Link zum Film über den Arbeitskampf bei BSH: "Es geht nicht nur um unsere Haut"
■ D I E B S H - B E L E G S C H A F T I N B E R L I N S P A N D A U K Ä M P F T U M I H R E A R B E I T S P L Ä T Z E
Neue Wege im Arbeitskampf
Am 25. September 2006 begann der offizielle Arbeitskampf der IG Metall beim Bosch-Siemens-Hausgerätewerk (BSH) in Berlin-Spandau. Die Belegschaft konnte anknüpfen an die Auseinandersetzungen des vergangenen Jahres. Im Sommer 2005 war es ihr schon einmal gelungen, den Schließungsbeschluss für die Waschmaschinenproduktion zurück zu schlagen (Wir berichteten darüber in der Arbeiterpolitik Nr. 5/2005). Wichtig waren auch die Erfahrungen aus dem Streik der Belegschaft von Orenstein & Koppel (O&K). Diese hatte sich von Februar bis Juni 2006 mit einem 107-tägigen Ausstand gegen die Schließung des Spandauer Standortes gestemmt.
Formal glich der Streik bei BSH den zahlreichen Arbeitskämpfen der letzten Jahre gegen beabsichtigte Werksschließungen. Die Forderung nach einem Sozialtarifvertrag (siehe Anhang 1, Seite 7) bildete den legalen Rahmen, in dem die IG Metall offiziell einen Ausstand organisieren und Streikunterstützung zahlen darf.
Betriebsversammlung und Torbesetzung
Eine insgesamt drei Wochen währende Betriebsversammlung ging dem Arbeitskampf voraus. Auf die Betriebsversammlung platzte die Nachricht: Die Geschäftsleitung versucht Geräte und Produktionsmittel vom Werksgelände schaffen zu lassen. Die Belegschaft reagierte prompt. Die Werkstore wurden besetzt. Alle Autos, auch die PKWs der leitenden Angestellten wurden kontrolliert. Selbst der Werkleiter mußte seinen Kofferraum beim Verlassen des Betriebes öffnen. Zeitweise mussten die „hohen Herren" ihre Limousinen außerhalb des Betriebes abstellen und den Gang in ihre Büros zu Fuß antreten. Die Kolleginnen und Kollegen, die im Arbeitsalltag von den Vorgesetzten kontrolliert und drangsaliert werden, hatten für einige Wochen den Spieß umgedreht. Mit dem durch diese Aktion gestiegenen Selbstbewußtsein konnte die BSH'ler in den offiziellen Arbeitskampf der IGM gehen.
Auf der Betriebsversammlung wurden auch die Grundlagen für den Ausstand gelegt und der Marsch der Solidarität diskutiert und beschlossen. Er bildete den Mittelpunkt des Streikgeschehens. Für 14 Tage machten sich 50 Kolleginnen und Kollegen auf den Weg quer durch die gesamte Republik. Sie besuchten neben anderen BSH-Standorten weitere Werke der „Weißen Ware“, aber auch BenQ in Kamp-Lintfort. Zu den Höhepunkten des Marsches fuhren jeweils mehrer hundert Belegschaftsmitglieder, u.a. nach Leipzig, Nürnberg und Kamp-Lintfort. Mit ihrem Marsch der Solidarität ging die BSH-Belegschaft über die bisher praktizierte Form der Gegenwehr hinaus. Es gelang ihr, den Schließungsbeschluss der BSH-Geschäftsführung ein zweites Mal zurückzuweisen – ein Erfolg, der den Beschäftigten u.a. bei AEG in Nürnberg oder bei O&K in Berlin-Spandau versagt blieb. Doch der Preis dafür war vielen zu hoch. Die Streikenden lehnten mit zwei Drittel Mehrheit den ausgehandelten Kompromiss ab. Wir werden wegen der politischen Bedeutung nach der politischen Einschätzung des Arbeitskampfes und seines Ergebnisses in einer Chronik auf Ablauf und Einzelheiten der Auseinandersetzung eingehen.
Der Arbeitskampf um einen Sozialtarifvertrag bei BSH wird zur politischen Auseinandersetzung
Mit dem Marsch der Solidarität hat die Belegschaft dem Arbeitskampf eine politische Ausrichtung gegeben. Neu waren vor allem:
1. Der massenhafte Besuch anderer BSH-Standorte aber auch von Betriebsstätten anderer Konzerne. Damit haben die Streikenden den direkten Schulterschluss mit anderen Belegschaften gesucht. Nachdem der Vorschlag des Marsches auf die große Zustimmung in der Belegschaft gestoßen war und auch verbal die Zustimmung z.B. des Regierenden Bürgermeisters gefunden hatte, musste der Apparat der IG Metall - größtenteils widerwillig - den Marsch der Solidarität dulden und organisatorisch begleiten. Auf Unbehagen stieß er beim Vorstand in Frankfurt, in verschiedenen Verwaltungsstellen sowie bei etlichen Betriebsräten nicht nur innerhalb des Siemenskonzerns.
2. Auf ihrem Marsch forderten die BSHler nicht nur den Erhalt des eigenen Standortes. Im Vordergrund stand die Verallgemeinerung in Form dreier politischer Forderungen: Ein politisches Streikrecht, mehr Kontroll- und Mitbestimmungsrechte über Investitionen sowie ein Verbot von Entlassungen, wenn Betriebe schwarze Zahlen schreiben. Betont wurde auf den Streikversammlungen immer wieder das politische Ziel des Marsches: „Wir werden eine soziale Bewegung ins Leben rufen“ (Betriebsratsvorsitzender Güngör Dermirci), „wir werden die Verhältnisse zum Tanzen bringen“ (IGM-Streikleiter Luis Sergion). Die 50 Mitglieder der Reisegruppe als auch die Belegschaft haben diese politische Zielsetzung geteilt und wollten ihren Beitrag dazu leisten.
Die Vorgänge innerhalb des Siemens-Konzerns verschafften dem Marsch der Solidarität eine ungeahnte öffentliche Resonanz. Auf den Beschluss zu einer 30-prozentigen Gehaltserhöhung für den Siemens-Vorstand folgte die BenQ-Pleite und sorgte für landesweite Empörung. Es waren nicht mehr nur ausländische Fonds und Konzerne, die als „Heuschrecken“ über die Arbeitsplätze herfielen. Die Praktiken deutscher Traditionsunternehmen wie der Telekom, der Deutschen Bank, der Allianz-Versicherung und vor allem des Siemens-Konzerns gerieten in die Schlagzeilen. Der Konzernvorstand von Siemens stand am „Pranger“.
In dieser Situation wurde der Versuch der BSH-Belegschaft, den Kampf um ihre Arbeitsplätze zu verbinden mit der weit verbreiteten sozialen Unzufriedenheit, zu einer politischen Gefahr für das Unternehmerlager. Die Auseinandersetzung musste möglichst rasch beendet werden. Denn spätestens mit dem Besuch von AEG/Electrolux am 11. Oktober in Nürnberg und von BenQ in Kamp-Lintfort einen Tag später wurde deutlich: Das Auftreten der BSH-Beschäftigten stieß auf Zustimmung in anderen Belegschaften. Egal ob dies bis zur geplanten Kundgebung in München zu einer massenhaften Beteiligung geführt hätte oder nicht, es bestand die Möglichkeit, dass der Marsch der Solidarität zu einem Beispiel bzw. Vorbild für andere wird. Der BSH- und der Siemensvorstand fürchteten das öffentliche Bild und die Resonanz, wenn Vertreter aus verschiedenen Betrieben gemeinsam vor der BSH-Zentrale für den Erhalt der Waschmaschinenproduktion in Spandau demonstriert hätten.
Siemens und IG Metall drängen auf eine Beendigung des Streiks
Nicht nur der Siemenskonzern, das Unternehmerlager insgesamt, drängte deshalb aus politischen Gründen auf einen möglichst raschen Abschluss. Kapital und Regierung fürchten die Politisierung und Ausweitung betrieblicher und sozialer Auseinandersetzungen über die unmittelbar Betroffenen hinaus. Sie wollen den möglichen Widerstand Betroffener isoliert halten. Die Beendigung des Arbeitskampfes wurde deshalb auf höchster Ebene gegen Ende der dritten Streikwoche eingefädelt. „Den Durchbruch für eine Einigung hätten die Verhandlungen von Arbeitgeberverband und IG Metall auf Vorstandebene gebracht, sagte der BSH-Geschäftsführer.“ (FAZ vom 19.10.2006)
Zur Vorbedingung eines Abschlusses machte die Konzernspitze eine Absage der für den 19. Oktober geplanten Kundgebung vor der BSH-Zentrale in München. Das politische Symbol sollte vom Tisch. Deshalb einerseits das Zugeständnis, die Schließungspläne noch einmal aufzuschieben, auf der anderen Seite die Drohung mit dem endgültigen Abbruch der Verhandlungen und der Komplettschließung der Waschmaschinenproduktion, sollten die Bedingungen von der IG Metall und der Tarifkommission nicht akzeptiert werden.
Die Beendigung des Ausstandes lag auch im Interesse der IG Metall-Führung. Kurz vor der Abschlusskundgebung in München sagten Peters, Huber und der Bayerische DGB-Vorsitzende als geplante Redner ab. Die Aktivitäten der BSH-Belegschaft schienen auch dem IGM-Vorstand in Frankfurt politisch nicht mehr kontrollierbar. Das selbstständige Auftreten in anderen Städten widerspricht der gewerkschaftlichen Strategie, soziale Konflikte zu begrenzen und in den Rahmen sozialpartnerschaftlicher Tarifpolitik einzubinden. Die Gewerkschaftsvorstände und -apparate wollen einem Grundsatzkonflikt, einer gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung mit Kapital und Regierung aus dem Wege gehen.
Mit den Mitteln und Methoden der gewerkschaftlichen Tarifpolitik aber lassen sich Arbeitsbedingungen und Löhne nicht erfolgreich verteidigen. Für den Kampf um den Erhalt von Arbeitsplätzen sind sie völlig ungeeignet. Der Verzicht auf eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung führt zwangsläufig zur Hinnahme weiterer Kürzungen bei Löhnen und sozialen Leistungen. Dies belegen die zahlreichen betrieblichen Abschlüsse nach dem Pforzheimer Kompromiss. Für eine zeitlich begrenzte Arbeitsplatzgarantie wurden in hunderten von Betrieben die Regelungen des Flächentarifvertrages aufgehoben und unterschritten – mit Billigung und Unterschrift durch die IG Metall.
Nachdem auf höchster Ebene die Weichen für eine Beendigung des Arbeitskampfes gestellt waren, begannen am 17. Oktober die konkreten Verhandlungen der zuständigen Gremien, die noch in der Nacht beendet wurden. Dabei standen die Mitglieder der Tarifkommission unter einem ungeheuren psychologischen Druck. Entweder ihr akzeptiert das ausgehandelte Ergebnis noch in dieser Nacht und verzichtet auf die geplante Abschlusskundgebung in München, oder wir brechen sämtliche Verhandlungen ab und ziehen den Schließungsbeschluss konsequent durch, so die Drohung der Konzernleitung. Die Zusage für den Erhalt von 400 Arbeitsplätzen bis zum Jahre 2010 wäre damit endgültig vom Tisch. Es würde auch keinen Sozialtarifvertrag geben, sondern einen nach dem Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen und über die Einigungsstelle durchgesetzten Interessenausgleich und Sozialplan.
Olivier Höbel, Bezirksvorsitzender der IGM Berlin-Brandenburg-Sachsen und Verhandlungsführer der Tarifkommission drängte auf eine Annahme des Angebots. Die Tarifkommission stimmte dem Kompromiss nach heftiger und kontroverser Diskussion mit neun zu sechs Stimmen zu.
Das Ergebnis: Erhalt des Standortes für drei Jahre …
Den Preis, den BSH für die Beendigung des Streiks bezahlen musste, war die abermalige Aussetzung des Schließungsbeschlusses. Ein Erfolg, der ohne das politische Auftreten der Belegschaft nicht möglich gewesen wäre. Für 400 Beschäftigte wurden bis 2010 betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. Auch die Abfindungs- und Vorruhestandsregelungen hätte es in dieser Höhe ohne Ausstand nicht gegeben. Im Rahmen eines Streiks für einen Sozialtarifvertrag ist es erstmals gelungen, den Schließungsbeschluss einer Konzernleitung zu kippen. Ein Erfolg, den kaum ein Beteiligter zu Beginn der Auseinandersetzung für möglich gehalten hatte; endeten doch die bisherigen Auseinandersetzungen, u.a. bei Elektrolux/AEG in Nürnberg oder bei O&K in Berlin, trotz wochenlanger Streiks nur mit verbesserten „Sozialplänen".
Was zu Beginn der Auseinandersetzung wohl die Zustimmung der Belegschaft gefunden hätte, stieß nach der 13-tägigen Betriebsversammlung und nach drei Wochen Streik auf entschiedene Ablehnung. Die Kolleginnen und Kollegen, die im normalen Alltag Objekte unternehmerischer Entscheidung sind, wurden zum kollektiv handelnden Subjekt. Die praktischen Erfahrungen im Ausstand und während des Solidaritätsmarsches waren ein komprimierter gewerkschaftlicher und politischer Lernprozess. Die Belegschaft hat innerhalb kurzer Zeit die IG Metall politisch überholt und hinter sich gelassen. „Zu Beginn des Solidaritätsmarsches fuhren wir wie eine Schulklasse los. Im Laufe der zwei Wochen wuchsen wir immer enger zusammen. Nachdem wir feststellen mussten, dass das offizielle IG Metall-Material kaum Anklang fand, begannen wir selbst Transparente zu malen sowie Flugblätter und Reden zu schreiben. Wir traten immer eigenständiger auf." Aus vielen Schilderungen von Teilnehmern aus der Reisegruppe wird der Lernprozess besonders deutlich.
… bei Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerung
Das im Laufe des Arbeitskampfes entstandene Selbstbewusstsein bekamen auch die IGM-Vertreter zu spüren, die der Belegschaft die abgeschlossene Vereinbarung als Erfolg verkaufen wollten. Die Gegenleistung für den dreijährigen Aufschub der Betriebsschließung ist hoch. Neben 216 Kolleginnen und Kollegen, die entlassen werden, zahlen die Verbliebenen mit Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerung. Auf insgesamt 8,5 Millionen Euro jährlich sollen sie verzichten, u.a. auf Überstunden- und Schichtzuschläge und auf Bestandteile von Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Im Bereich Planung und Entwicklung wird die Arbeitszeit von 35 auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich erhöht.
Die bei BSH erzielte Vereinbarung deckt sich mit den Regelungen wie sie nach dem Pforzheimer Kompromiss ohne Kampf und Streik in zahlreichen Betrieben zwischen IG Metall und den Unternehmensleitungen abgeschlossen wurden. Das Muster, dem die Konzern- und Unternehmensleitungen dabei folgen, ist überall das gleiche. Sie nutzen die weit verbreitet Angst vor der drohenden Arbeitslosigkeit. Mit dem Angebot einer zeitlich begrenzten Beschäftigungsgarantie für einen Teil bzw. die verbliebene Belegschaft kauft sie den Beschäftigten, ihren Betriebsräten und der IG Metall den Verzicht auf Bestandteile des Flächentarifvertrages ab. Eine Grenze nach unten gibt es dabei nicht (siehe Kasten), wenn nicht die Belegschaften mit eigenen Aktionen dem entgegentreten.
Rebellion und Abstimmung gegen die IG Metall
Als am Morgen des 18. Oktober das Ergebnis unter den Streikenden bekannt wurde, brach ein Sturm der Entrüstung los. Die Belegschaft fühlte sich zu Recht hintergangen und überrumpelt. Was vor der Abstimmung in der Tarifkommission und der Unterschrift unter die Vereinbarung auf der Streikvollversammlung hätte diskutiert werden müssen, wurde nun nachgeholt. Aber es waren vollendete Tatsachen geschaffen worden. Die Reisegruppe war in der Nacht nach Berlin zurückbeordert worden; die Kundgebung in München damit faktisch beerdigt. Das rief neben dem Lohnverzicht für die Belegschaft und den 216 vereinbarten Entlassungen die heftigste Kritik hervor. Die Kolleginnen und Kollegen fühlten sich um den politischen Höhepunkt ihres Kampfes betrogen. Es hatte bereits Diskussionen und Planungen für eine Verschärfung des Arbeitskampfes gegeben, sollte der Vorstand nach der Kundgebung vor seiner Zentrale in München nicht zum Nachgeben bereit sein.
Der betriebliche Streikleiter und Sekretär der Ortsverwaltung rechtfertigte die Beendigung des Arbeitskampfes vor der Kundgebung. „München war nicht das Ziel sondern nur Mittel um zu einem Abschluss zu gelangen." Darüber hätte man im Streikzelt nicht offen reden können, da die Gegenseite dort immer ihre Informanten gehabt hätte und die IGM die Drohgebärde bis zum letzten Augenblick aufrechterhalten musste, so Luis Sergio. Für die zuständigen Gremien und Funktionäre der IG Metall war die Belegschaft eine Schachfigur im Tarifpoker. Sie wurde nicht mehr gebraucht, nachdem die IGM-Instanzen ihre tariflichen Ziele erfüllt sahen.
Der BR-Vorsitzende Güngör Dermirci – er hatte in der Tarifkommission für die Annahme gestimmt – erklärte angesichts der Stimmung, er würde seine Haltung korrigieren und mit „seiner Mannschaft" die Auseinandersetzung fortsetzen. Damit hatte er indirekt zu einem Nein bei der kommenden Abstimmung aufgerufen.
Die Vorschläge, nun auf eigenen Faust, ohne die IG Metall, nach München zu fahren setzten sich eben so wenig durch, wie die Forderung nach einer sofortigen und offenen Abstimmung über das Ergebnis. Es fehlte in der Belegschaft eine gewerkschaftliche und politische Kraft, die die Belegschaft auch ohne die „offizielle IG Metall", d.h. ohne den gewerkschaftlichen Apparat in die weitere Auseinandersetzung hätte führen können. Das sollte sich auch nach der zweiten Urabstimmung bemerkbar machen.
Die Urabstimmung fand am Nachmittag des 18. und den Vormittag des 19. Oktober statt. Viele Kritiker hofften oder erwarteten, dass die IG Metall nicht die notwendigen 25 Prozent Zustimmung erhalten würden und damit der Arbeitskampf auch offiziell durch die IGM weitergeführt würde. 67 Prozent der Abstimmenden (65 Prozent der Abstimmungsberechtigten) lehnten den ausgehandelten Kompromiss schließlich ab. Als Olivier Höbel im Streikzelt den „gewerkschaftliche Erfolg" rechtfertigen und das Ende des Arbeitskampfes verkünden wollte, wurde er mit Sprechchören und Zwischenrufen unterbrochen. „Du hast bei uns nichts mehr zu suchen." Bis auf wenige Ausnahmen verließ die Belegschaft das Streikzelt, der 1. Bevollmächtigte der IGM Berlin-Brandenburg-Sachsen musste die Rechtfertigung für das Ergebnis und sein Zustandekommen vor leeren Bänken fortsetzen.
Hüseyin Akyurt, der VKL-Leiter, rief die diskutierenden Kolleginnen und Kollegen anschließend ins Streikzelt zurück. Unter großem Jubel und Sprechchören „wir wollen streiken" verkündete er: „Die Ablehnung des Ergebnisses ist eindeutig. Wir werden die Vereinbarung nicht akzeptieren." Vorstellungen oder ein Konzept, wie der Arbeitskampf (eventuell durch eine Betriebsbesetzung) fortgesetzt werden könne, existierten nicht. Die Verantwortung, angesichts der Stimmung, die Belegschaft zur sofortigen Weiteführung aufzurufen, konnte und wollte in dieser Situation keiner übernehmen. Der BR-Vorsitzende forderte stattdessen die IG Metall auf, sofortige Nachverhandlungen beim BSH-Vorstand zu verlangen. Über die drei Forderungen, Verbesserung der Abfindungs- und Vorruhestandsregelung sowie nach einer Weiterbeschäftigung aller Kolleginnen und Kollegen, ließ er die Streikversammlung abstimmen.
Mit dem Votum der Belegschaft fuhren der BR-Vorsitzende und der VKL-Leiter zur IGM-Bezirksleitung. Deren Reaktion war, wie zu erwarten, eindeutig. Sie lehnte Nachverhandlungen kategorisch ab und kündigte an, sich zusammen mit dem BSH-Vorstand offen gegen die Belegschaft zu stellen, sollte diese den Ausstand nicht beenden. Den gewerkschaftlichen Vertretern im Betrieb drohte sie mit Konsequenzen, sollten sie sich nicht an die, in der IGM-Satzung vorgesehene, Regelung (25%-Klausel) halten. Für eine eigenständige Fortführung des Kampfes gegen den Widerstand des BSH-Konzerns und des gewerkschaftlichen Apparates fehlten in der Belegschaft und dem gewerkschaftlichen Umfeld in Berlin (noch?) die politischen Voraussetzungen.
Enttäuscht, verbittert und mit Wut auch auf die IG Metall, der sie zu Beginn des Arbeitskampfes ihr Vertrauen geschenkt hatten, nahmen die Kolleginnen und Kollegen in der folgenden Woche die Arbeit wieder auf.
Die politischen Erfahrungen für die weitere Debatte und Arbeit nutzen
Die Betriebsräte und Vertrauensleute bei BSH müssen, neben der aufreibenden Arbeit bei der konkreten Ausgestaltung des Sozialplans, auch ihren Kopf hinhalten für die Politik der Gewerkschaft, die sie nicht zu verantworten haben. Sie versuchen zu verhindern, dass die antigewerkschaftliche Stimmung zu Resignation, Austritten und damit zum Rückzug ins Private führt. Es gilt, die Geschlossenheit der Belegschaft zu erhalten bzw. wieder herzustellen, soll die Auseinandersetzung um den Erhalt der Waschmaschinenproduktion weitergeführt werden. Denn spätestens 2010 steht ein erneuter Schließungsbeschluss an.
Vor uns steht die Aufgabe, die aus den praktischen Erfahrungen gewonnen politischen Positionen und die Kritik am Verhalten der IG Metall in der Gewerkschaft zu verbreiten und die kritischen Kräfte zu sammeln. Der Vorstand in Frankfurt will die Tatsachen und Widersprüche unter den Teppich kehren. Nach Beendigung des Streiks ließ er sich für „metall" einen Artikel zurechtzimmern, in dem die Verhältnisse auf den Kopf gestellt wurden. Nach erfolgreichem Kampf kehren darin ein überglücklicher Betriebsratsvorsitzender und eine zufriedene Belegschaft aufrecht an die Arbeitsplätze zurück. Das Ergebnis der Urabstimmung wird verschwiegen. Zu Recht, denn es ist eine Ohrfeige für die IG Metall und ihren Vorstand. Zum ersten Mal seit Jahren hat die Mehrheit einer Belegschaft es abgelehnt, den tariflichen Vorgaben der IGM zu folgen. Sie wollte nicht akzeptieren, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen erkauft wird, in dem sie einen Teil der Kolleginnen und Kollegen opfern und die Weiterbeschäftigten auf den Flächentarifvertrag verzichten.