■ Ö F F E N T L I C H E A R B E I T G E B E R A L S S P E E R S P I T Z E D E S U N T E R N E H M E R L A G E R S
»Durchbruchschlacht« für
generelle Arbeitszeitverlängerung
In allen Branchen organisieren die Unternehmer und ihre Verbände die Rückkehr der Beschäftigten zur 40/42-Stunden-Woche. Dabei geht es ihnen nicht allein um die Länge sondern auch um die Flexibilisierung der Arbeitszeit (siehe Artikel »Der Angriff auf die Arbeitszeit«, S. 4 und »Arbeitszeitverlängerung und Flexibilisierung bei der Post«, S. 7). Bisherige Regelungen, die dem entgegenstehen und den Gewerkschaften und Betriebsräten eine Mitbestimmung einräumen, sollen zu Fall gebracht werden.
Alle, die sich dieser Entwicklung entgegen stemmen wollen, müssen ihren Blick jetzt auf den öffentlichen Dienst richten. Denn mit der Kündigung der Arbeitszeitbestimmungen zum 1. Mai 2004 durch die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) hat sich der Schauplatz des Kampfes um die Länge des Arbeitstages dorthin verlagert. Während die Unternehmer der Metallindustrie schrittweise, Betrieb für Betrieb, die in der Metallindustrie vereinbarten Öffnungsklauseln für eine Erhöhung und Flexibilisierung der Arbeitszeit nutzen, wird gegenüber ver.di erneut versucht, eine Gewerkschaft zur Unterschrift unter einen Tarifvertrag zu zwingen, der eine generelle Arbeitszeitverlängerung beinhaltet. Das wäre das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik und ein Signal. Die Kündigung des Arbeitszeittarifvertrages im öffentlichen Dienst werde »die Arbeitswelt in Deutschland verändern «, verkündete der bayerische Ministerpräsident Stoiber.
Den Kampfplatz »Öffentlicher Dienst« hat die Gegenseite, in diesem Fall die Staatsmacht, mit Bedacht gewählt. Fast die Hälfte aller Beschäftigten der Länder sind Beamte. Ihnen hatte der Gesetzgeber in den letzten Jahren schon per Beschluss längere Dienstzeiten verordnet. Von der verbleibenden Hälfte stellen die Arbeiter eine verschwindende Minderheit dar. Die große Zahl der Angestellten der Länder ist nur zu etwa 10 Prozent gewerkschaftlich organisiert. Die Methode, den schwächsten Bereich exemplarisch vorzuführen, um einen Durchbruch zu erringen und das Ergebnis dann in allen anderen Bereichen durchzudrücken, wurde in der Vergangenheit bereits erfolgreich praktiziert – jüngst erst durch den Berliner SPD-PDS-Senat.
Der Vorsitzende der TdL, Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring, hält den Gewerkschaftsvorständen den Spiegel ihrer Schwäche vor. Proteste und Streiks der Beschäftigten sieht er gelassen: »Es kann sein, dass der eine oder andere Arbeitsplatz ein paar Tage nicht besetzt ist. Dann sparen wir den Lohn ein, den ver.di aus der Streikkasse bezahlen muss. Und die liegen gebliebene Arbeit wird nachgeholt. (...) ver.di wird mit einem Streik jedenfalls keine neuen Verhandlungen über die Arbeitszeit erzwingen.« Die längere Arbeitszeit gelte ab Mai zunächst für Neueingestellte und nach Beförderungen. »Im ersten Jahr können wir zehn Prozent der Arbeitsverträge umstellen, im zweiten werden es 20 Prozent sein. Nach fünf Jahren haben wir mehr als die Hälfte der Verträge umgestellt. Das geht relativ schnell – jedenfalls schneller, als wenn wir noch drei Jahre lang ohne Ergebnis mit Verdi verhandeln.« Die Drohung vor einem Konflikt in nicht gekanntem Ausmaß, wie von Verdi angedroht, sieht Möllring nicht: »Frank Bsirske ist nicht Heinz Kluncker. Als Kluncker vor 30 Jahren den Arm hob, stand die Republik still. Bei Bsirske sehe ich das nicht. Durch die Privatisierung im öffentlichen Nahverkehr, bei der Müllabfuhr und so weiter kann unsere Gesellschaft nicht mehr so lahm gelegt werden wie 1974.« (Stuttgarter Zeitung 08.04.04)
Der Vorstoß der Länder fällt in eine Zeit, in der schon seit Monaten (Mai 2003) über die Ausgestaltung der sogenannten Prozessvereinbarung zwischen ver.di, dem Bund, den Ländern und Kommunen verhandelt wird. Mit der Prozessvereinbarung soll das gesamte, seit 1961 bestehende Tarifrecht des Öffentlichen Dienstes neu geregelt – angeblich vereinfacht und leistungsbezogen – werden (siehe Artikel S. 00). Zu Beginn des nächsten Jahres steht zudem die normale Gehaltstarifrunde bevor.
Der Vorstand von ver.di reagiert auf die Angriffe mit einer Mischung von wortradikalen Drohungen und Signalen der Bereitschaft für eine möglichst reibungslose Fortsetzung der Verhandlungen zur Prozessvereinbarung mit den »gesprächsbereiten Arbeitgebern«: den Kommunen und dem Bund.
Vor der Bundestarifkommission führte Kurt Martin, Bundesvorstandsmitglied von ver.di, am 2. April 2004 aus: »Es geht um den Versuch, uns zu erpressen mit dem Ziel, den umfangreichen Katalog der von den Arbeitgebern der Länder geforderten Absenkungen und Verschlechterungen tariflicher Standards zu erzwingen – nach dem Motto: länger arbeiten für weniger Geld und bei verschlechterten Konditionen.« Die Wunschvorstellungen der Arbeitgeber gingen »von Einschnitten beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld, regional differenziert nach Kassenlage, über den Einstieg in die Arbeitszeitverlängerungen bis zu 42 Stunden bis hin zur Umwandlung von bis zu zwanzig Prozent des Einkommens für Leistungsbezahlung! « Kurt Martin kam dann zum Kernproblem: »Der größte Teil der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bezieht ein Bruttoeinkommen zwischen 1.500 und 2.000 Euro. Wer hier – unter dem Vorwand der Leistungsvergütung – bis zu 400 Euro abziehen will, zusätzlich noch das Urlaubs- und Weihnachtsgeld kürzen oder streichen will und dann außerdem noch die Arbeitszeit auf bis zu 42 Stunden verlängern will, der hat entweder keine Ahnung, wovon er redet, oder er fährt eine tarifpolitische Kamikaze-Strategie; vielleicht auch beides gleichzeitig, was eine besonders explosive Mischung ergibt.«
Die Forderungen der Länderregierungen nach Arbeitszeitverlängerung reihen sich ein in die von der rot-grünen Regierung beschlossenen Gesetze zur Deregulierung des Arbeitsmarktes (Aufweichung des Kündigungsschutzes, Kürzung des Arbeitslosengeldanspruchs, Abschaffung der Arbeitslosenhilfe usw.). Ermuntert wurden die Landesregierungen durch die Politik der Gewerkschaftsführungen gegenüber den Arbeitgeberverbänden, künftig weitere Öffnungen des Tarifvertrages zuzulassen, um eine vom SPD-Kanzler Schröder angekündigte gesetzliche Regelung »betrieblicher Bündnisse für Arbeit« zu verhindern. Jetzt nutzen die Unternehmerverbände und ihre politisch Verbündeten die sich zuspitzende Krise der öffentlichen Finanzen, um an einer anderen Front erneut die Gewerkschaften und die Beschäftigten anzugreifen und eine generelle Arbeitszeitverlängerung zu erzwingen.
Dass es sich bei dem Vorstoß der Länder um eine politische Offensive des gesamten Unternehmerlagers und ihrer Unterstützer in Länderregierungen und Bundesregierung handelt, muss auch Kurt Martin anerkennen: »Das, Kolleginnen und Kollegen, ist eine offene Kampfansage an alle Gewerkschaften. Das können wir nur als einen Generalangriff auf erkämpfte arbeitszeitpolitische Erfolge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften verstehen. Es ist ein Angriff auf einen Kernbestandteil der Tarifautonomie, auf einer Linie mit den Forderungen nach gesetzlichen Regelungen für die sogenannten ›betrieblichen Bündnisse für Arbeit‹ und den altbekannten Forderungen nach noch weitergehender ›Deregulierung‹ des Arbeitsmarktes. Darauf, so meine ich, sollten wir eine passende Antwort geben.«
Doch wie sieht eine »passende« Antwort aus? Der naheliegende
Schritt, die öffentlichen Arbeitgeber insgesamt in
Haftung zu nehmen und die Verhandlungen über die Prozessvereinbarung
abzubrechen, blieb seitens der Gewerkschaftsführung
aus. Am 2. April ließ der ver.di-Vorstand
ebenfalls durch Kurt Martin an die Funktionäre melden:
»Aber ich betone nachdrücklich, dass wir dennoch auf jeden
Fall den Prozess der Neugestaltung (des Tarifrechts) mit all
jenen fortsetzen werden, die weiterhin konstruktiv und
zukunftsorientiert daran mitwirken wollen.« (Bundestarifkommission
am 2.4.04)
Also weitermachen als »Arzt am Krankenbett des Kapitalismus «.1) Die bitteren Pillen hätten die Lohnabhängigen zu schlucken.
Vom nur-gewerkschaftlichen Kampf zur politischen Auseinandersetzung
Soll die bundesweit für den öffentlichen Dienst geforderte Verlängerung der Arbeitszeit auf 40/42 Stunden, abgewehrt...
Die Logik des Kapitals kann nicht unsere Logik sein
»Wir müssen länger arbeiten, wenn wir mehr Arbeitsplätze
schaffen wollen. Die 40-Stunden-Woche ist der
richtige Weg." (FR 06.12.1999) Das forderte der damalige
Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie,
Olaf Henkel (IBM). (...) Die Funktionäre des Kapitals wollen
also zurück zu den Wochenarbeitszeiten der 70er
Jahre. Und das bei einer um das Vierfache gestiegenen
Arbeitsproduktivität pro Arbeiterstunde.
Naive Gemüter, die die höhere Mathematik des Kapitals nicht beherrschen, schütteln den Kopf. Wenn die beschäftigten Arbeitskräfte länger arbeiten, braucht man doch weniger Arbeitsplätze und nicht mehr, oder? (...)
Die Logik des Kapitals ist ganz anders. Nehmen wir an, die Arbeitskräfte einer Heizkesselfirma haben nach drei Stunden Arbeit so viele Werte neu geschaffen, dass ihre Löhne daraus gedeckt werden können. Wenn der Arbeitstag von sieben auf acht Stunden verlängert wird, verlängert sich die Zeit, in der die Arbeitskräfte ›unbezahlte Arbeit‹ leisten, also die Profite des Kapitals erzeugen. (...)
Die Profitraten steigen. Steigende Profitraten steigern die ›Wettbewerbsfähigkeit‹ der Heizkesselfirma. Hier setzt ein vollautomatisierter Reflex ein. Das Kapital verspricht den LohnarbeiterInnen, dass gestiegene Profitraten zu einer steigenden Zahl von Arbeitsplätzen führen.
Der Konkurrenzvorteil kann dazu führen, dass die Heizkesselfirma ihren Umsatz auf Kosten der Konkurrenz ausdehnt und dadurch möglicherweise Neueinstellungen notwendig sind. Wenn die Heizkesselfirma an Arbeitsplätzen gewinnt, was die Konkurrenz verliert, gibt es insgesamt in Deutschland keine zusätzlichen Arbeitsplätze. Das wäre nur möglich, wenn alle Heizkesselfirmen in Deutschland gewinnen, was die ausländische Konkurrenz verliert. Für dieses nationalistische Ziel, die LohnarbeiterInnen der Konkurrenz arbeitslos zu machen, wollen die Henkels die LohnarbeiterInnen in Deutschland begeistern.«
aus: Rainer Roth, Nebensache Mensch S. 323f ◆
...werden, bedarf es des Widerstandes aller Gewerkschaften und großer Teile der arbeitenden Bevölkerung!
Mit gewohnten gewerkschaftlichen Mitteln allein ist die stellvertretend von den öffentlichen Arbeitgebern begonnene Auseinandersetzung nicht durchzustehen.
Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske hat darauf hingewiesen, dass die öffentlichen Arbeitgeber für die gesamte Volkswirtschaft eine »Durchbruchsschlacht« für die Arbeitszeitverlängerung und die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche suchten. »Über die Dimension des Konfliktes, den die Arbeitgeber suchen, sollten keine Illusionen bestehen. (...) Die Beschäftigten sind gut beraten, sich auf die Auseinandersetzung entsprechend vorzubereiten.« (FR 02.04.04)
Der von Bsirske als »Durchbruchsschlacht« gekennzeichnete drohende Angriff der öffentlichen Arbeitgeber erfordert eigentlich eine Antwort, die über einen üblichen Lohntarifkampf hinausgeht. Das wäre eine politische Auseinandersetzung, in der die an den Staat gerichtete Forderung nach einer gesetzlichen Festschreibung der Arbeitszeit im Mittelpunkt steht und alle gewerkschaftlichen und außerparlamentarischen Machtmittel für dieses Ziel in Anwendung kommen. Diese Konsequenz zieht Bsirske nicht.
Gleich den sozialdemokratischen Gewerkschaftsvorständen beschränkt sich sein politischer Kampf darauf, mit Hilfe der SPD (evtl. der Grünen) auf das Parlament und die Regierung einzuwirken. Deshalb unterschlagen die Gewerkschaftsvorstände auch gerne, dass der Angriff auf die Arbeitszeit auch von der SPD-Landesregierung in NRW und den Bundesministern Clement und Schily mitgetragen wird. Der Finanzminister von NRW, Jochen Dieckmann (SPD), formulierte dies folgendermaßen: »Die Grundrechenarten kennen kein Parteibuch.« (Handelsblatt 05.04.04)
In zahlreichen Branchen und Betrieben sind die Kollegen Angriffen ausgesetzt, die alle in die gleiche Richtung zielen. Mittels einer Arbeitszeitverlängerung soll der Lohn gedrückt sowie durch den zeitlichen Einsatz die Arbeitskraft völlig den Erfordernissen des Produktionsprozesses, der Auftragslage und Konjunktur untergeordnet werden. Die Taktik der Gegenseite dabei: Im schwächsten Bereich den Durchbruch erzwingen, um ihn dann ohne für das Geschäft schädliche Unruhe und ohne Gegenwehr flächendeckend einführen zu können. Unternehmerverbände, Bundesregierung und Länderregierungen bauen darauf, dass die Gewerkschaftsvorstände in ihrem praktischen Verhalten – das Klappern mit »radikalen« Reden gehört zum Handwerk – nicht den Konflikt, sondern die einvernehmliche Lösung anstreben.
Konsequenz: Es gilt dieser Taktik entgegenzutreten, indem wir die allen Einzelkonflikten zugrundeliegenden gemeinsamen Interessen der Beschäftigten und der Erwerbslosen zum Ausdruck bringen und alle Ansätze für ein gemeinsames und koordiniertes Vorgehen nutzen und ausbauen. Möglichkeiten vor Ort gibt es sicherlich. Wir sollten beispielsweise die Mitglieder der ver.di-Bundestarifkommission in unsere Versammlungen einladen und die örtlichen Gewerkschaftsvorstände auffordern, Zusammenkünfte der Betriebsräte und Vertrauensleute über Branchen- und Gewerkschaftsgrenzen hinweg zu organisieren. Auf denen können wir über die Möglichkeiten zur Mobilisierung der Gewerkschaftsmitglieder, aber auch der nicht organisierten Beschäftigten diskutieren. Nur bei entsprechenden Aktivitäten, mit denen wir auch in die Öffentlichkeit gehen, werden wir wieder Aufmerksamkeit bei den Arbeitslosen finden und Ohnmacht sowie Resignation unter den Gewerkschaftsmitgliedern und Beschäftigten aufbrechen können.
Verbal haben andere Gewerkschaftsvorstände ihre Unterstützung zugesagt. Berthold Huber, der zweite Vorsitzende der IG Metall, äußerte: »Wenn ver.di sich in der Lage sieht, diese Auseinandersetzung – notfalls auch mit Streiks – aufzunehmen, werden wir das mit Solidaritätsaktionen unterstützen. « Der Widerstand gegen eine Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich liege im Interesse aller Gewerkschaften. (FR 10.04.04) Und DGB-Chef Sommer versprach ebenfalls: »Die Arbeitgeber müssen wissen, dass die Gewerkschaften zusammenstehen.« Wenn die andere Seite nicht von ihrer Position abrücke, werde es einen Großkonflikt geben. (SZ 03.04.04)
Die Gewerkschaftsvorstände behaupten, die politische Dimension des Angriffs zu kennen.
Doch werden sie sich der Herausforderung stellen oder versuchen den Konflikt als normalen Tarifpoker über die Bühne zu bringen? Bei all unserer Skepsis – nehmen wir die Gewerkschaftsvorstände beim Wort! Wir müssen die genannten praktischen Konsequenzen einfordern und den dazu notwendigen Druck entfalten. Denn sollten den Ankündigungen der Vorstände keine konkreten Schritte folgen, werden die abhängig Beschäftigten in der BRD zukünftig nicht nur länger arbeiten müssen. Alle Gewerkschaften würden weiter geschwächt werden. Die Bereitschaft der passiven Mitglieder, den Gewerkschaften den Rücken zu kehren, würde ebenso zunehmen wie die politische Orientierungslosigkeit unter den abhängig Beschäftigten. Dazu gehört, dass die Kluft zwischen den Beschäftigten und den schon Erwerbslosen noch größer wird. 24. Juni 2004 ■