Yacov Ben Efrat: Afghanischer Bumerang

Einleitung: Made by the USA

 

Bis vor kurzem hatte der Name ”Afghanistan” für viele einen exotischen Klang, nicht allerdings für US-Politiker. Gegen die Sowjetunion schürten sie ein Jahrzehnt (1979-1989) lang den Krieg in Afghanistan und trugen damit zu deren späteren Zusammenbruch bei. Man könnte sagen, dass die neue Weltordnung ihren Anfang in diesem trostlosen Lande nahm, obwohl sie ihren Höhepunkt wenig später im Golfkrieg erreichte.

Einige der Mudjahedin, die gegen die Sowjetunion gekämpft hatten, weigerten sich, die neue Weltordnung zu akzeptieren. Sie verstanden den afghanischen Sieg als ein Zeichen islamischer Überlegenheit. Der antisowjetische Krieg war ein Kampf gegen ein Reich der Ungläubigen. Die Unterstützung, die sie von den USA erhalten hatten, erschien ihnen eher als zeitweiliger Zusammenfall von Interessen.

Die Existenz dieser Gruppen von Außenseitern mit ihren ungewöhnlichen Auffassungen erzeugten in Washington keine Befürchtungen. Es gab zwei Gründe für solche Selbstsicherheit. Zum einen das Ungleichgewicht der Kräfte: Eine große Weltmacht konnte sich schwerlich von zerstreuten Banden leicht bewaffneter Kämpfer bedroht fühlen. Zum anderen arbeiteten diese ehemaligen Alliierten weiterhin in der Kampagne der USA zur Zerschlagung der Jugoslawischen Föderation mit, zuerst in Bosnien und später im Kosovo. Sie entfesselten auch den Krieg gegen Rußland in Tschetschenien, wo sie mit amerikanischen Ölgesellschaften zusammen arbeiteten, die versuchten, sich die Energiereserven des Kaspischen Meeres zu sichern.

In Afghanistan übernahm eine dieser Gruppen, die Taliban, 1996 gewaltsam die Macht. Sie beschützte und unterstützte Osama bin Laden, der 1998 ein religiöses Dekret verkündete, daß den USA den jihad, den heiligen Krieg, erklärte. In diesem Falle machte ein weiterer Faktor die USA blind: die regionalen Alliierten der USA – Saudi Arabien, Pakistan und die Vereinigten Arabischen Emirate – sie alle unterstützten die Taliban mir Waffen und Geld. Tatsächlich waren diese Länder auch die einzigen, welche die Talibanregierung anerkannten.

Wie konnten die Hauptalliierten der USA im muslimischen Lager die Taliban unterstützen, die Osama bin Ladens Aufruf zum jihad gedeckt haben? Und warum nahm Amerika diese Bedrohung nicht ernst?

Um diese Frage zu beantworten müssen wir die Wurzeln des gegenwärtigen Krieges untersuchen. Was auch immer die Rolle Osama bin Ladens bei der Entzündung dieses Konflikt war, es ist ein Fehler, nur seine extremistische Ansichten als Ursache für die beispiellosen Angriffe vom 11. September zu betrachten. Extremismus gedeiht in einer spezifischen politischen, sozialen und ökonomische Realität, in der die meisten Menschen heute leben. Auf keinen Fall ist Extremismus typisch für den Islam. Wir finden ihn im ehemaligen Jugoslawien, das inzwischen ultra-nationalistisch geworden ist, in Italien oder in Österreich, wo Faschisten wieder in der Regierung sind, unter den Tätern der Massaker in Afrika und auch in den USA unter den christlichen Fundamentalisten, die begierig das Armageddon erwarten. Extremismus ist eine Epidemie weltweiten Ausmaßes.

 

I. Afghanistan: ein abgeschriebenes Land

Von 1979 bis 1989 waren die USA in Afghanistan, damals von Kräften der Sowjetunion beherrscht, extrem aktiv. Amerika betrachtete die Präsenz der Sowjetunion als eine Bedrohung seines Einflusses in Zentralasien, und insbesondere als Bedrohung seiner Verbündeten Pakistan und Türkei. Die iranische Revolution hatte kurz zuvor den Schah gestürzt. Dieses Trauma steigerte Amerikas Besorgnis, dass Afghanistan an die Sowjetunion fallen würde. Als Gegengewicht unterzeichnete Anwar Sadat den Friedensvertrag von Camp David und wechselte in den westlichen Block. Doch aufgrund seiner anschließenden Isolation in der arabischen Welt beruhigte die Kehrtwendung Ägyptens nicht die amerikanischen Befürchtungen über die Zukunft dieser Region.

Um ihre Ambitionen bei der Gestaltung der Ereignisse in Afghanistan zu realisieren, brauchten die USA eine aggressivere Außenpolitik. Dazu war ein interner Wandel nötig. Dies geschah Ende 1980, als der konservative Republikaner Ronald Reagan den Demokraten Jimmy Carter besiegte. Reagan betrat das Weiße Haus mit einem extrem antisowjetischen politischen Programm. Fast unverzüglich fand er einen engen Verbündeten in dem pakistanischen Führer, General Zia al-Haq, der drei Jahre zuvor die legale Regierung von Ali Bhutto gestürzt hatte.

Die Regierung Carters hatte aufgrund des Atomwaffenprogramm sowie von Menschenrechtsverletzungen Sanktionen gegenüber Pakistan beschlossen. Diese wurden von Reagan unverzüglich wieder aufgehoben. Pakistan wurde die Nummer Drei unter den Ländern, die Hilfelieferungen aus den USA erhielten. (Digital National Security Archive.*) Im Gegenzug unterstützte Pakistan die US-amerikanische Politik.

General Zia begann, sich auf islamistische Tendenzen zu verlassen, um die einheimische Legitimationsgrundlage für sein diktatorisches Regime zu erhalten. Während er politische Parteien unterdrückte und Bürgerrechte aufhob, versuchte er dem Regime eine neue Identität zu geben. Unter den religiösen Bewegungen auf die Zia sich verließ, befand sich auch ”Jama’at al-Islam”, eine 1941 gegründete rechte fundamentalistische Partei. Zia gab ihr große Befugnisse, das Erziehungssystem einschließlich der Universitäten zu verwalten. Auch half Zia dieser Bewegung, Einfluss in den Medien zu erhalten. (Alavi)

Die Macht von ”Jama’at al-Islam” dehnte sich auf alle Bereiche des Lebens aus, einschließlich des Militärs, was die Befürchtungen innerhalb der pakistanischen Opposition wachsen ließ. Das Verhältnis zwischen Zia und den Islamisten erreichte seinen Höhepunkt im Jahre 1980, als das islamische Recht (die Schariah) Landesrecht wurde.

Der fundamentalistische Charakter des pakistanischen Regimes störte Washington nicht. Im Gegenteil, die CIA übernahm die Sichtweise des pakistanischen Geheimdienstes ISI (Inter-Services Intelligence), wonach den islamistischen Extremisten in Afghanistan in ihrem Kampf gegen die gebildeteren, liberalen und linken gesellschaftlichen Gruppen geholfen werden muss.

Auf Rat von General Zia entschieden sich die USA, die afghanische Islamistenpartei des Gulb a-Din Hekmatyar zu unterstützen. Die Absicht der CIA war es, Hekmatyar an entscheidender Stelle der Front zu platzieren, die Afghanistan von der sowjetischen Besatzung befreien würde. Die Präferenz für Hekmatyar ergab sich aus dessen ethnischer Zugehörigkeit. Seine Gruppe, die Paschtunen, siedeln auf beiden Seiten der afghanisch- pakistanischen Grenzen und bilden auch die größte ethnische Gruppe in Afghanistan. Andere, die anfänglich den Kampf gegen die Sowjetunion führten, wie die beiden Tadschiken Burhan a-Din Rabbani und Ahmad Shah Masoud, konnten nicht solche massive Unterstützung Pakistans gewinnen, wie Hekmatyar. Auch ein anderer Faktor sprach gegen diese beiden: sie schienen nicht gehorsam genug zu sein. (Singh.)

Im Jahr 1987 erreichte die amerikanische Militärhilfe für die Afghanischen Rebellen 700 Mio. US-Dollar – mehr als Pakistan erhielt. Die CIA sorgte dafür, die Afghanen mit neuen hochwertigen Waffen ausgerüstet wurden. Doch trug die CIA zugleich dafür Sorge, dass die Waffen nicht direkt aus den USA kamen. Sie wollte die amerikanische Präsenz in dem Gebiet verschleiern. (Digital National Security Archive, 2001.) Um die finanziellen Verbindungen zwischen den USA und Afghanistan zu verringern, wurde Saudi Arabien für den Transfer großer Geldsummen von seinen Konten eingespannt. Die CIA hatte jedoch im Hintergrund die Fäden in der Hand. Als die sowjetischen Truppen aus Afghanistan abzogen, versank das Land im Bürgerkrieg. Die verschiedenen Muslimgruppen, die zusammen gekämpft haaten, konnten sich nicht über die Aufteilung der Macht einigen. Dem immer noch von Pakistan unterstützten Hekmatyar gelang es nicht, die Hauptstadt Kabul einzunehmen. Die Kämpfe zwischen seinen Truppen und denen seines Rivalen Ahmad Shah Masoud rissen das Land in Stücke. Es herrschte Anarchie.

 

II. Die Taliban erobern Afghanistan

Die Talibanbewegung hat ihren Ursprung in einem Netzwerk religiöser Schulen, die in Pakistan von einer andere islamistischen Partei, ”Jama’iyyat Ulama al-Islam”, gegründet wurden. In den frühen neunzigern entstanden etwa 4000 Madrassas (Koranschulen) über all in Pakistan, besonders in der Nähe der afghanischen Grenze, wo etwa 2 Mio. Afghanische Flüchtlinge in Lagern lebten. In diesen Schulen wurden jedoch nicht nur Flüchtlingskinder sondern auch Söhne wohlhabender pakistanischer Familien aufgenommen. Gegenwärtig haben diese Koranschulen 500.000 Schüler. (Rashid)

Bis 1993 war Jama’iyyat Ulama al-Islam in der pakistanischen Politik eine eher isolierte Partei. Dann jedoch trat sie der Regierung von Benazir Bhutto bei. Die Koalitionsregierung wurde angeführt von der Pakistanischen Volkspartei (PPP). Unter ihrer Führung trainierten die Madrassas von Jama’iyyat Ulama al-Islam ihre Schüler innerhalb eines militärischen und politischen Netzwerks. Unter der Aufsicht und der Verantwortlichkeit des pakistanischen ISI entstand hier die Talibanbewegung.

Um die Kontrolle über Afghanistan zu gewinnen und dem Land Ordnung und Stabilität aufzuzwingen, entschied sich das pakistanische Regime im August 1994, die Taliban zu benutzen. Es schickte die jungen Kämpfer eine Aufgabe zu erfüllen, an der Hekmatyar gescheitert war. (Pakistan war von Hekmatyar enttäuscht worden, als er vier Jahre zuvor während der Golfkrise eine pro-irakischen Position eingenommen hatte. Damit hatte er auch seine Schutzpatron Saudi-Arabien geärgert.)

Der Chef von Jama’iyyat Ulama al-Islam, Mullah Fadel al-Rahman, der einst Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten war, machte zu dieser Zeit eine Reihe von Besuchen in Saudi Arabien. Seine Absicht war es, die Saudis zur der Unterstützung der neuen pakistanischen Politik in Afghanistan zu bewegen. Der Chef des saudi- arabischen Geheimdienstes, Prinz Turki al-Faisal, quittierte dies mit einem Besuch im Zentrum der Taliban in der südafghanischen Stadt Kandahar. Pakistans Druck trug Früchte: Die Saudis entschieden sich, die Taliban zu finanzieren. (Hiro.)

Die Saudis hatten aber noch ein zusätzliches Motiv. Jama’iyyat Ulama al-Islam und die Taliban gehören zu einer islamischen Schule, die als Deoband bekannt ist. Benannt wurde sie nach der indischen Stadt, in der sie 1867 gegründet wurde. Diese Schule basiert auf einer separatistischen, reaktionären Interpretation des Islam. Deoband steht der wahabitischen Schule sehr nah, zu der die saudi- arabische Königsfamilie gehört.

Die USA schlossen sich ihren Verbündeten in der Unterstützung der Taliban an, sie ignorierten dabei die Verbrechen der Taliban gegenüber der afghanischen Zivilbevölkerung. Washington verfolgte dabei ein einziges Ziel nämlich die Kontrolle über die Öl- und Gasvorkommen im Kaspischen Meer.

Am 26. September 1996, nach sieben Jahren Bürgerkrieg, eroberten die Taliban die Hauptstadt Kabul. Sie errichteten ihre Herrschaft und konnten für kurze Zeit ein gewisses Maß an Stabilität garantieren. (Maroofi.)

Ein Jahr später wurde ein Vertrag zwischen einer Gruppe von Ölgesellschaften, einschließlich der amerikanischen Unocal und der saudi- arabischen Detla Oil, mit der Regierung Turkmenistans ( einer ehemaligen Sowjetrepublik) unterzeichnet. Das Abkommen schloss die Verlegung einer 790 km langen Pipeline von den turkmenischen Gasfeldern am Kaspischen Meer zum Indischen Ozean mit ein. Die Pipeline sollte durch Afghanistan und Pakistan gehen, was den Amerikanern die Umgehung Irans und Rußlands ermöglicht. Die Talibanregierung versprach Pakistan, das Gebiet um die Pipeline stabil zu halten. (Haque.)

Die russische Zeitung Trud zitierte am 29. Oktober 1997 den stellvertretenden Direktor von Unocal, Chris Taggert, wie folgt: ”Wenn die Taliban die Situation in Afghanistan stabilisieren und internationale Anerkennung gewinnen können, wird die Möglichkeit des Baus der Pipeline bedeutend verbessert.”

Im August 1998 fanden die Bombenanschläge auf die amerikanischen Botschaften in Nairobi und Dar a-Salam statt. Die Angriffe wurden mit Osama bin Laden in Verbindung gebracht, der inzwischen in Afghanistan seine Basen hatten und unter dem Schutz der Talibanregierung stand. Drei Monate später löste sich Unocal aus dem Pipeline-Geschäft.

Der Sieg der Taliban in Afghanistan ist weniger das Ergebnis göttlicher Fügung, sondern resultiert aus der Unterstützung durch die pakistanische Armee und dem Geheimdienst in Verbindung mit amerikanischem und saudi- arabischem Geld. Unter normalen Umständen hätte jedoch auch das nicht ausgereicht, ein weiteres Element war hier notwendig: die ungeheure Rückständigkeit Afghanistans. Wäre es anders, hätte eine solche Bewegung mit dieser rückständigen Interpretation des Islam nie siegen können. Diese Bewegung konnte nur in einem Land Fuß fassen, dem die Infrastruktur modernen Lebens fehlt.

 

III. Ein utopischer Plan das Kalifat zu restaurieren

1995 besuchte der ägyptische Präsident Hosni Mubarak gerade Äthiopien, als ein Mordanschlag auf ihn versucht wurde. Dieser wurde mit Verbündeten Osama bin Ladens in Verbindung gebracht, der sich damals im Sudan aufhielt. Ägypten und Saudi Arabien übten daraufhin Druck auf den Sudan aus, der daraufhin Osama bin Laden auswies. Er kehrte im Mai 1996 nach Afghanistan zurück. Am 26. September 1996 betraten die Taliban Kabul und übernahmen die Kontrolle über das Land.

Die enge Beziehung zwischen Bin Laden und den Taliban entstand nicht aus seinem Interesse am Wohl des afghanischen Volkes. Die Notwendigkeit des Wiederaufbaus des verwüsteten Landes stand nicht auf seiner Tagesordnung. Im Gegenteil, gerade der verheerende und rückständige Zustand des Lande bot einen fruchtbaren Boden für sein größenwahnsinniges Programm: für die islamische Eroberung Afghanistan in die Hauptbasis der Jihad-Kämpfer zu verwandeln.

Die Taliban errichteten kein modernes Regierungssystem. Ihr Ziel war es nicht, die in Jahren des Bürgerkrieges und durch Dürreperioden entstandene ökonomische und soziale Krise zu lösen. Statt dessen etablierten die Taliban ihre reaktionäre wahabbitische Version des Islam durch ein besonderes Polizeiregime. Die neuen Gesetze verboten unter anderem Musik und Kunst. Die afghanischen Frauen bezahlten den höchsten Preis. Die Taliban verboten ihnen zu studieren, zu arbeiten oder sogar, außer unter streng definierten Bedingungen, das Haus zu verlassen.

Die Taliban brachten jedoch relative Stabilität, was die Flüchtlingsbewegungen nach Pakistan stoppte. Dieser Nachbar sah die neue Regierung in einem günstigen Licht und agierte als ihr Schutzherr. Für Pakistan ist eine freundlich gesinnte afghanische Regierung von strategischer Bedeutung. Sie bietet lebenswichtige Hilfe in der Auseinandersetzung mit Indien über die Kontrolle Zentralasiens. Insbesondere verstärkten die Jihad-Kämpfer der Taliban die pro-pakistanischen Truppen im umstrittenen Kaschmir. In den Grenzkämpfen zwischen Indien und Pakistan im Mai 1999 spielten die Kräfte bin Ladens eine wichtige Rolle.

Aus diesem Grund wurde Afghanistan, trotz seiner Armut und den Verwüstungen, zu einem bedeutenden Gebiet für regionale und globale Interessen.

Die Talibanregierung hat ihrerseits die afghanische Bevölkerung an ihren Kampf für eine islamische Nation gekettet. Das Ziel ist kein geringeres als die Errichtung ihrer reaktionären Version des Islam auf globaler Ebene. Nur für Anfänger: dies war kein Hinderungsgrund zur Zusammenarbeit mit Amerika. Die Jihad-Kämpfer schlossen sich Onkel Sam in Konflikten an, die vom Balkan über Tschetschenien bis hin zu den Phillipinen reichten.

Osama bin Laden und die Taliban entwickelten eine symbiotische Beziehung. Die letzteren übernahmen das utopische Programm des ersteren, wonach alle Muslime unter einem wieder errichteten Kalifat vereint werden sollten. Die Taliban sollten die Muslime von einer Welt der Ungläubigen befreien und die nationalen Grenzen abschaffen.

Das Ergebnis der Vision Osama bin Ladens wäre die Isolation der muslimischen Welt. Er glaubt, er könne dieses Ziel nur durch den gewaltsamen Sturz der bestehenden arabischen Regime erreichen. Sein organisatorisches Werkzeug hierfür ist die Bewegung al-Quaeda. Diese entstand während der antisowjetischen Erhebung, als Mittel zur Koordination der arabischen Freiwilligen, die nach Afghanistan kamen.

Bin Laden hat sein Programm gegenüber dem Fernsehsender Al-Jazeera dargestellt. Er will eine Art von Herrschaft restaurieren, die unter dem ”Rashudin-Kalifat” bestand. (Dieser Begriff bezieht sich auf die ersten vier Nachfolger des Propheten Muhammad. Sie werden, im Vergleich zu den korrupten und zersplitterten Führern der späteren Perioden, als gerechte Männer betrachtet.) Anders als andere muslimische Visionäre, beabsichtigte bin Laden aber sein Programm in einem Zug in die Praxis umzusetzen, beginnend mit der arabischen Welt, aber nicht darauf beschränkt. Er will, und darum geht es, das gegenwärtige globale Regime durch ein islamisches ersetzen.

In seinem Wunsch die Welt zu verändern, denkt bin Laden nicht über einen lang anhaltenden Prozess der Überzeugung nach. Er versucht nicht, eine Alternative mit einer breiten sozialen Basis und einer politischen Organisation aufzubauen. Er glaubt nicht an die Mobilisierung der Massen bis zu dem Punkt, an dem sie bereit sind das Regime zu stürzen. Sein Vorschlag ist eher ein Kurzschluss, bekannt als jihad. Er glaubt, nur so die Unterdrückten erwecken und in den Kampf führen zu können. Er zählt auf die Verzweiflung und die Frustration, zu der die amerikanische Politik des letzten Jahrzehnts geführt hat. Nur, ohne eine feste soziale Alternative hat Verzweiflung und Frustration noch nie die Welt verändert.

Trotz der dramatischen Auswirkungen der letzten terroristischen Angriffe gibt es nichts neues in dem zugrunde liegenden Konzept. Eine Gruppe von Extremisten unternehmen eine spektakuläre Aktion mit dem Ziel, die Massen in Bewegung zu setzen. Dieselbe Konzeption leitete die Bader-Meinhof-Gruppe in Deutschland, die Roten Brigaden in Italien und die Montoneros in Argentinien. Solche Organisationen, ob sie politisch links oder rechts stehen, waren ideologisch weit entfernt von Osama bin Laden, obwohl sie alle den Glauben teilten, dass Terror den Weg für Veränderungen ebnen würde. Was sie alle teilten sie, war eine Eigenschaft: die Ungeduld. Ihr Ende war ein erbärmliches Versagen. Ihre abenteuerliche Taktik ermöglichte es den Behörden sie zu isolieren und zu eliminieren. Ihre terroristischen Akte boten weiterhin den Vorwand, die geduldigeren revolutionären Bewegungen zu unterdrücken, die sich ihrerseits für den langsamen Aufbau einer wirklichen Alternative engagierten.

Die radikalen Gruppen interpretierten Marx falsch, im Gegensatz zu den kommunistischen Parteien versuchten sie nur durch den bewaffneten Kampf an die Macht zu gelangen. Gewalttätige Aktionen bildeten den Ersatz für die Mobilisierung der Massen, für Gewerkschaften und politische Parteien. Osama bin Laden hat nichts gelernt vom düsteren Schicksal des ”linken jihad”, dessen Kämpfer sich ihrer Aufgabe nicht weniger aufopferten als er. Seine Abscheu und seine Bosheit gegenüber der Arbeiterklasse und gegenüber allem, was nach Sozialismus riecht, sie bewahrten ihn davor von anderen Erfahrungen zu lernen. Er führt seine Anhänger in ein ähnliches Schicksal.

 

IV. Der Niedergang des weltweiten jihad

Im Februar 1998 vereinten Osama bin Laden und der Führer des ägyptischen Islamischen jihad verschiedene islamische Gruppen unter einem Dach: ”Die weltweite islamische Front gegen die Juden und die Kreuzritter.” Kleriker, die sich mit der Front identifizierten, veröffentlichten eine Fatwa (einen islamischen Rechtsspruch) folgenden Inhalts: ”Amerikaner und ihre Alliierten, Zivilisten oder Militärs, zu töten, ist eine Pflicht für jeden Muslim, der dazu fähig ist, wo immer dies möglich ist. Dieses Dekret behält seine Gültigkeit bis zur Befreiung der al-Aqsa Moschee und der Heiligen Moschee (in Mekka - YBE) und bis ihre Armeen sich aus allen Ländern des Islam zurückgezogen haben. (al-Quds al-Arabi, Februar 1998).

Dieses Dekret war eine Maßnahme der Verzweiflung. Es war als Wiederbelebung der Jihad-Gruppen gemeint, deren Status in der arabischen Welt ernsthaft erschüttert worden war. Die Gründe für den Niedergang sollen hier erläutert werden.

1. Das Versagen des Jihad in Algerien

Nachdem sich Sowjet 1989 aus Afghanistan zurückgezogen hatten, waren etwa 10.000 arabische Freiwillige, die mit den afghanischen Aufständischen gekämpft hatten, ohne Ziel. Unter der Führung und Leitung von bin Laden bauten sie ein geheimes Netzwerk bewaffneter Aktivisten in verschiedenen Ländern auf. Ihr erstes Ziel war Algerien, dessen Armee 1991 mit einem Staatsstreich gegen die in den Wahlen siegreiche Partei, die ”Islamische Heilsfront”, nach der Macht griff.

Fünf Jahre später erschien die GIA, die ”Bewaffneten Islamischen Gruppen, in Algerien. Sie war eine Angelegenheit bin Ladens. Die GIA riefen den jihad gegen die algerische Armee und ihre ländlichen Milizen aus. In den darauf folgenden Kämpfen massakrierten beide Seiten unschuldige Muslims zu hunderten und tausenden. Das Blut der Zivilisten floss bis in den Herbst 1997, als die Islamische Heilsfront einen Waffenstillstand verkündete. Die GIA jedoch akzeptierten diesen Waffenstillsdand nicht und führten ihre terroristischen Aktionen weiter. Dies führte zu ihrer Isolation und Ablehnung durch die algerischen Massen. (Benramdame.)

2. ... und in Ägypten

Das Schicksal der Jihad-Gruppen in Ägypten war nicht anders. Ihre terroristischen Akte schafften es nicht, das Regime zu stürzen. Zunächst versuchten sie ohne Erfolg Regierungsbeamte zu ermorden. In einer späteren Phase brachten sie Touristen um. Zusätzlich zu der Zerstörung von Leben führte dies zu einer ernsthaften wirtschaftlichen Schädigung des Tourismus in Ägypten, der die Hauptquelle für ausländische Devisen in Ägypten darstellt.

Die Jihad-Kämpfer griffen auch die Kopten, eine christliche Minderheit in Ägypten, an, um damit religiöse Feindlichkeiten zu initiieren. Die ägyptische Öffentlichkeit drehte jedoch solch einem Extremismus den Rücken zu. Statt dessen unterstützte sie die moderateren islamischen Schulen, die ihrerseits das Bündnis mit dem Regime suchten.

Die Aktivisten der moderaten islamischen Bewegungen machen einen bedeutenden Teil der ägyptischen Wirtschaftselite aus. Sie besetzten zahlreiche Stellen in der Regierungsbehörde, in den religiösen Institutionen, den Universitäten, den Gewerkschaften und den nicht- kommerziellen Organisationen. Ihre Büros binden sie an das Regime. Aus diesen Gründen haben sie Einfluss auf die Massen und haben es auch geschafft, die Jihad-Gruppen zu isolieren und damit einen Sturz der Regierung verhindert.

3. ... und im Sudan

Der heftigste Stoß gegen die Jihad-Bewegung fand im Sudan statt. Zunächst ging dort alles bestens. 1989 führten der Scheich Hassan Turabi und der General Omar Bashir einen Militärputsch gegen die demokratisch gewählte Regierung des Landes durch. Das neue Regime lud Osama bin Laden ein im Sudan zu leben und zu arbeiten.

Mitte der neunziger Jahre begann General Bashir jedoch sich dem Westen anzunähern. Er wies Osama bin Laden aus und stellte drei Jahre später Turabi selber unter Hausarrest. Zur gleichen Zeit erlaubte das Regime dem CIA, im Sudan Büros zu eröffnen.

4. ... und in den arabischen Ländern

Die Jihad-Gruppen schafften es auch nicht Fortschritte in den arabischen Ländern zu machen. Diese Tasache zeigt den Unterschied zwischen den Realitäten in diesen Ländern und in Afghanistan. Die Massen in den arabischen Ländern lehnten aller Versuche ab, islamische Diktaturen einzuführen. Die Arbeiter, die Bauern und die liberale Intelligenz ist einfach nicht gewillt in das dunkle Zeitalter des Fanatismus einzutreten.

5. ... und darüber hinaus

Die Jihad- Gruppen haben auch außerhalb der arabischen Welt versucht, ihre Visionen umzusetzen; allerdings mit geringem Erfolg. Ihre offensichtlichen Erfolge in Bosnien und im Kosovo waren nicht die Folge herausragender militärischer Fähigkeiten. Ihre Interessen fielen lediglich zeitweise mit denen des Westens zusammen. Diese Zusammenarbeit basierte auf dem gemeinsamen Wunsch, den Einfluss Rußlands zu reduzieren, und zwar durch die Zerschlagung der Jugoslawischen Föderation. Einen Ausdruck dieser eigenartigen Harmonie konnte man in Israel beobachten. Die Regierung von Yithhak Rabin gab 1993 der lokalen islamischen Bewegung die Hand, indem sie Dutzende muslimischer Flüchtlinge aus Bosnien aufnahm. Der Enthusiasmus der islamische Bewegung verschwand allerdings, als sie feststellte, dass die Flüchtlinge blond und säkularisiert waren. Schließlich nahmen die Kibbuzim diese Flüchtlinge auf.

Die Jidad-Gruppen mussten auch Niederlagen in Tschetschenien und Dagestan erleiden. Dort operierten die Mujahidin als Antwort auf den amerikanischen Wunsch, das ölreiche Kaspische Meer zu kontrollieren. Unter der Regierung des Amerikafreundes Boris Yeltsin war Rußland passiv. Die Zerstückelung Jugoslawiens, dem historischen Verbündeten Rußlands, hat straflos stattgefunden. Diese Passivität endete jedoch, als die amerikanische Salamitaktik den Kaukasus bedrohte. Unter Druck der russischen öffentlichen Meinung lehnte Yeltsin ein amerikanisches Verlangen ab, internationale Beobachter in Tschetschenien zu stationieren. Schon kurze Zeit später trat Yeltsin zurück und übertrug die Macht Vladimir Putin (der seinerseits versprach, kein belastendes Material gegen Yeltsin zu verwenden). Putin setzte dann einen Feldzug in Gang, mit dem die tschetschenischen Rebellen völlig vernichtet werden sollten. Putin konnte dabei auf einer Welle nationalen Enthusiasmus reiten, er gewann die Unterstützung der russischen Bevölkerung, die sich durch den internationalen Niedergang Rußlands gedemütigt fühlte. Den Höhepunkt seiner Popularität erreichte er, als er die tschetschenische Hauptstadt Grozny eroberte und dem Erdboden gleich machte.

Für den jihad liefen die Dinge hier also nicht so gut wie in Bosnien und im Kosovo.

Der extremistische Islam hatte auch ansonsten keinen Erfolg. Im Mai 1999 arbeitete die pakistanische Armee mit den Taliban und den Jihad-Kämpfern bin Ladens in einem gemeinsamen Angriff auf die indische Provinz Kashmir zusammen. Dieser Angriff endete in einer deutlichen Niederlage.

An allen Fronten verloren also die Jihad-Kämpfer bin Ladens an Boden. Die Attacke auf Amerika geschah nachdem die Bewegung ihren toten Punkt erreicht hatte. Sie hofften durch eine sensationelle Aktion wieder an Prestige gewinnen. Die Attacke würde die notwendige Konfrontation mit den Ungläubigen beschleunigen. Am Ende würde, so glaubten sie, die Erlösung stehen.

 

V. Operation “Jüngstes Gericht”

 

Das islamische Erwachen schritt nicht so rasch voran, wie es Osama bin Laden wünschte. Dennoch sank zur gleichen Zeit. das Ansehen der USA in der arabischen und muslimischen Welt. Die Wut der Öffentlichkeit über Amerika und Israel erreichte im Oktober 2000 einen Höhepunkt, als die Massen zur Unterstützung der Intifada auf die Straßen gingen. Bin Laden ignorierte das nicht. Er verstand, daß diese Energien nicht nur gegen Israel und die USA , sondern auch gegen ihre arabischen Allierten gerichtet waren, vor allem gegen Ägypten und Saudi- Arabien.

In der ganzen arabischen Welt brachen massive Demonstrationen aus, auch in den Golfstaaten und unter den Arabern in Israel. Die Opposition gegen Amerika konzentrierte sich auf drei Fragen: (1) seine einseitige Unterstützung Israels gegen die Palästinenser; (2) seine Sanktionen gegen Irak; (3) seine Unterstützung Indiens gegen Pakistan. Hinter diesen Themen lag ein breiterer Hintergrund von Arbeitslosigkeit, Armut und Rückständigkeit.

Die arabische öffentliche Meinung machte es den Regimen schwer, offene und freundliche Beziehungen zu den USA zu unterhalten. Sobald die Intifada ausbrach, beeilten sie sich, um der Kritik zu begegnen, einen arabischen Gipfel einzuberufen – den ersten seit dem Golf Krieg. Sie änderten ihre Linie um ihre Haut zu retten. Ägypten und die Golfstaaten hatten in den 90ern diplomatische und ökonomische Beziehungen mit Israel aufgenommen. Sie hatten die palästinensische Kapitulation in Oslo unterstützt. Nun plötzlich eröffneten sie eine krude Propagandakampagne gegen Israel und Amerika.

Diese Kampagne dauert nun ein Jahr. Sie schloß die meisten arabischen Medien ein, von den Zeitungen bis zum Satelliten-Fernsehen. Sie hatte eine wichtige Funktion dabei, verbreitete Gefühle einer Identifikation mit der Intifada zu wecken. In der arabischen öffentlichen Meinung schuf sie den Eindruck eines edlen Krieges gegen die “Juden und Kreuzfahrer”.

 

Islamistische Kräfte machten Punkte an der Front gegen Israel, wenngleich ohne Verbindung mit Bin Laden.

Zunächst zog Israel sich unter dem militärischen Druck der Hizbollah (der islamischen “Partei Gottes”) im Mai 2000 aus dem Südlibanon zurück. Fanatische islamische Organisationen führten ihre Selbstmordattacken im Lande fort. Dies Erfolge nährten teilweise, unter Extremisten, das Gefühl, das der Augenblick der Entscheidung nahe war. Der Islam schien fähig zu sein, die Treuen zum Siege zu führen. Im Triumph der Treue wurde das reale Kräfteverhältnis vergessen.

Es gibt fundamentale Unterschiede zwischen der terroristischen Aktionen in New York und Washington einerseits, und dem Kampf von Hizbollah und Hamas andererseits. Letztere vermeiden sorgfältig jede Beschädigung amerikanischer Interessen. Sie agieren in einem sorgfältig definierten politischen Rahmen. Die Hizbollah koordiniert ihre Aktionen mit Syrien und dem Iran. Sie beansprucht Legitimität nach internationalem Recht. Die Hamas überschreitet nur selten die “roten Linien”, die von der Palästinensischen Autorität (PA) gezogen werden. Wenn doch, so werden ihre Führer verhaftet.

 

Im Gegensatz hierzu zielten die Angriffe auf Amerika nicht auf die Befreiung eroberten Territoriums oder auf wohldefinierte praktische Zwecke. Ihre Zielsetzung war viel großartiger: sie sollten eine strategische Parität zwischen der islamischen Welt und den Ungläubigen schaffen. Welches System leitet Bin Laden? Wo sind seine “roten Linien”? Wie konnte er es wagen einen Angriff zu starten, von dem viel größere Mächte nicht träumen?

Wir sollten zunächst daran erinnern, daß er und seine Genossen glaubten, erst kürzlich die Sowjetunion besiegt zu haben.

Weiterhin: obwohl Bin Laden seine Kräfte prüfte und seine Schritte abwog, waren seine Erwartungen übertrieben. Wir erwähnten das strategische Hinterland, das Afghanistan Pakistan in seinem Konflikt mit Indien bot. Bin Laden glaubte scheinbar, daß ihm Pakistan ein strategisches Hinterland in seinem jihad gegen den “Kreuzritter” Amerika geben würde.

Was konnte ihn zu solch einer Fehleinschätzung verleiten? Glaubte er wirklich, daß Pakistan hinter ihm stehen würde? Offensichtlich. Hinter diesem Fehler standen zwei Ereignisse: die islamische Bombe und der Staatsstreich von General Pervez Musharaf.

 

(1) Am 28. Mai 1998 führte Pakistan einen erfolgreichen Nukleartest durch. Dies hatte eine ungeheure Wirkung auf die islamischen Staaten der Region, einschließlich der fundamentalistischen Bewegungen. Saudi- Arabien war unter den ersten Gratulanten. Ein Großteil seines Enthusiasmus entstand aus dem Fakt, daß zwei seiner Hauptfeinde, Irak und Iran, ebenfalls auf dem Weg zu einer eigenen Bombe sind.

In den drei Jahren seither haben Pakistanis jeden 28. Mai als “Den großen Tag” behandelt: den Jahrestag des ersten erfolgreichen Nukleartests durch einen islamischen Staat. In den Festveranstaltungen im Jahr 2000 erklärte der pakistanische Wissenschaftsminister: “Wir verbeugen uns vor Gottes Allmächtigkeit, die am 28. Mai 1998 Pakistan ihre Größe zeigten.” (Goldberg)

Sami ul- Haqu, der Führer der Jama’iyyat Ulama al-Islam und Mitglied des Parlaments, veröffentlichte eine Fatwa, die den jihad gegen jede pakistanische Regierung erklärte, welche einem Atomteststoppabkommen betreten würde. Ul – Haqu, ein eifriger Unterstützer Bin Ladens, leitet auch eine religiöse Schule. Viele seiner Absolventen gingen zu den Taliban.

Die Associated Press berichtete im Oktober 1998 folgendes: “Viele Militante wollen, daß Pakistan weiterhin Atomwaffen entwickelt, sowohl als Abschreckung des alten Feindes Indien, wie auch als Ausgleich in den Verhandlungen der islamischen Welt mit dem Westen.”

Moslemische Extremisten interpretierten den Pakistanischen Atomtest als Himmelsgeschenk. Gott gewährte ihnen die Bombe als eine Sache, die man benutzen kann. Der Westen hatte zu verhindern versucht, daß der Islam bekam, was die andern in Asien, Europa und Amerika hatten. Aber Pakistans Erfolg machte dem ein Ende.

Bin Laden und seine Organisation erwarteten nun ihre Chance, um den jihad gegen Amerika zu erklären. Der Putsch Musharafs, dem wir uns nun zuwenden, signalisierte für sie das Aufkommen des Jüngsten Gerichts.

 

(2) Zur Zeit des Atomtest war Nawaz Sharif noch Präsident Pakistans. Er versuchte, mit Iniden ein Abkommen über Kaschmir zu erreichen. Hinter seinem Rücken führte General Pervez Musharaf die Armee und die jihad- Milizen zu Angriffen in der Provinz. Er hatte vor, das mögliche Abkommen zu torpedieren. Er fürchtete, wie alle pakistanischen Generäle, daß ein Abkommen mit Indien die innere Stellung der Armee schwächen würde. Diese Armee zog ihre Macht aus einem verrückten Mix von modernen Waffen und moslemischem Extremismus, gerichtet gegen die Erz- Ungläubigen, Indien und Amerika.

Die Musharaf – Offensive endete, wie ich bereits erwähnte, mit einem Mißerfolg. Die Pakistanis machte für die Niederlage einen Wechsel in der amerikanischen Politik verantwortlich. Unter der Clinton Administration hatte die USA an ihrer Seite gestanden. Aber Clinton wechselte die Seiten und bevorzugte nun Indien. Dies hatte die pakistanische Öffentlichkeit zutiefst beleidigt, ebenso die Armee. Bin Laden verglich diesen Wechsel mit Amerikas Stellungnahme zugunsten Israels gegen die Palästinenser.

Im Oktober 1999 setzte Musharaf Sharif ab. Ein Ultra- Nationalist stand nun in Pakistan an der Spitze, gestützt von einer Armee mit starken Bindungen an den Islam.

Hinter Bin Laden Fehlkalkulation lagen drei Überzeugungen: Erstens, Pakistan könne mit seiner Atombombe als unabhängige islamische Macht fungieren, die ihm ein strategisches Hinterland gegen die “Juden und Kreuzfahrer” gäbe. Zweitens, Musharaf würde ihn sicher unterstützen. Und drittens, wie bemerkt, gab es da die beharrliche Überzeugung daß er und seine Freunde es schon einmal gemacht hatten: Sie hatten (mit ein wenig Hilfe von ihren amerikanischen Freunden) bereits eine Supermacht besiegt.

 

VI. Saudi- Arabien – das schwache Kettenglied

 

Um die amerikanischen Schwierigkeiten im Umgang mit dem Phänomen Bin Laden zu verstehen, müssen wir die komplexen Beziehungen zwischen Amerika und Saudi- Arabien erforschen. Wir haben die Kooperation der Saudis mit dem CIA bei der Finanzierung der afghanischen Mudjahedin erwähnt. Im Laufe der Zeit entwickelte sich jedoch ein Konflikt zwischen Riyadh und Washington.

Nach den Angriffen auf die amerikanischen Botschaften in Nairobi und Dar al- Salam (August 1998) übten die USA Vergeltung gegen Bin Ladens Basen in Afghanistan und gegen eine pharmazeutische Fabrik im Sudan (die der Produktion chemischer Waffen beschuldigt wurde). Am 8. Februar 1999 zitierte die NYT eine Aussage von den CIA- Direktor George Tenet vor dem Kongreß, Bin Laden könne “zu jeder Zeit” gegen Symbole der amerikanischen Macht losschlagen. Die Times notierte einen Konsens unter amerikanische Politikern, “daß Bin Laden starke politische Unterstützung auch unter amerikanischen Verbündeten im Ausland” genieße. Er “erhalte Geld und politische Unterstützung von Prinzen der saudischen königlichen Familien, deren König er erklärtermaßen absetzen wolle, sowie von mächtigen Leuten und Finanzinstituten in Kuwait und Quatar, wo es eine starke amerikanische Militärpräsenz gibt, wie US- Amerikanische Beamte mitteilen.” (Weiner)

Washington wußte um den Ernst der Lage.  Bedenken über Saudi- Arabiens ambivalente Beziehungen zu Amerika hatten nach dem 25. Juni 1996 zu wachsen begonnen. An diesem Tag tötete eine Explosion auf dem amerikanischen Stützpunkt in Khobar in Saudi Arabien 19 US- Soldaten. Die saudische Regierung lehnte es ab, mit Washington bei der Untersuchung zu kooperieren. Im Gegenteil, die Saudis taten alles, um Informationen zu verheimlichen und die Amerikaner an Aufklärung zu hindern. Bis heute, 5 Jahre später, ist der Vorfall in Khobar ein Geheimnis. Niemand kam vor Gericht. Louis Freeh, der Chef des FBI “gab ein Beispiel, wie den Amerikanern die kalte Schulter gezeigt wurde: der Chevrolet, der bei der Attacke benutzt wurde, war bereits Anfang Juli 1996 gefunden worden, aber es dauerte mehr als 6 Monate und bedurfte Vermittlung von höchster Stelle, bevor dem FBI eine Untersuchung des Fahrzeugs gestattet wurde.” (Middle East International)

Saudi Arabien versuchte den Eindruck zu erwecken, daß vom Iran unterstützte Schiiten den Angriff ausgeführt hätten. Seine Version überzeugt Washington nicht. Am 6. Juli 2001 sendete al- Jazira TV- network eine Talk- show “mehr als ein Blick” (Aktar min Rai) mit saudischen und iranischen Teilnehmern. Sie stellte eine Reihe von wichtigen Fakten zum Angriff in Khobar vor. Dr. Sa’ad al-Fakiyya, Chef der Islamischen Reformbewegung in Saudi- Arabien, sagte: “Seien wir deutlich. Eine Gruppe von 6 sunnitischen Moslems wurde im Zusammenhang mit dem Anschlag in Khobar verhaftet. Ihre Verbindung dazu ist effektiv bewiesen. Diese sechs ... sind nicht die Einzigen. Hunderte wurden nach dem Anschlag verhaftet, in einer weitgehenden Aktion, die jeden erfaßte, den man für einen Unterstützer des Afghanistan Krieges hielt oder der sonst irgendeine Beziehung dazu hatte.”

Dr. al-Fakiyya erklärte, warum die Saudis die Amerikaner von den Untersuchungen abhielten: “Wenn von dieser Gruppe, oder von einer anderen aus den Angriffen von Riyadh oder Khobar gezeigt wird, daß sie mit Bin Laden in Verbindung stehen, dann beweist das die Existenz einer lokalen Sunniten- Gruppe, die das Regime ablehnt und seine Stabilität gefährdet. Die Furcht der Saudis vor solch einer Enthüllung führte sie stattdessen zur Beschuldigung der schiitischen Opposition.”

Der Gastgeber des Programms, Sami Hadad, fügte das folgende hinzu: “Im Oktober zitierte die Französische Nachrichtenagentur eine Quelle aus dem saudiarabischen Innenminsterium, die sagte, die Saudis hätten die Taliban ausgewiesen, weil deren Regierung Leute beschütze, die mit dem Anschlag in Khobar in Verbindung stünden.” Der stellvertretende Herausgeber von al-shark al-Awsat, Muhammad Awam, bestätigte diese Behauptung.

Wie berührte der Anschlag von Khobar die Beziehungen mit Amerika? Nach der IHT (“Saudi Arabien. Verbindungen die verpflichten” 2. 12.1996) “gestand ein höherer US- Beamter: ‚Sauidi Arabien ist ein schwarzes Loch. Wir haben riesige Lücken in unserem Verständnis, was dort vor sich geht.‘ Nach dem Khobar – Anschlag unterzog der CIA das Königreich einer außerordentlichen Analyseprozedur, die als ‚harte Ziele Strategie‘ bekannt ist (bis dahin reserviert für Länder wie Rußland, China, Iran, Irak und Nordkorea) um die Gefahren einzuschätzen, die das Regime bedrücken.”

Dem CIA gelang es jedenfalls herauszubekommen, warum die Khobar- Attentäter nicht vor Gericht gestellt wurde, publizierte die Resultate jedoch nicht. Wir können es riskieren, den Grund zu erraten: die US entdeckten, wie sehr die Opposition gegen das saudische Regime angewachsen war. Vielleicht hat Washington am Ende auch verstanden, daß es eine breite Ablehnung seiner militärischen Präsenz auf saudischem Boden gibt. Wenn der CIA seine Hausaufgaben gemacht hat, wird er herausgefunden haben, daß die Opposition von einem Niedergang der sozialen und ökonomischen Bedingungen genährt wird. Wegen der Korruption in der königlichen Familie, deren Mitglieder weiterhin in ostentativem Luxus leben, während die Mehrheit der Saudis leidet, wächst die Bitterkeit des Volkes. Seit 1982, als König Fahd auf den Thron kam, schrumpfte die Wirtschaft drastisch. “1993 betrug das Jahreseinkommen pro Kopf 5.000 $, etwa ein Drittel des Standes in den frühen 80ern. Nach einigen Schätzungen ist es seither weiter gefallen. Und politisch half all dies dem islamischen Fundamentalismus, der mit alarmierender Geschwindigkeit wächst, da er die einzige populäre Bewegung ist, welche die Regierung nicht verbieten kann.” (Aburish).

Was auch immer die Ergebnisse der CIA Untersuchung waren, es ist klar, wofür sich Washington entschied: den Mund zu halten. Zur gleichen Zeit, so scheint es, gelangte Saudi- Arabien zu Verständigungen mit den Taliban und Bin Laden. Letzterer stimmte zu, Angriffe innerhalb der saudischen Grenzen zu unterlassen. Im Gegenzug würden die Saudis weiterhin finanzielle Unterstützung gewähren und die Khobar- Attentäter nicht vor Gericht stellen. Für eine solche Übereinkunft haben wir keinen Beweis, aber Tatsache ist, daß die terroristischen Aktivitäten im Lande ruhten, bis zu einer Explosion in Khobar Anfang Oktober 2001, nach den Angriffen auf Amerika. (Hier wiederholte sich das Muster: die Untersuchung brachte keine öffentlich sichtbaren Ergebnisse.)

Die Ereignisse des 11. September machten Washingtons Zögern ein Ende. Der Leitartikel in der NYT vom 25. September forderte die saudische Regierung zur Kooperation mit den US- Geheimdiensten auf, um die terroristischen Organisationen auf saudischem Boden auszurotten und ihre finanziellen Quellen zu verschließen. Diese Aufforderung ging auf  die Anerkennung nunmehr unbestreitbarer Fakten zurück: Saudi Arabien gibt extremistischen islamischen Gruppen Schutz und Unterstützung, aus der Befürchtung heraus, eine Konfrontation könne das Regime stürzen, das ohnehin auf der Kippe steht.

12 der Selbstmordattentäter des 11. September kamen aus Saudi Arabien. Dieser Fakt hat weitreichende Implikationen für das saudische Regime. Die Offiziellen haben versucht dies zu verwischen, indem sie sagten, die veröffentlichten Namen seien ungenau. Sie hindern amerikanische Journalisten am betreten des Landes. Trotz der Versuche zur Täuschung ist es sicher, daß die Mehrzahl der Selbstmordattentäter aus der Armutsregion Assir kamen (im südlichen Teil des Landes, nahe der Grenze zu Jemen). Hier leben eine Reihe von Stämmen, die als Opponenten des Regimes bekannt sind. (Murphy).

Drei Jahre vor  den Angriffen auf Amerika  publizierte Le monde Diplomatique im Oktober 1998 folgende Analyse: “Das saudische Modell der Allianz zwischen konservativem islamischen Fundamentalismus und dem Westen ist gescheitert. Das Problem für Washington ist, daß es keine alternative politische Strategie gegenüber der islamischen Welt besitzt. Auf der saudische Seite kommt die Doppelzüngigkeit von Prinz Turki an ihre Grenzen. Der überzeugte pro- Amerikaner hat immer radikale sunniten Bewegungen unterstützt und war noch im Frühjahr bei den Taliban. Riyadh verwendet viel Geld zur Finanzierung islamischer Netzwerke, die nicht als Verachtung für die Emire und ihre Petrodollars empfinden und die denken, der Islamische Staat von Saudi- Arabien wäre noch islamischer ohne die Dynastie Saud.” (Roy)

Der “Prinz Turki”, um den es hier geht, ist Turki al-Faisal, über 30 Jahre Chef des saudischen Geheimdienstes und der Architekt der engen Zusammenarbeit des Königreiches mit den islamistischen Bewegungen. Diese Beziehungen begannen mit der Allianz gegen die Sowjets in Afghanistan und setzten ihren tödlichen Kurs bis zum 11. September fort. (Tyler) Nun sind sie in der Sackgasse. Prinz Turki trat am 31.August zurück oder wurde entlassen (kein outsider weiß das); dies führte zu Spekulationen, das saudische Regime könnte gewußt haben, daß etwas bevorstand.

 

VII. Amerika ohne Alternative

 

Es ist nicht leicht zu erkennen, welche Alternativen Amerika in Bezug auf Afghanistan hat, vielleicht weil keine solchen Alternativen existieren. Deshalb verzögerte Washington seine militärische Antwort um fast einen Monat. Selbst heute ist es schwer, die Zwecke des Krieges zu definieren oder die Maßstäbe anzugeben, nach denen Erfolg und Mißerfolg gemessen werden können. Es scheint verrückt: um einen Mann und seine Anhänger zu fassen, die sich in Höhlen verstecken, bewegt eine gewaltige Macht Flugzeugträger und Armeedivisionen über riesige Meere.

Dieser Krieg wurde Amerika aufgezwungen. Bin Laden und Afghanistan standen in keiner Weise auf seiner Tagesordnung. Viele der Organisationen und Menschen, die nach dem 11. September Terroristen genannt werden, waren der US- Regierung schon einige Zeit bekannt. Sie hatten in Amerika und Europa ohne Störung operiert. Einige der Genossen Bin Ladens zum Beispiel, obwohl in Ägypten zum Tode verurteilt, erhielten politisches Asyl in Großbritannien. Dort engagierten sie sich in Medienaktivitäten und einem weitverzweigten Finanznetzwerk.

Vor dem 11. September sah Washington weder die Massaker an hunderten und Tausenden Algeriern noch die Ermordung von Touristen in Ägypten als so schwerwiegend an, daß sie ein Verbot oder eine Beschränkung dieser Organisationen gerechtfertigt hätten.

Vor dem 11. September war die Außenpolitik der USA tatsächlich vor allem gegen Rußland gerichtet. Amerika sah Rußland als eine Atommacht, die mit ihm in den zentralen Interessengebieten – in Zentraleuropa, am der Kaspischen See und dem Persischen Golf – um Einfluß konkurrierte. Was bin Laden betrifft, so wurde er als Gefahr nicht so ernst genommen wie etwa die Schurkenstaaten, z.B. Iran, Irak und Nordkorea. Die wichtigste strategische Initiative von George W. Bush war die Abschaffung des ABM Vertrages von 1972 und die Verstärkung der Anstrengungen  zum Bau eines Antiraketensystems, von dem eine Vormacht über Rußland erwartet wurde. Auch wenn er dies nicht aufgegeben hat, der Angriff auf Amerika verschob Prioritäten und änderte die politische Landkarte.

Die NYT stellte am 27. September einen kleinen Teil des Netzes dar, das Amerika um Rußland gewoben hat: “Rußland hat in den Vorbereitungen für jede militärische Aktion in Afghanistan entscheidend geholfen, heute wurde es belohnt. Die US haben, in einer klaren Veränderung, erstmals erklärt, daß das El Kaida Netzwerk eine Rolle in der Auslösung der blutigen Unruhen in Tschetschenien spielte.” Diese neue Position markiert eine scharfe Wendung in der amerikanischen Haltung gegenüber Rußland. Nur einige Monate zuvor, während seiner Wahlkampagne, hatte Bush gedroht, Rußland die Hilfe wegen seiner Angriffe in Tschetschenien zu streichen.In einem Fernsehinterview sagte Bush im Februar 2000: “Dieser Kerl Putin, der jetzt gerade Präsident in Rußland ist, kam in Folge von Tschetschenien zur Macht.” Er fügte hinzu, Putin sei in einer Weise mit Tschetschenien verfahren, die “für friedliche Nationen nicht akzeptabel ist”. (Dau).

Warum erkennt Washington erst jetzt die Rolle, die Bin Laden im tschetschenischen Aufstand spielte? Die Antwort ist einfach. Früher war die USA vor allem daran interessiert, Rußlands Name zu beschmutzen und seinen Einfluß zu untergraben. Osama bin Laden erschien als geringeres Problem.

Die Hilfe, die die USA den Taliban in Afghanistan gaben, war Produkt derselben Strategie. Es war die Rolle der Taliban, einen amerikanischen Stützpunkt an der Grenze der drei moslemischen Staaten zu sicher, die an das Kaspische Meer grenzen und heute unter russischem Einfluß sind: Usbekistan, Turkmenistan und Tadshikistan[1].  Die USA bevorzugten das Talibanregime in Afghanistan wegen seiner absoluten Abhängigkeit von Pakistan. Die oppositionelle Nordallianz, von Rußland und Indien unterstützt, wirkte in amerikanischen Augen abstoßend.

Trotz Washingtons derzeitiger Benutzung der Nordallianz als Hebel gegen die Taliban, sieht es sie nicht als strategischen Partner. Ebensowenig wünscht es einen Gegensatz zu seinen unterwürfigen Alliierten Pakistan und Saudi Arabien zu schaffen. So hatte die Stellung gegen die Taliban den Iran zunächst den amerikanischen Schrei nach Vergeltung unterstützen lassen. Bald aber merkte der Iran, woher der Wind wehte und schloß sich der Opposition gegen die amerikanischen Angriffe auf  Afghanistan an.

Washington ist entschlossen, Bin Laden zu eliminieren und das Afghanische Regime zu stabilisieren, ohne das regionale Kräfteverhältnis zu stören. Wenn es dabei erfolgreich ist, wird es den Kreuzzug fortsetzen um die heiligen Ölfelder am kaspischen Meer zu befreien. Es wird versuchen, andere nahegelegene Länder wie Georgien in seinen Einflußbereich zu bringen.

 

VIII. Der Krieg und der globale ökonomische Abschwung

 

Die Wurzeln des “ersten Kriegs des 21. Jahrhunderts” könnten in den Kriegen gefunden werden, die Amerika in den 1990er gegen Irak und Jugoslawien führte. Es kämpfte gegen Länder, die keinen Widerstand leisten konnten, weder militärisch noch ökonomisch. Es führte diese Kriege unter aufgeklärten Titeln wie der Verteidigung ethnischer Gruppen, der Menschenrechte, der Demokratie. Ihr einziges Ziel war jedoch die Durchsetzung einer neuen Weltordnung, kommandiert von den Vereinigten Staaten. Die Kriege führten zu vielen Opfern, der Zerstörung von Nationalstaaten und einer strukturellen Destabilisierung im globalen Maßstab.

Die Destabilisierung war das Thema eines Artikels in Le Monde diplomatique (Juni 1999): “Als der Kalte Krieg zu Ende ging, endeten aber nicht für die Bürgerkriege in der Dritten Welt. Im Gegenteil verdoppelten sie ihre Intensität. Seit dem Fall der Berliner Mauer (1989) kam es zu mehr als 23 Bürgerkriegen, neu entstandenen oder wiederbelebten, an denen über 50 bewaffnete Gruppen teilnahmen. ... In vielen Ländern (z.B. Angola, Somalia und Sierra Leone) folgt die Zerstörungskraft dieser fortdauernden Konflikte einem Muster ... Rebellengruppen ringen miteinander um ein Gewaltmonopol, das früher das Vorrecht des Staates war. Wenn dies geschieht, bricht der sich entwickelnde Nationalstaat zusammen und verwandelt sich in eine unregierbare chaotische Einheit.

... Ganze Sektoren der Wirtschaft, Städte, Provinzen und Regionen fallen unter das Joch von warlords, Drogenhändlern oder der mafia. Dies ist heute in Afghanistan der Fall.” Der Artikel benennt im weiteren 14 weitere “unregierbare chaotische Einheiten”, darunter Somalia, Kosovo, Bosnien, Tschetschenien und Haiti. (De Rivero).

Bald könnten auch die Westbank und Gaza auf dieser Liste auftauchen, im Ergebnis der von Amerika gesponserten Osloverträge.

Strukturelle Instabilität ist eine Folge einer globalen Ökonomie, die den Interessen der großen Industriekonzerne, vor allem der Ölkonzerne nutzt. Seit 1997 steht die Welt an der Kippe zur ökonomischen Krise. Dies brachte direkte Schäden für zwei Gruppen von Ländern: mittlere Ökonomien wie Brasilien, Argentinien und die Ost- asiatischen “Tiger” einerseits, arme Länder wie Ägypten andererseits. Die enorme öffentliche Wut gegen Amerika kommt von den Verwüstungen, die seine neue Weltordnung hervorbringt. Millionen von Menschen auf aller Welt befinden sich außerhalb der globalen Ökonomie, ohne Einkommen und Zukunft.

 

Der Gebrauch von Gewalt zur Durchsetzung von Hegemonie ist ein Zeichen von Schwäche. Er zeigt, daß das globale kapitalistische System sich dem Kollapse nähert. Die Anarchie in den schwächeren Ländern kann als das erste Zeichen angesehen werden. In den letzten zwei Jahren jedoch traf die Krise die großen industriellen Zentren. Japan, Europa und Amerika schlitterten selbst in die Rezession, schon vor den Angriffen auf das WTC und das Pentagon. Das kam als ein rauhes Erwachen: die Krankheit blieb nicht in den Grenzen von Afrika, Asien oder Lateinamerika. Sie fand ihren Weg in die Nervenzentren der kapitalistischen Ordnung.

Die gegenwärtige und zukünftige Anarchie kennt keine Grenzen. Neue Technologien und Hochgeschwindigkeitstransporte, die lebenswichtigen Organe der Globalisierung, bilden ein zweischneidiges Schwert. Mit all dem Guten, was sie brachten, besonders für die multinationalen (Konzerne) – sie machte es auch möglich, daß 19 fundamentalistische Extremisten zur Flugschule gingen und gegen das Herz Amerikas losschlugen.

Der Angriff auf die USA ist eine Warnung. Das Fehlen jeder Alternative im globalen Maßstab birgt präzedenzlose Gefahren. Den Anfang der Verwerfungen kann man schon sehen, in den Brüchen, die sich unter den früheren Alliierten gegen den Irak auftun. Sie kommen nicht zurande mit dem amerikanischen Verständnis, daß Probleme mit Gewalt gelöst werden können. Sie fürchten, daß auch sie zum Ziel der Wut werden, während die Anarchie in ihren eigenen Hinterhöfen aufkommt.

Der Feind ist nicht zu fassen. Es sind nicht nur Bin Laden und die Taliban. Der wirkliche Feind ist die Anarchie, die Amerika selbst geschaffen hat. Der jetzige Krieg wird diese Anarchie noch verstärken. Die Wirtschaftskrise verschärft derweil die Konflikte zwischen den einflußreichen Ländern. Die Gefahr einer nuklearen Konfrontation wächst zwischen China und Taiwan, Pakistan und Indien, und auch zwischen Amerika und Rußland. Ebensowenig können wir die Wiedergeburt des Faschismus in Europa  ignorieren. Faschisten sind wieder auf den Korridoren der Macht in Italien und Österreich.

Mit einem Wort, unsere Welt hat sich verirrt. Bin Laden und seine Anhänger haben uns erinnert, wie weit. Aber das primäre Problem ist nicht der Terrorismus. Der Gesellschaft fehlt heute der Wille, die größte Krankheit zu heilen, die die Menschheit je kannte, die Epidemie der Armut. Das ist keine Armut, die aus Überbevölkerung, Dürre oder Hunger entsteht. Sie entsteht aus einem unbeschränkten Drang nach Profit auf Kosten anderer.

 

Epilog

 

Kurz nach den Selbstmordaktionen brachte The New Statesman, eine britische Wochenzeitung, die der Labour Party nahesteht, folgende Analyse in ihrem Leitartikel (17. September 2001): “Seit der kommunistische Block in den 80ern schwächer wurde und schließlich in 1990er zusammenbrach, kehrte der Kapitalismus zu seinem Typ zurück, wenngleich der größte Teil des Elends aus den industrialisierten Ländern exportiert wird. Eine Welt mit nur einer Supermacht bringt die armen Länder um den besten Hebel für Verbesserungen, den sie je hatten: wenn eine Seite keine Hilfe gab, konnte man direkt zur anderen gehen. Sicher, diese Art von Erpressung erlaubte vielen verbrecherischen und korrupten Diktatoren, Macht zu erlangen. Aber sie können sicher sein, wäre die Sowjetunion noch real und eine Gefahr, die Schuldenkrise, die heute etwa 50 Länder betrifft und früher unvorstellbare Höhen erreicht (einige Länder müssen ¼ ihrer Exporteinnahmen zum Schuldendienst verwenden), würde nicht existieren. ... Die Tod der Sowjetunion nahm den globalen Armen auch etwas nicht faßbares: vielleicht nicht gerade Hoffnung, aber den Sinn für eine Alternative, für Möglichkeiten.”

Diese Dinge gehen weit über das Horizont von Bin Laden und seiner Bande. Wenn er die Moslems zum jihad gegen die amerikanischen Stützpunkte in Saudi Arabien aufrief, gegen die Belagerung des Irak und die Unterdrückung des Palästinenser, vergaß er eine Sache: daß er selbst und seine Anhänger geholfen hatten, die Sowjetunion zu besiegen – und daß damit auch sie Verantwortung tragen für all die Krankheiten, gegen die er schimpft.

Wie soll man anders die Tatsache erklären, daß die Amerikaner bis zum Fall der SU in der Region keinen Fuß in die Tür  bekommen hatten? Wie soll man anders die Tatsache erklären, daß bis zu diesem Ereignis es kein Land wagte, ballistische Raketen auf andere Städte abzufeuern? Wie soll man anders die Tatsache erklären, daß sich das palästinensische Volk gezwungen sah einen Vertrag anzunehmen, der einer Kapitulation gleichkommt? Wer konnte sich vor dem Fall der SU vorstellen, daß arabische Länder an der Seite der USA in einen Krieg gegen den Irak ziehen würden? Oder daß sie die Option eines Krieges gegen Israel aus den Händen geben würden?

Als in den frühen 80er Jahren die Palästinenser im Libanon Israel widerstanden und Unterstützung von der SU erhielten, beschenkte Bin Laden (mit saudischer Hilfe) die Amerikaner in Afghanistan. Statt die Unterdrückten zu verteidigen, schlug er auf ihren Verbündeten ein. Wenn die arabischen Freiwilligen sich wirklich hätten opfern wollen, sie hätten nach Beirut gehen können, als es belagert wurde, in der Zeit, als die Palästinenser und Libanesen verzweifelt arabische Hilfe brauchten. Warum kamen sie nicht? Weil der Krieg in Beirut anders als der in Afghanistan gegen den amerikanischen Imperialismus gekämpft wurde, und das passte nicht in ihr Konzept. Osama Bin Laden “schlug” den Kommunismus, aber da war ein Pyrrhussieg und das erste Opfer war das palästinensische Volk.

Aber nicht nur dieses Volk, alle Völker der Welt zahlen den Preis für den Untergang der Sowjets. Der größte Versuch in der menschlichen Geschichte ging zu Ende. Absurder weise zahlt auch das kapitalistische Regime für diesen Niedergang. Die SU hatte die Mittel politischer und ökonomischer Stabilität in vielen Ländern gesichert. Nun ging die Verantwortung auf die US über.

Das derzeitige globale Problem ist nicht die Tatsache, daß nur eine Supermacht existiert, sondern das Fehlen einer signifikanten organisierten politischen Opposition in dieser Supermacht. Die USA preisen sich selbst als das Bollwerk der Demokratie. Was ist diese Demokratie? Eine Kaste verteilt die Macht unter ihren Mitgliedern. Um diesen magischen Zirkel formen die Medien einen Konsens von trügerischer Vernünftigkeit, in dem die menschlichen Fragen massiven Elends als unabänderliches Gesetz erscheinen.

Aus dem Fehlen breit- basierten Opposition in den USA ergibt sich der Anstieg extremistischer Tendenzen im Rest der Welt. Während Amerikaner getäuscht ihren way of life genießen, erlebten andere einen Niedergang. Es ist daher kein Wunder, daß die Armen der Welt, unter ihnen die islamischen Völker, einen tiefen Haß auf Amerika entwickelt haben. Ihre Ausbeutung durch Amerika auf Kosten ihres Lebensstandards, ergänzt durch die Gleichgültigkeit gegenüber ihren Katastrophen, hat zum heutigen Stand der Dinge geführt, wo Amerika ein Angriffsziel geworden ist. Eine wirkliche Antwort von Seiten des amerikanischen Volkes auf die letzten Ereignisse wäre es, aufzustehen und schließlich eine Alternative zu eröffnen zu jener Kaste, die sie hierher geführt hat.

Es ist kein Zufall, daß die Bewegung gegen die Globalisierung 1999 in Seattle begann. Das war ein guter Anfang, um eine Alternative zu bilden. Aber die jüngsten Selbstmordaktionen trafen die Antiglobalisierungsbewegung unvorbereitet. In ihrer fehlenden Bereitschaft zeigt sich die Abwesenheit eines klaren politischen Programms, wie dem Kapitalismus zu begegnen wäre.

 

Die erderschütternden Ereignisse des 11. September sollten es Volksbewegungen in den Industrieländern, und besonders in den USA, möglich machen, die Politik wieder auf die öffentliche Tagesordnung zu setzen. Amerika hat seine Massen, seine Arbeiterklasse, seine Gewerkschaften. Es ist an ihnen eine neue Position durchzusetzen, reaktionäre Trends zu blockieren die drohen, die Welt in Anarchie zu stürzen.

 

Als Marxisten versuchen  wir die Widersprüche des Kapitalismus zu verstehen und an seinen Untergang zu arbeiten. Selbstmordattentate tragen nichts zu diesem schwierigen Vorhaben bei. Unser Weg ist lang und erfordert Geduld und beständige Arbeit. Unser Ziel ist es, die Massen zu überzeugen und sie im Rahmen politischer Parteien zu organisieren, bis sie in der Lage sind, ihr demokratisches Recht zur Selbstbestimmung über ihr eigenes Schicksal zu realisieren.

Politik muß wieder auf die Tagesordnung, nicht als ein Selbstzweck, sondern als ein Mittel, die Ressourcen der Gesellschaft wieder in die Hände der Gesellschaft zurückzuführen. Diese Ressourcen sollten gleich unter allen Völkern verteilt werden, so daß ein jedes sich als Teil der Menschheit fühlen kann. Wenn das nicht geschieht, so wird der 11. September sich als ein Teil eine fortdauernden Reihe erweisen. Zwischen Sozialismus und Barbarei gibt es keine dritte Alternative. Die Zeit ist gekommen, sich zu entscheiden.

 

 

Quellen

 

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[1] (der Übersäzzer): Tadshikistan grenzt nicht an das Kaspische Meer, dafür aber Kasachstan, das hier nicht erwähnt ist – weil es wohl keine Grenze zu Afghanistan hat.