aus Arpo Nummer 3, 2006

N A C H   D E M   K R I E G   I M   L I B A N O N

Eine neue Etappe im Nahen Osten

Die israelische Arbeitspartei unter ihrem neuen Vorsitzenden Peretz ging in den letzten Wahlkampf mit dem Versprechen, dass der dauernde Kriegszustand nun ein Ende haben und die Regierung sich in Zukunft der sozialen Nöte ihrer Landsleute annehmen würde. Stattdessen brach Israel –offenbar in Abstimmung mit den USA – unter dem Vorwand der Befreiung zweier von der Hisbollah gefangen genommener israelischer Soldaten einen Krieg gegen Libanon vom Zaun. Die Strangulierung und wirtschaftliche Verelendung der Bevölkerung des Gaza-Streifens durch Israel hält an und statt des Rückzugs aus dem Westjordanland strömen weiter israelische Siedler in das Gebiet. Die Verbesserung der sozialen Lage von breiten Schichten der israelischen Arbeiterschaft, aber auch der Frieden mit den Palästinensern und den arabischen Nachbarn liegt damit in weiter Ferne.

Die israelische Arbeiterklasse im Schlepptau der Bourgeoisie

Die von Israel überwiegend selbst verschuldete Feindschaft mit seinen arabischen Nachbarn und der damit einhergehende permanente Spannungs- bzw. Kriegszustand des Landes fördert – durchaus im Interesse der israelischen Bourgeoisie – den Burgfrieden mit dem dominanten gewerkschaftlich organisierten Teil der Arbeiterschaft. Im Interesse der Bourgeoisie ist auch die tiefe Spaltung des israelischen Proletariats in einen überwiegend europäischstämmigen Teil, der vom Histadrut repräsentiert wird, in die Schicht der orientalischen Juden, sowie die arabischstämmigen Arbeitnehmer, die zugleich Opfer des Rassismus in der israelischen Gesellschaft sind, und eine Schicht von Wander- oder Fremdarbeitern mit geringeren Rechten und Einkünften, die früher von den Palästinensern gebildet wurde und seit geraumer Zeit von asiatischen Arbeitsemigranten, z.B. aus Thailand, gestellt wird.

Die israelische Abeiter»aristokratie« wird allerdings nicht allein durch Burgfrieden und innere Spaltung gelähmt, sondern zusätzlich noch dadurch, dass es in ihrer arabischen Nachbarschaft nirgendwo eine starke, organisierte Arbeiterbewegung gibt, die mit ihr Verbindung aufnehmen könnte. Stattdessen erlebt sie an ihren Grenzen zu den palästinensischen Gebieten und zum Libanon instabile Regime und im übrigen arabischen Raum ökonomisch gering entwickelte Staaten, die entweder verkappte Militärdiktaturen oder halbfeudale Regimes sind. Diese Umstände fördern den politischen Schulterschluss zwischen organisierter Arbeiterschaft in Israel und ihrer Bourgeoisie und er vereint darüber hinaus beide Klassen in ihrem Rassismus gegen ihre arabischen Nachbarn, wobei sie zugleich übersehen, dass die aggressive Gewaltpolitik Israels ohne die regelmäßigen Milliarden-Zuwendungen aus den USA und der EU überhaupt nichtmöglich wäre.

Israels Machtpolitik auf schwachem Fundament

Die dauerhafte und hohe Subventionierung Israels durch die genannten Staaten ist nicht deren Liebe zum Judentum geschuldet, sondern die Vergütung dafür, dass Israel den Kettenhund für Sicherung der Ölinteressen der führenden Industriestaaten und vor allem der USA im Nahen Osten gibt. Aber Israels Verhalten bereitet auch seinen Finanziers zunehmend Anlass zur Sorge, ob es nicht vom Problemlöser zum Problem mutieren könnte. Die israelische Bourgeoisie, aber auch die religiös-nationalistisch verblendeten Teile der Arbeiterschaft und der Landbevölkerung, haben ihre Stärke und Überlegenheit stets auch als eine Funktion der wirtschaftlichen und politischen Rückständigkeit ihrer arabischen Nachbarstaaten gesehen. Daraus abgeleitet waren und sind ihnen politische und soziale Bewegungen in der arabischen Welt, die auf eine Modernisierung ihrer Staats- und Wirtschaftsverfassungen zielen, suspekt und werden bekämpft. Es gab in der israelischen Geschichte, die im wesentlichen eine Geschichte der gewaltsamen Landnahme gegen die Palästinenser ist, nie eine Mehrheit für einen gemeinsamen Entwicklungsweg, sozusagen eine privilegierte Entwicklungspartnerschaft für die palästinensische Bevölkerung zu Lasten des eigenen materiellen Wohlstands. Dies war sicherlich eine rationale Entscheidung, denn wie sollte man Menschen vertrauen, denen man das Land weggenommen hat. In der politischen Einstellung, politisch und wirtschaftlich rückständige und somit schwache Regimes in den arabischen Staaten als Garanten der Stabilität im eigenen Interesse anzusehen, befand sich Israel stets in Übereinstimmung mit den wechselnden US-Regierungen, nicht nur im Zeitalter des Kalten Krieges. Das Überlegenheitsgefühl der israelischen Bourgeoisie und der Führung von Militär und Geheimdiensten, hat seine Ursachen allerdings auch in den vergangenen, siegreich beendeten Kriegen – vor allem dem sog. Sechstagekrieg – mit den arabischen Staaten und ganz allgemein in seiner militärischen (Atomwaffen) und wirtschaftlichen Überlegenheit. Es hat nun zur sträflichen Unterschätzung des Durchhaltevermögens des palästinensischen Widerstandes ebenso wie der Kampfkraft und -entschlossenheit der Hisbollah im Libanon geführt. »Anfangs hatten sich israelische Militärs dafür begeistert, dass sie endlich ihre neuen Waffen unter Realbedingungen testen können. Und amerikanische Regierungsangehörige sprachen von einem ›Probelauf‹: Sie alle redeten vom Krieg im Libanon, hatten aber dabei Iran im Sinn. «Der Ausgang des Libanon-Krieges zeigt, dass sowohl die USA als auch Israel bei künftigen militärischen Aggressionen mit deutlich stärkerem Widerstand rechnen müssen. Zu den Problemen, welche die USA seit einigen Jahren bereits in Afghanistan und Irak haben, addiert dieser Krieg nun noch die Destabilisierung des Libanon und die moralische und politische Stärkung des islamischen Fundamentalismus, den die US-Regierung mitsamt ihren Nato-Verbündeten als ihre größte Bedrohung ansieht.

Die europäische Bourgeoisie kommt ins Spiel

Israel hatte mit seiner Politik gegen die Fatah unter Arafatkonsequent seinen einzig möglichen Verhandlungspartner auf palästinensischer Seite gedemütigt und schließlich ruiniert und Hamas auf diese Weise die Wähler zu getrieben. Die palästinensische Bevölkerung war politisch gespalten zwischen Fatah und Hamas, und es sah nach den Wahlen in diesem Jahr eine Zeitlang danach aus, als würde es einen Bürgerkrieg im Gazastreifen geben. Israels Einmarsch unter dem Vorwand der Geiselbefreiung hat das palästinensische Lager wieder geeint und den radikalen Flügel der Hamas, der die Geiselnahme verantwortet, moralisch und politisch in den palästinensischen Gebieten und darüber hinaus in der arabischen Welt gestärkt. Danach Krieg und Destabilisierung Libanons ebenfalls unter dem Vorwand einer Geiselbefreiung. Nach israelischen Vorstellungen soll nun der Hisbollah endgültig der Garaus gemacht werden, damit dann für lange Zeit Ruhe herrscht. Aber beide Aktionen sind weit davon entfernt, die arabischen Gegner Israels zu schwächen, stattdessen stärken sie sie moralisch und politisch. Hinzu kommt, dass Organisation und Kampfkraft der libanesischen Hisbollah offenbar sehr viel besser sind, als es die israelischen Geheimdienste und das Militär erwarteten. So erweist sich das israelische Militär mit seinen Präzisionswaffen eher als fähig, den Krieg gegen Frauen und Kinder und zivile Infra-strukturziele zu führen, als gegen seine militärischen Gegner. Die Art und Weise des israelischen Vorgehens zwingt die bürgerliche libanesische Regierung wider deren Willen an die Seite der Hisbollah und sie führte dazu, dass der liba-nesische Ministerpräsident Siniora das für Ende Juli verabredete Treffen mit der US-Außenministerin Rice absagte, nachdem Israel beim Massaker von Kana 56 Zivilistenermordet hatte. Statt die Region zu stabilisieren und unter Kontrolle zu halten, wie es die israelische Bourgeoisie nachdem Willen ihrer Geldgeber tun sollte, betätigt sich diese selbst als Brandstifter und sorgt dafür, dass die Region nicht zur Ruhe kommt.

Unter den gegebenen Umständen blieben den USA und Israel nichts anderes übrig, als die Vereinten Nationen und insbesondere ihre europäischen Verbündeten um Hilfe zu bitten. Auf der Grundlage der UN-Resolution 1701 treten etwa 15000 überwiegend europäische Unifil-Soldaten an die Seite der libanesischen Armee, um den Waffenstillstand im Südlibanon zu befestigen. Im Hinblick auf die Staaten des Nahen Ostens gibt es zwischen den EU-Ländern und den USA sowohl gemeinsame als auch unterschiedliche Interessen: Alle Seiten sind gleichermaßen an einer reibungslosen und sicheren Versorgung mit Erdöl und Erdgas interessiert. Darüber hinaus sind die arabischen Länder und Iran für die EU-Staaten als unmittelbare Nachbarn und Wirtschaftspartner von Bedeutung und die Weiterentwicklung dieser Beziehungen wurde und wird durch die andauernden Konflikte Israels mit seinen arabischen Nachbarn nachhaltig beeinträchtigt. Hinter dem deutlich gewachsenen Engagements der Europäer, insbesondere der italienischen, französischen und deutschen Regierungen, steckt deshalb der Wunsch nach Ausdehnung des eigenen Einflusses im Nahen Osten. Das kommt auch zum Ausdruck in der Forderung des italienischen Außenministers D'Alema an die Adresse Israels: »Israel muss Frieden machen mit den Palästinensern, mit Libanon und Syrien. Ziel ist, dass die arabischen Staaten Israel anerkennen, dass ein palästinensischer Staat entsteht, dass es endlich ein Ende gibt für diesen Konflikt... Israelmuss verstehen, dass Sicherheit und Frieden nicht zwei verschiedene Dinge sind. In Israel erklärt man die Sicherheit immer zur Vorbedingung des Friedens, doch beides sind die zwei Seit en von ein und derselben Medaille...«. Dies wird der israelischen Regierung nicht passen und sie wird, wie die Reisediplomatie der israelischen Außenministerin Livni erkennen lässt, versuchen, die US-Regierung gegen die EU-Regierungen auszuspielen – auf lange Sicht sicherlich ohne Erfolg, weil stabile Verhältnisse im Nahen Osten grundsätzlich auch im Interesse der US-Bourgeoisie liegen. So besteht dann jederzeit die Möglichkeit, dass sich die USA und die Kernstaaten der EU über Israels Kopf hinweg einigen. Die gewachsene wirtschaftliche Bedeutung des Nahen Ostens (vor allem als Energie- und Rohstofflieferant) und das daraus folgende Engagement der westeuropäischen Bourgeoisie haben die Lage für Israel nachhaltig verändert; es wird in Zukunft auch von dieser Seite aus stärkerem Druck ausgesetzt sein als je zuvor, mit den Palästinensern und den arabischen Nachbarn endlich zu einem Verhandlungsfrieden zu kommen.

Iran – ein bürgerliches Entwicklungsmodell für die arabische Welt?

Israels fortgesetzte Politik der Gewaltherrschaft zwingt den politisch interessierten Menschen vor allem im Nahen Osten die Frage auf, warum ihre Regierungen nicht in der Lage sind, ihre Länder wirtschaftlich und militärisch auf ein Niveau zu heben, das der dauernden Unterlegenheit und Demütigung durch die führenden westlichen Industrienationen und Israel ein Ende setzt. Das setzt vor allem die den USA verbundenen Regierungen unter Druck: Auf einem Treffen muslimischer Staaten Anfang August in Malaysia äußerte die Premierministerin Bangladeschs, Begum Khaled Zia, Israels Militärschläge würden »zweifellos zur Radikalisierung in der islamischen Welt beitragen, was wiederum die Schwierigkeiten für jene unter uns, die auf der moderaten Seite stehen, erhöhen wird. «Und der türkische Generalsekretär der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC), Ihsanoglu, warf dem Westen »Doppelmoral« und »Parteilichkeit« vor, die zur Folge haben könnten; »dass der Zorn der muslimischen Massen in einen dauerhaften Hass gegen den Aggressor und dessen implizite und explizite Schutzmächte umschlägt. «(FAZ, 04.08.06)

Hier kommt die Islamische Republik Iran ins Spiel und das, was allgemein islamischer Fundamentalismus genannt wird. Die iranische Revolution gegen das Pahlewi-Regime Ende der siebziger Jahre zeigte, dass eine revolutionäre Umwälzung des politischen Überbaus auch ohne soziale Revolution möglich war und stellte damit auch für diejenigen Teile der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Klassen, die eine sozialistische Revolution zwar ablehnen aber nationale Unabhängigkeit anstreben, ein alternatives Modell dar, um den eigenen Staat aus der Umklammerung vor allem durch die USA zu befreien. Die tragende Organisation der iranischen Revolution war die schiitische Geistlichkeit, die nach dem Sturz des Pahlewi-Clans und seiner Verbündeten die sozialrevolutionären Kräfte vernichtete. Der revolutionäre Teil des Klerus überführte insbesondere das riesige Vermögen der Schah-Familie und deren engsten Anhängern, in religiöse Stiftungen, tastete aber im übrigen die ökonomischen Grundlagen der iranischen Bourgeoisie und der großen Landeigner nicht an. Dieses iranische nationalrevolutionäre »Modell« in religiöser Verkleidung liegt vor allem dort nahe, wo die einheimische Bourgeoisie nicht die Kraft hat, die politische Macht selbst in die Hand zu nehmen und unter dem Etikett der Religion die übrigen Klassen und Schichten der Gesellschaft einbezogen werden können. Einen islamischen Weg der Wirtschaftsentwicklung gibt es selbstverständlich nicht, auch nicht im Iran. Es ist auch dort der kapitalistische Weg, auf dem die Ökonomie sich entfaltet. Die religiösen Führer vertreten objektiv die Interessendes großen Kapitals, sind aber gleichzeitig in den verschiedenen anderen Klassen, im Proletariat ebenso wie im Kleinbürgertum und in den halbfeudalen Schichten verankert genug, um diese gegeneinander ausspielen und ihre politische Macht, die über verschiedene kapitalkräftige religiöse Stiftungen eine kräftige materielle Basis hat, sichern zu können. Gleichwohl stellt die Islamische Republik Iran auch aus der Sicht des iranischen Proletariats einen Fortschrittgegenüber dem Pahlewi-Regime dar, insofern sie die nationale Wirtschaft weiterentwickelt hat und die nationale Integrität des Landes gegenüber anderen Staaten, insbesondere den USA, erfolgreich verteidigt hat. Damit hat sich der Kampfboden für die iranische Arbeiterklasse verändert; ihre Kampfziele bleiben die gleichen wie unter der Herrschaft des Schahs – die Organisation und der Kampf um ihre soziale und politische Emanzipation.

Teheran an den Pranger?

In dem Versprechen eines eigenständigen (kapitalistischen) Entwicklungsweges ohne die Bevormundung durch die USA und/oder die europäischen Industriestaaten liegt die Attraktivität des iranischen Beispiels für die von der Mitherrschaft in ihren Ländern ausgeschlossenen Teile der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums, welches durch den Verzicht auf sozialrevolutionäre Ziele eben auch für breite bürgerliche und kleinbürgerliche Schichten in den arabischen Staaten anziehend wirkt. Andererseits sehen vor allem die USA darin eine Gefahr, weil sie jede Veränderung des weltpolitischen status quo unter den gegebenen Umständen als eine Bedrohung ihrer Dominanz interpretieren. Umgekehrt ist die Verringerung der Dominanz der USA und ihrer Nato-Verbündeten genau das Ziel der politischen Vertreter des islamischen Fundamentalismus. Es liegt an den unterschiedlichen Einflusssphären und Wirtschaftsinteressen der führenden Industriemächte, dass sie den islamischen Fundamentalismus nicht in gleicher Weise als Bedrohung und Feindbildwahrnehmen. Anders als zur Zeit des sozialistischen Lagers, wo jede politische Revolution zugleich die Gefahr einersozialen Revolution beinhaltete, wird der islamische Fundamentalismus von europäischen Regierungen, wie etwa der französischen, aber auch der deutschen, heute als weniger bedrohlich wahrgenommen als von der gegenwärtigen US-Regierung, die ihr innenpolitisches Überleben im wesentlichen der Ausrufung des »Kriegs gegen den Terror« nach dem11. 9. 2001 verdankt. Im Widerspruch zu den Tatsachen setzt die US-Regierung in ihrer politischen Propaganda den »islamischen Fundamentalismus«, bzw. ihre jeweiligen politischen Gegner, wie z.B. Saddam Hussein, grundsätzlich mit Terrorismus und z.B. Al Quaida gleich; damit soll das verloren gegangene Feindbild des real existierenden Sozialismusersetzt und die Verbündeten zur bedingungslosen Ein- und Unterordnung unter die Direktiven der US-Politik gezwungen werden. Die Auseinandersetzung um die iranische Atompolitik und die bislang vergeblichen Versuche der USA, Iran international zu isolieren, zeigen, dass es den USA kaum gelingen wird, materielle Sanktionen gegen Iran durchzusetzen und dass sie dafür nicht einmal im eigenen Nato-Lager einmütige Zustimmung finden.15. Sept. 06 ■