aus Arpo Nummer 1/2, 2005

Betriebsräte und Gewerkschaften
auf dem Rückzug

Zur Einleitung

In dieser Ausgabe der Arbeiterpolitik nimmt die Berichterstattung über die Angriffe des Kapitals in den Betrieben wieder breiten Raum ein. Hartz IV war noch gar nicht offiziell in Kraft getreten (1.1.2005), da hatte es schon seine beabsichtigten Wirkungen gezeigt. Es hat den Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten und auf die Gewerkschaften enorm erhöht. Für den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen durch die Unternehmensleitungen – und das sind im Wesentlichen nur Absichtserklärungen – werden längere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich und/oder die Absenkung von Löhnen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld vereinbart. Die Kritik an den Öffnungsklauseln des Flächentarifvertrages, den die IG Metall abgeschlossen hat, erweist sich als berechtigt. Alle vor einem Jahr von einigen Kritikern geäußerten Befürchtungen haben sich bestätigt, schneller und schlimmer als erwartet.

Konzernbetriebsräte und Vorstände der Gewerkschaften verkaufen diese neuen Abmachungen als »einzig mögliche« Lösung. Zugeständnisse seien nötig, um nicht das Ganze aufs Spiel zu setzen – die Politik des kleineren Übels auf der Ebene betrieblicher Vereinbarungen. Damit bestätigen sie die Propaganda von Regierungs- und Unternehmerseite, nach der es »keine Alternative« zum Abbau geben soll.

Die Apparate der Gewerkschaften sowie die Konzernbetriebsräte sehen Ihre Aufgabe im reibungslosen Ablauf dieses Stellvertreter-Geschäftes, das allerdings voraussetzt, dass die Unternehmer sie einbeziehen und es ihnen durch kleinere Zugeständnisse ermöglichen, sich als Interessenvertreter gegenüber den Belegschaften und Mitgliedern zu legitimieren.
Dafür rufen die Funktionäre auch Belegschaften und Mitglieder zu symbolischen Aktionen auf. Sie dürfen zur Unterstützung ihrer Vorstände und Betriebsräte für eine begrenzte Zeit vor den Werkstoren ihren Unmut kundtun. Was als sozialverträglicher Abbau deklariert wird, ist nichts anderes als ein Abbau ohne soziale Unruhe, d.h. unter Kontrolle und mit Zustimmung von Gewerkschaftsinstanzen, die sich als »Sozialpartner« dem Unternehmer und der bestehenden kapitalistischen Ordnung verpflichtet fühlen.

Man macht es sich aber zu einfach, wenn man für den Prozess des Unterwerfens ausschließlich die Gewerkschaftsführung verantwortlich macht. Gerade auch an der Basis, in den Belegschaften, ist die Sichtweise des kleineren Übels vorherrschend, wächst angesichts der Kräfteverhältnisse und des Heeres der Erwerbslosen die Bereitschaft, durch Verzicht wenigstens noch eine Zeit lang auf seinem Arbeitsplatz über die Runden zu kommen.

Jahrzehnte sozialpartnerschaftlicher Erfahrungen – man konnte die Wahrnehmung der eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen bequem delegieren – lassen sich nicht innerhalb kurzer Zeit überwinden, auch wenn das Kapital die bisherige Form der »Partnerschaft« aufgekündigt hat und zu einer neuen Form des Klassenkampfes übergegangen ist. »Viel schlimmer als der materielle Verlust ist der politische Schaden durch die Entpolitisierung und Entsolidarisierung der Lohnabhängigen«, schreibt ein ehemaliges Betriebsratsmitglied an die gewerkschaftlichen Funktionäre bei den Stahlwerken in Bremen (siehe S. 16). Tatsächlich fördern alle Abschlüsse der letzten Zeit die Aufspaltung und Zersplitterung der Belegschaften, z.B. Bestandssicherung für alte Beschäftigungsverhältnisse und niedrigere Löhne bei Neueinstellungen, Ausgliederung z.B. von Kantinenpersonal, Pförtnern, Fahrern etc. Dazu kommen unterschiedliche Arten prekärer Beschäftigung in Betrieben – von Befristungen über Leiharbeit bis zu »freier« Mitarbeit und billigen bis kostenlosen Praktika. Die Erwerbslosen/Niedriglöhner sind in den Köpfen der Belegschaften – auch in den tariflich gebundenen – als Druckmittel gegenwärtig. Tarifverträge gelten für immer weniger Beschäftigte. Und soweit sie noch gelten, eignen sie sich hervorragend, die Beschäftigten laufend zu weiteren Zugeständnissen zu zwingen. Die Friedenspflicht wiederum zwingt die Belegschaften, stillzuhalten. Die Gewerkschaftsführungen selbst schwächen die Organisation.

Die Bereitschaft zu eigenständigen Aktionen – wie bei Daimler/Untertürkheim oder bei Opel/Bochum – ist bisher die Ausnahme geblieben. Kritische Kräfte, die sich dem Kurs der Vorstände und Betriebsratsführungen entgegen stellen und die Chance haben, Einfluss auf ganze Belegschaften zu bekommen, werden aus Furcht von Unternehmern und von den Führungsinstanzen der Gewerkschaften bekämpft.

Wir wollen auch mit dieser Ausgabe der Arbeiterpolitik dazu beitragen, die gesellschaftlichen Ursachen für die verschärften Kapitalangriffe zu erklären und Ansätze eigenständigen Handelns zu stärken.

Von der Sozialpartnerschaft zur »Partnerschaft neuen Typs«

Was für die Gesellschaft die soziale Marktwirtschaft bedeutete, war für Kapital und Arbeit die Sozialpartnerschaft.
Ihre wirtschaftliche Grundlage war die lang anhaltende Konjunktur, der Mangel an Arbeitskräften der kapitalistischen Aufschwungsphase nach der Währungsreform 1948. Die Gewerkschaften akzeptierten die Rolle, die ihnen die restaurierten Verhältnisse der jungen Bundesrepublik eröffneten. Von ihren Ideen der Nachkriegszeit, nämlich einer wirtschaftlichen und sozialen Neuordnung Deutschlands, verabschiedeten sie sich. [...] Angeführt wurden sie damals von dem »Reformer« und IG-Bau-Vorsitzenden Georg Leber, auf der anderen Seite stand der »Traditionalist« und IGM-Vorsitzende Brenner. Der Begriff »Sozialpartnerschaft« hat sich als Synonym für die Periode des friedlich-schiedlichen Aushandelns der Tarife, bei der ein Streik nur als »letztes Mittel« galt, eingebürgert.

Diese damalige Form der Sozialpartnerschaft wurde von Belegschaften zum Beispiel durch »wilde Streiks« unterlaufen. In solchen Fällen traten die Gewerkschaften als Ordnungsfaktor auf und sicherten ihrerseits den Bestand der Form der Sozialpartnerschaft.

In den letzten Jahren waren und sind es die Unternehmen, die mehr und mehr die Tarife aushebeln und damit deren bisherige Funktion in der Sozialpartnerschaft aufheben. Folglich wird der Sozialpartnerschaft in der bisherigen Form der Boden entzogen. [...] Arbeitgeberpräsident Hundt: »Gerade jetzt sollten die Arbeitgeber den Gewerkschaften die Hand reichen, um die Sozialpartnerschaft zu modernisieren.« »Modernisieren« heißt anpassen an die vom Kapital geschaffenen Realitäten.                                        aus: Arbeiterpolitik Nr. 3/November 2003, S.21/22, ■

Die Bereitschaft zu eigenständigen Aktionen – wie bei Daimler/Untertürkheim oder bei Opel/Bochum – ist bisher die Ausnahme geblieben. Kritische Kräfte, die sich dem Kurs der Vorstände und Betriebsratsführungen entgegen stellen und die Chance haben, Einfluss auf ganze Belegschaften zu bekommen, werden aus Furcht von Unternehmern und von den Führungsinstanzen der Gewerkschaften bekämpft. Wir wollen auch mit dieser Ausgabe der Arbeiterpolitik dazu beitragen, die gesellschaftlichen Ursachen für die verschärften Kapitalangriffe zu erklären und Ansätze eigenständigen Handelns zu stärken.