Übersetzung
aus Challenge: Afghanischer Bumerang
nicht in der Arpo-Papierausgabe erschienen, als RTF-Datei
(zum Runterladen über rechte Maustaste)
Siehe auch www.hanitzotz.com/challenge
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aus Arpo Nr. 3, 2001: Thesen zum Krieg der USA gegen Afghanistan
Wir wollen mit den folgenden Thesen die Diskussion über die
aktuelle weltpolitische Entwicklung eröffnen. Da zwar schon Umrisse
erkennbar sind, vieles aber noch nicht sichtbar oder im Fluss ist,
können sie nur einen vorläufigen Charakter haben. Die Redaktion.
[1.] Sowohl die Anschläge in New York und Washington als auch der aktuelle »Krieg gegen den Terrorismus« (der zur Zeit eher noch ein Krieg gegen Afghanistan ist) markieren das Ende der »neuen Weltordnung«, die der damalige US-Präsident Bush 1991 am Ende des 2. Golfkrieges ausrief. »Die neue Weltordnung« war das Versprechen der USA vor allem an die Länder der »Dritten Welt« und die des ehemals sozialistischen Lagers: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung des Ostblocks würde unter der Führung der USA ein neues Zeitalter der Wohlfahrt und des wirtschaftlichen Aufschwungs beginnen. Daran würden nicht nur die westlichen kapitalistischen Länder teilhaben, sondern auch und vor allem die »unterentwickelte« Welt. [2.] Im Jahrzehnt nach dem 2. Golfkrieg 1991 erfolgte die weitgehende Unterwerfung nahezu aller Volkswirtschaften unter die globale Konkurrenz unter der Regie des Internationalen Währungsfonds. Sie bedeutete die weitere Öffnung bis dahin noch nicht durchdrungener Märkte für das westliche Kapital, die Privatisierung von Staatsbetrieben und der Versuch bisher zurück gebliebener Volkswirtschaften, mit Hilfe von Krediten sich eine Industrie aufzubauen, die auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig wäre. [3.] Die sogenannte Asienkrise ab 1997, die von Thailand über Malaysia, Südkorea und Indonesien auf die übrige Dritte Welt übergriff, war zunächst das ökonomische Ende dieses Wachstumsmodells. Die Länder, die auf einen kredit-finanzierten Aufschwung gehofft hatten, saßen plötzlich in der Schuldenfalle. Die Abhängigkeit vom Weltmarkt erwies sich nämlich in dem Moment als fatal, als sich herausstellte, dass dessen Aufnahmefähigkeit geringer als erwartet war. Insbesondere die kapitalistischen Zentren USA, EU und Japan dachten gar nicht daran, den neuen Konkurrenten ihre Märkte umfassend zu öffnen. Die Folgen dieser Krise sind für die betroffenen Länder katastrophal: Zusammenbrechende Firmen und Massenarbeitslosigkeit auf der einen Seite, westliche Großunternehmen, die sich noch rentable Firmen zu Spottpreisen aneignen, auf der anderen Seite. Hinzu kommt das Diktat des IWF, der die Länder zwingt, zur Schuldenbedienung die ohnehin schon dürftigen staatlichen Sozialleistungen und Subventionen für die in Armut lebenden Massen noch mehr zu kürzen oder ganz zu streichen. Das Resultat zeigt sich inzwischen am deutlichsten in Indonesien, das zunehmend im sozialen und politischen Chaos versinkt. [4.] Politisch gründete sich die Zustimmung zu Bushs »neuer Weltordnung« auf die Gesellschaftsschichten in der »Dritten Welt«, die sich von der »Globalisierung« eine Entwicklungsmöglichkeit versprachen. Das sind vor allem Teile der Staats- und der Militärapparate, die mit Hilfe von westlichen Krediten eine Industrialisierungspolitik versuchten, sowie davon profitierende Mittel- und Oberschichten. Diese Zustimmung drückte sich z.B. in der Bereitschaft fast aller Staaten des Nahen Ostens aus, sich 1991 in die
Anti-Irak-Koalition einzureihen und das amerikanische Drängen auf eine Friedenslösung zwischen Israel und den Palästinensern (erst Madrid, verhaltener in Oslo) zu unterstützen, in der Hoffnung, an der in Aussicht gestellten nahöstlichen Wirtschaftszone teilhaben zu können. [5.] Spätestens die im Herbst 2000 ausgebrochene neue Intifada der Palästinenser machte den Zusammenbruch des Nah-Ost-Friedensprozesses deutlich und markierte das Ende der Hoffnungen, die sich damit verbunden hatten. Der einzige Gewinner der amerikanischen Befriedung war Israel, während sich in den arabischen Nachbarstaaten die sozialen Widersprüche zuspitzten. So wurde der israelisch-palästinensische Konflikt zum politischen Kristallisationspunkt der sich anstauenden Probleme im Nahen Osten und zu einem Symbol enttäuschter, mit der »Globalisierung« verbundener Wachstumshoffnungen. [6.] Das Ende der Sowjetunion stellt in diesem Zusammenhang einen mehrfachen geschichtlichen Einschnitt dar. Zum einen markiert es den endgültigen Zusammenbruch der Nachkriegsordnung. Mit dem Sieg des von den USA angeführten Weltkapitalismus über den Warschauer Pakt war den Dritte-Welt-Staaten die Möglichkeit genommen, Widersprüche zwischen Ost- und Westblock für sich auszunutzen. Ländern wie Jugoslawien, Ägypten, Irak, Syrien war es so möglich gewesen, eine begrenzt eigenständige nationale Entwicklungspolitik durchzuführen, indem sie im Konfliktfall mit dem Westen sich Unterstützung aus dem sozialistischen Lager holten. Die veränderte Lage bekam 1991 der Irak zu spüren, als er versuchte, seine Ansprüche auf eine regional vorherrschende Rolle am Persischen Golf durchzusetzen und mit den militärischen Konsequenzen der von den USA propagierten neuen Weltordnung konfrontiert wurde. [7.] Das Ende des sozialistischen Lagers bedeutete zum anderen auch das Ende des Masseneinflusses von Parteien mit sozialistischen Programmen, der im wesentlichen auf die Existenz und Unterstützung seitens der Sozialistischen Staaten beruht hatte. Es gab z.B. keine Perspektive mehr für einen »arabischen Sozialismus«, d.h. für eine eigenständige, nationale Entwicklung zu einem Industriestaat. Der Niedergang dieser Parteien war begleitet von Unterdrückung und Verfolgung der Sozialisten und Kommunisten in den jeweiligen Ländern. In dem entstehenden politischen Vakuum entwickelten sich zunehmend fundamentalistische islamische (sogenannte islamistische) Ideologien und Gruppen, die vor allem unter den verarmten Massen Anhänger fanden. Solange die SU bestand, wurden sie vom Westen einschließlich Israel als antisozialistische Alternative gefördert. (z.B. Hamas in Palästina, verschiedene Mudshaheddin-Gruppen und schließlich die Taliban in Afghanistan usw., sogar Bin Laden). Mit Ausnahme von Iran, in dem eine Volkserhebung das pro-westliche Schah-Regime weggefegt hatte und der seitdem unter islamistischer Führung eine antiwestliche Politik verfolgt, galten solche islamistischen Bewegungen zunächst als beherrschbar und wenig bedrohlich. Die Angriffe seitens der islamistischen Untergrundgruppen – z.B. die Selbstmordattentate der Hamas in Israel, Anschläge auf amerikanische Einrichtungen in Saudi-Arabien, Kenia und Tansania, Überfälle auf Touristen in Ägypten – machten allerdings deutlich, dass die Bedrohung westlicher Positionen nicht auf den Iran beschränkt blieben. [8.] Mit dem Zerfall der von den USA geführten Golfkriegs-Koalition von 1991 deutete sich eine neue Entwicklung an. War anfangs die Sanktionspolitik des Westens gegen den Irak noch von verschiedenen Regimes im Nahen Osten mitgetragen – sei es, dass sie den Irak klein halten wollten, sei es, weil sie sich von ihrem Wohlverhalten Vorteile versprachen – so schwand diese Zustimmung in den letzten Jahren deutlich. Das Wirtschaftsembargo gegen den Irak wurde zunehmend durchbrochen, u.a. durch Handel zwischen Irak und Jordanien, Syrien und der Türkei. Die westliche Politik wurde immer offener kritisiert, weil zum einen die erwarteten Vorteile ausblieben und die Anrainer allein die Kosten des Embargos tragen sollten, zum anderen, weil die eigene Bevölkerung sich zunehmend an den Brennpunkten Palästina und Irak radikalisiert und ihre prowestlichen Regierungen zwingt, gegenüber dem Westen vorsichtig zu handeln. [9.] War schon daran erkennbar, dass der Westen die Zustimmung nicht nur unter den Massen des Nahen und Mittleren Ostens verloren hat, so lassen die Anschläge vom 11. September und die Reaktionen auf den »Krieg gegen den Terrorismus« deutlich werden, dass auch unter den staatlichen und wirtschaftlichen Eliten Frustation und Unzufriedenheit mit der Globalisierung und ihren Auswirkungen zunehmen. Beide Vorgänge zeigen, dass die Basis des Westens auch in den Schichten bedroht ist, auf deren Zustimmung seine Politik der »neuen Weltordnung« und gegenüber »Schurkenstaaten« im Nahen Osten angewiesen ist. Am deutlichsten drückt sich dieser Wandel vielleicht bei dem Heer der arbeitslosen Hochschulabsolventen aus. Es gibt kaum ein islamisches Land, das jetzt aktiv bereit wäre, die USA zu unterstützen, und wenn, dann nur unter dem Vorbehalt, dass es »nur« gegen Bin Laden und seine Unterstützer ginge und nicht gegen Afghanistan und schon gar nicht gegen ein anderes islamisches Land, und auf keinen Fall erneut gegen den Irak. [10.] Die für die kapitalistische Wirtschaft zentrale Ölregion am Persischen Golf wird instabiler. Der Westen mag militärisch ein Land wie Afghanistan endgültig zerstören und die eine oder andere islamistische Terrororganisation ausschalten, doch wird er zum einen durch sein Vorgehen noch mehr Hass erzeugen, zum anderen kann er den sozialen Schichten, die er politisch braucht, um die Region zu beherrschen, keine Perspektive bieten, die nur eine auf gleichen Chancen beruhende, wirtschaftliche Integration dieser Länder in den Weltmarkt sein könnte. [11.] Dass die sozialen und politischen Konflikte in der islamischen Welt momentan als Glaubenskriege ausgetragen werden, ist keine neue Qualität der politischen Entwicklung, sondern Konsequenz aus dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Scheitern des »arabischen Sozialismus«. Angesichts der staatlichen Repression in den meisten Ländern kann sich politischer Widerstand nur als religiöser formieren – sein besonderer Ausdruck bleibt den Bedingungen des jeweiligen Landes unterworfen und muss von uns materialistisch analysiert werden. Für die USA und ihre Verbündeten gibt es zur Globalisierung keine Alternative, selbst wenn die sozialen und politischen Konflikte, die sich daraus ergeben, zunehmend militärisch ausgetragen werden müssen. [12.] Die Einordnung der deutschen Regierung in die Kriegsallianz gegen den Terrorismus hat den Ausbau des innen-politischen Unterdrückungsapparates notwendig zur Folge. Nicht nur Denk- und Redeverbote sollen gegen Oppositionelle durchgesetzt werden, sondern weitere Maßnahmen zur Kontrolle und Überwachung der Bevölkerung: Videoüberwachung, Aufhebung des Brief-, Telefon- und Bankgeheimnisses, Aufhebung des Datenschutzes, Rasterfahndung, Verschmelzung der Aufgaben von Verfassungsschutz und Polizei (was nach den Erfahrungen mit der »Geheimen Staatspolizei« in Nazideutschland bisher als tabu galt!), Personenkontrolle mittels Fingerabdrucks, Kriminalisierung der politischen Betätigung durch Verschärfung des Strafrechts usw. Mit Vorrang will die Bundesregierung die schon geplante Umrüstung der Streitkräfte innerhalb der EU (60.000 Mann einsatzfähig für ein Jahr) vorantreiben, den Zivil- und Katastrophenschutz ausbauen, um im Wettbewerb der Kriegsallianz den ihrer politischen Bedeutung gemäßen Platz zu beanspruchen (Schröder: »Enttabuisierung des Militärischen«). Mit weiteren Programmen des Sozialabbaus wird die arbeitende Bevölkerung diese Entwicklung bezahlen. Vieles, was jetzt durchgesetzt werden soll, war rein juristisch bisher zwar auch schon machbar. Entscheidend aber ist, dass ein gesellschaftliches Klima geschaffen wird, das eine reale Umsetzung von Repression ermöglicht. |