aus Arpo Nummer 5, 2005

Wahlstellungnahme:

Die herrschende Klasse sucht die Zustimmung zum Sozialabbau – mit der Stimmabgabe dagegen ist es nicht getan

Als die SPD-Führungsriege nach der verlorenen NRW-Landtagswahl die Einleitung von Neuwahlen zum Bundestag verkündete, verfolgte sie mehrere Ziele. Sie wollte:

Da die SPD als reformistische Partei Stabilität und Bestand der kapitalistischen Ordnung seit 1914 über die Interessen der Lohnabhängigen stellt, muss sie folgerichtig auch die politische Programmatik der eigenen Partei der Staatsräson unterordnen. Mit der bevorstehenden Wahl am 18. September wird nicht nur über die Zusammensetzung des neuen Parlaments abgestimmt, sie soll zugleich, wie Bundespräsident Köhler in seiner Auflösungsverfügung erklärte, – sozusagen als »Volksabstimmung« – die Fortsetzung der sozialen Demontage durch die zukünftige Bundesregierung legitimieren. Und die wird aller Voraussicht nach von der CDU geführt werden.

Nach sieben Jahren rot-grüner Koalition

Es blieb einer sozialdemokratisch geführten Regierung überlassen, die Privatisierung der Sozialversicherungen in die Wege zu leiten sowie deren materielles Niveau abzusenken. Angeführt seien nur die Einführung der Riester-Rente bei gleichzeitigem Abbau des Rentenniveaus und die immer stärkere Beteiligung der Patienten an der Gesundheitsfürsorge, was einer schleichenden Enteignung der arbeitenden Bevölkerung gleichkommt. Das Wichtigste: mit Hartz IV wurde aus der Arbeitslosenversicherung – der Absicherung vor den Folgen der Erwerbslosigkeit – ein staatliches Zwangsinstrument gemacht. Es soll der Schaffung eines breiten Niedriglohnsektors dienen und zu einer allgemeinen Absenkung des Lohnniveaus beitragen.

Das Unternehmerlager konnte in den letzten Jahren auf diesem Feld entscheidende Durchbrüche verbuchen:

Folgenreicher als die materiellen Verluste, unter denen immer mehr Menschen immer stärker leiden, ist die zunehmende gewerkschaftliche und politische Orientierungslosigkeit, die das Ausmaß des Leidens noch vergrößert. Die bisherigen Formen der sozialpartnerschaftlichen Interessenvertretung funktionieren nicht mehr. Die Unternehmer ersetzen diese Partnerschaft, die sich lange Zeit für die abhängig Beschäftigten »ausgezahlt« hat, zunehmend durch Erpressungen, Drohungen und Diktate.

Darauf finden die abhängig Beschäftigten noch keine entsprechende Antwort. Die SPD in der Regierungsverantwortung betreibt das Geschäft der Gegenseite und die Gewerkschaften unter sozialdemokratischer Führung haben den Rückzug angetreten und geben bisher Erreichtes kampflos preis. Es ist mittlerweile gängige Praxis der Unternehmer, Betriebsräte zu übergehen und vor vollendete Tatsachen zu stellen, bzw. sie zu Co-Managern der Unternehmensleitungen zu machen. Beide Strategien sind aus dem selben Grund erfolgreich: die Betriebsräte werden von den Belegschaften zu wenig kontrolliert und unter Druck gehalten, sie sind Stellvertreter und wollen es in der Regel auch sein.

Gewerkschaftliche Grundsätze, auf die sich in der Vergangenheit die betriebliche Interessenvertretung stützte, besitzen kaum noch Gültigkeit. So reagieren Belegschaften, Betriebsräte und Gewerkschaften schon fast automatisch auf die drohende Verlagerung von Arbeitsplätzen mit der Bereitschaft, auf bestehende tarifliche Leistungen zu verzichten und die Arbeitszeit zu verlängern. Das gewerkschaftliche Selbstverständnis, das sich in den Jahrzehnten der bundesrepublikanischen Konjunkturperiode herausbildete, zersetzt sich heute. Der Zusammenbruch des sozialistischen Lagers trägt das seinige dazu bei. Diese Ausgangsbedingungen müssen wir für unser weiteres politisches Handeln berücksichtigen.

Zur Kandidatur der Linkspartei

Die Kandidatur Lafontaines für die WASG spricht breitere Kreise in den alten Bundesländern an. In der Wahl der Linkspartei sehen diese WählerInnen erstmals seit langem die Möglichkeit, ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen – wenn auch nur mit dem Stimmzettel: als Protest gegen Hartz IV und die neoliberale Parteienallianz, die im Parlament nicht mehr unter sich bleiben soll. Dies erweitert auch die Zustimmung für die PDS im Osten.

Allerdings: Mit ihrem beschränkten reformistischen Ansatz mobilisiert die Linkspartei Hoffnungen auf eine andere, sozialere Politik. Dieser beschränkte Ansatz ist u.a. Ausdruck der bestehenden Kräfteverhältnisse und des fehlenden Klassenbewusstseins. Die Linkspartei stellt die bürgerliche Gesellschaftsordnung nicht in Frage, sie beschränkt sich bislang auf die Kritik einzelner Erscheinungsformen – in erster Linie die Politik der Parteien. Ihr westliches Führungspersonal – sozialdemokratisch und sozialpartnerschaftlich geprägt – orientiert auf die parlamentarische Arbeit. Die PDS (ein entscheidender Teil einer künftigen Linkspartei) hat in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern längst ihre Verlässlichkeit bei der Verwaltung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung unter Beweis gestellt. Auffallend ist das weitgehende Schweigen bei der WASG und der Linkspartei.PDS zum Kurs und Zustand der Gewerkschaften, mit dem sich zwar einzelne ihrer Mitglieder auseinandersetzen, nicht aber die Partei in ihrer Programmatik. Wo die bisherige PDS (wie in Berlin) Regierungsverantwortung mitträgt, gerät sie selbst mit sozialpartnerschaftlich ausgerichteten Gewerkschaftsfunktionären in Widerspruch, beispielsweise bei der Absenkung von Tarifen im öffentlichen Dienst oder der Durchsetzung von Hartz IV.

Dennoch stellen die Herausbildung der WASG und die gemeinsame Kandidatur mit der Linkspartei.PDS gegenüber den letzten Jahren einen Schritt nach vorne dar. Die Unzufriedenheit in der arbeitenden Bevölkerung muss sich nicht mehr erschöpfen im Fernbleiben von der Wahlurne oder in der zähneknirschenden Abgabe der Stimme für das »kleinere Übel«. Das würde Resignation und Lähmung verstärken und der Rechtsentwicklung weiteren Vorschub leisten.

Die NPD in Sachsen hatte nach ihren Erfolgen bei den Landtagswahlen die Erwartung geäußert, von der verbreiteten Proteststimmung auch bei künftigen Wahlen zu profitieren. Die Kandidatur der Linkspartei macht ihr zumindest für die anstehende Bundestagswahl einen Strich durch die Rechnung. Der von der neoliberalen Parteienallianz erhobene Vorwurf, die Linkspartei fische im rechtsradikalen Lager, ist reine Demagogie und soll von den Ursachen der Unzufriedenheit ablenken. Es sind die Folgen der wirtschaftspolitischen und sozialen Entscheidungen dieser Allianz der Volksparteien, die der NPD oder anderen rechtsextremen Populisten ein wachsendes Wählerpotential beschert haben.

Bundespräsident sieht nationale Notlage und ruft zur Wahl einer starken Regierung zur »Sicherung der Freiheit« und zur Gestaltung eines »modernen Sozialstaates« auf.

Auszüge aus der Rede von Bundespräsident Köhler am 21. Juli. 2005, in der er die Auflösung des Bundestages verkündete.

»Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ich habe heute den 15. Deutschen Bundestag aufgelöst und Neuwahlen für den 18. September angesetzt. Unser Land steht vor gewaltigen Aufgaben. Unsere Zukunft und die unserer Kinder steht auf dem Spiel. Millionen von Menschen sind arbeitslos, viele seit Jahren. Die Haushalte des Bundes und der Länder sind in einer nie dagewesenen, kritischen Lage. Die bestehende föderale Ordnung ist überholt. Wir haben zu wenig Kinder, und wir werden immer älter. Und wir müssen uns im weltweiten, scharfen Wettbewerb behaupten. In dieser ernsten Situation braucht unser Land eine Regierung, die ihre Ziele mit Stetigkeit und mit Nachdruck verfolgen kann. Dabei ist die Bundesregierung auf die Unterstützung durch eine verläßliche, handlungsfähige Mehrheit im Bundestag angewiesen. (…)

In meiner Gesamtabwägung komme ich zu dem Ergebnis, daß dem Wohl unseres Volkes mit einer Neuwahl jetzt am besten gedient ist. Es ist richtig, daß in der heutigen Situation der demokratische Souverän – das Volk – über die künftige Politik unseres Landes entscheiden kann. Die Parteien fordere ich auf, den Bürgerinnen und Bürgern ihre Vorstellungen über die Lösung der Probleme sachlich und wahrhaftig zu vermitteln. Ich bin ganz sicher: Wir haben die Begabung und die Fähigkeit, unsere Freiheit zu sichern und einen modernen Sozialstaat zu gestalten. (…)«

Dadurch dass das Bundesverfassungsgericht in seiner am25.8. verkündeten Entscheidung Köhlers Auflösung des Bundestages genehmigt hat, hat es auch dessen Begründung akzeptiert: Die »nationale Notlage« rechtfertigt die Auflösung des Parlaments. Nun hatten die Begründer des Grundgesetzes genau das verhindern wollen, dass wie in der Weimarer Republik der Reichspräsident den Reichstag auflösen und damit legal die parlamentarische Demokratie außer Kraft setzen konnte. Die Idee der parlamentarischen Demokratie ist es ja gerade, dass das Parlament als sogenannte Repräsentation des Volkswillens die Kontrolle der Regierung ausüben kann. Mit der jetzt vollzogenen Auflösung des Bundestags durch den SPD-Kanzler Schröder und den CDU-Bundespräsidenten Köhler, gedeckt vom Bundesverfassungsgericht, hat sich das Verhältnis umgedreht: Die Regierung kontrolliert das Parlament, da sie es jetzt auflösen kann, wenn es ihr nicht mehr passt. So ebnet die bürgerliche Demokratie in Deutschland selbst den Weg zu einer »starken Regierung«.■

Wir halten es für richtig, bei der bevorstehenden Bundestagswahl der Linkspartei.PDS, auf deren Listen auch Mitglieder der WASG kandidieren, die Stimme zu geben. Wie viele anderen auch, ist uns klar, dass allein durch deren Wahlerfolg noch nichts gewonnen wäre. Parlamentarische Wahlen können die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nicht verändern; sie spiegeln sie bestenfalls wider. Auch eine starke Fraktion des Bündnisses Linkspartei.PDS und WASG – ob sie nun 8, 10 oder 12 Prozent der Parlamentarier umfasst –wird eine Fortsetzung und Verschärfung der sozialen Demontage durch eine unionsgeführte Bundesregierung nicht aufhalten können. Das bürgerliche Lager hat angekündigt, was es von einer konservativen Regierung sofort nach den Wahlen verlangt: Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes noch vor März 2006, Aufgabe der Mitbestimmung. Die sozialen und politischen Auseinandersetzungen werden nicht durch Parlamentsdebatten entschieden, sondern müssen auf der Straße, in den Betrieben und Verwaltungen ausgefochten werden. Sollten sich nach dem Protestkreuz für die Linkspartei der Wille und die Fähigkeit zum Widerstand nicht entwickeln, wird auch diese Stimme eine verschenkte bleiben. Entscheidend dabei ist nach wie vor, wie sich dieser Widerstand in den Betrieben formiert, auch ohne und wenn nötig, gegen den Gewerkschaftsapparat. Ohne einen politisch aktiven Kern unter den abhängig Beschäftigten wird die derzeitige soziale Bewegung aus Hartz-IV-Empfängern, Studenten, ATTAC-Aktiven etc. nicht die notwendige Kraft entwickeln können, der bürgerlichen Klasse in den Arm zu fallen.

Wir betrachten es weiterhin als eine unserer Aufgaben, den außerparlamentarischen Widerstand zu unterstützen und zu fördern – als politisch und organisatorisch eigenständige Gruppe. Denn eine sozialistische Perspektive haben WASG und hat die Linkspartei nicht aufzuweisen und die Hoffnung ihrer WählerInnen auf eine andere, sozialere Politik wird sie auf sich allein gestellt nicht erfüllen können.

Darüber wird es nach den Bundestagswahlen zu Auseinandersetzungen in der Neuformierung »Linkspartei« kommen. Wir werden uns an der Diskussion, wie die abhängig Beschäftigten der Offensive der herrschenden Klasse begegnen können, weiter beteiligen. ■