträgen der Arbeitgeber (also vorfinanziert durch jeden einzelnen Arbeitnehmer), war der Weg zu einer Einigung und zur Beendigung der Aktionen geebnet.
Zu einer Kraftprobe, d.h. zu dem ernsthaften Versuch das Gesetzesvorhaben doch noch durch außerparlamentarischen Druck zu Fall zu bringen, konnten die betrieblichen Aktionen unter diesen Voraussetzungen nicht werden. Nach der eher als Symbol gedachten Kundgebung vor dem Bundestag – dafür wurde kaum mobilisiert, sie war zudem schlecht organisiert – stellten ver.di und die IG Metall ihre Protestaktionen ein. Der Verabschiedung einer erneuten Rentenkürzung durch das Parlament stand nun nichts mehr im Wege.
Die ohnehin zahlenmäßig unbedeutende Opposition in den Reihen der SPD-Bundestagsfraktion wurde im Vorfeld diszipliniert. Bereits am 28.Februar hatte sie eine »Arbeitsgruppe zur Altersteilzeit« gegründet, als Spielwiese für die Uneinsichtigen. Da trotzdem noch ein wenig Opposition zu erwarten war, wurden die Abweichler bei der Abstimmung zur Gesundheitsreform, einige Tage davor, in der Fraktion »abgestraft«, d.h. im Wiederholungsfall sollten sie aus den entsprechenden Fachausschüssen entfernt werden. Zuchtmeister Struck gestand zwar Gewissensfreiheit zu – was immer das auch sein soll –, das gelte aber nicht für Mitglieder in Fachausschüssen. So blieben von den 20 Gegenstimmen bei der Gesundheitsreform noch 11 bei der Rentenabstimmung über.
Die beschlossene Rente ab 67 wird nicht das Ende der Bemühungen um weitere Kürzungen der Altersbezüge sein. Die Zurückhaltung der Gewerkschaften weckt nur neue Begierden. Die Halbwertzeit bei allen »Reformen«, sei es in der Kranken-, der Arbeitslosen- oder Rentenversicherung, betrug höchstens eine Legislaturperiode. Danach stellten die jeweiligen Koalitionspartner fest, dass die Einschnitte zur »Sanierung der Kassen« doch noch nicht ausreichen würden. Wir müssen uns also auf weitere Angriffe des Unternehmerlagers und der Regierung einstellen und versuchen, das nächste Mal mehr Widerstand zu mobilisieren. Ansonsten wird die weitere Aushöhlung der Sozialsysteme letztendlich zu deren Beseitigung führen.
Die Kritik an der Halbherzigkeit der Protestaktionen kam in verschiedenen Stellungnahmen zum Ausdruck, u.a. im Brief der VK-Leitung der Stahlwerke in Bremen und in einer Stellungnahme aus Baden-Württemberg zum DGB-Aktionstag am 28. Februar 2007. Darin sprachen sich zahlreiche Vertrauensleute und Betriebsräte aus dem Stuttgarter Raum dafür aus, den Aktionstag für betriebliche Aktionen zu nutzen und es nicht bei einer Kundgebung zu belassen.
Die kritischen und klassenbewussten Kräfte in den Gewerkschaften müssen sich gegenseitig abstimmen. Das ist eine notwendige Voraussetzung, um größeren Einfluss auf zukünftige Auseinandersetzungen zu gewinnen. Eine weitere Voraussetzung ist, dass sich die Belegschaften das politische Streikrecht nehmen. Es wird uns weder vom Kapital zugestanden noch von deren politischen Vertretern in Parlament und Regierung geschenkt. Vor dem Hintergrund der Arbeitskämpfe und Erfahrungen der letzten Zeit sollten wir die Diskussion über die damit verbundenen Fragen und praktischen Aufgaben führen. ■